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Klaus Ernst

Das Bankencasino muss geschlossen werden

Statement des Parteivorsitzenden Klaus Ernst auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu fünf Themen möchte ich heute kurz informieren: zur aktuellen Debatte um die Ausweitung des Eurorettungsschirms, zum Umsturz in Tunesien, zur aktuellen Situation der Verhandlungen um Hartz IV, zu den Vorbereitungen unserer Landesverbände auf die Wahlen in Bremen und Berlin sowie natürlich zur Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes.

Ich beginne mit der Diskussion um eine Ausweitung des Eurorettungsschirms. Es wird immer deutlicher, dass die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung nichts anderes waren als Flickschusterei. Es wird deutlich, dass die eigentlichen Ursachen der Eurokrise nicht beseitigt werden. Es wird den Banken nach wie vor erlaubt, die Staatengemeinschaft und die Bürger Europas zur Kasse zu bitten und ihnen auf der Nase herumzutanzen. Die Banken leihen sich zu 1 Prozent Geld bei der Europäischen Zentralbank und verleihen dieses – wie im Dezember – zu 11 Prozent an Griechenland oder zu 8 Prozent an Irland. Das sind die Preise, die die Staatsanleihen dann sozusagen kosten. Damit sind die Banken in der Lage, Renditen zu erzielen, die an Wucherzinsen erinnern. Solange das nicht abgeschafft wird, wird sich der Euro nicht stabilisieren. Europa unternimmt nichts, um diese Spekulationsangriffe gegen einzelne Mitgliedsstaaten zu verhindern.

Der zweite Punkt, der hier zu erwähnen ist, ist folgender: Ich glaube, die europäische Staatengemeinschaft hat immer noch nicht realisiert, dass nur ein Weg aus dieser Krise führt, nämlich das "für einander Einstehen". Das müsste man deutlich sagen und vor allem durch entsprechende Aktivitäten untermauern. Wir schlagen folgende Lösungsansätze vor: Erstens, das Bankenkasino muss bei der Frage der Staatsanleihen geschlossen werden. Die privaten Gläubiger müssen sofort, und nicht irgendwann in der Zukunft, zu einem Forderungsverzicht gezwungen werden. Die Europäische Zentralbank muss direkte Kredite an Euro-Staaten vergeben können. Damit ließe sich vermeiden, dass Geld, welches zu 1 Prozent von den Banken geliehen wurde, zu 11 Prozent oder zu 8 Prozent weiter verliehen wird. Das könnte dazu führen, dass sich die Spekulanten die Finger verbrennen. Das könnte vor allem dazu führen, dass die Staaten zu niedrigen Zinsen das Geld aufnehmen können, das sie brauchen. Damit würden natürlich die Steuerzahler in ganz Europa entlastet werden. So zahlen die Steuerzahler letztendlich zweimal für die Banken, einmal über die Rettung aus Steuergeldern und das zweite Mal über die hohen Zinsen.

Die Europäische Union – das ist der dritte wichtige Punkt – muss so schnell wie möglich zu einer europäischen Wirtschafts- und Sozialunion im eigentlichen Sinne werden. Wir unterstützen die Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung. Wie haben das schon vor einigen Jahren auf unseren Parteitagen diskutiert und aufgestellt. Eine europäische Wirtschaftsregierung ist deshalb notwendig, weil es nicht akzeptabel ist, dass ein Land oder mehrere Länder in Europa eine vollkommen andere Entwicklung nehmen als andere Länder und damit den Euro durch wirtschaftliche Expansion gefährden. Ich komme auf diesen Punkt gleich nochmal zurück.

Wir brauchen in Europa einen Stabilitätspakt. Dieser Stabilitätspakt muss heißen, dass es eine Exportüberschussbremse gibt. Ich sage nochmal deutlich: keine Exportbremse, sondern eine Exportüberschussbremse. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir uns auf das Gesetz für Stabilität und Wachstum, das nach wie vor gilt, besinnen müssen. Das bedeutet auch, dass wir diese Forderung nach ausgeglichenen Außenhandelsbeziehungen, wie sie im Gesetz formuliert ist, in den Mittelpunkt stellen müssen. Wenn wir das nicht tun, dann ist der Euro auf Dauer gefährdet. In welcher Weise? Wenn ein Land sich permanent durch das Absenken der Löhne und Sozialleistungen Vorteile gegenüber einem anderen Land verschafft, dann können kurzfristige Exporterfolge erzielt werden, diese sind aber nicht von Dauer, weil dem anderen Land die eigenen Einnahmen durch die Importe aus Deutschland fehlen. Das muss geändert und ausgeglichen werden. Ansonsten führt das dazu, dass die anderen Länder sich fragen, wie sie mit so einer Situation fertig werden sollen oder – wie in Griechenland und bald auch woanders zu erleben – es werden massiv die Löhne und Sozialleistungen gesenkt. Wir brauchen ausgeglichene Handelsbeziehungen für Deutschland.

