Zum Hauptinhalt springen
Gesine Lötzsch

Ihr werdet den Aufschlag in einem Superwahljahr machen!

Eröffnungsansprache von Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, auf dem Hamburger Landesparteitag in Vorbereitung der Bürgerschaftswahlen am 20. Februar 2011

Liebe Genossinnen und Genossen, herzlichen Dank für die Einladung hier zu eurem Parteitag! Ihr tagt hier in der Luise-Schröder-Schule. Ich muss euch das Leben dieser engagierten Sozialdemokratin nicht erklären, ich will aber einen Bezugspunkt herstellen zu Berlin.

Luise Schröder war ja 1947 Bürgermeisterin von Berlin. Und seit 1998 gibt es in Berlin einen Luise-Schröder-Preis. Anfang der neunziger Jahre hatte die damalige Vorsitzende der Liberalen im Abgeordnetenhaus von Berlin, Carola von Braun, die Idee, eine überparteiliche Fraueninitiative ins Leben zu rufen. Sie lud die Vertreterinnen aller Fraktionen ein, Wissenschaftlerinnen und Feministinnen ein, sich an dieser Initiative zu beteiligen.

Die Initiative wurde gegründet, allein, es fehlte eine Fraktion. Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus hatte gesagt: Entweder die PDS oder die CDU. Was geschah? Alle Parteien – die FDP mit Carola von Braun als Initiatorin, die SPD und die Grünen – haben gesagt: Liebe CDU, dann bleibt ihr eben draußen. Das war Anfang der neunziger Jahre ein politisch sensationeller Vorgang, und ich kann mich auch nicht erinnern, dass sich so etwas jemals wiederholt hat.

Ein Ergebnis dieser überparteilichen Fraueninitiative war die Auslobung bzw. die Stiftung des Luise-Schröder-Preises durch das Land Berlin. Im Jahr 1998 wurde der Preis erstmalig verliehen. Ich will jetzt nicht alle Verleihungen aufzählen, sondern nur zwei Facetten benennen. Im zweiten Jahr seiner Auslobung erhielt die ehemalige Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien, von der CDU den Luise-Schröder-Preis. Im Jahr 2002 gab sie ihn wieder zurück, weil die Publizistin Daniela Dahn den Preis ebenfalls erhalten hatte. Mit ihr wollte Frau Laurien nicht den gleichen Preis haben.

Besonders interessant wurde es im Jahr 2001. Vorgeschlagen war für den Preis Regine Hildebrandt. Ihr könnt euch erinnern, Regine Hildebrandt war die bekannteste ostdeutsche Sozialdemokratin. Sie war Sozialministerin in Brandenburg und engagiert für die Menschen. Damals gab es in Berlin die Große Koalition aus CDU und SPD, den Diepgen-Landowsky-Senat, um daran noch einmal zu erinnern. Die CDU legte zur Auszeichnung von Regine Hildebrandt ihr Veto mit folgender Begründung ein: Regine Hildebrandt hatte sich in Brandenburg dagegen ausgesprochen, mit der CDU in eine Große Koalition zu gehen. Sie hatte dafür plädiert, dass SPD und die damalige PDS eine Koalition bilden.

Schauen wir zurück ins Jahr 2001: Kurz darauf scheiterte die Große Koalition, die PDS fuhr damals mit Gregor Gysi an der Spitze einen fulminanten Wahlerfolg in Berlin ein, ein sensationelles Ergebnis. Seitdem gibt es jetzt bereits zehn Jahre lang eine Regierung, an der DIE LINKE beteiligt ist.

Ich glaube, die die Tagung hier in der Luise-Schröder-Schule steht unter einem guten Stern, auch ihr werdet ein hervorragendes Wahlergebnis einfahren, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir stehen vor einem Superwahljahr! Ihr werdet - völlig ungeplant, aber völlig richtig - den Aufschlag machen, und ich bin davon überzeugt, euer Wahlergebnis wird die Messlatte für alle anderen Landtagswahlen sein. Dann werden wir nauch in Stuttgart und in Mainz in die Landtage einziehen!

Wir werden auch in Bremen wieder in das Parlament kommen, weil die Menschen auch dort erlebt haben, wie wir uns für sie einsetzen. Und mein Kollege Klaus Ernst hat mir fest versprochen, dass wir bei der nächsten Wahl in Bayern der CSU Beine machen und in den bayerischen Landtag einziehen werden.

