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Gesine Lötzsch

Eine Wahl ist niemals ein lokales Ereignis

Rede von Gesine Lötzsch auf dem Landesparteitag der LINKEN. Mecklenburg-Vorpommern in Rostock

Liebe Genossinnen und Genossen, zunächst möchte ich all denen gratulieren, die gestern bereits in den Landesvorstand und in die verschiedenen Gremien gewählt worden sind. Herzlichen Glückwunsch an dich, Steffen, zu deiner Wiederwahl als Landesvorsitzender. Ich wünsche euch allen eine glückliche Hand und vor allem beim Endspurt zum Wahlerfolg viel Kraft, viel Energie und viel Gemeinsamkeit. Den Genossinnen und Genossen, über die heute noch per Stimmzettel entschieden wird, wünsche ich gute Nerven und natürlich auch ein gutes Ergebnis.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich war in der vergangenen Woche viel in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs und habe viele Eindrucke gewonnen, wie ihr euch engagiert, wie ihr die Wahlen vorbereitetet. Ich war unter anderem in Graal-Müritz, in Löcknitz, in Ueckermünde, in Greifswald, in Rostock, Stralsund, und überall hatte ich den gleichen Eindruck, nämlich dass die Mitglieder der Partei DIE LINKE intensiv an der Lösung der sozialen Probleme in diesem Land arbeiten, dass sie sich wirklich um die Probleme kümmern, die den Menschen unter den Nägeln brennen.

Und immer, wenn wir gemeinsam unterwegs waren, wenn wir an den Infoständen standen oder Einrichtungen besucht haben, hatte ich den Eindruck, dass die Chemie zwischen unseren Kandidaten und den Bürgerinnen und Bürgern wirklich stimmte. Das ist nicht überall in unserem Land so, und deshalb war das ein besonders erfreulicher Eindruck. Ich möchte euch im Namen der ganzen Partei für diesen Einsatz danken und wünsche euch noch viel Kraft für die nächsten Wochen.

Liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir uns über Diskussionen in unserer Partei, über Strömungen, über Plattformen, über Gruppen, über Zirkel uns manchmal heftig auseinandersetzen, ab und zu vielleicht auch mal ärgern, dann ist mir eines aufgefallen. Egal, welcher Strömung oder Plattform Genossinnen und Genossen angehören, in der praktischen Arbeit verfolgen sie alle ein gemeinsames Ziel, nämlich mehr soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft bis in das kleinste Dorf von Mecklenburg-Vorpommern zu bringen. Und ich glaube, ihr nehmt mir ab, dass ich als Großstädterin mit großer Hochachtung sehe, welche Entfernungen überwunden werden müssen, wie viel Kilometer ihr zurücklegen müsst, um wirklich alle zu erreichen. Wenn man in einem Kreis als Kreistagsvorsitzende über 300 Kilometer fahren muss, um alle zu erreichen, dann kann ich nur sagen: Hut ab! Unterstützt bitte alle diese Genossinnen und Genossen, die das auf sich nehmen.

Natürlich habe ich nicht nur vor Ort Eindrücke gesammelt, sondern auch Fernsehsendungen gesehen. Ich war sicherlich nicht die einzige, die das Interview im NDR mit unserem Spitzenkandidaten Helmut Holter gesehen hat. Vieles könnte man zu diesem Interview sagen, aber ich will mal mit dem Schluss anfangen. Da gab es – das ist ja immer so eine kitzlige Sache für Politiker – einen kleinen Wettbewerb. Ihr habt es gesehen: Helmut musste eine Strandmuschel aufbauen. Manche Ehe ist ja schon am gemeinsamen Aufbau solcher Dinge am Strand gescheitert. Aber Helmut hat den Sieg errungen. 1 Minute 32 Sekunden – die Strandmuschel stand. Das ist doch schon mal eine gute Ausgangsbasis. Und Helmut konnte dabei auch noch reden. Außer dem Spruch, den wir alle kennen und der aufgrund seiner Profession ja auch stimmt – einem Ingenieur ist nichts zu schwer –, hat er ganz zum Schluss des Interviews von einem Bürger erzählt, der ihn aufgefordert habe, doch mehr über die Finanzkrise und die gierigen Manager in der Öffentlichkeit zu sprechen. Helmut antwortete sinngemäß, dass man beides machen müsse, man muss einerseits die Bundesregierung kritisieren und andererseits pragmatisch die Probleme vor Ort lösen. Ich finde, das ist genau der richtige Ansatz, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden, liebe Genossinnen und Genossen. Ich halte nämlich gar nichts von der Arbeitsteilung, dass die Parteispitze oder die Fraktion im Bundestag für die Kritik an der Bundesregierung und die Kritik am Kapitalismus zuständig sind und dass sich alle anderen ausschließlich um die Probleme der Bürgerinnen und Bürger kümmern müssen. Ich glaube, wir sind alle gemeinsam für das Kleine und für das Große zuständig, denn schließlich sind wir eine gemeinsame Partei, in der alle gemeinsam die Aufgaben zu erfüllen haben. Ich glaube auch, dass es deshalb so besonders wichtige ist, diese Dinge miteinander zu verbinden, weil es sonst passieren kann, dass wir in eine gefährliche Falle laufen.

Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Ich war unter anderem in Grünhufe, einem Stadtteil von Stralsund, in den sehr viel Geld investiert wurde, um die Bewohnerinnen und Bewohnern in diesem sozialen Brennpunkt, die häufig auch arbeitslos sind, zu unterstützen. Der Herr von der verantwortlichen Gesellschaft, die dort die Stadterneuerung betreibt, erzählte, dass unser Genosse Karsten Neumann sei auch einmal mit einer Delegation durch dieses Wohngebiet gegangen und wollte gern das Haus seiner Kindheit zeigen. Dieses Haus aber war gerade abgebrochen worden, und Karsten stand vor einem Trümmerhaufen. Das hat ihn ein wenig deprimiert, aber aufgerichtet hat ihn, als er sah, wie schön dieses Wohngebiet geworden ist.

Eine Anmerkung am Rande: Ich wundere mich immer, wenn von Wohngebieten, in denen viele Arbeitslose oder Menschen mit Migrationshintergrund leben, von Problembezirken gesprochen wird. Warum, liebe Genossinnen und Genossen, bezeichnet eigentlich nie ein Journalist das Frankfurter Bankenviertel oder die Londoner City, wo die Hedgefonds sitzen, als Problembezirke? Wir leben in einer verkehrten Welt. Ich denke, die Banken, Hedgefonds und Rating-Agenturen, die mit uns Monopoly spielen, sind die Probleme und nicht die Menschen hier vor Ort. Wir als LINKE haben uns gemeinsam vorgenommen, hier wieder Ordnung zu schaffen, wir wollen, dass die Interessen der Menschen wieder im Vordergrund stehen. Die Politik – und das ist etwas, das wir seit vielen Jahren sagen – muss sich ihr Terrain zurückerobern. Es kann nicht akzeptiert werden, dass die wichtigsten Fragen der Gesellschaft von Rating-Agenturen entschieden werden, und zwar so, dass sie Millionen Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Auch hier bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern werden wir unseren Anspruch erneuern, dass endlich wieder die Politik, dass die Menschen, die wählen und gewählt werden, zu entscheiden haben.

Doch zurück nach Grünhufe. Ich war sehr beeindruckt von den wunderschönen Grünanlagen, den sanierten Häusern, der Skaterbahn und der Turnhalle. Da wurde wirklich viel geschafft und Neues geschaffen. Doch bedrückt hat mich, dass in dem gesamten Wohngebiet ausschließlich Plakate der NPD hingen. Kein Plakat einer anderen Partei. Ich denke, wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass mehr soziale Gerechtigkeit, die Verbesserung an der einen oder anderen Stelle nicht automatisch dazu führt, dass die NPD meint, dort keine Chance mehr zu haben. Ich bitte euch, liebe Genossinnen und Genossen, tun wir gemeinsam alles dafür, dass die rechtsextremistische NPD nicht mehr in den Landtag einziehen kann. In Sachsen-Anhalt ist es gelungen, die sie aus dem Landtag herauszuhalten. Ich finde, wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sie hier in Mecklenburg-Vorpommern wieder rausfliegen, denn das hat dieses wunderschöne Bundesland nicht verdient, dass diese Partei im Landtag sitzt. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit muss immer die politische Diskussion über unsere Gesellschaft und über die Gesellschaft, die wir anstreben, beinhalten. Wir wollen nicht nur mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, wondern wir wollen eine andere Gesellschaft – den demokratischen Sozialismus.

