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Katja Kipping

Furchtlos und mit den Menschen sein

Rede von Katja Kipping beim Jahresauftrakt der Europäischen Linken in Berlin

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, verehrte Gäste, "Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Solch eine Zeit der Zwischenherrschaft birgt viele Gefahren und ist die Zeit der Monster."

Zeit der Monster - so beschrieb der italienische Marxist Antonio Gramsci die Epoche, die mit dem ersten Weltkrieg und der Ermordung von Karl und Rosa begann. Dieses Zitat wirkt heute erschreckend aktuell.

Wir leben in aufwühlenden Zeiten und stehen vor Fragen, auf die wir gemeinsam Antworten finden müssen.

Dazu gehört die Frage: Wie umgehen mit dem Rechtspopulismus? Das ist für uns keine abstrakte Frage, sondern stellt sich für die Mitglieder praktisch an fast jedem Infostand.

Bisher haben wir uns in demokratischen Prozessen auf folgendes verständigt:

  1. Schauen wir uns genau die Ursachen des Rechtspopulismus an. Denn die neuen Rechten sind nicht vom Himmel gefallen. Der Neoliberalismus hat ihnen vielmehr den Boden bereitet. Im Schatten von Konkurrenzdruck und sozialer Verunsicherung wachsen Hass, Angst und Hoffnungslosigkeit. Das ist zwar keine Entschuldigung dafür zum Rassisten zu werden, aber wir müssen darum wissen, wenn wir die Ursachen nachhaltig bekämpfen wollen. Deshalb gehören für uns der Kampf gegen Rechtspopulismus und der Kampf gegen soziale Verunsicherung eng zusammen.
  2. Wir stärken das Lager der Solidarität, sind Teil der vielen Solidaritätsinitiativen.
  3. Sprechen wir, z.B. durch unsere Haustürbesuche, diejenigen an, die materiell nicht auf der Sonnenseite leben, die das Gefühl haben nicht zu zählen. Mit ihnen wollen wir gemeinsam für bezahlbares Wohnen, für gute Rente oder soziale Garantien kämpfen! Nehmen wir ihre Wut und ihre Hoffnungslosigkeit ernst! Nehmen wir ihre Angst um die Zukunft ihrer Kinder, ja sogar die Angst vor den Anderen, als Auftrag an, wieder Mut und Hoffnung zu machen. Denken wir an den großen Satz von Hölderlin: "Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch". Bieten wir also einen Ausweg aus der großen Tragödie dieser Tage, führen wir die Interessen der Menschen zusammen und polarisieren wir sie nach links.
  4. Setzen wir auf eine soziale Offensive für alle. Und das ist kein Kampf der schönen Worte. Um diese Offensive zu finanzieren, sind wir bereit uns mit Superreichen und Konzernen anzulegen. Das wollen viele in diesem Land. Und das ist gut so!
  5. Sind wir ein verlässliches Bollwerk gegen Nationalismus und Rassismus und zeigen Haltung auch dann, wenn es Gegenwind gibt. Auch das wollen sehr viele in diesem Land. Und das ist gut so!

Diese unsere Grundsätze habe nicht nur ich immer wieder dem Praxistest unterzogen – bei Haustürbesuchen und öffentlichen Sprechstunden.

Eine Begegnung, die bezeichnend für viele war, möchte ich hier wiedergeben: Ende 2016 waren wir mit der Kampagne "Das muss drin sein" unterwegs, um für bezahlbares Wohnen Druck zu machen. Als ich ein älteres Paar anspreche, stutzt der Mann einen Moment und sagt dann: Mit Euch will ich nichts mehr zu tun haben, ihr seid ja für die Flüchtlinge.

Ich habe darauf wie folgt reagiert: "Wissen Sie, ich werde Ihnen jetzt nicht nach dem Mund reden, ich habe da eine andere Überzeugung. Aber glauben sie wirklich, dass ohne Flüchtlinge ihre Miete sinken oder ihre Rente deutlich steigen würde?"

Und in dem Moment bemerkte ich eine Veränderung und wir kamen ernsthaft ins Gespräch. Beide erzählten mir, dass sie an einem Tag zwei Briefe bekommen hatten. In dem einen ging es um die Rentenerhöhung und in dem anderen um die Mieterhöhung. Und die Mieterhöhung fiel deutlich höher aus. Wir sprachen dann über Mietspekulationen und was dagegen zu tun ist. Am Ende wünschten sie uns alles Gute. So kann ein Perspektivwechsel beginnen.

