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Gesine Lötzsch

Der größte Verfassungsschutzskandal der Geschichte der BRD

Statement der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Guten Tag, meine Damen und Herren, ich werde mich zu vier Punkten äußern: erstens zu den braunen Terrornetzwerken in Deutschland, zweitens zur Mindestlohndebatte in der CDU, drittens zum Thema Euro-Krise und den Occupy-Aktionen in Frankfurt am 18. November 2011 und viertens zu den Landesparteitagen unserer Partei in Schleswig-Holstein und im Saarland.

Zum ersten Punkt, zu den brauen Terrornetzwerken in Deutschland: Nach alledem, was wir jetzt erfahren haben, deutet sich hier der größte Verfassungsschutz- und Justizskandal der Nachkriegsgeschichte in Deutschland an. Die Bundesregierung gibt sich nun überrascht von der Brutalität des neofaschistischen Netzwerkes. Aber wenn wir zurückschauen, können wir konstatieren, dass die rechtsextreme Gefahr über Jahre in Deutschland systematisch verharmlost wurde. DIE LINKE ist sowohl im Bundestag als auch in vielen Landtagen engagiert, wenn es darum geht, aufzuklären, anzusprechen, Fragen zu stellen. Wir müssen feststellen, dass die Zahl von rechtsextremen Gewalttaten und Morden von der Bundesregierung systematisch kleingerechnet wurde. Unabhängige Organisationen haben wesentlich höhere Zahlen herausgefunden. Ein Beispiel: Die Bundesregierung gibt 47 Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund seit Anfang der 1990er an. Recherchen von Journalisten ergaben jedoch 140 Opfer rechter Gewalt. DIE LINKE hat mehrfach bei der Bundesregierung nachgefragt, wie es zu dieser Differenz kommt.

Jetzt werden wieder viele Stimmen laut, die ein Verbot der NPD fordern. Ich möchte an die Geschichte des NPD-Verbots erinnern: Das Verbot scheiterte, weil in die Strukturen der NPD V-Leute eingeschleust wurden und dort auch an entscheidenden Stellen gewirkt haben. Rechtsextreme Strukturen wurden nach diesem gescheiterten Verbotsverfahren deutlich gestärkt. Seit dem Jahr 2004 kann die NPD größere Wahlerfolge verzeichnen. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass die Tatsache, dass die NPD nicht verboten wurde, in Teilen der Bevölkerung zu der Auffassung führen kann, die NPD ist eine Partei, die vielleicht doch rechtmäßig ist und auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ich fordere von allen Innenministern in Bund und Ländern, sofort die V-Leute aus den Strukturen der NPD abzuziehen. Wenn wir das, was wir jetzt über diese Untergrundorganisationen wissen, betrachten, drängt sich der Eindruck auf, dass vieles, was neofaschistische Kräfte an Verbrechen in diesem Land treiben, nur dadurch möglich ist, dass sie vom Verfassungsschutz zumindest gedeckt wurden. Die Frage stellt sich, ob nicht allein durch das Agieren des Verfassungsschutzes viele dieser Strukturen überhaupt am Leben erhalten werden. Das ist etwas, was ich absolut für inakzeptabel halte. Der Verfassungsschutz – das sei auch am Rande bemerkt – verschleudert in dieser Neonaziszene unsere Steuergelder. Schon vor Jahren haben Kollegen aus meiner Partei darauf hingewiesen, dass mit Steuergeldern die Neonaziszene mit finanziert wird. Man kann einschätzen, dass die V-Leute in der Neonaziszene die beste Lebensversicherung sowohl für die NPD als auch für die Neonaziszene sind. Der Verfassungsschutz wird zur Gefahr für die Verfassung, wenn die Aktivitäten des Verfassungsschutzes in die völlig falsche Richtung gehen. Auf dem Parteitag der NPD, am vergangenen Wochenende in Neuruppin, ist Holger Apfel als neuer Vorsitzender gewählt worden. Es setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit der Kameradschaftsszene, also auf das Spektrum, von dem jetzt der Terror ausgeht. Unsere Thüringer Landtagsabgeordneten beschäftigen sich seit Jahren u.a. mit dem sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund". Verschiedene Mitglieder der Fraktion DIE LINKE in Thüringen wurden auch von Neonazis in relevanter Weise bedroht, so dass sie zeitweise auch unter Polizeischutz stehen mussten. DIE LINKE fordert, alle V-Leute aus der NPD und den freien Netzwerken abzuziehen. Wir fordern das Verbot der NPD. Ich will auch ganz deutlich sagen, dass die Aufklärung keine Sache der Geheimdienste sein kann. Nicht nur das parlamentarische Kontrollgremium, das in dieser Woche tagen wird, sondern die Öffentlichkeit muss der Ort der Aufklärung sein. Wir haben in der vergangenen Woche in der sogenannten Bereinigungssitzung den Bundeshaushalt 2012 im Haushaltsausschuss vorbereitet. Das Ergebnis ist, und ich will Sie darauf hinweisen, dass mit der Stimmenmehrheit der Regierungskoalition die Gelder zur Unterstützung von Projekten und Programmen gegen Rechtsextremismus gekürzt worden sind – von der ohnehin schon geringen Summe von 29 Millionen auf 27 Millionen. Das sind zwei Millionen weniger. Es ist äußerst schwierig, Fördergelder für diese Projekte gegen Rechtsextremismus zu bekommen. Sie haben wahrscheinlich gelesen, dass Vereine seit diesem Jahr eine Verpflichtungserklärung- die sogenannte Extremismusklausel - abgeben sollen, die die Beantragung der Fördergelder zusätzlich erschwert. Das ist ein Skandal.

