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Wir haben nach vorne zu schauen

Gregor Gysi beim Politischen Jahresauftakt der Partei DIE LINKE im bcc am Berliner Alexanderplatz

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste!

Als dritter und letzter zu sprechen, hat so seine Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist klar: Es ist eigentlich schon alles gesagt worden. Der Vorteil ist auch klar: Ich kann sagen, was ich will, es kann mir hinterher keiner mehr widersprechen – zumindest nicht sofort.

Aber zunächst möchte ich anders beginnen: Ich wünsche euch allen ein wirklich sehr gutes Jahr 2010. Und damit meine ich zunächst einmal: Ich wünsche euch Gesundheit – die geht immer vor -, dann wünsche ich euch allen privates Glück – wenn ihr nämlich privat unglücklich seid, könnt ihr auch politisch nicht erfolgreich sein - und dann wünsche ich euch allen politische Erfolge - soweit ihr mit mir übereinstimmt. (Gelächter und Applaus)

Mit der letzten Einschränkung mache ich auf ein Problem aufmerksam, das uns gegenwärtig sehr beschäftigt. Ich meine das auch gar nicht nur positiv, sondern auch ironisch. Ich möchte euch gleichzeitig, herzliche Grüße von Oskar Lafontaine übermitteln, den ich vor kurzem besucht habe. Wir haben ein sehr schönes langes Gespräch geführt. Wir haben auch, wie ihr in der Zeitung lesen konntet, gut gegessen. Das lassen wir uns auch gar nicht nehmen. Ich freue mich, dass es ihm gesundheitlich besser geht, aber der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Jeder, der denkt, dass er auf eine kleine Personalie oder andere Dinge wartet, irrt sich komplett. Oskar Lafontaine ist vieles, aber nicht kleinkariert. Seine Entscheidung hängt ausschließlich davon ab, ob er das Ganze gesundheitlich verkraftet. Aus der Politik ist er sowieso nicht zu verdrängen. Das möchte ich auch allen Vertreterinnen und Vertretern der Medien sagen. Keine falschen Hoffnungen! Er bleibt mindestens in der Landespolitik. Wenn es jemanden gibt, der auch aus der Landespolitik heraus permanent Bundespolitik machen kann, dann Oskar Lafontaine. (Applaus) Aber ich hoffe, dass er auch funktional in der Bundespolitik bleibt – im Bundestag, beim Parteivorstand. Ich habe diesbezüglich länger gesprochen als er, da ich bessere Argumente hatte. Aber letztlich muss ich akzeptieren: Die Gesundheit geht vor. Es wird nicht mehr allzu lange dauern und dann werden wir seine Entscheidung erfahren. Und wenn wir sie erfahren haben, werden wir mit beiden Varianten umgehen müssen. Wir können uns nicht zurückfallen lassen. Auf gar keinen Fall. Wir haben nach vorne zu schauen und auch nach vorne zu gehen. (Applaus)

Wir haben jetzt eine schwarz-gelbe Regierung. Das ist eine radikalere Variante des Neoliberalismus, die uns dort begegnet. Sie haben am Anfang Schwierigkeiten gehabt - sie haben sie immer noch. Sie haben ihre Projekte versucht durchzusetzen. Das war schon bei den Steuersenkungen nicht ganz einfach, da die Länder darunter leiden – die Kommunen auch. Aber sie haben letztlich keine Rücksicht darauf genommen. Das erste Mal widersprechen ihr die ökonomischen Sachverständigen. Das ist eine völlig neue Erscheinung. Seit Jahren stimmen sie jeder Regierung zu. Erstmalig artikulieren sie Widersprüche. Das Ganze zeichnet sich dadurch aus, dass die UNION ohne jedes Selbstbewusstsein dasteht und die FDP vor Selbstbewusstsein fast platzt. Das hängt mit deren Wahlergebnis und mit deren Sturheit zusammen. Während Frau Merkel nur gelernt hat, eine große Koalition zu managen, d. h. da war sie Kanzlerin bei der SPD und der UNION – sie war der konservative Teil. Plötzlich bekommt sie einen Teil, der ist noch konservativer und sie hat noch nicht gelernt, damit umzugehen. Frau Merkel verwaltet die Regierung, aber sie regiert nicht das Land. Das ist das Problem, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben. Sie weiß auch nicht, wohin mit Deutschland - aber wir wissen, wohin mit Deutschland. Deshalb sollten wir dieses Wissen einbringen und sehr viel aktiver werden und zwar innerhalb und außerhalb der Parlamente. (Applaus)

Die Chemie zwischen den beiden Koalitionspartnern stimmt nicht. Dadurch gibt es einen Fehlstart in der Regierung. Sie sind höchst unzufrieden. Ich glaube, dass sich das auswirken wird bei der Landtagswahl in NRW und wir haben das zu nutzen. Was nicht geht – und hier müssten wir eigentlich unseren Druck wirklich entfalten – ist, dass die Bundesregierung uns erst nach der Landtagswahl in NRW erklärt, welche Sozialkürzungen sie vornimmt, um ihre Steuersenkung und ihre Neuverschuldung zu finanzieren. Wir müssen denen Druck machen, dass sie es vorher zu erklären haben – auch den Wählerinnen und Wählern in Nordrhein-Westfalen. (Applaus)

Lasst mich etwas über die Krankenversicherung sagen – ich wiederhole nicht alles, was Klaus Ernst diesbezüglich und was auch Lothar schon gesagt haben – es geht mir um eine ganz andere Frage: Wie wirkt die SPD in dieser Gesellschaft? Das wird an diesem Beispiel ganz deutlich. Wir hatten im Kern eine paritätische Finanzierung des Gesundheitswesens - zumindest soweit es die gesetzliche Krankenkasse betraf, einerseits durch die Unternehmen und andererseits vom Bruttoeinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dann hat die SPD die erste Ausnahme gemacht: Bei Zahnmedizin etc. – ihr wisst, unter Schröder kamen die 0,9 % der Bruttolöhne hinzu nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – ohne die Unternehmen. Dann in der großen Koalition sind sie einen Weg gegangen und haben gesagt: "Wir schaffen jetzt den Gesundheitsfond und wir machen folgende Regelung: Die gesetzlichen Krankenkassen, wenn sie mit ihrem Geld nicht mehr hinkommen, sind berechtigt, ausschließlich von den Versicherten zusätzliche Beiträge zu fordern. Die Unternehmen haben nichts mehr damit zu tun, aus Brutto wird nur weniger Netto." Also, die Leute haben das zu bezahlen. Jetzt kommt die Sozialdemokratie, so wie sie sich versteht und baut eine Schraube ein und sagt: "Ja, aber diese zusätzlichen Beiträge in die gesetzliche Krankenversicherung dürfen 1 % des Jahreseinkommens nicht überschreiten." Das ist dann Sozialdemokratie, habe ich gelernt. Jetzt kommen FDP und UNION und werden dieses eine Prozent streichen. Das ist deshalb wichtig, weil es die UNION und FDP nicht geschafft hätten, die Struktur einzuführen, dass nur die Versicherten bezahlen. Das schaffen sie nur mit der SPD. Die SPD organisiert dann eine kleine soziale Hilfsschraube und die drehen die anderen dann raus. Das ist alles. Die SPD kann mir nicht mehr erzählen, dass sie das nicht weiß, denn es läuft seit Jahrzehnten so mit ihr, dass sie den Weg eröffnet. Übrigens auch, was völkerrechtswidrige Kriege betriffen, um dann wieder leicht zurück zu rudern. (Applaus)

Im Jahre 2009 waren wir erfolgreich. Darauf hat Lothar hingewiesen. Wir hatten ein sehr gutes Bundestagswahlergebnis. Ich glaube, das hing damit zusammen, dass wir Themen gefunden haben, die der Bedürfnis- und Interessenlage der Bürgerinnen und Bürger entsprachen. Hätten wir auf falsche Themen gesetzt, hätten wir uns mit Dingen beschäftigt, die die Leute gar nicht unmittelbar interessiert hätten, wären wir bei den Wahlen auch nicht erfolgreich gewesen. Das ist deshalb so wichtig, weil es einige bei uns gibt, die denken, sie beschließen die Themen. Sie denken sogar, sie können beschließen, welche Themen, die Bürgerinnen und Bürger zu interessieren haben. Aber sie interessieren sich für diese Beschlüsse nicht. Es sind immer die Realitäten, die die Menschen bewegen. Deshalb müssen wir nach den Themen suchen, die die Menschen tatsächlich bewegen und nicht von denen wir uns wünschen, dass sie sie bewegen mögen. Das können wir zwar immer gerne zusätzlich versuchen, aber die eigentlichen Themen, die sie bewegen, müssen unser Maßstab sein. (Applaus)

