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Bereich Internationale Politik

Einschätzung der Parlamentswahlen in der Ukraine

Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine fanden am Sonntag, den 26. Oktober 2014 statt und deren Ergebnisse waren recht überraschend.

Der Favorit des Wahlkampfes "Block Poroschenko" erreichte deutlich weniger als erwartet. Die kürzlich gegründete Partei "Volksfront" dagegen überholte den "Block Poroschenko" sogar um einige Prozentbruchteile. Der Grund dafür könnte unter anderem die Figur des amtierenden Premiers Jazenjuk sein. Jazenjuk ist einer der Führer der "Volksfront" und die Kampagne der Partei war darauf ausgerichtet, den Premierposten wieder durch ihn zu besetzen. Das Volk entschied sich praktisch für eine "Tandemokratie".

Ebenso unerwartet war das gute Ergebnis der Partei "Selbsthilfe" aus der west-ukrainischen Stadt Lwiw. Dabei handelt es sich um eine christlich-demokratische und ebenfalls pro-europäische Partei, die im Jahr 2012 gegründet wurde.

Der Oppositionsblock erhielt knapp 10%, wobei die Unterstützung durch Wähler in östlichen Teilen des Landes besonders hoch war (fast 38% in der Donezk-Region). Diese Partei setzt sich aus zentristischen Nicht-Maidan-Kräften zusammen. Ihre Hauptforderungen waren Neutralität in der Frage der Integration und das Ende des Krieges im Osten des Landes. Mehrere Kandidaten stammen aus der "Partei der Regionen" (Regierungspartei unter Janukowitsch).

Die populistische "Radikale Partei" und die Partei "Vaterland" mit Julia Timoschenko erhielten weniger als 10% und stehen somit am Ende der Liste.

Die Parlamentssitze für die Regionen Luhansk und Donetsk bleiben leer - dort konnte nur vereinzelt gewählt werden. Ebenso blieben Parlamentssitze für die Krim frei. Insgesamt war die Wahlbeteiligung im Osten des Landes sehr niedrig und lag noch unter dem niedrigen landesweiten Schnitt von circa 52%. Im Osten liegen auch die Hochburgen der Kommunistischen Partei und des Oppositionsblocks.

Die Kommunistische Partei der Ukraine

Die KPU erhielt nicht genug Stimmen um die 5%-Hürde zu überwinden und ist zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1991 nicht im Parlament vertreten. Der Vorsitzende der KPU Piotr Simonenko kritisierte die Wahlen scharf und nannte sie "unabhängig vom Ergebnis nicht demokratisch und nicht legitim". Der Verlauf der Parlamentswahl und die Bedingungen im Lande seien sehr ungünstig gewesen und liessen die Meinung vieler Bürger der Ukraine ungehört, so Simonenko. "Die verbrecherische Politik der neuen Machthaber führte zum Verlust der Krim und zum Krieg im Donbass-Gebiet. Die Bewohner bedeutender Landesteile haben keine Möglichkeit, an der Parlamentswahl teilzunehmen bzw. ihren Willen frei zu äußern." Zudem habe es auch massive Wahlfälschungen gegeben.

Außerdem erinnerte Simonenko daran, dass neo-nazistische und rechtsradikale Gruppen mit Gewalt gegen Andersdenkende vorgegangen sind und die jetzigen Machthaber sich das Ziel gesetzt haben, die KPU zu eliminieren. Nach der Auflösung der KPU-Fraktion haben 3 Millionen Ukrainer ihre Repräsentanten im Parlament verloren, sagte Simonenko.

Nach wie vor fordert die KPU eine sofortige Beendigung des Krieges, den blockfreien Status für die Ukraine, eine intensivere Zusammenarbeit mit Russland, Föderalisierung und mehr Demokratie vor Ort, soziale Gerechtigkeit sowie Verbot von ultrarechten Parteien.

Auswirkungen auf die weitere Politik

Poroschenko äußerte sich bereits darüber, dass seine Partei bereit ist, mit vielen anderen über eine Koalition zu verhandeln, nur nicht mit dem "Oppositionsblock". Höchstwahrscheinlich wird das Tandem Poroschenko-Jazenjuk erhalten bleiben, auch wenn der erstere es sich anders gewünscht hätte. Genauso wahrscheinlich wird der Krieg im Donbass fortgeführt werden, statt dass nach einer politischen Lösung für den Konflikt gesucht würde.

