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Politische Verhandlungen - einzige sinnvolle Alternative

Gedanken zum Krieg in Georgien und zur Lösung dieses neuen alten Konflikts im Kaukasus

Von Helmut Scholz, Mitglied des Parteivorstandes und Leiter des Bereichs Internationale Politik

Trotz des am 16. August auch vom russischen Präsidenten unterzeichneten Waffenstillstands, der angeordneten Durchsetzung der Waffenruhe und des vereinbarten Truppenabzugs bleibt die Situation bis zur Stunde widersprüchlich. Die Meldungen der jeweiligen Konfliktparteien und der nationalen wie internationalen Medien über militärische Aktivitäten und über zum Teil pogromartige Übergriffe gegenüber der südossetischen wie georgischen Zivilbevölkerung im gesamten Konfliktgebiet werden mit der konträr dargestellten Abfolge des Konflikts und gegenseitigen Schuldzuweisungen für die neuerliche Entfesselung eines Krieges vermengt. Dieser soll(te) offensichtlich einen alten Konflikt einer endgültigen Lösung zuführen. Allein die bisher bekannt gewordene Bilanz spricht jedoch ihre Sprache, und der jüngste Waffengang wird auch keine Lösung bringen. Wie soll ein künftiges Zusammenleben der verschiedenen Völker und Nationalitäten auf Grundlage gegenseitigen Vertrauens aussehen, wenn die Zahl der Todesopfer steigt und über 100.000 Menschen nach UN-Schätzungen auf der Flucht sind? Wenn das jeweilige Hinterland auf diese Flüchtlingswelle nicht vorbereitet ist und notwendigste Mittel für Ernährung, medizinische Behandlung, Decken und Unterkünfte nicht bereitgestellt werden können? Das Desaster der militärischen Auseinandersetzungen wird immer deutlicher: Das gegenseitige und allgemeine Misstrauen wächst erneut – scheinbar gibt es keine Gewissheiten mehr über die jeweiligen Akteure und ihre Pläne, über die Wirkungen des Krieges und vor allem darüber, wie ein Ausweg aus dieser  Sackgasse gefunden werden kann. Klar ist einzig: Jede Art von fortgesetzten Kampfhandlungen oder Übergriffen heizt die Situation weiter an, gefährdet die - unter dem Druck der durch Kriegshandlungen geschaffenen Fakten und die internationalen Bemühungen von OSZE und EU zustande gekommene - Möglichkeit politischer Verhandlungen. Eine weitere Destabilisierung der gesamten Region und Internationalisierung des Konflikts droht.

Die Entscheidung zur Anwendung militärischer Gewalt wird von georgischer wie russischer Seite durch unterschiedliche Darstellung der Ausgangslage begründet und gerechtfertigt. Russland führt Angriffe gegen russische Friedenstruppen (mit OSZE und GUS-Mandat seit 1992 in der Region), die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens durch Georgien, die Notwendigkeit des Schutzes der russischen Staatsbürger und der gesamten Bevölkerung in Südossetien und Abchasien als Auslöser für den russischen Militäreinsatz an. Georgien hingegen spricht von einer jahrelangen permanenten Eskalation militärischer Provokationen und Angriffe aus den sich von Georgien abspalten wollenden Gebieten auf die georgische Bevölkerung, zu deren Schutz ein Militäreinsatz notwendig wurde.

Auch wenn die diffuse Informations- und Faktenlage eine reale Bewertung der Situation von außen erschwert, muss nach gegenwärtigem Stand der Informationen konstatiert werden: die Anwendung militärischer Gewalt von georgischer wie von russischer Seite war und bleibt gleichermaßen rechtswidrig, unverhältnismäßig und zur Beilegung des bestehenden Konfliktes ungeeignet.

