Zum Hauptinhalt springen
Bernd Riexinger

Freiheit nicht für trügerische Sicherheit opfern

Statement von Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der LINKEN, auf der Pressekonferenz am 12. Januar 2015 im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Ich darf Sie auch recht herzlich begrüßen bei diesem unwirtlichen Wetter. Schön, dass Sie trotzdem hierher gefunden haben.

Natürlich haben auch uns die Anschläge in Paris tief erschüttert. Das waren Terrorakte, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Wir trauern um die Opfer, fühlen mit den Angehörigen und wünschen den Verletzten vollständige Genesung. Die gestrigen Demonstrationen haben eindeutig ein Bild der Geschlossenheit gezeigt und die Solidarität der Bevölkerung mit den Opfern deutlich gemacht. Die Anschläge haben natürlich auch eine politische Debatte ausgelöst bzw. verschärft, die viele Facetten hat. Deshalb will ich hier vier Punkte aufführen und zu diesen vier Punkten etwas anmerken.

Erstens: Wir lehnen die reflexhafte Forderung nach Verschärfung der Sicherheitsgesetze ab. Wir müssen uns endlich von der Lebenslüge einer verfehlten Sicherheitspolitik verabschieden. Mehr Überwachung schafft nicht mehr Sicherheit. Wer meint, die Freiheit auf dem Altar einer trügerischen Sicherheit opfern zu müssen, verliert beides, nämlich die Freiheit und die Sicherheit. Und es sind jetzt schon wieder Stimmen zu hören, die sogar die rechtswidrige flächendeckende Überwachung durch die NSA mit diesen Anschlägen rechtfertigen. Wir plädieren dafür, die Lage mit einem nüchternen Kopf zu analysieren und damit umzugehen. Ein Defizit der Sicherheitspolitik liegt seit Jahren, das wissen wir alle, in der mangelhaften Ausstattung der Polizei. Deshalb, wer wirklich mehr Sicherheit will, muss zwingend eine andere, bessere materielle Ausstattung der Polizei durchsetzen. Es wäre ein hervorragendes Zeichen, wenn Bund und Länder gemeinsam einen Personalabbaustopp für die Polizei verhängen würden.

Zweitens: Wir sind besorgt, wie von rechter Seite - sowohl von der CSU und der AfD als auch von Pegida und natürlich der NPD - versucht wird, diese Anschläge zum weiteren Anheizen einer Debatte zu nutzen, die sich nicht gegen Gewalt und Terrorismus richtet, sondern gegen Millionen Muslime, die in unserem Land leben und friedlich leben wollen. Die extremen Terroristen wollen erreichen, dass sich die Muslime in Europa und in Amerika vom Westen distanzieren. Wer sich von den Muslimen distanziert und sie zu Feinden erklärt, betreibt objektiv das Geschäft dieser Kräfte. Es nützt nicht der Integration, sondern im Gegenteil, man arbeitet auf diesem Weg geradezu dem Islamischen Staat zu. Diesen Vorwurf müssen sich CSU, AfD, Pegida und andere gefallen lassen. Wir werden in dieser Auseinandersetzung stets auf der Seite der religiösen Toleranz und des Dialogs stehen. Wir werden als Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping und ich zusammen mit Gregor Gysi, an der vom Zentralrat der Muslime und der Türkischen Gemeinde organisierten Mahnwache hier in Berlin teilnehmen und zeigen, dass es an dieser Stelle kein Wackeln der demokratischen Kräfte geben darf.

Drittens: Wir lehnen jegliche Verschärfung der Flüchtlingsgesetze ab. Deutschland und Europa müssen ihrer globalen Verantwortung gerecht werden und notleidenden Menschen Zuflucht bieten. Eine demokratische Gesellschaft, die sich von diesem Konsens verabschiedet, hat ihren humanitären Charakter verloren.

Viertens: Wir mahnen an, dass auch in Deutschland als Konsequenz aus diesen und anderen Anschlägen eine Debatte darüber geführt wird, welche Verantwortung eine verfehlte internationale Sicherheitspolitik für das Erstarken terroristischer Kräfte hat. Der Westen hat mit seiner fortgesetzten Politik militärischer Interventionen eine Reihe von gescheiterten Staaten hinterlassen, Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Das ist der Boden, auf dem der Terror gedeiht. Wer über den Kampf gegen den Terrorismus ernsthaft debattieren und reden will, darf von den Kriegen des Westens nicht schweigen.