DIE LINKE fordert außerdem eine unabhängige Beratungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Es kann nicht sein, dass wir uns in der Beobachtung von Strukturen der NPD auf die Einschätzung des Verfassungsschutzes verlassen sollen. Wir glauben auch, dass die Themen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen verankert werden müssen, um auch in der Schule, in der Jugendarbeit besser in diesem Bereich arbeiten zu können. Wir fordern eine konsequente Verfolgung Rechtsextremer und Wiederholungstäter. Ich will auch einmal darauf hinweisen, wie absurd doch die Situation ist: Antifaschisten wie der Fraktionsvorsitzender der LINKEN in Sachsen, André Hahn, der Thüringer Fraktionsvorsitzende Bodo Ramelow und auch unsere Kollegen aus dem hessischen Landtag, Janine Wissler und Willi van Ooyen, mit der Aufhebung der Immunität entweder bedroht werden oder deren Immunität schon aufgehoben wurde. Menschen, die sich Nazis entgegenstellen, werden verfolgt, und die Nazis konnten und können in unserem Land agieren. Das ist eine Schande für die Bundesrepublik Deutschland. Ich bin der Auffassung, das muss sich sehr schnell ändern. Ich selber werde am Mittwoch dieser Woche Köln besuchen. Ich werde zusammen mit Stadträten der LINKEN die Keupstraße besuchen. Dort wurde im Juni 2004 ein Bombenanschlag verübt, bei dem 22 Menschen schwer verletzt wurden und eine junge Frau ihr ungeborenes Kind verlor. Ich will mit meinem Besuch daran erinnern, wie diese Anschläge politisch bewertet wurden. Es war immer von Einzeltätern die Rede. Es war immer davon die Rede, dass es vielleicht um interne Streitigkeiten in bestimmten Gruppen unserer Gesellschaft gehen könnte, und es wurde ganz schnell immer ein politischer, ein rechtsextremer Hintergrund ausgeschlossen. Damit muss jetzt Schluss sein.