Wir stehen am Pranger, weil wir als Bundesrepublik Vorreiter beim Sozialabbau und beim Abbau der Löhne waren. Ich erinnere daran, dass die Reallöhne im Vergleich mit den wichtigsten Industriestaaten dieser Welt in den letzten zehn Jahren um 4,5 Prozent gesunken sind, während sie in anderen Ländern um über 20 Prozent gestiegen sind. Als es noch keinen Euro gab, konnten die Länder zum Ausgleich ihre Währungen abwerten. Da eine Abwertung durch den gemeinsamen Euro nicht mehr möglich ist, wird der Druck steigen, den Euro-Raum entweder zu spalten oder einzelne Länder aus dem Euro-Raum zu entfernen. Deshalb ein gemeinsamer Stabilitätspakt für Europa mit dieser Exportüberschussbremse. Die Exportüberschussbremse regelt, dass innerhalb von vier Jahren ein Ausgleich der Leistungsbilanz durch entsprechende Steigerungen der Exporte vorgenommen werden muss. Wie könnte das funktionieren? Natürlich durch höhere Löhne, natürlich durch höhere Renten, natürlich durch eine Stärkung der Masseneinkommen. Das sind die Voraussetzung für höhere Importe in die Bundesrepublik und damit einen Ausgleich zwischen Exporten und Importen. Um es einfach zu sagen: Man kann Exportweltmeister sein – auch über längere Jahre –, aber dann muss man auch Importweltmeister sein.

Das zweite Thema, das ich ansprechen möchte, ist der Umsturz und Machtwechsel in Tunesien: Der tunesische Diktator ist weg. Das ist zunächst eine gute Nachricht. Jetzt muss die Demokratie in Tunesien eine Chance bekommen. Die Bundesregierung hat bisher keinen Finger für die Menschenrechte in Tunesien gerührt. Dort wurde bisher nach der Maxime gehandelt: Geld stinkt nicht. Die Außenhandelserfolge mit Tunesien wurden gefeiert, aber bei den Menschenrechten wurden beide Augen zugedrückt. Nachblickend kann ich nur sagen, es war ein skandalöser Vorgang, dass Staatsministerin Pieper bei Konsultationen auf Ministerebene im Juni 2010 nur über wirtschaftliche Zusammenarbeit geredet hat und offensichtlich kein Wort über Menschenrechte verloren hat. Deutschland ist mit knapp 9 Prozent der Importe und Exporte drittwichtigster Handelspartner von Tunesien. Allein in den ersten Quartalen des Jahres 2010 stiegen diese Exporte um über 81 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Tunesien ist ein Billiglohnland. Freie Gewerkschaften wurden unterdrückt und Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten. Der Fall Tunesien zeigt, dass die deutsche Außenwirtschaftspolitik auf dem Menschenrechtsauge blind ist. Bisher hatte die Bundesregierung wenig Probleme, mit Diktaturen in der Region über Terrorabwehr, Flüchtlinge und Exporte zu reden – entsprechend hohl klingen die jetzigen Rufe der Bundesregierung nach Demokratie.

Mein drittes Thema sind die Verhandlungen zu Hartz-IV. Die Hoffnung auf eine echte Reform schwindet. Sie schwindet, weil die Politik der Bundesregierung mit zwei Worten beschrieben werden kann: gezielter Verfassungsbruch. Das Urteil vom Frühjahr letzten Jahres findet sich in den Vorlagen der Bundesregierung nicht wieder. Leider ist auch das Verhalten von SPD und Grünen nicht ohne Anlass zur Kritik. Die Hinterzimmerkungeleien und öffentlichen Scheinkämpfe finden nicht im Interesse der Betroffenen statt. Es gibt immer noch keine klare Haltelinie für die Verhandlungen von SPD und Grünen. Es wird keine Zahl genannt, unter die SPD und Grüne bei einer Einigung zu den Hartz-IV-Regelsätzen nicht gehen werden. Offensichtlich ist auch bei der Frage des Mindestlohns nicht mehr klar, ob die SPD ihre Forderung nach einem gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn noch in dieser Konsequenz vertritt. Damit ist durch die taktischen Spielchen von SPD und Grünen alles offen.