Ein zweites Thema, die bevorstehenden Wahlen in Griechenland. In Griechenland wird am 25. Januar gewählt. Unsere griechische Partnerpartei SYRIZA hat gute Chancen auf einen Wahlsieg. Alle Umfragen weisen darauf hin, dass Alexis Tsipras am 25. Januar die Wahlen gewinnen kann und der künftige Ministerpräsident von Griechenland sein wird. Für uns und für viele Menschen in Griechenland ist das ein Grund zur Hoffnung. Offensichtlich macht aber dieser Tatbestand der Bundesregierung eher Angst. Anders ist nicht zu erklären, dass führende Vertreter dieser Regierung nach wie vor die Wahlen in Griechenland beeinflussen wollen und Angst vor einer Regierungsübernahme durch SYRIZA verbreiten. Wir halten das für ein unwürdiges Verhalten unter souveränen Staaten. Schon gar nicht gibt es dafür eine Rechtfertigung, die in unserer Geschichte liegt. Ich glaube, jeder, der die deutsche Geschichte kennt und weiß, dass die deutsche Wehrmacht vier Jahre in Griechenland viele Gräueltaten und Massaker verübt hat, muss sich bewusst sein, dass sich solche Einmischung für unser Land verbietet. Ich will aber auch sagen, dass ich große Hoffnung in Griechenland setze. Von einem Wahlsieg von SYRIZA kann ein Signal für eine andere Politik in Europa ausgehen. Wenn es SYRIZA tatsächlich schafft, die Regierung zu übernehmen und der verhängnisvollen Autoritätspolitik, den verhängnisvollen Verkürzungs- und Armutsprogrammen eine andere Politik entgegen zu setzen, geht davon ein positives Signal für Europa aus. Wir haben gestern den wirtschaftspolitisch Verantwortlichen von SYRIZA zu Gast gehabt. Es ist völlig klar - sie müssen erst einmal Programme gegen die Armut machen, weil die Armut so weit verbreitet ist. Sie müssen die Wirtschaft auf die Füße bringen, sie müssen den Gewerkschaften wieder Tarifvertragsrechte geben und einen funktionierenden Staat aufbauen, der auch tatsächlich Steuern eintreibt - alles positive Signale eines Hundert-Tage-Programms von SYRIZA. Ich glaube, es kann Ausstrahlung auf Spanien geben, wo Podemos zusammen mit den Vereinigten Linken in den Umfragen bei über 30 Prozent liegt. Wir werden unseren Beitrag leisten, dass von der Wahl in Griechenland ein Signal für ein soziales Europa ausgeht.

Letzter Punkt - die Debatte um die Aufweichung des Mindestlohnes. Am Wochenende hat Horst Seehofer wieder versucht, einen Stein ins Wasser zu werfen, um den Mindestlohn aufzuweichen. Er hat praktisch vor zu vielen Kontrollen gewarnt und hat sogar gesagt: "Man muss weniger Kontrollen fordern." Wir sagen, ein Mindestlohn ohne Kontrollen ist wie ein Sommer ohne Sonne. Wenn es tatsächlich - wie man immer wieder hört - an Kontrollen fehlt oder fehlende Kontrollen eine Ursache dafür sind, dass der Mindestlohn nicht flächendeckend durchgesetzt wird, dann diskreditiert das den Gedanken des Mindestlohnes, den wir alle positiv finden. Deswegen sagen wir, die Kontrollen müssen sein. Ich bin dieser Tage in Berlin Taxi gefahren, da hat mir der Taxifahrer erzählt, dass die Taxifahrer nur noch bezahlt werden sollen, wenn sie Kunden transportieren. Völlig rechtswidrig, dass nicht die ganze Zeit bezahlt, in der ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft anbietet, sondern nur noch die Zeit, in der er tatsächlich Geld einbringt durch Fahrten. Alles Dinge, die jetzt massenhaft passieren werden. Da ist es dringend erforderlich, dass die Leute einerseits ihre Rechte kennen und auf der anderen Seite, dass die Bundesregierung dafür sorgt, dass flächendeckend Kontrollen durchgeführt werden. Dazu reicht der Zoll definitiv nicht aus. Es muss den Gewerbeaufsichtsämtern ermöglicht werden, dass auch sie diese Kontrollen durchführen können. Sie haben die Voraussetzungen dafür. Das würde im Übrigen auch nicht mehr Geld kosten, würde aber sicherstellen, dass die Kontrolldichte tatsächlich aufgebaut wird, die nötig ist, um diesem Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen. Ich will jetzt gar nicht darauf hinweisen, dass nach wie vor der Mindestlohn zu klein ist und dringend schnell erhöht werden muss und die Ausnahmen auch abgeschafft werden müssen, damit man tatsächlich von einem flächendeckenden Mindestlohn reden kann.