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betrieb & gewerkschaft

Klare Kante und offene Tür

Interview mit Romin Khan

Wie schlägt das Thema Rassismus im Betrieb bei Dir auf?

Wir hören vermehrt Berichte von Kolleginnen und Kollegen, dass ihre Herkunft im Zuge rassistisch geprägter Debatten zum Thema gemacht wird - wie gegenüber türkischen Kolleginnen und Kollegen während der Özil-Debatte oder unterschwellig gegenüber schwarzen Kolleginnen und Kollegen in den ganzen Flüchtlingsdebatten. Viele haben den Eindruck, dass sie schnell in den Fokus rassistischer Anfeindungen geraten können, die Hemmschwellen sinken.

Was sind Rezepte, solchen implizit oder explizit geäußerten Ausgrenzungen oder Übergriffigkeiten entgegenzuwirken? Was ist die Rolle von gewerkschaftlich Aktiven im Betrieb?

Erstmal liegt es an jedem Einzelnen, zu widersprechen und das nicht hinzunehmen. Die Frage bleibt, wie ein Klima hergestellt werden kann, dass sowas nicht sagbar ist. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit Betriebsvereinbarungen für partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz, vor allem wenn diese mit einer Diskussion darüber, welche Erfahrungen die Kolleginnen und Kollegen machen, verbunden werden. Wir müssen verstehen, dass die Gesellschaft und jeder Einzelne tief durch rassistische Deutungsmuster geprägt sind, dem medialen Dauerfeuer der letzten Jahre kann sich niemand entziehen. Gewerkschaftliche Strategien des Appellierens an Internationalismus oder Weltoffenheit sind wichtig, aber das muss auch gelebt werden, ansonsten bleiben es schöne Worte ohne Bedeutung im konkreten vorurteilsbewussten Miteinander. Da muss Respekt und Achtung voreinander wieder eingefordert werden, wobei aktive Betriebsrätinnen und Betriebsräte und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter eine wichtige Rolle spielen.

Die Ergebnisse der Hessen-Wahl (20 % der Männer, 10 % der Frauen wählten AfD) zeigen, dass Gewerkschaften nur ein Abbild der Gesellschaft sind und wir hier ein Problem haben. Spiegelt sich das für Dich spürbar in unseren Strukturen wider? Was erwartest Du an Auseinandersetzungen und was sind nötige Umgangsformen damit?

Die Hessenwahl hat endgültig gezeigt, dass die AfD kein Übergangsphänomen ist und von ihr geförderte Denkmuster natürlich auch Einfluss auf die Arbeitswelt haben. Das unterschiedliche Wahlverhalten von Männern und Frauen sollte nochmal unter die Lupe genommen werden. Klar ist, dass das Argument, Grund für das Wahlverhalten sei die Angst um den eigenen Arbeitsplatz durch migrantische Konkurrentinnen und Konkurrenten, angesichts der Realität der meisten Leute, die rechts wählen, nicht hält. Nichtsdestotrotz spielen Gefühle von Austauschbarkeit, fehlender Wertschätzung im Alltag und Arbeitsleben, Kontrollverlust hinsichtlich einer Veränderung der Arbeitswelt vor dem Hintergrund von beispielsweise Digitalisierung oder Stellenabbau bei der Positionierung der Leute eine Rolle. Ich mag in dem Zusammenhang das Schlagwort von klarer Kante und offener Tür. Hansi Urban hat das auf der Demo #unteilbar gut gefasst: Offene Tür heißt nicht, wir tolerieren den Rassismus, aber wir sind offen für diejenigen, die unzufrieden sind und sich wehren wollen - sagen aber auch deutlich, dass die Rechten hier ein Angebot machen, das autoritär und destruktiv ist. Doch wir werden nicht alle erreichen können. Im Kern geht es doch vielen AfD-Wählern darum, sich qua Herkunft oder Hautfarbe vermittelte Privilegien in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft zu erhalten. Rechte Ideologien sind Ideologien der Ungleichheit.