Es geht darum, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie ernst nehmen, aber ihnen nicht immer nach dem Mund reden. Gehen wir also in dieses Handgemenge und befördern den Perspektivwechsel – weg von einer Sündenbockpolitik!

Dazu müssen wir uns auch mit dem Zeitgeist anlegen. Doch damit knüpfen wir an einer großen linken Tradition an.

Erinnert Ihr Euch, als nach 1989 das angebliche Ende der Geschichte ausgerufen wurde, da haben wir uns trotzdem für den demokratischen Sozialismus ausgesprochen. Inzwischen schwant so einigen, dass der Kapitalismus doch nicht das Ende der Geschichte ist.

Und erinnert Ihr Euch, als DIE LINKE vor rund 10 Jahren neu gegründet wurde, da war der Zeitgeist trunken von neoliberalen Deutungsmustern. Privatisierungen galten als Allheilmittel. Wir haben damals dem Zeitgeist erfolgreich die Stirn geboten.

Heute nun ist der Zeitgeist vom Rechtspopulismus beeinflusst. Und wieder ist es unsere Aufgabe, diesem chauvinistischen Trend der Missgunst, der Häme und Menschenfeindlichkeit die Stirn zu bieten. Denn wir als Linke stehen zusammen für alle Menschen ein, egal woher sie kommen!

Viele unsere Genossinnen und Genossen tun dies und werden dafür auf Heftigste angegriffen. Und stellvertretend für die vielen möchte ich hier aus aktuellem Anlass eine nennen: Özlem Demirel.

Özlem ist Landessprecherin und Spitzenkandidatin in NRW. Zu Jahresbeginn hat sie racial profiling, also eine rassistische Praxis kritisiert. Daraufhin brach über ihr ein wahrer Shitstorm herein, der gezielt von den Rechten befeuert wurde. Lasst uns heute hier das klare Signal senden, Özlem, Du kannst Dir unserer Solidarität gewiss sein! Und wir streiten gemeinsam mit Euch für ein tolles Ergebnis zu den Landtagswahlen in diesem Jahr in NRW, ebenso wie im Saarland und in Schleswig-Holstein!

Machen wir uns nichts vor, die Angriffe auf Özlem fielen auch deshalb so heftig aus, weil ihr Nachname nicht Müller oder Meier lautet. Für uns ist es aber eine Selbstverständlichkeit, dass diese Partei und diese Gesellschaft von Menschen mitgeprägt werden, die einen migrantischen Hintergrund haben. Das gehört zu einer solidarischen Einwanderungsgesellschaft einfach dazu!

Liebe Genossinnen und Genossen, gestern haben Bernd Riexinger und ich zusammen mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch den Entwurf des Wahlprogramms vorgestellt. Dieses trägt den Titel: Die Zukunft, für die wir kämpfen: Sozial. Gerecht. Für alle!

Wir sind überzeugt, sowohl ein neoliberales Weiter so, also das Verwalten der Probleme, als auch eine weitere Rechtsverschiebung müssen verhindert werden. Kurzum es braucht eine wirkliche Alternative. Dafür stehen wir.

Natürlich kämpfen wir um jede Verbesserung im Alltag der Menschen. Wir wissen aber auch, kosmetische Korrekturen reichen nicht, es braucht einen grundlegenden Bruch mit dem Bestehenden. Diesen Bruch verbinden wir mit einem Aufbruch für eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt!

Wir streiten für Frieden und für eine Gesellschaft, in der das Öffentliche gestärkt, die Mitte deutlich besser gestellt ist, alle frei von Armut sind, also keiner unter 1050 Euro im Monat fällt und alle frei von Angst anders sein können.

Um das durchzusetzen sind wir bereit, uns mit Konzernen, Mietspekulanten, der Rüstungslobby und Superreichen anzulegen. Ja unser Programm ist eine Kampfansage an Konzerne und Superreiche!

Liebe Genossinnen und Genossen, gerade in Zeiten wie diesen braucht es eine kämpferische LINKE. Lasst uns die Aufgaben dieses Jahres gemeinsam in Angriff nehmen. Es wird für uns ein spannendes Jahr!

Und nehmen wir uns den Rat von Karl Liebknecht zu Herzen, der sagte: "Die Furcht ist der schlechteste Ratgeber".

Seien wir also furchtlos und mutig, sorgen wir gemeinsam dafür, dass wir nicht nur kämpfen, sondern dass wir zusammen erfolgreich sind.