Herr Seehofer und sein Generalsekretär wollen uns ja nun vom Verfassungsschutz überwachen lassen oder sogar verbieten. Nebenbei gesagt: Wenn die CSU uns so überwachen lässt, wie sie die Bayerische Landesbank überwacht hat, dann kann sie das gleich sein lassen.

Wir werden in Bayern die CSU mit demokratischen Mitteln im Parlament überwachen, und das wird sich diese Skandal-Partei CSU, die Milliarden an Steuergeldern in den Sand gesetzt hat, sich gefallen lassen müssen. Ich warne die Bundesregierung davor, den Verfassungsschutz politisch zu instrumentalisieren, um unsere Partei mit allen Mitteln zu schikanieren und zu diskreditieren.

Keine Partei nimmt die Demokratie in unserem Land so ernst wie die Partei DIE LINKE. Ich bin immer wieder entsetzt, wie CDU/ CSU und FDP mit dem Bundestag umgehen. Das jüngste Beispiel ist die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke. Selbst der Präsident des Deutschen Bundestages beschwerte sich öffentlich über das undemokratische Verfahren der Bundesregierung im Umgang mit dem Bundestag und dem Bundesrat.

DIE LINKE ist eine demokratische Partei und wird mit demokratischen Mitteln dieses Land grundsätzlich verändern!

Aber wir haben ja in diesem Jahr nicht nur im Westen Landtagswahlen, sondern auch im Osten unseres Landes. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin wollen wir noch höher hinaus. In Magdeburg und auch in Schwerin gehen wir mit Ministerpräsidentenkandidaten in die Wahl. Wir haben erstmalig die Chance – wenn die SPD über ihren eigenen Schatten springt –, in einem Bundesland mit einem linken Ministerpräsidenten einen Regierungschef zu stellen. Das wäre ein großartiger Schritt nach vorn!

Aber heute geht es ja um Hamburg. Ihr werdet - glaube ich - so realistisch seid ihr, diesmal noch nicht die Erste Bürgermeisterin stellen. Aber ihr werdet morgen - davon bin ich überzeugt - mit Dora Hayenn eine phantastische Spitzenkandidatin unterstützen, die in den vergangenen Jahren in der Bürgerschaft bewiesen hat, wie

DIE LINKE mit konkreter Arbeit, mit einem seriösen, soliden Auftreten in der Bevölkerung und in den anderen Parteien einen sehr guten Ruf erworben hat. Ich bin überzeugt davon, dass ihr mit Dora, wenn ihr sie Morgen mit einem guten Ergebnis nominiert, eine hervorragende Spitzenkandidatin habt, mit der ihr im Wahlkampf mit allen gemeinsam ein sehr gutes Ergebnis erzielen werdet.

Liebe Genossinnen und Genossen, in sieben Bundesländern wird gewählt, in Hessen kommt ein Volksentscheid hinzu, und gleichzeitig haben wir uns die Aufgabe auferlegt, ein neues Parteiprogramm zu diskutieren.

Manche Genossinnen und Genossen sehen darin ein schwerwiegendes Problem. Ich nicht! Ich sehe darin einen Glücksfall! Unsere Wählerinnen und Wähler sind nicht so schreckhaft, wie es einige meinen. Schauen wir uns die Umfragen an, dann steht die LINKE in dieser Woche bei Stern/RTL bei 11 Prozent.

Ist es nicht erstaunlich, dass unsere Partei seit der Bundestagswahl so stabil ist und das gesamte Establishment es nicht geschafft hat, uns kleinzubekommen? Der Niedergang wird seit einem Jahr in der Presse und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – mehr beim ZDF als bei der ARD – herbeigeschrieben und -geredet, doch eingetreten ist er nicht, und er wird auch nicht eintreffen.

Warum sind unsere Wählerinnen und Wähler nicht so empfänglich für den Mainstream, den BILD und SPIEGEL verbreiten? Es ist einfach so, dass unsere Sympathisanten klug genug sind, das tagtägliche Leben nicht mit dem Geschriebenen und Gesendeten zu verwechseln. Im Gegenteil, sie erleben diese Gesellschaft und machen sich ihr eigenes Bild. Sie sehen, dass – egal ob Konjunktur oder Krise – immer die gleichen gewinnen und immer die gleichen verlieren.