Wir sollten in Diskussion zu den Werten eines vorurteilsbewussten und antirassistischen Miteinanders stehen und diese auch in unseren Strukturen verankern über die Abbildung der im Betrieb vorhandenen Vielfalt und aktiven Ansprache von migrantischen Mitgliedern und Beschäftigten. Wichtig ist meines Erachtens auch, dass wir weiter aufklären über die Inhalte der AfD, ihre Gewerkschafts- und Demokratiefeindlichkeit und die in ihrem Programm vorhandenen Angriffe auf die Beschäftigten. Nicht jeder Betrieb ist gleich, hier gilt es, sich auszuprobieren.

Mein Eindruck ist, dass wir uns in Gewerkschaften als Antwort auf das Erstarken der AfD stark auf die Betonung der sozialen Frage konzentrieren und es immer so eine Tendenz gibt, sich aus verschiedenen Gründen nicht offen und laut zu den rassistischen Positionen der AfD zu äußern. Hintergedanke ist zugespitzt, dass die Bloßstellung, die AfD thematisiere nicht die Nöte der Beschäftigten oder sei demokratiefeindlich, der AfD das Wasser abgräbt.

Das ist unterschiedlich. In der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, dass gesehen wird, dass der Rassismus und die Frauenfeindlichkeit das Bindeglied zwischen den verschiedenen Fraktionen in der AfD ist und benannt werden muss. Chemnitz zeigte vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich sonst nicht so viel damit beschäftigen, dass die AfD bereit ist, mit organisierten Nazis - auch aus dem Umfeld der NSU - auf die Straße zu gehen. Das Andere ist, dass die Gewerkschaften sich bewusst machen müssen, dass sie auch eine große politische Organisation von Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind und dass hier ein Angriff auf die eigene Mitgliedschaft stattfindet. Weil das noch nicht im Bewusstsein angekommen ist, wird viel über andere Themen gesprochen. So wichtig die Aufklärung über das Programm der AfD ist, im Zweifelsfall erreichen wir viele Leute damit nicht und schon überzeugte AfD-Wähler interessiert es nicht. Ich finde es wichtig, aktiv Solidarität und Respekt bei den Fragen "Wie wir leben und hier gemeinsam arbeiten wollen" zu betonen und aufzuzeigen, dass der Rassismus uns nur spaltet. Das hängt natürlich auch davon ab, dass es überhaupt wieder einen stärkeren Aufbruch gibt in gewerkschaftlichen Strukturen. Bei den Beschäftigten ist aus meiner Beobachtung heraus in den letzten Jahren ja eher die Bereitschaft gesunken, auch größere politische Fragen - außerhalb vom betrieblichen Fokus - betrieblich zu diskutieren. Ich finde es eine große Herausforderung, bei der gewerkschaftlichen Erneuerung eine Stärkung des Antirassismus mitzudenken und mit einfließen zu lassen, dass die Zusammensetzung der Klasse sich längst geändert hat und viel migrantischer ist.

Die IG Metall hat die Betriebsratswahlen ausgewertet, Andreas Nolte spricht in seinem Beitrag in unserer Zeitung von 19 Betrieben, in denen rechte Listen gewählt wurden. Hat ver.di eine solche Auswertung auch vorgenommen und wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

Es gab insgesamt ein Aufatmen, weil es nur wenige rechte Listen gab und die Entwicklung nicht vergleichbar ist mit dem Landgewinn der AfD in den Landtagen. Bei ver.di gab es wenig organisierte Vorstöße, und wo es sie gab, wurden sie eher mit juristischen Möglichkeiten im Rahmen der Wahlen gestoppt. Häufig fehlten die nötigen Unterstützerinnen und Unterstützer. Es ist aber davon auszugehen, dass es da neue Anläufe bei den nächsten Wahlen gibt. Die Gefahr besteht eher darin, dass bestehende Betriebsrats- und Vertrauensleutestrukturen ausgehöhlt werden und die Hemmschwelle sinkt, sich deutlicher für die AfD rechts zu positionieren. Hier muss die Auseinandersetzung geführt werden.

Romin Khan ist Referent für Migrationspolitik bei ver.di. Mit ihm sprach Jana Seppelt.