Zweitens zur Mindestlohndebatte in der CDU: Die CDU führt in dieser Woche ihren Parteitag durch. Im Vorfeld dieses Parteitages wurde in der vergangenen Woche im Bundestag die Frage des Mindestlohnes diskutiert. Sie wissen, dass DIE LINKE seit 2005 die Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn erhebt und das auch immer wieder in den Bundestag einbringt. Nun hat die CDU sich ein großes Täuschungsmanöver geleistet. Es wurde über Mindestlöhne gesprochen. Es wurde über Leistung, die sich lohnen soll, gesprochen. Von Frau Merkel stammt der Satz: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Alles das kann man getrost auf den Müllhaufen dessen, was an leeren Versprechungen gegeben wurde, werfen. Niedriglöhne – wir haben im Augenblick in Deutschland einen Niedriglohnsektor mit 7 Millionen Menschen - sind nicht sozial. Das, was die CDU vor dem Parteitag veröffentlicht hat, ist kein Mindestlohn. Tarifliche Dumpinglöhne werden nicht verhindert. Die CDU will zulassen, dass die Menschen, die jetzt schon zum Amt gehen müssen, um aufzustocken, später, wenn sie im Rentenalter sind, wieder gezwungen werden, Sozialhilfe zu beantragen. Wir als LINKE sind der Auffassung, wir brauchen endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wir sind die Mindestlohnpartei in Deutschland, und wir werden solange für den Mindestlohn kämpfen, bis er auch beschlossen ist. Parteitagsreden sind das eine. Beschlüsse des Bundestages und die Umsetzung dieser Beschlüsse sind das andere. Uns geht es um Beschlüsse und die Umsetzung.

Zum dritten Punkt: Wir werden am kommenden Freitag, den 18.11., eine Konferenz in Frankfurt zum Thema:"Vorschläge der LINKEN aus der Euro-Krise durchführen". Wir gehen davon aus, dass die Protestbewegung gegen die Krise einen langen Atem braucht. Wir als LINKE unterstützen die Bewegung der Empörten. Am Freitag laden wir um 18.00 Uhr auf den Opernplatz in Frankfurt zu einer großen Kundgebung ein, um unsere Wege aus der Finanzkrise zu beschreiben. Wir wollen Menschen mitreißen und auffordern, gegen die Allmacht der Banken zu kämpfen.

Vierter und letzter Punkt: Wir hatten in Schleswig-Holstein und im Saarland Landesparteitage mit wichtigen Ergebnissen. In Schleswig-Holstein hat die Landespartei mit 90 Prozent der Delegiertenstimmen ihr Wahlprogramm für die Landtagswahl am 06. Mai 2012 beschlossen. Im Mittelpunkt dieses Programmes stehen soziale Themen. Es geht um Armutsbekämpfung, es geht darum, dass die sozialen Leistungen, die es in Schleswig-Holstein gibt, erhalten bzw. wieder eingeführt werden, wie das Blindengeld, die Finanzierung von Frauenhäusern und die Finanzierung von Arbeiten im sozialen Bereich. Wir wollen in Schleswig-Holstein ein Sozialticket von 15 Euro für Schüler, Senioren und Hartz-IV-Betroffenen sowie Niedrigverdiener erreichen. Ebenso wichtig sind uns das Bildungsthema: "Schule für alle", beitragsfreie Kita und die Finanzierung der Kommunen.

Im Saarland hat die Saar-LINKE den Landesvorstand neu gewählt. Wiedergewählt als Vorsitzender wurde Rolf Linsler, der zum zweiten Mail antrat und sein Ergebnis im Vergleich zur ersten Wahl deutlich verbessert hat. 80,1 Prozent der Delegierten stimmten für ihn. Das sind 15 Prozent mehr als bei der Wahl vor zwei Jahren.

Wir haben uns gerade im Geschäftsführenden Parteivorstand mit den aktuellen Themen befasst, insbesondere mit dem Thema Rechtsextremismus. Wir haben uns darauf verständigt, dass sowohl die Bundestagsfraktion, die Landtagsfraktionen als auch die Vorstände der Partei sehr eng zu diesem Thema zusammenarbeiten werden und müssen. Letzter Satz dazu: Sie haben es sicher aus den Medien bereits erfahren, an eine Geschäftsstelle der LINKEN in Sachsen-Anhalt wurde ein Bekennervideo bzw. DVD dieser Nazi-Terrorzelle geschickt. Ich gehe davon aus, dass man diese DVD nicht an DIE LINKE geschickt hat, damit DIE LINKE die Medien informiert, sondern das war eine klare Kampfansage an unsere Partei. Es ist also eine ständige Aufgabe der LINKEN, sich selber gegen rechtsextreme Bedrohungen zu wehren und in der Gesellschaft gegen Rechtsextreme aufzutreten.

Vielen Dank!