Es gilt die grundsätzliche Position der LINKEN: Krieg und militärische Gewalt kann und darf kein Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen sein. Die Präsidenten und Regierungen Georgiens und der Russischen Föderation sowie die südossetischen und abchasischen politischen Behörden sollten sich diesen Grundsatz jetzt und in Zukunft zu Eigen machen. Gleichzeitig müssen die Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung, die zum Teil aus der Zivilbevölkerung der jeweils anderen Nationalität selbst heraus kommen, durch die staatlichen Kräfte nachhaltig befriedet werden.

Die Aufnahme politischer Verhandlungen unter Einschluss aller beteiligten Konfliktparteien ist der einzig gangbare Weg, um zu einer einvernehmlichen, langfristigen und dauerhaften Lösung des Konfliktes zu gelangen. Der von der französischen EU-Ratspräsidentschaft und der finnischen OSZE-Präsidentschaft erzielte 6-Punkte-Friedensplan könnte – bei all seiner Vorläufigkeit und dem wiederum von Konfliktparteien signalisierten Beharren auf Ausnahmen insbesondere in den Punkten 5 und 6 - dafür eine gute Grundlage sein. Damit stellt sich die Frage auch nach den internationalen Vermittlungsstrukturen. Aufgrund ihrer Zielbestimmung und ihres Engagements seit Ausbruch der Sezessionskonflikte im Kaukasus zu Beginn der 90er Jahre wäre vor allem die OSZE als Regionalorganisation der UNO prädestiniert, die Federführung über die künftigen Verhandlungen zu übernehmen. Die UN und die EU sollten ebenfalls alle politischen Schritte zur langfristigen Wiederherstellung des Friedens und der Wiederaufnahme der Verhandlungen weiterhin begleiten und unterstützen. Zu konstatieren bleibt jedoch zugleich, dass das gegenseitige Misstrauen zwischen den Konfliktpartein so tief sitzt, dass die hervorgehobene Rolle der OSZE als der verantwortlichen kollektiven Sicherheitsstruktur zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur begrenzt diese Rolle wird spielen können. Hier bleiben die UNO und die EU als Mediatoren gefragt. Welche Organisation letztlich die Federführung übernehmen, welche konkreten Schritte zur Unterbindung weiterer Kampfhandlungen, zur unverzüglichen  Intensivierung humanitärer Hilfeleistungen, zur Ermöglichung einer mittelfristigen Rückführung der Flüchtlinge und für den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Ortschaften gegangen werden müssen - bis hin zu bereits diskutierten Optionen der Entsendung von internationalen Beobachter- bzw. Friedenskräften - müssen die Konfliktparteien entscheiden.

DIE LINKE steht für die Verteidigung und Stärkung des Völkerrechts als einzige vernünftige Grundlage für das dauerhafte friedliche Zusammenleben von Staaten. Wir gehen dabei davon aus, dass die normative Kraft des Völkerrechts sich nicht aus naturrechtlicher Praxis oder nur einem Gewohnheitsrecht heraus ergibt. Sondern vor allem aus der gemeinsamen Anerkennung und Vereinbarung von Prinzipien und Regeln des Zusammenlebens der internatonalen Staatenwelt erwächst. Damit bekräftigen wir explizit, dass die Einhaltung vereinbarter völkerrechtlicher Normen und die Achtung wie die Umsetzung abgeschlossener Verträge und Abkommen die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben der Staaten ist und somit zugleich als Voraussetzung für die politische Klärung von Konflikten zwischen ihnen erst ermöglicht. Auch die Achtung und Einhaltung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung und territoriale Integrität eines Staates, die nicht durch Einflussnahme von außen in Frage gestellt oder unterminiert werden darf, gehört zu diesen Prinzipien.

Unstrittig besitzt Georgien das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Souveränität und territoriale Integrität. Weder Abchasien, das sich 1994 für unabhängig erklärte, noch Südossetien sind in der internationalen Gemeinschaft als unabhängige Völkerrechtssubjekte anerkannt worden; alle bisherigen UN-Resolutionen zum Abchasien-Konflikt haben den Sezessionsbestrebungen der Provinz eine Absage erteilt.