Auf einer Diskussionsveranstaltung in Stralsund wurde ich gefragt, was denn den demokratischen Sozialismus, den wir wollen, von dem demokratischen Sozialismus, den die SPD will, unterscheidet. Ich glaube, die Antwort finden wir alle gemeinsam im Entwurf unseres Parteiprogramms, das wir ja in diesem Jahr in Erfurt beschließen wollen und uns dann mit einem Mitgliederentscheid pünktlich zu Weihnachten hoffentlich auf den Gabentisch legen werden. Auf den Punkt gebracht, geht es bei uns um ein anderes Verhältnis von Demokratie und Eigentum. Auch hier in Mecklenburg-Vorpommern habe ich immer wieder gehört, dass die Genossinnen und Genossen alles tun, um die weitere Privatisierung von öffentlichem Eigentum zu verhindern und bereits privatisiertes Eigentum wieder in öffentliche Hände zu legen. Ihr kennt ja alle das große Stichwort Rekommunalisierung. Viele von Euch sind ja auch Vertreter in den Kommunen, und ihr wisst, Demokratie funktioniert nur dort, wo die Menschen über etwas verfügen und darüber entscheiden können. Wer nichts zu entscheiden hat, der wird auch – glaube ich – mit schlechtem Gewissen zu einer Wahl antreten. Denn wenn eine Kommune nichts hat, wenn ein Land nichts hat, wenn kein Eigentum vorhanden ist, gibt es nur einen eingeschränkten Entscheidungsspielraum. Wir wollen, dass das, was für alle nötig ist, allen gehört, und darum sind wir die Partei, die das öffentliche Eigentum verteidigt. Darum, liebe Genossinnen und Genossen, finde ich es auch so richtig und wichtig, dass ein zentraler Punkt eures Wahlprogramms die Finanzierung der Kommunen ist, damit dort, wo die Menschen leben, auch entschieden werden kann. Im ZDF-Sommerinterview wurde ich von der Moderatorin gefragt, ob denn IE LINKE in der Demokratie angekommen sei. Eine merkwürdige Frage. Aber dieser Frage mal eine Überlegung vorangestellt: Ich frage mich, warum wird diese Frage eigentlich nicht dem Parteivorsitzenden der FDP gestellt. Ist die FDP eigentlich in der Demokratie angekommen? Wir haben ja alle vor nicht allzu langer Zeit gelernt, dass die FDP einen zweiten Namen erhalten hat: Möwenpick-Partei. Den kann man ganz leicht erklären. Nach einer Spende der Möwenpick-Gruppe ist die Mehrwertsteuer für Hotels reduziert worden.

Die FDP bedient also ein ganz kleines Klientel in unserer Gesellschaft sehr wirksam. Das FDP-Motto lautet: Politik wird bei uns nicht mehr gewählt, sondern bestellt. Da haben wir als LINKE ein ganz anderes Demokratieverständnis!

Zurück zu der Frage, ob wir als LINKE in der Demokratie angekommen seien. Ich glaube, wer unseren Programmentwurf liest und wer zur Kenntnis nimmt, dass wir im Bundestag mit einer starken Fraktion vertreten sind, dass wir in 13 von 16 Landtagsparlamenten arbeiten, dass an zwei Landesregierungen beteiligt sind und hoffentlich nach dem 4. September an einer weiteren, nämlich hier in Mecklenburg-Vorpommern, dass wir mit über 6000 Kommunalpolitikern in diesem Land auf demokratische Weise Politik machen, der muss solche Frage nicht stellen.

Aber, liebe Genossinnen und Genossen, die Frage nach der Demokratie beschäftigt uns natürlich alle. Die Frage ist zu stellen: Sind wir in einer vollkommenen Demokratie angekommen, oder gibt es da Defekte. Für mich ist heutzutage einer der größten Defekte der Einfluss von Lobbyisten auf die Politik. Besonders deutlich wurde das beim Bankenrettungsschirm im Wert von 480 Milliarden Euro, der innerhalb einer Woche, nachdem Herr Ackermann Frau Merkel den Gesetzestext in die Feder diktiert hatte, vom Bundestag beschlossen wurde. Und seit dieser Zeit, seit dem Beschluss über den Rettungsschirm, wissen die Banken, dass sie die Staatskasse in Geiselhaft genommen haben. Wir als LINKE, wir wollen, dass die Staatskasse endlich wieder aus der Geiselhaft der Banken befreit wird, liebe Genossinnen und Genossen.