Das zweite ist: Wir haben bestimmte Themen nicht erst im Wahlkampf besetzt, sondern vier Jahre lang von 2005 bis 2009 - immer wieder, parlamentarisch und außerparlamentarisch. Deshalb waren wir in diesen Themen glaubwürdig. Hätten wir erst im August 2009 angefangen, diese Themen zu besetzen, hätten wir gar keine Chance gehabt. Das erlebt jetzt die SPD, wenn sie einfach einmal eine Position um 180 Grad dreht. Damit wirst du doch nicht glaubwürdig. Deshalb ist es wichtig, dass wir diesbezüglich durch Kontinuität Glaubwürdigkeit erlangen. (Applaus)

Drittens: Wir haben in unserer Partei tragfähige Kompromisse dort erreicht, wo wir sie brauchten, da es eben unterschiedliche Auffassungen gab. Ich erinnere an unseren Parteitag im Juni in Berlin. Ich erinnere daran, wie alle Medien davon überzeugt waren, dass wir Ideologieschlachten erleben werden, so dass wir ohne jede Chance diesen Parteitag wieder verlassen. Ich erinnere daran, dass es eine Führung gab, die sich dann ausnahmsweise einmal vorher Gedanken gemacht hat, Gespräche organisierte und zwar mit Ost und West, mit allen Strömungen usw. bis wir Kompromisse gefunden hatten und gesagt wurde: Ja, mit diesen Kompromissen können wir doch in den Wahlkampf ziehen. Das ist übrigens nicht undemokratisch. Das ist auch nicht verantwortungslos, sondern ganz im Gegenteil. Das einzige, was Verantwortung ausmacht: Sich selber nicht so wahnsinnig wichtig zu nehmen, sondern in erster Linie an die Bürgerinnen und Bürger im Lande zu denken. (Applaus)

Deshalb sage ich euch: Von diesem Parteitag ging eine Aufbruchsstimmung aus, die wir im Augenblick nicht erleben. Das ist eine andere Frage. Dazu komme ich gleich. Aber das war ganz wichtig. Hätten wir uns nicht auf dieser Basis zu einem Wahlprogramm verständigt, wären wir auch im Wahlkampf nicht erfolgreich gewesen. Ich kenne sowohl die Gesichter von Journalistinnen und Journalisten, die sich gefreut haben, dass wir das geschafft haben, als auch jener, die bitter enttäuscht waren, da sie sich eine ganz andere Berichterstattung von unserem Parteitag erhofft hatten. In der Hinsicht bin ich dafür, dass wir bei dem einen oder dem anderen öfter Enttäuschungen organisieren und uns als stärker erweisen als wir dargestellt werden. (Applaus)

Wir brauchen einen Spürsinn für Relevanzen. Wir brauchen einen Blick für die wesentlichen Konfliktlagen in der Gesellschaft für Verletzte Gerechtigkeit und Würde. Wir brauchen einen Wahlkampf und Wahlprogramme, die Bedeutung für die Leute haben – nicht in der ersten Linie für uns. Wir müssen wieder lernen, Konflikte in produktiver Weise – auch innere Konflikte – zu behandeln und zu lösen. Ich sage es ganz klar: Es ist jetzt bei uns ein Klima der Denunziation entstanden. Ich finde dieses Klima unerträglich. Ich werde mich daran nie beteiligen. (Applaus)

Unsere gegenwärtigen Probleme haben bekanntlich mit einem Artikel begonnen – und ich sage das hier auch so offen, obwohl ich ihn sehr mag: Da war der Bundesgeschäftsführer gegenüber einem Vorsitzenden nicht loyal. Das hat Folgen, da dann das Vertrauensverhältnis in der engeren Führung beschädigt ist. Das war das erste. Ihr könnt alle davon ausgehen, dass wir das alle mitbekommen haben. Da wir das alle mitbekommen haben – wir sind ja auch nicht dämlich – haben wir natürlich darüber nachgedacht, wie wir das Problem wieder lösen. Nun gab es aber – ich gehe das hier ganz genau an – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion und von Bundestagsabgeordneten, die fürchteten, dass wir das doch nicht mitbekommen haben und meinten, sie müssten nun eine Erklärung formulieren. Diese aber nicht an uns schicken, um zu sagen: "Falls ihr es nicht mitbekommen habt: Wir wollten euch auf dieses und jenes hinweisen.", sondern es natürlich veröffentlichten, damit es alle mitbekommen. Ich weiß nicht, ob die Abgeordneten, deren Mitarbeiter es waren, davon wussten. Wenn sie davon wussten, sage ich ihnen auch, ich habe heute die Absicht, mich zwischen alle Stühle zu setzen, sage ich ihnen auch ganz klar: Dann finde ich das ein bisschen feige. Sagt es selbst – schickt nicht eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor. (Applaus)

Als Anwalt füge ich hinzu: "Wenn es so war." (Gelächter)

Aber gut, nun war es veröffentlicht und die dachten: "Da haben wir doch einen schönen Punkt gesetzt." Jetzt kommen natürlich meine sechs ostdeutschen Landesvorsitzenden und sagen: "So geht es nun nicht.", da sie sich an etwas erinnern, was man nicht vergessen darf und zwar selbst die, die Dietmar Bartsch nicht leiden können, dürfen nie vergessen, dass das dennoch stimmt. Er hat sich riesige Verdienste um die Entwicklung unserer Partei erworben. (Applaus)

Ich mache es ganz kurz: Er wurde Bundesschatzmeister zu einer Zeit als sein Vorgänger gerade in Untersuchungshaft saß. Schon vergessen? Aber ich nicht. Er hat die ganze Situation hervorragend gemeistert. Er war und ist auch ein sehr guter Bundesgeschäftsführer. Er war auch ein guter Wahlkampfleiter, etc. Ich kann das alles aufzählen aber das ist gar nicht nötig.

Also, die sechs Vorsitzenden meinten mit einer wiederrum zu veröffentlichenden Erklärung daran noch einmal erinnern zu müssen – nicht etwa mit einem Brief. Was sie, glaube ich, nicht eingeschätzt haben, ist, dass darauf hin eine Telefonkonferenz der zehn Landessprecherinnen und Landessprecher und Landesvorsitzende West begann und man nun darüber nachdachte, wie man doch darauf antwortet. Da kam keine gemeinsame Erklärung heraus, sondern Briefe an mich als Unzuständigen. Das letztere finde ich sehr gut. Ich werde diese auch nicht zurückschicken, da ich mich gerne in Dinge einmische, die mich nichts angehen. Aber abgesehen davon, sage ich auch, mit welchem Problem das Ganze zusammenhängt. Es hängt damit zusammen, dass wir im Augenblick ein Vakuum haben. Einer unserer Vorsitzenden sitzt in Europa und der andere ist krank. Da drängeln sich zu viele herein. Dann besteht natürlich eine gewisse Hoffnung, dass ich vielleicht das eine oder andere noch ausgleichen könnte. Deshalb verstehe ich dann auch, dass man an mich schreibt. Dass man an mich schreibt, ist auch harmlos. Ich lese das alles artig, denke darüber nach, etc. Das ist alles versprochen. Das Problem ist, dass es dann eben zum Teil öffentlich wird. Dann hat Lothar einmal ein klares Wort gesprochen. Daraufhin meinten natürlich meine sechs ostdeutschen Landesvorsitzenden, dass sie sich dazu auch noch einmal öffentlich erklären müssen. Das haben sie dann auch gemacht. Nun können die Landesvorsitzenden West darüber beraten, wie sie als nächstes reagieren. Und dann machen wir wieder eine Sitzung der sechs Landesvorsitzenden Ost und die geben wieder eine Erklärung ab. Das ist eine dolle Kiste, die uns da eingefallen ist. Ich möchte bloß daran erinnern, als das Ganze anfing, hat keiner damit gerechnet, dass es so endet. Vielleicht sollten wir einmal lernen, bevor wir A sagen, darüber nachzudenken, dass auch B, C und D folgen. Vielleicht sollten wir das einmal lernen. (Applaus)

Jetzt kommen zwei weitere Dinge. Anfangen tut immer der erste, dann kommt der zweite – ich habe das alles in der Reihenfolge geschildert – dann kommt der dritte, usw. Das ist mir schon ganz klar. Hätte Dietmar Bartsch seinen Fehler nicht begangen, wäre das Ganze nicht gekommen. Hätte es als erstes nicht die Erklärung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegeben, da sie sich hätten denken können, dass wir vielleicht selber darüber nachdenken, wie wir das Ganze lösen, hätte es die Erklärung der Ostdeutschen gegeben. Hätte es diese Erklärung nicht gegeben, hätte – Soll ich es noch einmal aufzählen? Es ist doch wohl deutlich geworden, wie das Ganze eskaliert wurde, was wir eigentlich zu vermeiden haben.