In diesem Zusammenhang bleibt auch festzuhalten: Nicht umsonst hat DIE LINKE im Falle des Kosovo die völkerrechtswidrige Abspaltung der Provinz von Serbien und deren Anerkennung durch verschiedene, vor allem westliche Staaten kritisiert und auf die damit verbundene Gefahr der Schaffung eines Präzedenzfalles und vielschichtige Auslegungsmöglichkeiten von Sezessionsbestrebungen aufmerksam gemacht.

Dieser Grundsatz muss auch für die Konfliktregionen im Kaukasus Gültigkeit haben, solange nicht eine von allen beteiligten Seiten gleichermaßen unterstützte alternative Lösung auf politischem Wege gefunden wurde.

Zugleich wäre die georgische Regierung gut beraten, den bereits durchgeführten Referenden in Südossetien und Abchasien zum künftigen Status der Regionen die politisch notwendige Aufmerksamkeit zu schenken - so umstritten Umstände der Referenden und die Frage der Beteiligungsmöglichkeit aller betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner gewesen sein mögen. Letztlich werden die Bürgerinnen und Bürger des georgischen „Kerngebietes“ wie der abchasischen und südossetischen Regionen gemeinsam entscheiden müssen, ob und unter welchen Umständen sie sich ein friedliches Zusammenleben im georgischen Staatsgefüge vorstellen können - eventuell im Rahmen eines weitgehenden Autonomiestatuts oder in einer föderativen Struktur.

Prinzipiell stellt sich mit dem jetzigen Konflikt für alle politischen Kräfte und Akteure, auch für DIE LINKE, die Frage, wie in den heutigen internationalen Beziehungen und in der Umsetzung völkerrechtlicher Normen und Prinzipien das Verhältnis zwischen dem Recht auf nationale Selbstbestimmung und die Wahrung der territorialen Integrität neu gewichtet werden kann, wenn ein grundsätzlicher Dissens zwischen den Interessen einer nationalen Volksgruppe o.ä. in einer Region und den Interessen einer Bevölkerungsmehrheit im angestammten Staatsgebiet dieser entsprechenden Nationalität besteht. Täglich werden wir von Meldungen über Konfliktkollisionen dieser Art konfrontiert, die in der heutigen globalisierten Welt mit von auswärtigen Akteuren in solche Konflikte hineingetragenen eigenen ökonomischen und damit politischen Interessen zunehmend dominiert werden und oftmals nur noch militärisch ausgetragen werden. Diese Konfliktkollisionen wurzeln dennoch oftmals auch im ungeklärten Verhältnis der betroffenen Nationalitäten zueinander, des nicht erfolgten oder wieder aufgekündigten Ausgleichs ihrer Lebens- und Wertevorstellungen und der eingeschränkten oder verwehrten Möglichkeit, sich demokratisch und gleichberechtigt in die politische, wirtschaftliche und kulturelle Ausgestaltung des Zusammenlebens in multiethnischen Staaten einzubringen.

Die von der EU und OSZE angeschobene Friedensinitiative wird nur dann Erfolg haben, wenn alle Aspekte dieses komplexen und widersprüchlichen Konfliktherdes, der von einer Vielzahl regionaler wie von außen befeuerter nationaler, kultureller, politischer wie ökonomischer Interessen beeinflusst wird, berücksichtigt werden.