Dass die Banken wieder Gewinne machen und die Gesellschaft auf den Spielschulden der Banken sitzenbleibt, das ist der Macht der Lobbyisten geschuldet.

Die Kanzlerin hat nicht Schaden vom deutschen Volk abgewandt, wie sie es in ihrem Amtseid geschworen hat, sondern sie hat den Lobbisten das Feld kampflos überlassen. Hier wurde Demokratie missbraucht und beschädigt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Demokratie überhaupt nur repariert werden kann, wenn der Einfluss der Lobbyisten auf die Bundesregierung radikal zurückgedrängt wird. Auch die Fraktion DIE LINKE im Bundestag setzt sich seit vielen Jahren dafür ein.

Doch das reicht natürlich nicht. Wir müssen die Eigentumsfrage demokratisch diskutieren. Immer mehr Bereiche des Lebens werden privatisiert: Gesundheit, Wohnen, Verkehr, Wasser, Müllbeseitigung, Stromversorgung etc. Politik wird letztlich überflüssig, wenn öffentliches, wenn sie gesellschaftliches Eigentum verscherbelt. Und darum sage ich auch, eine wichtige Losung der LINKEN ist: Wir wollen endlich unser Eigentum zurück. Privatisierungen sind Enteignungen, und wir wollen nicht, dass die Menschen enteignet werden. Wir wollen, dass die Menschen Eigentum haben, und darum wollen wir das öffentliche Eigentum zurückerobern, liebe Genossinnen und Genossen.

Das Thema, das am häufigsten während meiner Reise durch Mecklenburg-Vorpommern angesprochen wurde, waren die Fragen nach niedrigen Löhnen, fehlenden Arbeitsplätzen und vor allen Dingen Leiharbeit und Zeitarbeit – man kann es auch eine moderne Form der Sklaverei nennen. Viele Menschen sind verzweifelt. Gerade Eltern machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder, wenn diese Leiharbeit, diese Zeitarbeit, diese Sklaverei nicht endlich so gebremst wird, dass niemand mehr auf diese Art ausgebeutet und so in Unsicherheit gehalten werden kann, wie das jetzt der Fall ist. 7,7 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Niedriglohnsektor. Das ist der größte Niedriglohnsektor Europas. Wir haben den Zusammenhang mit Hartz IV herzustellen.

In unserem Land gibt es 1,4 Millionen sogenannte Aufstocker. Das sind Menschen, die gehen arbeiten und müssen trotzdem zum Amt gehen und um Hartz IV betteln. Für mich sind das unhaltbare Zustände, ein Erbe von Rot-Grün und etwas, das von Schwarz-Gelb verschärft fortgesetzt worden ist. Deshalb bleibt eine wichtige Losung unserer Partei: Hartz IV muss endlich weg, denn Hartz IV bedroht nicht nur die Arbeitslosen.

Liebe Genossinnen und Genossen, bei einer Diskussion – ich glaube, es war in Löcknitz – wurde von einer Frau die Meinung vertreten, zehn Euro Mindestlohn, das ist doch eigentlich viel zu wenig, um davon leben zu können. Die Frage ist nicht unberechtigt. Auf eine Anfrage unserer Fraktion im Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung ausgerechnet, welche Rente ein Beschäftigter bekommen würde, der 45 Jahre für zehn Euro die Stunde 38,5 Stunden in der Woche gearbeitet hat. Die Antwort: Die Rente würde unter der Grundsicherung von 650 Euro bleiben. Darum, glaube ich, fragt sich doch jeder: Warum soll ich überhaupt Rentenbeiträge zahlen, wenn er dann als Rentner von der Rentenversicherung gar nichts ausgezahlt bekommt. Häufig wurde ja in unserer Partei diskutiert: Sind zehn Euro nicht zu viel verlangt? Wenn man diesen Zusammenhang betrachtet, dann können wir nur sagen, wir müssen bekräftigen, dass zehn Euro Mindestlohn nur eine Mindestforderung sein kann. Verbünden wir uns und kämpfen wir mit allen Menschen, die das wollen, gemeinsam für einen Mindestlohn.

