Zum Hauptinhalt springen
betrieb & gewerkschaft

Es geht um das Streikrecht

Gerhard Kupfer

In der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 2014 beschloss die Dauernachtschicht bei Daimler in Bremen spontan nach einer Protestkundgebung, für den Rest der Schicht die Bänder still stehen zu lassen. Vorangegangen waren zahlreiche Protestaktionen und kleinere Streiks. Anlass waren geplante Fremdvergaben, sowie ein scharfes Rationalisierungs- und Flexibilisierungspaket des Vorstands. In den Monaten davor sammelten Kolleginnen und Kollegen rund 5.000 Unterschriften gegen Fremdvergabe und Leiharbeit.

Die Reaktion des Managements auf den Streik der Nachtschicht: Briefe mit einer Abmahnung flatterten unter die Weihnachtsbäume und Beteiligte wurden zu Verhören zitiert. Aber schon recht bald empfingen die Personaler die Kolleginnen und Kollegen bei den Verhören mit dem Spruch: „Ich weiß, es war dunkel, Sie haben ganz hinten gestanden und Sie haben nichts gesehen und gehört.“ Übrig blieben 761 Abmahnungen. Vielen war klar, wie das Kapital reagieren würde. Ein Vertrauensmann sagte auf der Kundgebung: „Sollte es eine Abmahnung geben, können wir zwei Dinge damit machen: Uns den A... damit abwischen oder sie an die Wand hängen und unseren Enkeln den aufrechten Gang beibringen.“ Tosender Beifall.

Rund 500 Abgemahnte legten Widerspruch ein, 30 beschlossen, dagegen zu klagen. Da die IG Metall von Anfang an die Unterstützung und auch den Rechtsschutz für ihre Mitglieder versagte, erklärten sich die Anwälte Heinecke (Hamburg) und Hopmann, Niemerg, Platow (Berlin) bereit, die Klägerinnen und Kläger zu vertreten - einig darin, dass es nicht nur um die Abmahnung, sondern vor allem um das Streikrecht geht. Entgegen dem Grundgesetz, vor allem auch entgegen internationalem Recht (EU-Sozialcharta, ILO), gibt es in der BRD eine sehr restriktive, Jahrzehnte alte Rechtsprechung. Danach darf nur gestreikt werden, wenn eine Gewerkschaft außerhalb der Friedenspflicht dazu aufruft. Wir sind entschlossen, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.

Neben dem juristischen Weg sind auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Diskussion in den Betrieben und in den Gewerkschaften im Kampf gegen Fremdvergabe, Werkverträge und Leiharbeit wichtig. Wir geben uns nicht zufrieden mit dem Schulterzucken von Betriebsräten („Da können wir rechtlich nichts machen.“) und unserer Gewerkschaft, wenn sie sagt, sie will das Verbrechen Leiharbeit regulieren und per Tarifvertrag legalisieren. Solidaritätsschreiben aus aller Welt, von europäischen Gewerkschaften und dem Weltgewerkschaftsbund erreichen uns. Juristenverbände, Gewerkschaftseinheiten, Betriebsräte und Vertrauensleute aus Deutschland senden Grüße und machen Aktionen vor Ford (Köln), BMW (München und Regensburg), verschiedenen Daimler-Werken und zahlreichen anderen Betrieben.

Am 16. Februar 2016 fand die erste Verhandlung im Bremer Arbeitsgericht statt – begleitet von Fernsehen, Funk und Presse. Erwartungsgemäß wurde unser Antrag auf Rücknahme der Abmahnungen abgelehnt. Über unseren zweiten Feststellungantrag, dass der Streik rechtmäßig war, weigerte sich die Richterin zu verhandeln und klammerte sich so an die über 50 Jahre alte Rechtsprechung. Nun geht es in die zweite Instanz.

Kurz vor Ostern hat Daimler die Abmahnungen aus der Akte genommen, was nur der müde Versuch ist, Ruhe zu schaffen, um weitere Angriffe, weitere Fremdvergaben und weitere Leiharbeit durchsetzen zu können.

Gerhard Kupfer ist ehemaliger Betriebsrat und einer der vier Sprecher der Klägerinnen und Kläger