Jetzt kommt aber Folgendes: Ich bekomme Anrufe, SMS und Briefe mit folgendem Inhalt: Da steht drin, dass das natürlich täuscht. Also, die sechs ostdeutschen Landesvorsitzenden habe etwas erklärt, aber man muss nicht denken, dass alle Mitglieder im Osten so denken. Da gibt es Mitglieder, die denken ganz anders. (Applaus)

Dann bekomme ich Anrufe und SMS – die klatschen jetzt, gleich klatschen die anderen (Gelächter) - da steht drin, dass ich nicht denken soll, dass etwa die Landessprecherinnen und Landessprecher West die ganze Mitgliedschaft diesbezüglich vertreten. Da gäbe es auch welche, die denken ganz anders. Die sprechen mich dann auch einzeln an. Wisst ihr was, Genossinnen und Genossen? Ich glaube, dahinter steht ein Wunsch, den ich überhaupt nicht teile. Es gibt bei einigen Genossinnen und Genossen in den alten Bundesländern die Vorstellung – sie werden es nicht so denken, sie werden es nicht so fühlen, sie werden es nicht so sagen, aber im Kern steckt es dahinter -, dass doch die östlichen Landesverbände ihnen beizutreten haben. Sie sollen eigentlich so werden, wie diese schon sind. Es gibt im Osten – ich habe doch gesagt, ich setze mich heute zwischen alle Stühle - nicht wenige, die denken: Wir brauchten einmal den umgekehrten Vorgang. Der Westen hat beizutreten und hat so zu werden, wie wir es schon sind. Ich möchte euch bloß eins ganz klar sagen: Weder für den einen noch für den anderen Beitritt, stehe ich zur Verfügung. Ich möchte eine Vereinigung – nichts anderes. (Applaus) Ich möchte nicht, dass die PDS über die WASG siegt. Und ich möchte nicht, dass die WASG über die PDS siegt. Ich möchte etwas Neues. Etwas Neues, d. h. DIE LINKE, wo der Unterschied Ost – West nicht relevant ist. Ich sage auch einmal etwas zu unseren Strömungen: Jede Strömung ist wichtig. Wir sollten sie nicht missen. Sie bereichern unsere Partei. Das sage ich hier einmal so deutlich. Und zwar jede, sowohl die Plattform als auch das Forum Demokratischer Sozialismus. Aber die Strömungen sind nur eine Minderheit. Die Mehrheit der Mitglieder sind in gar keinen Strömungen. Auch das ist wichtig. (Applaus)

Ich sage euch noch etwas, was nicht geht. Ich schildere euch das, wie es sich abspielt – wie es abläuft. Da erzählen mir Genossinnen und Genossen, dass sie Mitglieder des Forums Demokratischer Sozialismus sind. Dann sagen sie mir, sie können das aber auf einem Landesparteitag in den alten Bundesländern nicht bekannt geben. Denn wenn sie das bekannt gäben, entstünde sofort ein Feindbild gegen sie und sie hätten gar keine Chance mehr – für nichts mehr. Dann spreche ich mit einem Genossen und sage: "Sage einmal, ich habe hier so einen Antrag an den Parteitag von dir gelesen. Das ist ja komisch: Hast du deine Auffassung diesbezüglich geändert?" – "Nein, nein", sagt er, "meine Auffassung ist noch dieselbe. Aber wenn ich den Antrag nicht mit unterschrieben hätte, wäre ich niemals Kandidat für den Bundestag geworden." Ich bitte euch. Wo leben wir denn hier eigentlich? Ich muss einmal ganz klar sagen: In den östlichen Landesverbänden gab es gegen die Plattform immer auch Bedenken, aber ein, zwei haben sie immer gewählt. Was ich möchte ist, dass man auch dazu stehen kann, dass man einer bestimmten Strömung angehört. Das macht einen nicht unwählbar - vielleicht in zu großer Zahl unwählbar. Aber ein bisschen vertreten sein, sollen schon alle. Deshalb möchte ich, dass mehr Ehrlichkeit bei uns einzieht und dass man sich auch einmal überwindet und Pluralismus wirklich möchte und akzeptiert. (Applaus)

Ich sage euch noch etwas: Vereinigung verträgt weder Besserwisserei noch Wichtigtuerei. Das sind auch verbreitete Erscheinungen in allen Parteien – leider auch bei uns. Vereinigung ist aber nicht Gleichmacherei. Das geht auch gar nicht. Das ist auch gar nicht hinzubekommen. Sondern wir haben natürlich Unterschiede zwischen den Landesverbänden Ost und West. Es bringt auch gar nichts, diese zu leugnen. Also, z. B. die Herkunft und soziale Verankerung der Mitglieder ist sehr unterschiedlich. Das liegt z. B. daran, dass im Osten die Eliten abgewickelt wurden. Dadurch sind natürlich aus den früheren Eliten zur PDS mehr gekommen als aus den bestehenden Eliten in den alten Bundesländern zur WASG gegangen sind. Die ostdeutschen kommen mit der Erfahrung eines politisch und ökonomisch gescheiterten Staatssozialismus. Die Westdeutschen kommen mit der Erfahrung eines immer ungerechter werdenden Kapitalismus - mit der Erfahrung, dass es mit dieser Struktur nicht funktioniert. Das sind aber unterschiedliche Erfahrungen, die auch zu unterschiedlichen Reaktionen auf bestimmte Erscheinungen in der Gesellschaft führen. Ich möchte doch nicht mehr, als dass jede und jeder immer wieder überlegt, Verständnis für die anderen zu entwickeln – nicht, dass wir so werden wie anderen sind. Aber wenn man kein Verständnis entwickelt, dann möchte man sich auch nicht vereinigen. Dann möchte man nur Recht haben. Das ist aber viel zu wenig. Damit lösen wir unsere Probleme nicht. (Applaus)

Natürlich gibt es unterschiedliche Traditionen. Nicht wenige Mitglieder in den alten Bundesländern sind bestimmten Gruppen beigetreten in früherer Zeit in dem Wissen, dass sie sich damit an den Rand der Gesellschaft stellen. Viele im Osten kamen aus der SED. Sie waren sozusagen Mitglieder der Machtstaatspartei und wurden ausgegrenzt. Das war doch nicht ihre Entscheidung. Sie haben doch nicht gesagt: "Ich möchte jetzt gern an den Rand der Gesellschaft.", sondern da wurden sie hingestellt. Das ist ein riesiger Unterschied. Es gibt eine unterschiedliche Kultur und unterschiedliche Problemlagen. Die Fraktionen in den Landtagen, haben ganz unterschiedliche Stärken. Im Westen gibt es eine Betonung, eine Artikulation der politischen Interessen, auch solcher, die von der SPD aufgeben worden sind. Im Osten sind wir eine Volkspartei. Neben der Artikulation klassischer linker Themen tritt die Artikulation der so genannten Ostinteressen und die Zuständigkeit für alle Fragen. Wenn du aber für alle Fragen zuständig bist, verhältst du dich anders. Ich habe das früher, als wir nur die kleine PDS im Westen waren, gesagt: Wenn ich die Aufgabe hätte dafür zu sorgen, dass aus einer Ein-Prozent-Partei eine Zwei-Prozent-Partei wird, würde ich mich auf zwei bis maximal drei Themen konzentrieren, bei denen ich sage: Ich erreiche jetzt eine Verdopplung. Wenn ich aber über 20 Prozent habe, dann gehen mich die Dienstbezüge der Feuerwehr etwas an. Ich kann nicht sagen: "Das interessiert mich nicht." Das ist nicht erfunden - das wirkt natürlich aus der Sicht einer Ein-Prozent-Partei ein bisschen komisch - das verstehe ich auch, – um welchen Mist die sich so kümmern. Das lässt sich alles nachvollziehen.

Deshalb ist die spannende Frage: Wie kommen wir zur Vereinigung? Nun habe ich gesagt, erstens müssten wir lernen, endlich einmal ein Zentrum zu organisieren in unserer Partei. Es ist zu klein. Es ist nicht organisiert. Es ist nicht erkenntlich. Ich bin auch das Zentrum nicht gern fast allein. Also, wir müssen uns Gedanken machen: Wie bekommt man so etwas hin? Das ist nicht so leicht, da sich andere Dinge leichter organisieren lassen als ein Zentrum. Aber wir müssen uns darum Gedanken machen.