Wir haben in der letzten Zeit viel vom Aufschwung gehört. Und gerade diejenigen von euch, die auch in ihren Kommunen aktiv sind, haben ja erfahren, dass es angesichts des Aufschwungs nicht mehr nötig sei, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie bisher zu finanzieren. Doch schaut euch mal um. Ich frage euch: Wo ist der Aufschwung wirklich angekommen? Ist es wirklich ein Aufschwung, wenn in einem der reichsten Länder Europas und wenn gerade hier in Mecklenburg-Vorpommern 70 000 Kinder in Armut leben müssen? Ich habe eine andere Vorstellung von Aufschwung, und darum bin ich auch der Auffassung, dass wir in unserem Land die Reichtümer anders verteilen müssen, liebe Genossinnen und Genossen.

Tatsache ist, dass schon seit Jahren eine Umverteilung von unten nach oben läuft, dass wir eine gespaltene Gesellschaft haben, dass die soziale Spaltung immer mehr zunimmt. Und wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen, die den Reichtum erwirtschaftet haben, ihn auch bekommen. Das ist gerecht, das ist demokratisch, das ist unsere Vorstellung von Gerechtigkeit. Ich glaube, jeder von euch kennt Beispiele, wo er sagt: Das können wir nicht mehr ertragen, das wollen wir ändern. Eine Gesellschaft, die ihren Kindern keine Zukunftschancen bietet, ist eine arme Gesellschaft. Wir wollen gemeinsam in einer reichen Gesellschaft leben, liebe Genossinnen und Genossen.

Ich habe bei meinem Besuch hier eine Diskrepanz festgestellt zwischen den Themen, die Bürgerinnen und Bürger ansprachen, und den Themen, die in Gesprächen mit Genossinnen und Genossen im Vordergrund standen. Keine einzige Bürgerin und kein Bürger hat mich nach der Berliner Mauer gefragt. Dafür aber viele Genossinnen und Genossen. Nun ist ja die Frage: Was stellen wir in Wahlkampfzeiten in den Vordergrund? Natürlich war klar, dass in dem Jahr, in dem die Mauer ihren 50. Jahrestag hat, heftige Diskussionen losbrechen würden, dass davon auch vieles nicht an unserer Partei vorbeigehen würde. Aber ich möchte nur an ein, zwei Dinge erinnern, die wir uns vielleicht auch gemeinsam als unser Motto auf die Fahnen schreiben können. Ihr wisst ja, im Jahr 1989 gab es überall im Land viele Demonstrationen, und noch heute schwärmt der eine oder andere davon, wie kreativ die häufig handgemalten Plakate – ich weiß, das war eine andere Zeit, und ich will auch nicht sagen, dass ihr handgemalte Plakate anfertigen sollt – waren. Von diesen Plakaten gibt es Fotos, gibt es Ausstellungen und natürlich die lebendige Erinnerung. Und auf einem dieser Plakate stand 1989: Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg. Ich glaube, das ist ein gutes Motto, dem wir uns auch gut verpflichtet fühlen können. Für uns gilt: Sozialismus braucht Mehrheiten und keine Mauern. Wir wollen gemeinsam die Menschen überzeugen von der Idee des demokratischen Sozialismus. Wir wollen, dass sie sagen: Ja, von eurer Partei, da hören wir interessante Vorschläge. Da können wir mitmachen. Und deshalb sage ich noch einmal, erinnert euch an diesen Spruch von 1989: Stelle dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg.