Ich will nochmal darauf hinweisen: Wenn es SPD und Grüne in den Verhandlungen beim Mindestlohn umfallen, so ist das eine Fortsetzung des Versagens rot-grüner Regierungspolitik. Das war der größte Fehler in der rot-grünen Lohnpolitik: Wenn schon Hartz-Gesetze, wenn schon Arbeitslosengeld II, dass nicht gleichzeitig eine Schranke nach unten eingezogen wurde und der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde. Dafür hätten sie noch eine Mehrheit gehabt. Offensichtlich wurde das Problem entweder nicht gesehen oder sie waren bereit, so niedrige Löhne zu akzeptieren, wie wir sie nun in der Bundesrepublik haben. In Deutschland arbeiten Leute zwischen zwei oder drei Euro Brutto die Stunde. Die Uhr läuft in diesem Zusammenhang ab: Ab dem 1. Mai 2011 wird der Arbeitsmarkt weitgehend nach Osteuropa geöffnet. Der gesetzliche Mindestlohn ist der einzige Weg, um Lohndumping in großem Ausmaß zu verhindern. Das sehen nicht nur wir so. Aber die Bundesregierung ist in dieser Frage offensichtlich nicht bereit, entsprechend rasch zu handeln. Die Uhr tickt.

Die Gewerkschaften kündigen nun Proteste an. Wir werden uns an diesen Protesten beteiligen, und wir werden dort, wo unsere Genossinnen und Genossen in den Betrieben aktiv sind und dort, wo sie Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind, natürlich mit allem Engagement dazu beitragen, dass die Protestaktionen der Gewerkschaften in diesem Zusammenhang ein Erfolg werden. Im Übrigen, wir möchten dabei auf unsere Forderung des politischen Streiks eingehen: Es wäre ein gutes Zeichen in dieser Republik, wenn wir an einem Tag möglichst viele Menschen während der Arbeitszeit zu Protesten aufrufen, um dagegen zu protestieren, dass wir nach wie vor keinen gesetzlichen Mindestlohn haben, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir ab dem 1. Mai 2011 andere Verhältnisse haben.

Kurz noch zu den bevorstehenden Wahlen: Wir haben am Wochenende in Bremen unsere Landesliste aufgestellt. Es war ein schwieriger Prozess, aber wir haben ihn erfolgreich bewältigt. Wir haben ein gutes Team für unseren Wahlkampf, eine Mischung aus neuen Impulsen, aber auch Leuten, die schon Erfahrung mitbringen. Ich denke, das ist auch eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg unseres Wahlkampfs. Das Wahlziel in Bremen ist natürlich der Wiedereinzug in die dortige Bürgerschaft, und es ist natürlich auch unser Ziel, dass wir gestärkt in dieses Parlament einziehen.

In Berlin wurde Harald Wolf einstimmig vom Landesvorstand als Spitzenkandidat für das Abgeordnetenhaus in Berlin nominiert. Das Spitzenteam ist nominiert. Zu Harald Wolf: Er steht als politischer Praktiker für ein Kernthema der LINKEN. Dieses Kernthema lautet Rekommunalisierung, dafür, dass wichtige Elemente der Daseinsvorsorge, der Versorgung der Bevölkerung, unter kommunaler Verantwortung und nicht unter privater Verantwortung stehen. Die Rekommunalisierung, das Zurückholen von Verantwortung, von Aufgaben in demokratische Verantwortung ist ein Ziel, welches wir anstreben. Wir gehen in Berlin mit deutlichem Gestaltungsanspruch in den Wahlkampf. Wir wollen in Berlin weiter regieren. Im Übrigen, wir können gerade, was Berlin angeht, auf unsere Erfolge verweisen: Erstens, wir haben drei beitragsfreie Kindergartenjahre. Das ist ein wirklich sehr, sehr guter Zustand. Wir haben eine Schulreform mit dem Einstieg in längeres gemeinsames Lernen. Diese Schulreform ist mit unsere Position und unsere Forderung gewesen. Wir haben den Einstieg in den öffentlichen Beschäftigungssektor. Wir haben Studiengebühren verhindert. Wir haben ein Vergabegesetz mit Mindestlohn für öffentliche Aufträge. Wir haben in Berlin einen Zuwachs von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von 114.000 Menschen seit 2001. Also unsere Erfolge können sich sehen lassen. Unser Wahlziel in Berlin ist natürlich, dass wir mit einem guten Ergebnis in das Abgeordnetenhaus einziehen.