Das zweite ist: Ich habe euch damals vorgeschlagen, dass die Landesvorstände Ost mit jeweils ein bis zwei Landesvorständen West im Jahr zwei Treffen mit einer Übernachtung machen. Die Übernachtung ist ganz wichtig, ich werde euch gleich sagen, warum: Damit die abends zusammensitzen, trinken und einfach dusseliges Zeug quatschen. Aber nach zwei Tagen kommen sie verändert heraus, da sie sich einmal kennengelernt haben, weil sie einmal miteinander und nicht übereinander geredet haben. (Applaus)

Auf dem Parteitag wurde genauso geklatscht wie heute. Es hat nur nicht stattgefunden. Warum nicht? Weil ich einen Fehler begangen habe, weil es nicht meine Zuständigkeit war: Ich habe vergessen, einen zu beauftragen, sich darum zu kümmern. (Gelächter)

So ist es. Wenn du keinen Verantwortlichen benennst, den du alle vier Wochen fragst, wie weit er ist, passiert auch nichts. Ich verspreche euch, noch heute benenne ich einen Verantwortlichen, damit das jetzt endlich im Jahre 2010 passiert. (Applaus)

Wenn wir die Vereinigung hinbekommen wollen, dann müssen wir uns höchstdemokratisch alle Gedanken machen, wie wir den neuen Bundesvorstand, den neuen Parteivorstand, zusammensetzen. Ich sage euch das ganz klar: Wir können das rein zufällig organisieren. Mal sehen, wer eine Mehrheit bekommt. Unsere berühmten Strukturen, die sich da alle miteinander absprechen vor dem Parteitag usw. Oder wir machen daraus eine der wichtigsten Aufgaben der Parteiführung: Wie muss eigentlich ein Parteivorstand aussehen, damit er erstens die Führung der Partei übernimmt und zweitens in der Lage ist, die Vereinigung wirksam in den nächsten zwei Jahren voranzubringen. Vereiniger brauchen wir, nicht Spalter, nicht Besserwisser und nicht Wichtigtuer. (Applaus)

Ich gebe zu, in die Bildung des letzten Parteivorstandes habe ich mich überhaupt nicht eingemischt. Dieses Mal werde ich mich unzuständigkeitshalber, und zwar ohne jede Zuständigkeit, vertieft einmischen, denn ich möchte, dass uns das gelingt und dass das Ganze nicht zufällig ist. Demokratie ist nicht Zufall. Das ist ein Irrtum. Sondern eine bewusste Entscheidung, wo man sich sagt: "Ja, so machen wir es. So wollen wir es haben. So können wir vernünftig geführt werden."

Das letzte, das vierte, was uns strukturell gelingen muss, ist die Bundestagsfraktion. Wenn wir in der Bundestagsfraktion keine Vereinigung hinbekommen, kann es in der Partei überhaupt nicht gelingen. Wenn es aber in der Bundestagsfraktion gelingt, dann haben wir auch gute Chancen in der Partei. Deshalb muss es dort gelingen. Wir haben Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist: Wir müssen immer gemeinsam Politik vertreten. Der Nachteil ist: Wir bestimmen nicht die Tagesordnung allein, sondern andere mit. Deshalb zwingen sie uns, zu Fragen Stellung zu nehmen, zu denen wir noch gar nicht Stellung nehmen wollen. Wo wir noch sagen: "Wir brauchen noch zwei Jahre Basisaussprache.", aber die UNION sagt: "Tut uns leid, wir setzen es trotzdem auf die Tagesordnung." Dann müssen wir uns am Dienstag verständigen, was wir am Donnerstag dazu sagen. Das ist manchmal unangenehm, aber wir haben keine andere Chance. Diese Tatsache müssen wir nutzen, um zu sagen: Es gibt eine Fülle von Gemeinsamkeiten aller Mitglieder der Partei DIE LINKE und die stellen wir in den Vordergrund. Das Trennende behandeln wir auch, aber wir vergessen nicht unsere Gemeinsamkeiten. Die machen wir deutlich. (Applaus)

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste wir sind die Opposition in der Gesellschaft. Ich sage: In der Gesellschaft. Ich spreche jetzt nicht vom Parlament. Wir sind von den Parteien, die im Bundestag vertreten sind, die einzige Opposition in der Gesellschaft. Die FDP war doch nicht Opposition in der Gesellschaft, nur weil sie als Opposition im Bundestag saß. SPD und GRÜNE sind nicht Opposition in der Gesellschaft, nur weil sie jetzt die Rolle der Opposition im Bundestag spielen. Diese drei Parteien sitzen, wenn sie in der Opposition sitzen – das geht der Union ganz genauso -, nur in der Wartestellung, wann sie endlich wieder in eine Regierung eintreten – wobei die Bedingungen dann relativ egal sind. Wir haben eine ganz andere Funktion. Denn was wir an Opposition ausstrahlen, ist gar nicht allein über das Parlament zu machen, weder in der Kommune noch im Land, noch im Bund, noch in Europa. Wir brauchen Bewegung. Die Herrschenden in den USA und ihre Verbündeten nutzten die Situation, um den neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus und die Verwertungsinteressen von Großkonzernen und Finanzfonds global durchzusetzen. Der Finanzkapitalismus treibt das allgemeine Prinzip des Kapitals, dass der Profit der Zweck des Wirtschaftens ist, auf die Spitze. Finanzanleger und Fonds ohne Bindung an bestimmte Unternehmen und Regionen begannen die Weltwirtschaft zu beherrschen. Privatisierung, Deregulierung, Sozialabbau durch Umverteilung von unten nach oben und von öffentlich zu privat wurden Vorgaben der herrschenden Politik. Der 2001 proklamierte Krieg gegen den Terror sollte die imperiale Dominanz der USA legitimieren und die Expansion des entfesselten Finanzmarkt-Kapitalismus militärisch absichern. Dafür, um das zu bekämpfen, reicht parlamentarische Opposition nicht aus. Genau deshalb sind und müssen wir auch Opposition in der Gesellschaft sein. Aber "in" nicht "neben" oder "gegenüber" der Gesellschaft, sondern als Bestandteil der Gesellschaft, sonst entfremden wir uns nur – was auch ein falscher Weg wäre. (Applaus)

Das heißt, wir müssen Demonstrationen, Kundgebungen, Streiks, viele Formen von Aktionen unterstützen. Natürlich sind und bleiben wir dabei gewaltfrei. Und ich brauche da auch keine Belehrung von anderen, muss ich ganz klar sagen. Aber wir wollen die Gesellschaft verändern und es wird uns nur dann gelingen. Denn wenn es solche Aktionen gibt, wenn die Menschen Widerstandsgeist zeigen gegen die geplanten Veränderungen, dann verändert sich der Zeitgeist – dann verändert sich die Kultur – dann verändern sich selbst die Medien. Wir haben eine Schwierigkeit. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es keine ausreichenden links-intellektuellen oppositionellen Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Wissenschaft und Kultur gibt. Das war zu anderen Zeiten in der alten Bundesrepublik ganz anders, aber heute ist es so. Die gesellschaftliche Opposition müssen wir zusammen mit anderen organisieren. Alleine geht das nicht. Zusammen mit Gewerkschaften. So schwierig das im Einzelfall sein kann. Zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Sozial–, Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegungen. Zusammen mit Attac. Selbstverständlich sind wir in Auseinandersetzungen, auch zu Bündnissen mit Kirchen und Religionsgemeinschaften bereit. Für uns ist es doch nicht wichtig, ob jemand für Frieden und soziale Gerechtigkeit aus weltanschaulichen oder aus religiösen Gründen kämpft. Hauptsache er oder sie kämpft dafür. (Applaus)

Insofern begrüßen wir natürlich das Margot Käßmann so klar einmal Stellung genommen hat gegen den Krieg in Afghanistan. Aber eins stelle ich auch fest: Das lässt man ihr nicht durchgehen. Wir haben ein Privileg. Wir dürfen so etwas sagen. Darüber lohnt es sich nachzudenken in unserer Gesellschaft. Wieso eigentlich darf nicht eine Bischöfin aus christlicher Verantwortung sich gegen Krieg in unserer Gesellschaft stellen. Wo leben wir hier eigentlich? (Applaus)