Sie sehen, dass diese Regierung der Egomanen nur ihre Lobby bedient, seien es die Banken, die Pharmariesen, die Rüstungsindustrie oder die Nuklearindustrie. Sie sehen, dass – trotz überwältigender Ablehnung durch die Bevölkerung – von dieser Regierung ein grausamer Krieg in Afghanistan geführt wird. Wir als Linke bleiben bei unserer Forderung: Der Afghanistan-Krieg muss sofort beendet, die deutschen Soldaten müssen zurückgezogen werden. Das ist übrigens auch das Beste, das wir für die Soldaten tun können.

Die ganz praktischen Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren gesammelt haben, führen die Menschen zu dem Schluss, dass sie immer mehrb belogen werden, dass in dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt. Wir wollen Öffentlichkeit, wir wollen Transparenz, wir wollen ein Ende der Lügen! Während der größten Finanzkrise des Kapitalismus explodierte der Verkauf des "Kapital" von Karl Marx.

In Berlin fand im vorigen Jahr ein sehr gut besuchter Kommunismus-Kongress in der Volksbühne statt. Im Publikum waren vorwiegend junge Menschen, die offensichtlich viele Fragen haben. Sie sind von der uralten Idee einer gerechten Gesellschaft fasziniert und suchen nach Auswegen aus der gegenwärtigen Gesellschaftskrise.

Ich wurde von der Tageszeitung "junge Welt" um einen Artikel gebeten. Das Thema war: "Wege zum Kommunismus" Ich habe in meinem Artikel, der auch auf der Internetseite der Partei und auf meiner eigenen Internetseite nachlesbar ist, deutlich gemacht, dass unser Weg, der Weg der Partei DIE LINKE, zu einem demokratischen Sozialismus führen wird.

Es gibt einen bekannten Hamburger, der die Meinung geäußert hat, dass Menschen, die Visionen haben, zum Arzt gehen sollten. Ich sage: Ja, ich habe Visionen von einer gerechten, solidarischen, ökologischen, feministischen Gesellschaft. Ich werde nicht zum Arzt gehen. Ich werde in meiner Partei und darüber hinaus offen über unsere Ideen diskutieren und mir die 10 Euro Praxisgebühr in dem Fall sparen. Ich weiß aus vielen Mails, Anrufen und Internetforen, dass das Interesse an diesen Ideen und Visionen überwältigend ist. Die hysterischen Reaktionen einiger Politiker und Medienvertreter auf meinen Artikel kann ich mir nur so erklären, dass die Unsicherheit in den Reihen der Neoliberalen dramatisch zugenommen hat. Vor der Finanzkrise hätte dieser Artikel wahrscheinlich nur eine geringe Aufmerksamkeit gefunden. Heute habe ich mit diesem Beitrag in ein Wespennest gestochen.

In einer Pressemitteilung der Linksjugend des Hamburger Landesverband zu meinem "junge-Welt"-Artikel steht: " In der kapitalistischen Gesellschaft hungert heute jeder siebte Mensch auf der Erde. Laut den G8-Staaten besitzen über 1,3 Milliarden Menschen keine angemessene Gesundheitsversorgung, etwa dieselbe Zahl Menschen lebt … in absoluter Armut."

Das sind alles keine Fakten, auf die die Herrschenden in dieser Gesellschaft stolz sein können. Nein, diese Situation ist der eigentliche Skandal! Nicht das Nachdenken über eine gerechtere Gesellschaft!

Jeder Gedanke an eine andere Gesellschaft wird von diesen Herrschaften als Bedrohung empfunden. Denkverbote werden ausgesprochen, und der Einsatz des gesamten Repressionsapparates wird angedroht. Herr Westerwelle, wo ist eigentlich Ihr Selbstbewusstsein geblieben? Gut, um das Selbstbewusstsein der FDP mache ich mir keine Sorgen, doch ich bin der Meinung, dass wir alle gemeinsam als Partei auch mehr Selbstvertrauen gebrauchen können. Manchmal sind wir zaghaft. Und wenn wir zaghaft sind, machen wir die Mutigen mutlos und treibt die noch Ängstlichen in Verzweiflung. Wir haben viele Jahre versucht, unsere Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus den Bürgerinnen und Bürgern in ganz kleinen homöopathischen Dosierungen zu vermitteln. Ich bin der Auffassung, dass uns nicht die Zeit bleibt, unsere Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus weiter in dieser Minidosierung zu verabreichen. Die Menschen wollen schneller und mehr Anregungen von uns, wie es in unserem Land weitergehen soll. Die Erwartungen sind groß, und wir müssen ihnen bald gerecht werden.