Zwar sind die ultranationalistischen und rechtsradikalen Parteien mehr oder weniger gescheitert und schnitten deutlich schlechter ab, als allgemein erwartet. Das bedeutet aber nicht, dass ultranationalistische und rechte Überzeugungen keinen Platz mehr in der neuen Regierung haben: Falken und Nationalisten gibt es auch unter den neuen Gewinnern genug. So ist der sogenannte "Kriegsrat" Teil der Partei "Volksfront". Die Mitglieder des "Kriegsrates" sind unter anderem Kommandeure von Bataillonen wie "Asow" oder "Dnjepr-1" sind. Das Bataillon "Asow" ist eine Freiwilligenmiliz, die de facto der offiziellen Macht nicht gehorcht und z.B. eine NS-ähnliche Symbolik in ihrem Emblem nutzt. "Dnjepr-1" wird durch das Geld des Oligarchen Kolomojskij finanziert und gilt als seine eigene Söldnerarmee.

Auch der Führer des "Rechten Sektors" Dmitrij Jarosch wird in die Rada einziehen, da er seinen Wahlkreis direkt gewinnen konnte. Seine Partei wird weiterhin eine wichtige Rolle im politischen Leben der Ukraine spielen, denn ihre Mitglieder sind gut organisiert und sehr aktiv. Die Wurzeln des "Rechten Sektors" reichen in die Zeit des Zweiten Weltkrieges, zu der Organisation Ukrainischer Nationalisten, die z.B. aktiv am Holocaust teilnahm, und zu der Ukrainischen Rebellenarmee, die mit dem Dritten Reich kollaborierte. zurück. Von ihnen erbte der "Rechter Sektor" auch die schwarz-rote Flagge, die bei zahlreichen Demonstrationen zu sehen ist.

Das Wahlergebnis ist eine deutliche Absage an pro-russische oder pro-russisch wahrgenommene Kräfte. Auch die volle Mobilisierung der Wählerschaft im Osten des Landes hätte den klaren Sieg der pro-westlichen Kräfte nicht verhindern können. In wie weit die Wahlen als frei und fair zu bezeichnen sind, muss der Bericht der OSZE zeigen. Es sind aber berechtigte Zweifel zu äußern: es gab massive Gewaltanwendungen gegen den patriotischen Mainstream Opponierende und Andersdenkende. Die Mitglieder der KPU beispielsweise mussten im Wahlkampf um Leib und Leben fürchten. Ausgleichende Positionen, wie die Forderung nach einer Neutralität der Ukraine wurden als "Vaterlandsverrat" diffamiert.

Dem Oligarchen Poroschenko, der aller entschlossener Rhetorik zum Trotz auch Verständigungsbereitschaft mit Moskau verkörpert, wurde mit der Volksfront eine entschieden anti-russische Kraft an die Seite gestellt. Während Poroschenko mit der Formel "Verhandlungslösung mit dem Osten des Landes und Westintegration" rechnet, steht die Volksfront für "Sieg im Osten und Westintegration gegen alle Widerstände." Es bleibt abzuwarten, wie sich diese verschiedenen Herangehensweisen auf die konkrete Politik auswirken werden.

Die offen faschistischen Kräfte wie Swoboda und der rechte Sektor erlebten - gemessen an den Erwartungen - Wahlniederlagen (Radikale Partei 7,4 % Swoboda sechs Direktmandate, eines für den Rechten Sektor). Über die genauen Ursachen kann derzeit nur spekuliert werden. Ein Grund liegt aber vermutlich darin, dass sich diese Kräfte einen Ruf erarbeitet haben, der für offene Gewalt, Draufgängertum und Rechtslosigkeit, also das Gegenteil von Stabilität, steht.

Entscheidend wird auch sein, als wie stark sich die beiden Faustpfände Putins - Gas und "Volksrepubliken" - erweisen werden, um das anti-russich und nationalistisch eingestellte Parlament zu einer realistischen Politik zu bewegen. Die für den 2. November geplanten Wahlen in den "Volksrepubliken", deren Ergebnisse Moskau anzuerkennen angekündigt hat, werden für die Regierung zum ersten wichtigen Prüfstein.