Zweitens sind wir natürlich auch Opposition im Bundestag, im Parlament. Über die Europaebene hat Lothar gesprochen. Wir erleben jetzt eine vorläufige Restituierung des Neoliberalismus trotz der Finanzkrise. Die Umverteilungspolitik von unten nach oben geht weiter, jetzt aber mit erhöhtem Tempo. Wir haben eine Politik des Schuldenabbaus und der Steuersenkungen zu erleben in den nächsten Jahren. Wobei ganz klar ist, dass das nur auf eine Art und Weise geht, dass man Ausgaben kürzt. Wenn man Ausgaben kürzt, wird diese Regierung immer dazu neigen, Sozialausgaben zu kürzen. Außenpolitisch wird die Lage unter schwarz-gelb auch komplizierter. Trotzdem merkt man auch unsere Wirkung. Es gibt niemanden mehr, der sich gegen Reformen bei Harzt IV stellt. Nur wollen wir keine Reformen von Harzt IV, wir wollen, dass Harzt IV wegkommt. Aber ich sage euch, dass die anderen alle über Reformen diskutieren, liegt doch nur an uns. Hätte es uns nicht gegeben, hätte wir nicht den Zeitgeist verändert, wäre nicht eine andere gesellschaftliche Stimmung entstanden, würden sie gar nicht über Harzt IV diskutieren. So ist es. (Applaus)

Heute reden alle über den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Es ist gerade zu grotesk. Die, die den Einzug beschlossen haben, reden darüber. Wir waren die einzigen, die von Anfang an gesagt haben: "Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan und zwar sofort.", und dabei bleiben wir auch. (Applaus)

Aber trotzdem sage ich euch: Dass die jetzt so anders reden, hängt mit uns zusammen und mit der veränderten gesellschaftlichen Stimmung. Dennoch muss man genau hinhören, was Guido Westerwelle sagt. Er sagt, er möchte noch in dieser Legislaturperiode eine Abzugsperspektive. Das müssen wir den Leuten einmal übersetzen. Wenn du da nur leicht hinhörst, denkst du, er möchte den Abzug in dieser Legislaturperiode. Der möchte aber nur, dass in dieser Legislaturperiode festgelegt wird, wann wir anfangen abzuziehen. Also, wenn ich das richtig berechne, möchte er gerne 2013 hören, dass wir - sagen wir einmal – 2023 oder 2033 oder irgendwann mit dem Abzug beginnen. Das hat doch mit einer Abzugspolitik nichts, aber auch gar nichts, zu tun. Wir brauchen eine klare Strategie. Ich schlage euch vor, da immer gesagt wird: "An einem Wochenende geht es nicht." - Lasst uns doch eine Zahl nennen. Wir sagen: "Gut, den Abzug im Jahre 2010." Das ist doch wohl hinzubekommen, wenn man es möchte. (Applaus)

Jetzt sprechen sie in Bezug auf Afghanistan von kriegsähnlichen Zuständen. Der Vorgänger des jetzigen Bundesverteidigungsministers saß bei Frau Will mit mir und erklärte, dass wir dort keinen Krieg führten. Da sagte ich: "Ja, ich weiß, die Soldaten verteilen dort nur Schultüten." Diese Art von Lügerei habe ich wirklich satt. Natürlich ist es Krieg und nichts anderes. Jetzt haben sie sich übrigens rechtlich in eine schwierige Situation hinein manövriert. Deshalb sprechen alle von kriegsähnlichen Zuständen. Das ist doch wohl nichts anderes als Krieg. Und Krieg darf nicht zum legitimen Mittel der Politik werden. Was Herr zu Gutenberg möchte, ist klar, er möchte die Bevölkerung an Krieg gewöhnen. Ich sage euch, die Bevölkerung ist mehrheitlich gegen Krieg. Es ist unsere Aufgabe, einen inhaltsreichen Kulturkampf dergestalt zu führen, dass die Mehrheit der Bevölkerung größer wird, die gegen Krieg ist und nicht die anderen kulturell obsiegen. (Applaus)

Die SPD ist jetzt parlamentarische Opposition, noch keine gesellschaftliche Opposition. Sie sitzt friedlich neben den Grünen. Sie hat das Problem mit den Grünen gemeinsam, Verursacher von Kriegseinsätzen zu sein. Sie haben auch gemeinsam Afghanistan beschlossen. Sie haben gemeinsam Harzt IV beschlossen. Es ist nicht so leicht für sie, dagegen in Opposition zu gehen. Ich sage einmal, ein Paradigmenwechsel ist nicht zu erkennen, obwohl die Rhetorik moderater wird. Es wird auch sicherlich leichter werden, das eine oder andere Gespräch zu führen. Aber bei der SPD ist noch gar nicht klar, wo ihr Standort in der Gesellschaft sein soll. Sie hat sich als zweite Union nicht bewährt. Eine zweite Linkspartei brauchen wir auch nicht, möchte sie auch nicht werden. Was also ist ihr Standpunkt? Das ist nicht meine Aufgabe, das zu definieren. Das ist deren Aufgabe. Aber auf die Schwierigkeit möchte ich hinweisen. Die Grünen wissen noch gar nicht, wo sie hin wollen. Soll Saarland das Vorbild werden, dass man wechselt zur UNION und FDP? Soll das auch für die Bundesebene angestrebt werden? Unsicherheit bei den GRÜNEN. Deshalb ist ihre Oppositionsrolle schwach im Bundestag. Genau wie die der SPD. Deshalb muss unsere noch viel stärker werden, da wir nicht nur in der Gesellschaft die einzige wirksame Oppositionskraft sind zusammen mit anderen, sondern letztlich auch im Bundestag, da bei uns diese Themen glaubwürdig untergebracht werden. Denn wir müssen nicht unsere Position wechseln, wir haben das immer so vertreten. Trotzdem sage ich, bei den Themen Harzt IV, bei der Rente erst ab 67 Jahren – auch im Übrigen bei den Sozialkürzungen bei Rente und Krankenversicherung und bei der Deregulierung sind und bleiben wir die eigentliche Oppositionskraft im Bundestag. Lasst mich einmal ein Beispiel nennen, da es auch ganz interessant ist mit der Vereinigung. Die glorreichen Neoliberalen haben sich durchgesetzt bei der S-Bahn in Berlin. Sie haben gesagt: "Wir machen hier ganz viel Geld, um an die Börse zu gehen mit einem möglichst hohen Gewinn." Das war ihre Überlegung. Ihre zweite Überlegung, typisch Vereinigung, die keine war, sondern ein Beitritt, bedeutete, dass alle Verantwortlichen der S-Bahn in der DDR bekloppt gewesen sein müssen. So war ihre Einstellung. Wir haben lauter Reichsbahnausbesserungswerke gehabt. Da gab es auch Arbeitsplätze. Dort wurden die S-Bahnen immer wieder instand gesetzt. Da dachten sie, das ist alles bescheuert. Wir sind viel klüger. Sie haben die Reichsbahn-Ausbesserungswerke geschlossen, die Arbeitsplätze abgeschafft. Nun fahren bloß die S-Bahnen nicht mehr. Seht ihr, das kommt heraus, wenn man beitritt. (Gelächter)

Wenn man sich vereinigt, hätte man den Wert des einen oder anderen Reichsbahn-Ausbesserungswerkes und der Instandhaltung der S-Bahnen in einem gegenseitigen Gespräch erkennen können. (Applaus)

Das heißt die Grundeinstellung beim Beitritt, dass die DDR-Leute doof waren, ist einfach falsch. Ebenso falsch ist, wenn es einige wenige bei uns gibt, die denken, dass die DDR schon klasse war. Nein, das war sie nicht. Sie ist so wie sie war, berechtigt politisch und ökonomisch gescheitert. Daraus müssen wir grundsätzliche Schlussfolgerungen ziehen. D. h. nicht, dass die Leute, die in der DDR lebten alle doof waren und sich nur Überflüssiges ausgedacht haben. Das ist wiederum ein anderer Irrtum. Ich möchte bloß einmal die Arroganz los werden, die uns überhaupt nicht weiterbringt. Wenn man sich vereinigt, muss man sich gegenseitig wollen. Das muss man deutlich machen. Das gilt in der Gesellschaft wie in unserer Partei. (Applaus)

Dann sage ich noch etwas zur S-Bahn: Die Zerstörung geht sehr schnell. Die ist auch nicht so teuer. Aber wenn du jetzt die Reichsbahn-Ausbesserungswerke, wie sie früher hießen – jetzt müssten sie Bundesbahn-Ausbesserungswerke heißen – wieder aufbaust, dauert es lange und es ist sehr teuer. So einfach ist es. Du musst Leute neu ausbilden – alles, was dazu gehört.