Wenn ich weniger Zaghaftigkeit verlange und mehr Mut in der Auseinandersetzung mit unseren poltischen Gegner, dann will ich aber an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass ich damit keine Selbstgefälligkeit meine.

Nein, ich habe nicht die Opfer des Stalinismus und des autoritären Sozialismus vergessen, natürlich nicht. Ich habe alle Veröffentlichungen, die unsere Partei und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte publiziert haben, zusammenstellen lassen. Es sind fünf laufende Meter! Wir haben schon 1990 auf unserem Gründungsparteitag unserer Vorgängerpartei PDS mit dem Stalinismus gebrochen und uns bei den Opfern entschuldigt. Und dieser Satz steht, und er ist von niemandem in Frage zu stellen.

20 Jahre lang haben wir nicht nur Artikel und Bücher geschrieben, sondern sehr intensiv miteinander gerungen. Und es ist kein Geheimnis, dass dieses Ringen nicht jedem gefallen hat. Auch deshalb haben Mitglieder unsere Partei verlassen. Wer also immer noch behauptet, wir hätten unser Geschichte nicht aufgearbeitet, der ist entweder ignorant oder böswillig. Ich betone noch einmal: Wir werden den Prozess der Aufarbeitung der Geschichte nie beenden. Auch um unser Selbst willen und um unserer eigenen Verantwortung willen.

Beim Schreiben meines Artikels für die "Junge Welt" habe ich natürlich an die Opfer des Stalinismus gedacht und vor allem an die vielen Kommunisten und Sozialisten, die umgekommen sind.

Gerade deshalb wäre es falsch, den Mantel des Schweigens über die Idee des Kommunismus auszubreiten. Jeder, der es wissen will, weiß, dass die Partei DIE LINKE aus Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Pazifisten, Kommunisten und Christen besteht. Das ist doch kein Geheimnis!

Ich lasse mir doch nicht von meinem politischen Gegner vorschreiben, mit wem ich zusammen diese Gesellschaft verändern will, das wäre ja lächerlich.

Schauen wir doch einmal über Europa hinaus: Hätte Nelson Mandela die Vorwürfe von Herrn Seehofer aufgenommen, dann hätte er im ANC nicht zusammen mit Kommunistinnen und Kommunisten die Apartheid stürzen darf? Das wäre doch wohl falsch gewesen. Wenn es nach der CSU gegangen wäre, würde es die Apartheid noch heute geben, und bayerische Konzerne würden Extraprofite auf Kosten der Mehrheit der Südafrikaner erzielen.

Gregor Gysi wies kritisch darauf hin, dass beim Begriff Kommunismus viele Menschen an Stalin und die Mauer denken. Da hat er Recht, deshalb müssen wir Aufklärungsarbeit leisten! Die uralte Idee des Kommunismus wurde missbraucht, das ist schändlich, doch es ändert nichts daran, dass immer mehr Menschen Sehnsucht nach einer gerechten Gesellschaft verspüren, die wir als Linke demokratischen Sozialismus nennen.

Übrigens bemerkte der Chefredakteur des "Neuen Deutschland" in einem Kommentar unter dem Titel "Armselige Debatte" über den Vorwurf einiger Kritiker, ich

hätte mich nicht ausreichend über die Opfer des Stalinismus in dem Artikel geäußert: "Das kann man vereinbaren – wenn fortan auch das Wort Christentum nie mehr gebraucht wird, ohne dessen blutige Spur der Brandmorde an Hexen und Ketzern, der Kreuzzüge und der Kumpanei des Vatikan mit dem Hitler-Faschismus einen Viertelsatz zu widmen."

Wer Kommunist ist und wer nicht, das wird in dieser Gesellschaft häufig durch Medienkonzerne festgelegt. Wer gestern noch als Reformer galt, kann schon morgen als Kommunist beschimpft werden. Wieder ein Blick über die Landesgrenzen hinaus: Präsident Obama erlebte es gerade am eigenen Leibe. Wenn Ihr die Stichwörter "Obama" und "Kommunist" bei Google eingebt, dann bekommt Ihr 92 600 Einträge. Ist Obama ein Kommunist, weil er eine Krankenversicherung für alle Menschen will? Sicherlich nicht, doch er wird gerade dazu gemacht.