Mit Sorge sieht DIE LINKE  eine zunehmende Internationalisierung des Konflikts. Eine einseitige politische oder gar militärische Parteinahme der Staatenwelt außerhalb der OSZE und der UN ist nicht hinnehmbar. Einseitige Solidaritätsbekundungen wie aus einer Reihe osteuropäischer Staaten zugunsten Georgiens verkomplizieren die Lage. Die insbesondere von der Bush- Administration und NATO-Strukturen politisch bereits aufgezeigte, aber auch von internationalen, vor allem konservativen Medien geradezu herbei geredete neue „Kalte Kriegs“- Atmosphäre verkompliziert mögliche internationale Vermittlungsbemühungen und eine politische Konfliktlösung zusätzlich. DIE LINKE bekräftigt ihre Forderung, dass die US-Administration und die NATO sich jeglicher weiterer verbaler und tatsächlicher Einmischung in den Konfliktherd enthalten müssen.

Dafür gibt es gute Gründe. Schon seit Beginn der Transformationsprozesse im Herrschaftsbereich der Sowjetunion beobachten wir ein erbittertes Ringen der Großmächte um die geopolitisch bedeutende und an Erdöl und Erdgas reiche Region. Die Russische Föderation betrachtet das Gebiet des Kaukasus und um das Kaspische Meer nach wie vor als ein Gebiet, in dem vitale Interessen seiner Bevölkerung liegen. Die nach der Oktoberrevolution erfolgte Verflechtung der Lebensrealitäten vieler Menschen unterschiedlicher Nationalitäten - auch in dieser Region - besteht auch nach dem Zerfall der UdSSR weiter. Dazu gehört auch, dass die RF – insbesondere in den 90er Jahren – in der Zeit des unverhüllten Zugriffs des internationalen Finanzkapitals und v.a. des Versuchs der internationalen Öl- und Rohstoff-Multis, direkte Verfügungsgewalt über die Naturressourcen des Landes zu erlangen, sowie durch die Hinwendung einer Reihe der Staaten der ehemaligen Sowjetunion zur EU und zur NATO, sich in einer Umklammerung v.a. der USA und der NATO wähnt. Dies wurde von der russischen Regierung, fast allen politischen Akteuren in der Duma und verschiedensten gesellschaftlichen Kräften in den vergangenen Jahren als erheblicher „Machtverlust“ insbesondere zu Gunsten der NATO wahrgenommen. Zugleich streben die USA und die EU auf der Suche nach alternativen Rohstofftransportwegen unter Umgehung von Russland und Ländern des Nahen Ostens danach, die Region als neuen Rohstoffkorridor in Richtung Europa aufzubauen und zu einer Einflusszone ihrer Konzerne zu machen.

Georgiens Antrag auf NATO-Mitgliedschaft, deren Entscheidung weiter aussteht, trägt zu einer Destabilisierung des politischen Gleichgewichts in der Region bei und ist eine weiteres Element der militärischen Einkreisung des russischen Territoriums, das auf russischer Seite das Gefühl einer wachsenden militärischen Bedrohung durch die NATO verstärkt. Georgien sollte auch im eigenen Interesse von einer NATO-Mitgliedschaft Abstand nehmen. Die NATO ist keine Organisation, die Stabilität und Prosperität in der Region befördern wird, sondern von geopolitischen Interessen geleitet neue Konflikte schafft und alte anheizt. DIE LINKE fordert aus gutem Grunde die Auflösung der NATO und die Installation einer völlig neuen internationalen Sicherheitsarchitektur.

Vorrangige Aufgabe ist nun, die Sicherheit der in den Konfliktregionen verbliebenen Bevölkerung zu gewährleisten, um die Flüchtlingsbewegung einzudämmen und umzukehren. Die bereits geflüchteten Menschen müssen adäquat versorgt und untergebracht werden. Sobald sie die dafür notwendigen Bedingungen in ihrer Heimat vorfinden, müssen sie auf ihre Rückkehr vorbereitet werden. Der umgehende Wiederaufbau der zerstörten Wohn- und Infrastruktur ist dazu notwendige Voraussetzung.

Die internationale Staatenwelt steht vor der Herausforderung, neben der Begleitung eines hoffentlich erfolgreichen und nachhaltigen Friedensprozesses, die Menschen in der Region auch beim Wiederaufbau mit allen Kräften zu unterstützen.