Zum Schluss einige Bemerkungen zum Geschäftsführenden Parteivorstand: Wir hatten letzte Woche einen politischen Jahresauftakt. Wir werden am 26. Januar 2011 mit einem gemeinsamen Gespräch des Geschäftsführenden Parteivorstandes mit den Landesvorsitzenden und LandessprecherInnen beraten, in welcher Weise wir nun Schwerpunkte in den ersten Monaten des Jahres setzen. Es wird vor allem ein Thema sein, nämlich, wie dieser Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland ein Aufschwung für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland wird. Das bedeutet: Wir wollen erreichen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch höhere Löhne und entsprechende Regelungen des Arbeitsmarktes an diesem Aufschwung beteiligt werden. Momentan droht die Gefahr, dass dieser Aufschwung wieder an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorbeigeht. Wir haben nach wie vor eine Zunahme von Leiharbeit. 40 Prozent der Menschen unter 25 Jahren haben nur noch befristete Jobs. Die Rentnerinnen und Rentner wurden über längere Zeit nicht mehr am wirtschaftlichen Ergebnis beteiligt. Das wollen wir ändern. Unser zentraler Punkt ist, dass die Menschen am Aufschwung beteiligt werden. Das bedeutet auch eine entsprechende Unterstützung der Gewerkschaften. Das bedeutet auch entsprechende Regelungen am Arbeitsmarkt wie die Einführung des Mindestlohns und die Abschaffung der Lohnsenkungsgesetze. Ein solches Lohnsenkungsgesetz ist zum Beispiel die Leiharbeit oder dass wir keinen gleichen Lohn bei Leiharbeit haben. Zum Aufschwung gehören auch steigende Renten – aktuell gelten dort nach wie vor die Kürzungsfaktoren, und der Großteil der Menschen ist vom Aufschwung abgekoppelt. Bisher – und das ist nochmal ein Rückblick zum letzten Aufschwung – sind selbst im Aufschwung die realen Löhne der Menschen gesunken. Das wollen wir verhindern. Das soll unsere zentrale Klammer für die Wahlkämpfe sein, die wir führen wollen.

Meine Damen und Herren, vielleicht noch zum Schluss, ohne das groß auszuweiten: In der Presse kursieren Zahlen von mehreren 100.000 Euro, die wir zu zahlen hätten, weil der Rechenschaftsbericht der WASG nicht gestimmt hätte. Ich möchte nochmal darauf hinweisen: Es geht dabei um eine Größenordnung von 20.000 Euro, die infrage stehen, wo wir in der Debatte mit der Bundestagsverwaltung sind. Wenn es so sein sollte, dass diese 20.000 Euro tatsächlich im Ergebnis dieser Gespräche mit der Bundestagsverwaltung beanstandet werden, dann wäre das, was die Partei DIE LINKE an Strafe zu zahlen hätte, das Doppelte, also 40.000 Euro. Aber damit ist das Thema dann auch vom Tisch. Im Übrigen geht es natürlich auch dort keinesfalls darum, dass sich irgendjemand bereichert hätte, sondern es geht darum, dass eine Parteispende zum Beispiel verbucht wurde, aber der, der gespendet hat, nicht aufgeführt wurde. Wir haben das damals mit den Wirtschaftsprüfern abgestimmt. Ich war daran nur zweitrangig beteiligt. Das ist vom Wirtschaftsprüfer geprüft worden und auch so eingegangen. Jetzt wird es beanstandet. Selbstverständlich werden wir all das klären. Aber die Zahlen, die da in der Öffentlichkeit kursieren, sind falsch.