Es gab natürlich auch Kritik und besorgte Stimmen, wird mit meiner Diskussion, mit dem Artikel unsere Partei vielleicht in eine falsche Ecke gedrängt? Ich habe diese Kritik sehr ernst genommen und darüber nachgedacht.

In einer Zeitung habe ich ein Bild von mir gefunden, auf dem ich angeblich gerade ein Glas auf den Kommunismus erhebe. Ich kann euch sagen, wann dieses Foto entstanden ist. Dieses Bild ist entstanden, als unsere Genossinnen und Genossen in Nordrhein-Westfalen den Einzug in den Landtag geschafft haben. Darauf habe ich das Glas erhoben, und ich denke, wir werden in diesem Jahr noch am Ende vieler Wahlen die Gläser erheben können.

Wir werden mit großem Selbstbewusstsein in dieses Wahljahr gehen. Selbstbewusst heißt, dass wir unsere Erfolge in den Ländern und Kommunen mit unseren programmatischen Konzepten verbinden werden. In eurem Wahlprogramm schreibt ihr, dass in Hamburg jedes vierte Kind in Armut lebt. Das ist ein Skandal für eine der reichsten Städte Europas. In Deutschland lebt im Durchschnitt jedes neunte Kind in Armut. Damit liegt Deutschland bei der Kinderarmut noch hinter Ungarn und Tschechien. Das ist Ergebnis der Agenda 2010, die SPD und Grüne beschlossen haben, daran will ich an dieser Stelle auch einmal erinnern.

Eigentlich müsstet ihr euer Wahlprogramm, das ich gut finde, mit einem kleinen Sternchen oder einer Fußnote versehen: "Unser Wahlprogramm steht unter einem Systemvorbehalt." Krisen sind im Kapitalismus Teil des Systems und können uns immer wieder unsere hart erarbeiteten Erfolge kaputtmachen. Darüber müssen wir alle Wählerinnen und Wählern unbedingt aufklären. Die besten Wahlprogramme können nicht darüber hinwegtäuschen, dass uns der Kapitalismus erbarmungslos Grenzen setzt, wenn es um eine gerechtere, ökologischere und friedlichere Welt geht.

Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass wir, wenn wir in den Bundesländern gewählt werden, auch nur die Armut verwalten können und es deshalb sinnlos wäre, wählen zu gehen. Denen sagen wir: Nur mit eurer Unterstützung wird es uns gelingen, die Verteilung des Reichtms unserer Gesellschaft grundsätzlich neu zu regeln. Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Unser Ziel ist der demokratische Sozialismus! Im demokratischen Sozialismus wird kein Kind in diesem reichen Land in Armut leben müssen!

Wenn ihr in den nächsten Wochen am Infostand steht und euer Wahlprogramm vorstellt, werdet ihr erleben, dass Menschen euch vorschlagen, doch auszuwandern.

Nach 1990 habe ich als junge Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses häufig Infostände in West-Berlin gemacht. Ab und zu wurde mir zugerufen: Geh doch nach drüben! Das Drüben gibt es ja nun nicht mehr. Wir bleiben alle hier, um die Gesellschaft zu verändern.

Es werden aber auch Menschen an euren Infostand kommen, die werden euch nicht nach kleineren Details fragen. Die werden euch fragen, wie Ihr euch eine gerechtere Gesellschaft vorstellt.

In Berlin-Lichtenberg, wo ich seit vielen Jahren bei vielen Wahlen direkt gewählt wurde, leben viele Menschen, die sehr gut ausgebildet sind, die auch gutes Geld verdienen und die von der Partei, die sie wählen, mehr erwarten als für einen höheren Regelsatz für Arbeitslose zu kämpfen. Das wollen sie unbedingt, aber das ist das Mindeste, was sie von uns erwarten. Sie unterstützen natürlich auch unsere Forderungen nach einem menschenwürdigen Leben für Arbeitslose, und wir sind ja gerade in den Verhandlungen im Bundesrat, und ich hoffe, dass es uns gelingen wird, eine menschenwürdige Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger durchzusetzen. Das ist unsere wichtigste Aufgabe, die wir in diesen Wochen im Bundestag zu bestehen haben.