Liebe Genossinnen und Genossen, meine Bitte an euch ist, die verbleibende Zeit zu nutzen, um unsere Ziele unseren Wählerinnen und Wählern zu erklären. Und wir haben da viel zu erklären. Denn häufig denken wir, weil wir in Versammlungen schon so oft darüber gesprochen haben, jeder wisse im Detail, was wir wollen, und wir sollten uns nicht immer wiederholen. Aber manchmal ist das ein Trugschluss. Und darum müssen wir immer wieder erklären, wie wir einen gesetzlichen Mindestlohn erreichen wollen, wenn die öffentlichen Kassen leer sind und Unternehmen auf dem letzten Loch pfeifen und wirklich nicht mehr Lohn zahlen können. Wie soll das trotzdem funktionieren? Das müssen und können wir erklären. Wir müssen erklären, wie wir gute Arbeitsplätze schaffen wollen, die gut bezahlt werden, denn wir wissen ja, die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben sind nun einmal vernünftige Löhne, und gute Löhne sind auch eine Voraussetzung für eine gute Rente. Wir müssen erklären, wie wir in Anbetracht einer – ich würde sagen als Akt der Provokation – in der letzten Sitzung des Landtages beschlossenen Verfassungsänderung, nämlich der Einführung der Schuldenbremse in die Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern und fehlenden Steuereinnahmen ein so gutes und gerechtes Schulsystem schaffen können, in dem jede Schülerin und jeder Schüler einen Abschluss schafft. Ich finde es zutiefst bedrückend, wie viele Kinder und Jugendliche hier in Mecklenburg-Vorpommern die Schule ohne einen Abschluss verlassen, liebe Genossinnen und Genossen. Wir sind angetreten, das zu verändern, und ich glaube, das ist eine der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Aufgaben. Und wir müssen erklären, und das können wir auch, wie wir – ohne Bundeswehr und NATO – auf friedlichem Wege die Konflikte in dieser Welt lösen wollen. Und ich will euch noch mal ein Kompliment machen für die Aktionen, die ihr hier an vielen Orten am 5. August, am Vorabend des Atombombenabwurfs über Hiroshima und dann Nagasaki, organisiert habt, um darauf hinzuweisen: Ja, Friedenspolitik hat auch etwas mit Landespolitik zu tun, das ist nichts fernab, sondern das ist etwas, wofür auch ihr euch einsetzt. Bleibt weiter dran an dieser Frage, denn sie ist eine zentrale Frage, eine Frage, die jeden Menschen ganz konkret betrifft. Und darum nochmals: Herzlichen Dank für diese Aktionen!

Wir müssen unsere Ziele erklären, weil erstens viele Menschen nicht jedes unsere Ziele und unsere Wege dorthin schon kennen und zweitens – wenn sie beides kennen – noch nicht davon überzeugt sind. Und daran müssen wir arbeiten. Also lasst uns gemeinsam die letzten Wochen bis zur Wahl nutzen, mit möglichst vielen Menschen persönlich zu reden und sie zu ermuntern, zur Wahl zu gehen. Und nutzt das Angebot der Bundestagsfraktion, der Partei, aller Landesverbände und dem Parteivorstand, euch dabei zu unterstützen. Ihr wisst ja, dass Ende August noch einmal eine große Zahl von Genossinnen und Genossen hierherkommen wird und möglichst vieles gemeinsam mit euch auf den Weg bringen will.

Ich bin der festen Überzeugung, eine andere Welt, eine bessere Welt ist machbar, ein sozial gerechtes Mecklenburg-Vorpommern ist nur MIT UNS – wie euer Wahlslogan so richtig heißt – möglich, und darum müssen wir um jede Stimme werben.

Ich wünsche euch und uns gemeinsam dabei viel Erfolg. Ich finde es gut, dass ihr damals auf dem Parteitag Helmut Holter so eindeutig als Spitzenkandidat nominiert habt. Das ist auch ein Zeichen in die Gesellschaft hinein, dass wir als Partei die Wahl wirklich gewinnen wollen. Denn wenn man hinter dem Kandidaten steht, dann muss man das als Partei auch zeigen, und so ein Wahlergebnis innerhalb der Partei ist auch eine gute Basis für ein gutes Landtagswahlergebnis, für ein gutes Ergebnis bei Kommunalwahlen, die wir hier an dieser Stelle nicht vergessen wollen. Darum wünsche ich dem gesamten Team alles Gute, viel Erfolg und dass wir am Abend des 4. September anstoßen können. Hier ist das wahrscheinlich eher mit Rostocker Kümmel üblich – womit auch immer, das ist ja regional ein bisschen unterschiedlich, und jeder hat da seine Vorlieben, man kann sicherlich auch Sanddornlikör nehmen –, aber, liebe Genossinnen und Genossen, Voraussetzung ist erst mal, dass wir etwas zu feiern haben werden. Ich hoffe, wir schaffen es gemeinsam. Wenn wir in Mecklenburg-Vorpommern ein gutes Wahlergebnis haben, dann hat das auch Auswirkungen auf die gesamte Republik. Eine Wahl ist niemals ein lokales Ereignis, sondern immer etwas, was die Bundesrepublik ein bisschen verändern kann. So oder so, und wir wollen natürlich gemeinsam, dass sich die Bundesrepublik mehr nach links verändert.

Vielen Dank!