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Katja Kipping

Transparenz fördern – Whistleblower_innen schützen

Zehn Eckpunkte für einen besseren Schutz von Whistleblower_innen, vorgelegt von Katja Kipping auf einer Pressekonferenz am 18. November 2013 im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Whistleblowing ist in aller Munde. Mehr als einmal haben mutige Frauen und Männer Korruption, Steuerhinterziehung oder Verstöße gegen Gesetze und internationale Abkommen enthüllt, in ihrem Betrieb, ihrer Behörde oder Organisation, beziehungsweise nach außen auf Risiken und nicht tolerierbare Gefahren hingewiesen. Whistleblower_innen handeln aus Gewissensgründen und weisen auf Missstände hin, um diese zu unterbinden. Whistleblowing ist kein Denunziantentum, sondern ein Akt der Zivilcourage, der in vielen Fällen großen Mut erfordert. Whistleblower_innen haben Debatten ausgelöst und politische Entscheidungsprozesse angeschoben. In Deutschland deckten Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber millionenfache Steuerhinterziehung auf. Ohne den Tipp eines LKW-Fahrers wären verdorbene Schlachtabfälle zu Lebensmitteln verarbeitet und an Verbraucherinnen und Verbraucher verkauft worden. Durch das Einschreiten einer Tierärztin wurden die ersten BSE-Fälle öffentlich. Altenpflegerinnen und Altenpfleger wiesen auf Notstände in einzelnen Pflegeheimen und die unzureichende Pflege und Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen hin. Eine Berliner Ärztin thematisierte den Versorgungsnotstand in Krankenhäusern. Trotz ihrer unbestrittenen Verdienste für die Gesellschaft mussten alle Personen in den genannten Fällen Repressalien bis hin zum Arbeitsplatzverlust sowohl in der privaten Wirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst erleiden. Deutschland ist gefährlicher Boden für Whistleblower_innen. Der Mut wird geliebt, die Mutigen werden bestraft.

Der weltweit prominenteste Whistleblower derzeit ist Edward Snowden. Seine Enthüllungen haben ein flächendeckendes globales Spionagenetz öffentlich gemacht, mit dem die digitale Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern millionenfach ausgespäht wurde und wird. Ohne Edward Snowden wüssten die Menschen in Deutschland nichts davon, dass ihre Telefonate und Emails massenhaft ausgespäht wurden, und dass die US-amerikanischen Dienste noch nicht einmal vor dem Abhören der Handys der Kanzlerin und anderer Spitzenpolitiker_innen zurückschreckten. Die humanitäre Situation von Edward Snowden, der noch immer keine dauerhafte Aufnahme in einem der Länder gefunden hat, die von seinen Enthüllungen profitierten, ist eine moralische Last für das demokratische Weltgewissen. Das sollte für uns Anlass sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfolgung aufgrund von Whistleblowing unter bestimmten Voraussetzungen zu den anerkannten Gründen für Aufenthalt und Schutz in Deutschland zählt. Der Schutz von Whistleblower_innen ist nach wie vor ungenügend. Wir schlagen vor, dass auf nationaler Ebene ein Anfang gemacht wird, um zentrale Pfeiler eines effektiven Schutzes zu installieren.

Wir brauchen ein Whistleblowing-Gesetz, das vor allem jene schützt, die durch eigene Hinweise oder Unterstützungshandlungen Vergeltungsmaßnahmen fürchten müssen. Dieses Gesetz zum Schutz und zur Förderung der Tätigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern muss mindestens die folgenden zehn Eckpunkte regeln:

  1. Whistleblowing gesetzlich definieren: Whistleblowing soll als gutgläubige Weitergabe von Informationen, insbesondere über widerrechtliche Handlungen, Fehlverhalten oder allgemeine Gefahren, die eine Bedrohung für Gesundheit, Leben, Freiheit, Umwelt oder andere berechtigte Interessen des Einzelnen oder der Gesellschaft darstellen, definiert werden. Für die Gutgläubigkeit ausreichend ist zum Zeitpunkt der Offenbarung die Überzeugung, dass die Informationen wahr sind.
  2. Whistleblower_innen vor arbeitsrechtlicher Vergeltung schützen: Es muss insbesondere der Schutz gegen ungerechtfertigte Entlassungen und andere Formen von arbeitsplatzbezogenen Vergeltungsmaßnahmen (z. B. Strafversetzungen, Mobbing, Verlust von Positionen, Funktionen oder Bezügen) geregelt werden. Dem Arbeitgeber muss die Beweislast obliegen, dass alle Maßnahmen, die zum Nachteil eines Hinweisgebers beziehungsweise einer Hinweisgeberin ergriffen wurden, aus anderen Gründen als dem Whistleblowing erfolgten. Für Fälle, in denen arbeitsrechtliche Ansprüche zum Beispiel durch Insolvenz des Arbeitgebers (infolge beziehungsweise im Anschluss an die Informationsweitergabe) ausfallen, muss ein staatlicher Entschädigungsanspruch eingerichtet werden.
  3. Whistleblower_innen vor Strafverfolgung schützen: Der Schutz vor Strafverfolgung wegen übler Nachrede oder der Verletzung von Amts- oder Geschäftsgeheimnissen muss ebenfalls festgelegt werden. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber, die in geregelten Verfahren Anzeigen erstatten oder als Zeuginnen beziehungsweise Zeugen auftreten, müssen hinreichenden Schutz einschließlich des Rechts auf Nichtweitergabe ihrer personenbezogenen Daten haben.
  4. Publikation entkriminalisieren: Der Schutz von Medien und anderen Publizierenden, die Erkenntnisse und Informationen von Whistleblower_innen nutzen, vor Verfolgung und erzwungener Offenlegung ihrer Quellen, muss garantiert werden. Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffende sowie sonstige Personen, die Verschlusssachen erhalten und verbreiten, dürfen dafür nicht haftbar gemacht werden können.
  5. Ombudsstelle für Whistleblower_innen einrichten: Verlässliche Berichtswege müssen garantiert werden. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber müssen frei zwischen interner und behördlicher Offenlegung ihres Wissens wählen können. Sie haben das Recht, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Unternehmen, Behörden und Organisationen werden verpflichtet, ein internes Hinweissystem einzurichten. Es wird eine unabhängige Ombudsstelle für Whistleblower_innen eingerichtet, die Beschwerden über Benachteiligungen und/oder unsachgemäße Untersuchungen von Hinweisen entgegennimmt und Ermittlungen vornimmt.
  6. Anonymes Whistleblowing ist zu ermöglichen: Die Identität von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern ist zu schützen und vertraulich zu behandeln. Sie darf nicht ohne Zustimmung der Betroffenen offenbart werden.
  7. Schadensersatzansprüche regeln: Es muss künftig einen Anspruch auf Ersatz von Schäden durch erlittene Repressalien oder Vergeltungsmaßnahmen infolge des Whistleblowings gegenüber den Verursachern beinhalten. Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern muss es außerdem möglich sein, als rechtswidrig vermutete Tätigkeiten zu verweigern.
  8. Whistleblower_innen vor Verfolgung und Diskriminierung schützen: Handlungen, die Hinweise durch Whistleblower_innen stören oder bestrafen, müssen wirksam sanktioniert werden und straf-, zivil- und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
  9. Beratungs- und Beobachtungsstelle für Whistleblowing einrichten: Es soll eine unabhängige öffentliche Einrichtung geschaffen werden, die zum Whistleblowing berät und die Funktionalität der gesetzlichen Regelungen überprüft und bewertet.
  10. Öffentlichkeit herstellen: Öffentliche und private Einrichtungen sollen ermächtigt werden, Whistleblowing-Fälle öffentlich zu machen und regelmäßig über dadurch bekannt gewordene oder vermiedene Schäden, und andere Auswirkungen zu berichten.