Aber Menschen, die vielleicht gutes Geld verdienen, die sagen, mir geht es gut, aber es stört mich, wie diese Gesellschaft funktioniert, die erwarten von uns, dass wir ihnen erwarten von uns, dass wir ihnen gesellschaftliche Perspektiven anbieten, die über den Kapitalismus hinausgehen. Diese Perspektiven können sie in unserem Parteiprogramm finden, das können wir ihnen an unseren Infoständen sagen.

Aber natürlich geht es in Hamburg, so wie ihr es in eurem Wahlprogramm geschrieben habt, um die konkreten Probleme der Hamburgerinnen und Hamburger. Euer Kapitel "Öffentlich statt Privat" finde ich besonders wichtig. Weil ich Berlinerin bin, will ich euch ein Beispiel aus Berlin heranziehen. Wir erleben dort gerade überdeutlich, was mit der S-Bahn passiert, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn.

Der Privatisierungsdruck, der absurde Wunsch von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen, die Deutsche Bahn an die Börse zu bringen, haben dazu geführt, dass die S-Bahn total kaputt gespart wurde.

Der ehemalige Bahnchef, Herr Mehdorn, hatte offensichtlich sogar Sicherheitsmängel bei der S-Bahn in Kauf genommen, um vor den Börsenanalysten mit schwarzen Zahlen dazustehen. Selbst die Springer-BZ schreibt in großen Lettern, dass es ein solches Chaos nicht einmal im 2. Weltkrieg und auch nicht zu DDR-Zeiten gegeben habe. Dass sich die Springer-Presse einmal positiv zur DDR äußern würde, hätte ich nie gedacht. Vielleicht ist mein Feindbild jetzt doch erschüttert.

Liebe Genossinnen und Genossen, darum bin ich der festen Überzeugung, dass die öffentliche Daseinsvorsorge auch in die Öffentliche Hand gehört. Ihr tretet in eurem Wahlprogramm genau dafür ein, und auch in Berlin sind wir nicht nur der Überzeugung, sondern der Senat, bestehend aus SPD und LINKE, arbeitet an einem kommunalen Energieunternehmen und versucht, die Wasserbetriebe, die von der Großen Koalition unter Diepgen verteilt worden sind, wieder in kommunalen Besitz zu bekommen. Diese Richtung, die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentliche Hände, ist eine Richtung, die wir gemeinsam unterstützen sollten!

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett, den ihr wahrscheinlich als Autor des Buches "Der flexible Mensch" kennt, schreibt: "Wer braucht mich? Ist eine Frage, die der moderne Kapitalismus völlig zu negieren scheint. Ein Regime, dass Menschen keinen tieferen Grund gibt, sich umeinander zu kümmern, kann seine Legitimität nicht lange aufrechterhalten."

DIE LINKE gibt den Menschen einen tiefen Grund, sich umeinander zu kümmern. Unsere Devise, unsere Grundlage ist die Solidarität. Darum bitte ich Euch, dass wir gemeinsam hier auf diesem Parteitag unsere Solidarität für Kersten Artus bekunden. Ihr wisst, Kersten, Mitglied der Bürgerschaft, Betriebsratsvorsitzende, wurde gekündigt. Sie ist in einem Arbeitskampf, die Solidarität sollte von diesem Parteitag ausgehen. Liebe Kersten, wir stehen an deiner Seite. Dieses gute Gefühl der Solidarität werden wir in Hamburg und in allen anderen Bundesländern in den Wahlkämpfen vermitteln, und wir werden Menschen für unsere Partei gewinnen, weil sie spüren, dass sie bei uns einen "tiefen Grund" finden, den ihnen der Kapitalismus nicht bieten kann.

Gehen wir gemeinsam selbstbewusst in den Wahlkampf und gewinnen wir viele Menschen, die sich mit uns auf den Weg machen wollen, diese Gesellschaft zu verändern und einen demokratischen Sozialismus aufzubauen! Machen wir gemeinsam einen erfolgreichen Wahlkampf. Ich bin sicher, Genossinnen und Genossen aus vielen Bundesländern werden euch unterstützen. Ich wünsche euch alles Gute im Wahlkampf, einen erfolgreichen Parteitag, erfolgreiche Nominierungen Morgen und uns allen gemeinsam gute Ergebnisse. Vielen Dank!