Wir sind auch die einzigen, die glaubwürdig gegen Kriegseinsätze sind. Wir ändern die politische Öffentlichkeit. Wir haben die anderen Parteien verändert. Wir haben einen Widerspruch angemeldet. Wenn es uns nicht gäbe, gäbe es in dieser Gesellschaft innerhalb wie außerhalb der Parlamente viel zu wenig Widerspruch. Wir brauchen aber nicht weniger, sondern mehr Widerspruch, um solche Prozesse aufzuhalten, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben.

Durch uns wurde auch Druck ausgeübt auf die neoliberalen Parteien, die eine oder andere Auffassung doch zu korrigieren. Schließlich entwickeln wir uns dadurch auch selbst. Durch unsere Oppositionsarbeit entstehen auch bei uns neue Ideen. Auch wir gewinnen neue Einsichten. Wir haben keinen Grund zu Arroganz dergestalt, dass wir schon immer alles richtig gewusst hätten, sondern auch wir erleben natürlich eine Entwicklung. In dem Maß, in dem wir uns wirklich vereinigen, erleben wir sogar noch mehr Entwicklung. Unsere Positionen haben sich doch auch seit 2005 entwickelt. Wenn wir genau hinsehen, werden wir feststellen: Wir sind nicht schlechter, sondern politisch eigentlich sogar besser geworden. Aber wie gesagt, wenn die anderen uns nicht richtig schaden können, übernehmen wir das in der Regel selbst. Das ist eine Gesetzmäßigkeit, mit der ich gerne brechen würde. (Applaus)

Ich sage immer, die Linken vertragen nur zwei Dinge nicht: Niederlagen und Erfolge. Aber ansonsten vertragen wir alles. Ich möchte, dass wir wenigstens lernen, Erfolge zu vertragen. (Applaus)

Wir sind also Opposition im Bund. Wir sind es natürlich auch in den Ländern. Ich darf euch an Hessen 2007 erinnern. Das war das erste Mal, dass wir in ein Landesparlament einzogen. Ich darf euch an die Wahlwiederholung erinnern. Ich darf euch daran erinnern, dass sich alle einig waren, dass wir bei der Wahlwiederholung ein Jahr später herausfliegen und dass uns Anfang 2009 gelungen ist, das zu verhindern. Das war eine gewaltige Leistung. Aber es war die SPD, die eine Alternative verhindert hat nach der Wahl 2008, nicht wir. Damit hat die SPD Roland Koch und der CDU das Überleben in der Regierungsverantwortung ermöglicht – nicht DIE LINKE. Die SPD hat es ermöglichst. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder diese Wahrheit sagen. Deshalb sage ich euch, bei Thüringen und im Saarland, war es wiederum nicht DIE LINKE, die eine alternative Regierung verhindert hat, sondern es war einmal die SPD in Thüringen und es waren die GRÜNEN in Saarland, die dafür gesorgt haben, dass die jeweiligen Wahlverlierer von der Union wieder die Regierungsverantwortung übernommen haben. So ist die Wahrheit. Deshalb ist auch Brandenburg bei aller Kritik wichtig. Denn Brandenburg ist der Nachweis: An uns scheitert es nicht, sondern es ist eine fortschrittliche alternative Regierung möglich. Wenn es scheitert, scheitert es an der SPD oder den Grünen, aber nicht an den LINKEN. Dabei muss es auch bleiben. Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen. (Applaus)

Und das, liebe Genossinnen und Genossen, gilt doch gleichermaßen für Ost und West. Das ist auch wichtig herauszuarbeiten. Aber wir haben ein strategisches Problem - das sind unsere roten Linien. Wir setzen uns hin und sagen: "Leute, hier ist die Grenze. Soweit können wir gehen und keinen Millimeter weiter." Das ist auch wichtig. Man braucht das nämlich als Orientierungspunkt. Trotzdem sage ich, dass Brandenburg ein Fortschritt ist, weil es ein fortschrittliches Regierungsprojekt verwirklicht. Anderenfalls hätte es nach allen Landtagswahlen trotz der Verluste für die UNION, Regierungen mit CDU-Beteiligung gegeben. Trotzdem, die Frage der Regierungsbeteiligung bleibt bei uns eine spannende. Es gibt Leute, die möchten sie sehr gerne. Oder fangen wir einmal ganz von vorn an: Es gibt Leute, die wollen sie zu gerne. Es gibt Leute, die wollen sie gerne. Es gibt Leute, die machen sie mit. Es gibt Leute, die täuschen vor, dass sie sie mitmachen würden, versuchen sie aber zu verhindern. Und es gibt Leute die ganz offen dagegen sind. Das haben wir alles. Das ist insoweit auch noch nicht tragisch. Trotzdem sage ich euch, befinden wir uns in einem permanenten strategischen Dilemma. Die Frage wird uns immer beschäftigen. Und sie wird nie leicht zu beantworten sein. Die spannende Frage lautet doch: Wo beginnt der Opportunismus? Also mit anderen Worten: Wann beginnt er, wenn ich mich an eine Regierung beteilige? Oder wann beginnt er, wenn ich mich nicht an einer Regierung beteilige, nur um es bequem zu haben? Darüber sollten wir länger nachdenken. Dann sollten wir darüber diskutieren und zwar nicht aus der inneren Haltung, da ich sowieso dagegen bin, fällt mir alles dagegen ein – oder aus der inneren Haltung, da ich sowieso immer dafür bin, sehe ich über alles hinweg, was da so geschrieben wird – sondern, dass wir uns kritisch mit uns auseinandersetzen und eine Frage wirklich beantworten: Was verändert sich für die Leute, wenn wir mitregieren in einem so positiven Sinne, dass nach vier oder fünf Jahren diese sagen: "Jetzt geht es uns besser Dank der Mitregierung der LINKEN." Das müssen wir hinbekommen. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann waren wir überflüssiger Weise drin. (Applaus)

Es geht also auch hier nicht um uns. Ich nenne einmal einen Maßstab: Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn von 10,00 € bis zum Ende der Legislaturperiode. Gut. Einmal angenommen, wir kämen jetzt zu einem Kompromiss, dergestalt, dass wir ein flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn bekämen, aber wir können leider erst mit 8,50 € anfangen oder mit 9,00 €. Ja, Leute, das müssten wir natürlich machen, denn es ist doch ganz klar, das "flächendeckend Gesetzliche" ist die soziale Sicherung, die wir dringend in Deutschland benötigen. Das andere ist dann Kompromiss. Wenn wir aber zustimmen, dass wir ihn nicht einführen, sondern machen weiter, nur einmal eine einzelne Branche und noch eine andere einzelne Branche – dann fände ich das völlig falsch. Deshalb sage ich euch: Es gibt keine richtige Richtlinie. So einfach geht das nicht per Gesetz, dass du sagst: "Da steht doch die Linie." Wir müssen in jedem Fall konkret darüber diskutieren. Und deshalb noch eins: Wenn man ein strategisches Dilemma hat und es sowieso nicht los wird, dann ist es besser zu lernen, damit umzugehen, statt die naive Hoffnung zu haben, man könnte es verbieten oder eben ausweichen. Das gelingt uns sowieso nicht und schwierig bleibt es. Ich kann es nicht ändern. (Applaus)

Natürlich, Regierungskoalitionen sind immer Ausdruck von Bündnissen. Aber die Bündnisse müssen inhaltlich tragbar sein. Deshalb sage ich jetzt noch etwas zu den Unterschieden. Wir haben auf der Bundesebene Außen- und Verteidigungspolitik, z. B. Afghanistan. Wir haben auf der Bundesebene Sozialgesetzgebung, Rente, Harzt IV. Wir haben die Steuerpolitik, Beispiel Schuldenbremse. Wir haben die De- und Reregulierungspolitik, Finanzmärkte, Headgefonds oder auch die Bahn. Dann kommen die Länder. Die Länder haben in all diesen Fragen scheinbar erst einmal nichts zu entscheiden. Aber es gibt eine Ausnahme, das ist der Bundesrat. Im Bundesrat haben sie mit zu entscheiden. Deshalb ist eine der wichtigsten Vereinbarungen die, dass wenn ein Koalitionspartner "Nein" sagt und einer "Ja", es bei einer Stimmenthaltung bleiben muss im Bundesrat. Daran müssen sich alle Regierungen gewöhnen, auch solche, in die wir gehen. Stellt euch einmal vor, wir bekämen eine alternative Regierung in NRW. Dann hätten UNION und FDP keine Mehrheit mehr im Bundesrat. Das würde die Welt nicht verändern. aber unsere gesellschaftlichen Strukturen schon ein bisschen durcheinander bringen. Aber die Fragen: Afghanistan, Hartz 4, etc. müssen natürlich auch in den Ländern diskutiert werden. Sie können dort bloß nicht entschieden werden. Aber es gibt gesetzliche Spielräume, die genutzt werden müssen. Und dazu nenne ich jetzt zwei Beispiele, die mir aus Berlin gefallen:

Also, Berlin hat sehr großzügig Mieten an Hartz 4-Empfangene erstattet. Daraufhin hat der Bund das Land Berlin verklagt. Und ich sage euch, ohne uns wäre es nie dazu gekommen. Das war damals eine Leistung von Heidi Knake-Werner, die das so durchgesetzt und gesagt hat: "So organisieren wir das Ganze.". (Applaus) Und dann hat sich die SPD darauf eingelassen. Nun haben die uns verklagt und haben vor dem Bundessozialgericht einen Teilerfolg erzielt - einige paar Millionen Schadenersatz muss Berlin zahlen. D.h. im Klartext: Was wir zahlen müssen, dem Bund wiedergeben, weil er zu viel Mietkosten in Berlin übernommen hatte. Mit anderen Worten: Jetzt hat Berlin selbst die Sozialleistung erbracht. Das Interessante ist, dass die Auseinandersetzung mit den LINKEN in den Berliner Medien diesbezüglich ausgesprochen verhalten war. Warum? Stellt euch das mal umgekehrt vor: Sie hätten uns verurteilt, dass wir mehr zahlen müssen - na da hätten wir uns aber frisch machen können; auch in der eigenen Partei. Aber es ist ja auch so blöde zu sagen, die haben das Gesetz verletzt, die haben da nicht richtig hingesehen und waren daher sozialer als sie durften. Ist ja eine komisch Kommentierung. Die Überschrift hätte ja lauten müssen: "Berliner Regierung ungesetzlich zu sozial". (Gelächter) Macht sich selbst in der BINGO-BZ nicht gut. Und deshalb gab es die verhaltenen Reaktionen. Und ich sage euch: Ich bin damit ziemlich zufrieden. Also wenn wir schon erfolgreich verklagt werden, dann bitte in dieser Richtung – das möchte schon sein. (Applaus)

Ab jetzt sind KITAs in Berlin zwei Jahre gebührenfrei – immerhin die hoch verschuldetste europäische Hauptstadt - und ab nächstem Jahr sind alle drei Jahre in der KITA gebührenfrei. Auch das ist eine wichtige Leistung und bitte tut nicht so, auch die Kritiker der Berliner Regierung, als ob das alles nichts ist! Das ist für viele Leute eine ganze Menge, dass sie diese Bildungseinrichtungen gebührenfrei nutzen können. Und deshalb habe ich gesagt: Bildung, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste, wird eines der wichtigsten Themen werden. Bei der Bildung entscheidet sich ob es eine Art Chancengleichheit in der Gesellschaft gibt oder nicht. Hier entscheidet sich, ob die Kinder der Sozialhilfe Empfangenen eine Chance haben, eine Topbildung zu bekommen oder ob sich die soziale Ausgrenzung fortsetzt, wie man das seit Jahren aus der alten Bundesrepublik kannte. Im Osten gab es leider politische Ausgrenzungen. Aber es gab nie eine Sozialausgrenzung und die will ich auch nicht haben. Und wir müssen für die Gemeinschaftsschulen kämpfen. Alle Kinder brauchen eine Topbildung in Deutschland - alle! (Applaus)

Wir sind diesbezüglich am glaubwürdigsten. Wir wollen auch keine Studiengebühren. Auch das ist nichts anderes als soziale Ausgrenzung. Wir müssen die Auszubildenden, die Schülerinnen und Schüler und die Studentinnen und Studenten unterstützen. Und zwar nicht nur die heutigen sondern auch die kommenden.

Damit gewinnen wir auch Großeltern. Großeltern haben Enkel, die wollen auch Chancengleichheit in der Bildung für ihre Enkelkinder. Und natürlich gewinnen wir auch die Eltern. Wir sprechen alle gesellschaftlichen Gruppen an. (Applaus)

Also, ich sage noch einmal: Koalitionen und andere Kooperationen mit SPD und GRÜNEN auf Länderebene sind denkbar – im Osten und im Westen. Sie sind ein mögliches Modell, das auch etabliert werden kann. Wenn der Inhalt stimmt, scheitert es an uns nicht. Aber es muss sich inhaltlich lohnen. Auf der Bundesebene sind die grundsätzlichen Differenzen zur SPD und GRÜNEN zu gravierend. Ich sehe in absehbarer Zeit keine ernsthafte Möglichkeit, eine Zusammenarbeit hinzubekommen, die für eine Regierungsbildung spräche. Aber es kann sich alles natürlich noch radikal verändern - im Augenblick sehe ich es nicht so. Ich sage noch einmal: Die GRÜNEN wissen noch nicht wohin, sie wollen und die SPD weiß nicht, wo sie ist. (Gelächter) Aber immerhin: Die GRÜNEN beantworten mir meine Briefe, Herrn Steinmeier habe ich wegen der Vermögenssteuer angeschrieben, da bekomme ich nicht mal eine Antwort, weil er sich wahrscheinlich zu dem Thema nicht äußern will oder weil er mir sowieso nicht antwortet. Das weiß ich nicht, das muss man sehen. Wie dem auch sei – das schließt aber lokale Kooperationen, auch auf der Bundesebene, nicht aus. Wir können auch das eine oder andere gemeinsam machen. Das scheitert nicht an uns. Wir haben doch keine Berührungsschwierigkeiten. Und letztlich stehen wir auch nicht gegen eine Regierungsbildung auf Bundesebene. Aber Leute, was muss sich dazu alles verändern? Dazu muss es nicht nur eine Mehrheit geben, dafür muss es nicht nur eine gesellschaftliche Atmosphäre geben – selbst CSU-Wählerinnen und –Wähler müssen ja damit immerhin leben können. Die haben wir noch gar nicht, diese gesellschaftliche Atmosphäre. Sondern dazu muss es doch eine inhaltliche Verständigung geben. Da muss die SPD sagen: Raus mit der Bundeswehr aus Afghanistan, weg mit Hartz 4, etc. Also das braucht noch eine Weile, bis wir sie so weit haben – wollte ich nur angedeutet haben. Und wir werden diesbezüglich unsere Positionen nicht aufgeben können, weil wir, wenn wir sie aufgäben, am selben Tage völlig unglaubwürdig und überflüssig wären. Das geht einfach nicht! (Applaus)

Als dritte Ebene haben wir die Kommunen. Da ist alles noch viel komplizierter, viel spezifizierter. Da gibt es Zusammenarbeit auch zwischen uns und der UNION. Das geht alles ziemlich wirr durcheinander, weil du bei dem einen Park, bei der anderen Schule, bei der KITA-Einrichtung, etc. durchaus übereinstimmende Auffassung haben kannst. Dennoch gibt es auch dort für uns, meines Erachtens, Orientierungen. Wir sind die Partei, die öffentliches Eigentum nicht privatisiert. Wir sind die Partei die nicht will, dass die Preisgestaltung der öffentlichen Ressourcen den Profitinteressen unterworfen wird, sondern sich nach den sozialen Maßstäben der Kommune richtet. Wir sind die Partei, die auch über die Rekommunalisierung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nachdenkt. Natürlich muss das finanzierbar sein – aber wir sind die einzigen, die daran rütteln und das beginnt jetzt in Berlin. Harald Wolf hat dafür Vorschläge unterbreitet. Das finde ich bei einer Stadt, die so pleite ist, einen mutigen aber auch notwendigen Weg.

Und dann gibt es Zwischenetappen. Ich weiß, dass das rechtlich zum Teil schwierig ist, aber Offenlegungen bestimmter Verträge fände ich gar nicht so schlecht. (Applaus) Ich sage euch mal: Cross-border Leasing – das klingt ja toll. Jetzt will ich hier nicht abfragen, dass mir jede und jeder erklärt, was es ist. Wir könnten einen Beitrag dazu leisten, dass die Leute wissen, worum es geht. Und da bin ich wieder bei meinem alten Thema: Übersetzung von Politik. Wenn wir das nicht übersetzen, wenn wir den Blick dafür verlieren, welche Chancen die LIDL-Verkäuferin hat, sich mit Politik zu beschäftigen - und die eine Minute, die sie uns vielleicht hört, muss sie verstehen, was wir wollen und was wir meinen. Und deshalb kann ich mit solchen Begriffen immer relativ wenig anfangen – dahinter müsste immer eine Erklärung stehen. Ihr bekommt aber heute keine von mir. (Gelächter) Das sollt ihr selbst leisten.

