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betrieb & gewerkschaft

Die Zeit ist reif! Sachstand Tarifbewegung Charité 2013

Stephan Gummert

Ein kurzer und unbescheidener Blick zurück

2011 führte die Belegschaft der Charité einen erfolgreichen Streik. Mobilisierung und Streikkonzept brachen mit traditionellem gewerkschaftlichem Vorgehen in der Krankenhauslandschaft. Ein Bruch, der angesichts der herrschenden Arbeitsbedingungen nötig war.

Wir hatten 2011 im Wesentlichen drei Streiksäulen, die zu einem erfolgreichen Fundament für Mobilisierung und Verhandlungserfolge wurden.

  1. Entgelt - Tarifflucht 2004 und ein Erzwingungsstreik zur erneutenTarifbindung 2006, der zu einem Tarifvertrag mit fünf Jahren Laufzeit führte, waren Ursache dafür, dass das Entgeltniveau in der Charité 2010 14 Prozent unter dem Standard öffentlicher Flächentarifverträge lag.
  2. Arbeitsbedingungen - Die wirtschaftlichen Erfolge ließen sich nur begrenzt durch Prozessoptimierungen realisieren. Wo es nur ging, kam es zu Personalabbau und die entsprechenden Leistungssteigerungen wurden buchstäblich auf dem Rücken der Belegschaft organisiert.
  3. Wertschätzung - Fort- und Weiterbildungen, Akademisierung des Berufsbilds und die Übernahme vieler ärztlicher Tätigkeiten führten zu einer ideellen Besserstellung des Pflegedienstes, die sich aber weder materiell noch im Wertschätzungsbereich innerbetrieblich abbildete.

Unser Streikkonzept war schnell, hart und laut. Über die Verweigerung/Rückdelegation ärztlicher Tätigkeiten waren wir in der Lage, dem Pflegedienst ein Bewusstsein seiner Macht zu vermitteln. Unsere Maxime lautete: Wo kein Patient ist, kann auch keiner gefährdet werden, so dass wir auf einen Betten-/Stationsschließungsstreik setzten. Dies stellte einen radikalen Bruch mit tradierten gewerkschaftlichen Notdienstvereinbarungen dar, die sonst eher auf Mindestbesetzungen im Streikgeschehen orientierten. Das Konzept ging auf. Nach einigen Tagen waren 1500 Betten bestreikt. Am zweiten Tag begann die Berliner Krankenhauslandschaft die Folgen des Streiks an der Charité zu spüren, am vierten Tag war ein Eskalationsniveau erreicht, das durch aggressives Bestreiken der Intensivkapazitäten, weitere Folgen für die Notfallversorgung der Stadt gehabt hätte. Die Charité lenkte bei den wesentlichen Forderungen ein.

Ergebnisse und Nichtergebnisse

Mittlerweile verdient ein Großteil der Beschäftigten 12 Prozent mehr als vor dem Streik. Die Tarifmauer bei der Jahressonderzahlung (der Ost-/West-Unterschied) wurde eingerissen. Es gibt in Stufen eine dynamisierte Tarifbindung an den TVöD (VKA) und im Sommer diesen Jahres wird eine Entgelterhöhung von 3 Prozent das Gros der Beschäftigten fast auf das Niveau des öffentlichen Referenztarifs führen. Bei den Arbeitsbedingungen haben wir wenig erreicht, eher nur Feinregulierungen herkömmlicher manteltariflicher Regelungen vornehmen können. Die Laufzeit des Tarifvertrags bis Ende 2016 suggeriert eine Ruhezone für die Charité, die gewerkschaftliche Akteure nun mehr zu durchbrechen versuchen.

Entgelterhöhung zu Lasten der Arbeitsbedingungen

Die Entgelterhöhungen werden von der Charité durch weiteren Personalabbau kompensiert. Dies verschärft nicht nur die ohnehin angespannte Situation in der Patientenversorgung, sondern wird zur organisierten Aufkündigung von Patientensicherheit führen. Die gesetzliche Krankenhausfinanzierung stößt an die Systemgrenze, denn sie kann mangels entsprechender Finanzierung steigender Personal- und Investitionskosten die auf der Erlösseite nötigen Zuwächse nicht generieren.

Höchste Zeit im Sinn der Patientensicherheit und des Gesundheitsschutzes das System nicht nur zu hinterfragen, sondern es schnell zu ändern.

ver.di - Charité ein Pilot?

Seit Jahren läuft eine ver.di-Kampagne zu Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern. Die Kampagne "Der Druck muss Raus!" hätte Chancen eine bundesweite und trägerübergreifende Tarifbewegung zu werden.

Im letzten Sommer versuchte die Charité-Leitung Budgetüberschreitung durch ein radikales Moratorium beim Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Griff zu kriegen. Die Charité ließ dadurch die Hosen runter und gab damit öffentlich zu, nicht mehr genügend eigenes Personal für den laufenden Betrieb vorzuhalten. Der einseitig erklärte Leiharbeitsstopp wurde ohne Kompensation durch eigenes Personal verhängt. Es kam zu absurden Ideen, wie Auszubildende als Lückenbüßer einzusetzen. Das brachte für uns das Fass zum Überlaufen.

Im Juni 2012 forderte ver.di die Charité zu Tarifverhandlungen über Mindestbesetzung, Gesundheitsschutz und Ausbildungsqualität auf.

Ende des letzten Jahres wurden ver.di-seitig Forderungen konkretisiert und es fanden erste Vorgespräche über die mögliche Art und Weise von Verhandlungen statt.

Die Charité lässt in Vorgesprächen Verhandlungsbereitschaft hinsichtlich Ausbildungsqualität erkennen und wäre bereit, auch über Gesundheitsschutz zu reden. All diese Maßnahmen würden jedoch ins Leere laufen, wenn nicht entsprechendes Personal vor Ort wäre.

Ultimatum!

Zum Thema Personalbesetzung verweigert die Charité bisher Verhandlungsbereitschaft. In schriftlichen Stellungnahmen taucht dieses Thema nicht auf oder wird nur im Rahmen einer Verbetrieblichungsstrategie eher bei Personalräten oder in klinikinternen Pilotprojekten angesiedelt.

Die Tarifkommission hat nun die Charité letztmalig und ultimativ zu konkreten Verhandlungsaussagen zum Forderungspaket Personalbemessung aufgefordert. Erhalten wir hier im Februar kein entsprechendes Signal, dann wird ver.di in der Charité einen Erzwingungsstreik führen. Bundesweit wird die Gewerkschaft in Kliniken die aktuelle Personalbemessung evaluieren. An der Charité fehlen etwa 2 bis 3 Vollkräfte pro Station. Wir fordern hier nichts Unmögliches, sondern nur das Personal ein, das uns in den letzten Jahren zu Lasten der Patientensicherheit genommen wurde. Das Mittel des Tarifvertrags liefert uns die Möglichkeit der schnellen Durchsetzung. Allerdings wird es ohne flankierende gesetzliche Maßnahmen keine nachhaltigen Veränderungen in den Krankenhäusern geben. Über die mangelnde Finanzierung gibt es mittlerweile Einigkeit bei allen Akteuren im Gesundheitswesen. Es gilt im Wahljahr nun das Thema so zu positionieren, das wir schnell zu tariflichen oder gesetzlichen Ergebnissen kommen.

Das sind wir unseren Beschäftigten und unseren Patienten schuldig. Merke: Wir sind alle potentielle Patientinnen und Patienten.

Stephan Gummert, Mitglied des Gesamtpersonalrates der Charité und der ver.di-Leitung Charité