Und wir brauchen natürlich Investitionsprogramme für die die öffentliche Infrastruktur. Also haben wir Aufgaben, unsere Partei zu stärken. Unsere Partei stellt inzwischen über 6.000 Abgeordnete in den Kommunalvertretungen. Wir sind in 12 Landtagen in Fraktionsstärke vertreten. Unser Nahziel ist die Landtagswahl in NRW. Ich möchte, dass dort die 13. Landtagsfraktion der LINKEN gebildet werden kann und gebildet werden muss. (Applaus) Wir sind überzeugend gestärkt in den Bundestag eingezogen. Wir brauchen mehr Mitgliederwerbung in Ost und West. In Ost und West, nicht nur in West. Wir werden im Osten immer älter – das ist ja ganz nett, ich gehöre selbst dazu - aber das löst unsere Probleme nicht. Wir müssen auch die Jugend gewinnen – Jüngere gewinnen. Und ich sage euch, es gibt eine schöne Bemerkung, so müsst ihr Mitgliederwerbung machen: Also da sitzt einer in der Kneipe, der hat so ein kleines rotes Abzeichen von uns und sein Freund sitzt ihm gegenüber. Und dann sagt er: "Wat, bist du etwa Mitglied der LINKEN?" Und dann antwortet der: "Wieso, heißt das, dass du noch nicht Mitglied der LINKEN bist?" Genauso brauchen wir das! Diese Atmosphäre müssen wir organisieren! Aber dazu muss man das Leben in unserer Partei etwas attraktiver gestalten. Und dazu gehört etwas weniger Wichtigtuerei und etwas weniger Besserwisserei damit sie wissen, sie haben alle Chancen in unserer Partei, auch gehört zu werden! (Applaus)

Wir werden jetzt schrittweise unser Sofortprogramm umsetzen in der Fraktion. Wir werden hier Opposition machen. Ich habe über Afghanistan gesprochen. Wir brauchen den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gerade in dem Jahr 2010. Das müssen wir noch viel deutlicher machen, weil dort nämlich bestimmte Richtlinien der Europäischen Union wegfallen und dann sozusagen nach beliebigen Löhnen eingestellt werden kann. Und die FDP ist ja nur gegen sittenwidrige Löhne. Das ist aber weniger als zwei Drittel des tariflichen Lohns. Dann müsst ihr euch mal anschauen, was eine Unqualifizierte, laut Tarif in Thüringen oder in Brandenburg, bei einem Friseurhandwerker verdient. Davon 2/3, davon kannst du nicht mal mehr essen. Und ich sage euch auch: Diese Variante mit den Zusatzleistungen des Staates ist doch abenteuerlich. Wenn jemand hier eine volle Arbeitszeit leistet, hat er einen Anspruch auf einen Lohn, mit dem er in Würde leben kann und nicht einen Anspruch darauf, zum Sozialamt geschickt zu werden! (Applaus)

Wir brauchen in der Europäischen Union und in Deutschland verbindliche soziale Maßstäbe diesbezüglich. Wir brauchen endlich gute Arbeit. Ich erinnere euch an 400-Euro-Jobs, an Teilzeit, an extrem niedrige Löhne. Wir sind das kapitalistische Industrieland mit dem prozentual größten Niedriglohnsektor. Wir haben inzwischen die USA erreicht und überholt. Andere Länder sowieso. Das ist ein Skandal sondergleichen, für eines der reichsten Länder dieser Erde! Das müssen wir thematisieren und zwar immer, permanent und jederzeit! (Applaus)

Wie alle sind wir gegen Terror. Wir wollen auch, dass er bekämpft wird. Wir haben da ganz andere strategische Vorstellungen, wie das passieren muss und ich sage euch: Ich möchte nicht wieder, dass dieser Kampf genutzt wird, um jetzt die Nacktscanner einzuführen. Es muss auch mal Grenzen geben! Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht in Art. 1 des Grundgesetzes, und wir haben uns dafür einzusetzen! (Applaus)

Wir werden uns engagieren im NRW-Landtagswahlkampf. Wir wollen dort einziehen. Wir wollen, dass die UNION und die FDP dort ihre Mehrheit verlieren, dass sie aber auch ihre Mehrheit damit im Bundesrat verlieren, weil das ein Stück schon die Gesellschaft verändert. Und ich füge hinzu: Herr Gabriel und Frau Kraft können doch jetzt mal klipp und klar sagen: Wollen sie eine alternative Regierung in NRW oder wollen sie weiterhin herumeiern? Dann können wir doch mal inhaltlich darüber sprechen, auch hinterher. Aber sie können es doch vorher mal klipp und klar sagen. Oder wollen sie bloß wieder der CDU zur Regierung verhelfen? Das kennen wir ja nun seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Ich weiß, dass wir ein Problem haben. Ich habe es euch gesagt, ich habe es auch im ND gesagt, ich brauche keine weiteren Briefe – ich meine, ihr könnt mir gerne schreiben, ich kriege auch sehr gerne Briefe, ich beantworte auch sehr viele – ich wollte bloß sagen: Ich habe das Problem begriffen! Und wir werden eine Lösung finden. Eine Lösung bedeutet immer, dass auch etwas weh tut. Anders ist das nicht hinzubekommen. Dazu müssen wir uns alle sehr beantwortungsbewusst verhalten. Denn ich erwarte dann, dass an einer verantwortungsvollen Lösung, die ohne Demütigungen läuft – auch das ist mir ganz wichtig, wir haben auch nicht das Recht jemanden zu demütigen, selbst wenn er einen Fehler begangen hat, gibt es keinen Grund ihn zu demütigen. (Applaus) Dann finde ich, dass wir das auch akzeptieren müssen. Und da habe ich viele Erwartungen – natürlich und gerade auch an andere. Das ist so in einer solchen Situation. Und ich habe ja gesagt: Ich setze mich heute zwischen alle Stühle – das war auch meine Absicht. Denn ich bin es auch leid, von a) geprügelt und von b) gelobt zu werden oder dann von b) geprügelt und von a) gelobt zu werden. Jetzt habe ich die Situation, dass ich von allen geprügelt werden kann. Das ist mir dann sehr viel angenehmer, weil ich meinen Kopf nicht umdrehen muss, er bleibt immer gleich.

Aber letztlich will ich damit etwas ganz anderes andeuten: Wenn man ein verantwortlicher Politiker ist muss man auch Verantwortung übernehmen. Dazu muss man auch bereit sein. Und dazu gehört es auch, unangenehme Dinge zu sagen. Dazu gehört es auch, in einem Zwiegespräch, in einem Dreiergespräch, unangenehme Dinge zu sagen. Was wir in der Parteiführung dringend benötigen, ist ein klares Vertrauensverhältnis. Anders geht es nicht. Sonst sage auch ich dann nichts mehr. Und wenn wir uns nur noch anschweigen, dann brauchen wir das Ganze nicht. Wir haben eine riesige Verantwortung, der wir gerecht werden müssen. Wir werden das packen – ich bin davon überzeugt. Die Hoffnungen einiger, dass wir in Auflösung sind, sind Quatsch. Unser Parteivorstand ist weder die Junge Welt noch das Neue Deutschland, geschweige denn der SPIEGEL oder STERN online. Wir sind unsere Partei! (Applaus)

Und deshalb sage ich euch zum Schluss: Diese Gesellschaft braucht innerhalb und außerhalb der Parlamente eine starke LINKE. Wir sollten endlich lernen uns nicht regelmäßig dann zu beschädigen, wenn es andere nicht können. Medien taugen nicht für innerparteiliche Auseinandersetzungen. (Applaus) Denunziationen sind immer von Übel. Wir haben eine Verantwortung – hier in Deutschland und in Europa. Ich erwarte von uns allen einen aktiven politischen Kampf, eine aktive politische Auseinandersetzung. Überlegungen, wie wir unseren Einfluss erhöhen können. Ich erwarte von uns allen, dass wir innerhalb unserer Partei aufhören, besserwisserisch, wichtigtuerisch und eben gar denunziatorisch zu sein. Dass jede und jeder bereit ist, einen Beitrag zur Vereinigung zu leisten. Das heißt nicht nur andere ändern will, sondern auch sich selbst. Das klingt leicht, ist aber eher schwierig. Wir stehen aber in der Verantwortung, täglich einen höheren Beitrag zu leisten, dass diese und andere Gesellschaften friedlicher, sozial gerechter, nachhaltig ökologischer, gleichberechtigter, das heißt auch feministischer, rechtsstaatlicher, demokratischer und auf dieser Basis, endlich wirklich frei werden. Wir sind eine demokratisch sozialistische Partei und sollten lernen, uns auch so zu benehmen. (Applaus)