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Das Land braucht eine neue Kultur des Alters und des Alterns

Ein Jahr nach der Aktualisierung unserer Seniorenpolitischen Standpunkte - Überlegungen von Helmut Schieferdecker, Sprecher des Bundessprecherrates

Wenn DIE LINKE eine glaubhafte, vorausschauende Seniorenpolitik gestalten will, dann braucht sie nicht nur wirklichkeitsnahe Analysen sondern auch eine stärkere Orientierung an den Forschungsergebnissen der Alterswissenschaften und mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit den gravierenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Ein Halbsatz im Programmentwurf, so richtig er an dieser Stelle auch ist, "Es gibt keinen demographischen Grund für Rentenkürzungen…" wird den Herausforderungen des Phänomens demographischer Wandel völlig unzureichend gerecht.

Während im linken Spektrum, leider auch in unserer Partei, immer noch darüber gestritten wird, ob es sich beim Thema "demographischer Wandel" um neoliberale Meinungsmache oder tatsächlich um ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Thema handelt, ist bereits heute die Mehrzahl der Städte und Gemeinden von den Folgen dieser Veränderungen hart betroffen. Schrumpfende Einwohnerzahlen, immer weniger Kinder, zunehmend mehr alte Menschen, sowie der rasche Anstieg der Anzahl der Hochbetagten, sind mit Anforderungen verbunden, die weit über die Finanzierung der Rentenkassen hinaus gehen.

Eine grobe Interpretation der jüngsten Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes besagt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute von ca. 40 auf über 78 Jahre erhöht hat. Wenn in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der fünfziger und sechziger Jahre das Rentenalter erreichen, wird sich der Zuwachs der über 60-Jährigen noch beschleunigen. Die Zahl der Menschen im hohen Alter, (80 Jahre und mehr) wird sich in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich sogar verdreifachen und die 10 Millionengrenze erreichen. Das ist keine Kaffeesatzleserei, weil die, von denen die Rede ist, bereits am Leben sind.

Die Antworten der neoliberalen Parteien auf die demographischen Veränderungen in der Gesellschaft sind inzwischen zu spüren: Unternehmen werden entlastet, Leistungen der Rentnerinnen und Rentnern gekürzt und immer größere Teile der Daseinsvorsorge privatisiert. Was daraus folgt ist absehbar. Das Versorgungsniveau im Alter wird weiter sinken, die Gefahr der Altersarmut nimmt zu, der Generationenzusammenhalt wird auf unverantwortliche Weise beschädigt und beträchtliche Mittel, die für alte und pflegebedürftige Menschen bestimmt sind, kommen dort nicht mehr an. Dieser Kurs ist völlig ungeeignet, die demographischen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.

Damit die gewollte, ständig höhere Lebenserwartung auch in Würde gelebt werden kann, ist ein Umsteuern in der Seniorenpolitik dringend geboten. Reparaturen an der aktuellen Seniorenpolitik der Regierungsparteien sind schlicht nicht mehr ausreichend. Was unser Land braucht, ist eine neue Kultur des Alters und des Alterns. Die Seniorenarbeitsgemeinschaft hat dazu in ihren "Seniorenpolitischen Standpunkten" Vorschläge unterbreitet und wirbt bei ihren Vorständen und Abgeordneten sowie in anderen Seniorenzusammenschlüssen dafür.

Eine wesentliche Voraussetzung für das Umsteuern in der Altenpolitik ist ein anderes Altersbild in der Gesellschaft, in den Parteien und nicht zuletzt in den Medien. Klischees von der "Greisengesellschaft" oder von "den Alten, die die Zukunft der Jungen auf Mallorca verbrassen", erweisen sich deshalb als zählebig, weil sie politische Interessen der Neoliberalen bedienen. Unser Altenbild geht davon aus, dass auch künftig eine wachsende Zahl von Menschen nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben länger gesund, aktiv und autonom sind. Sie bringen aus der Erwerbszeit ein beachtliches innovatives Potential mit, das für jede Kommune ein wertvoller Schatz sein kann, wenn es ihr gelingt, ihn für das Gemeinwesen produktiv zu machen.

Im Altenbild der LINKEN hat Alter viele Gesichter und steht für einen ganzen Lebensabschnitt, der die Ansprüche und Bedürfnisse im "jungen Alter" (60 bis 80 Jahre), ebenso einschließt wie die im "hohen Alter" (über 80 Jahre). Deshalb darf Alter nicht auf Rente, Pflege und Kosten reduziert werden. Trotz möglicher, altersbedingter Einschränkungen ist für uns höhere Lebenserwartung keine Katastrophe für die Sozialsysteme sondern ein kostbares zivilisatorisches Gut.

Damit ein Leben in Würde auch im hohen Alter kein frommer Wunsch bleibt und hohes Alter für die Betreffenden und die ganze Gesellschaft nicht zur Bürde wird, muss "das Alter" in dieser Gesamtheit verstanden, müssen dafür rechtzeitig die erforderlichen wissenschaftlichen, materiellen, personellen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden. Davon ist unsere Gesellschaft gegenwärtig weit entfernt. Besonders krass zeigt sich das in der Gesundheitsversorgung. "Die jüngste Gesetzgebung im Gesundheitswesen", macht das Kieler Institut für Gesundheits-System-Forschung aufmerksam, "hat nicht einmal im Ansatz eine Orientierung an den Problemen der Gesundheitsversorgung von morgen erkennen lassen."

Einer neuen Kultur des Alters und des Alterns den Weg zu bahnen, setzt den politischen Willen voraus, die damit verbundenen Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und anzunehmen. Im Kern fordert eine neue Alterskultur, langfristig alle Strukturen der Gesellschaft alternsfreundlicher und für das Alter entwicklungspotenter zu gestalten und das meint die Vorschul - und Schulbildung ebenso wie das Erwerbsleben, die Infrastruktur, die Architektur die Dienstleistungen u.v.m. Erforderlich ist, die Solidarität zwischen den Generationen aber auch innerhalb der Altengeneration zu stärken, die Gesundheitspotentiale in allen Lebensphasen zu erhöhen, die Sozialsysteme zukunftssicher zu machen und eine Erwerbsalterskultur zu entwickeln, die einen Übergang ins Rentenalter ohne jede Altersdiskriminierung ermöglicht.

Die Seniorenarbeitsgemeinschaft glaubt nicht, eine bessere Seniorenpolitik machen zu können, als die Vorstände der Partei und ihre Parlamentarier. Aber ihre Mitglieder haben ihnen eines voraus, sie leben das Alter selbst, spüren am eigenen Leibe, wie die Gesetze, die für’s Alter gemacht werden, tatsächlich wirken und wissen aus eigener Erfahrung was das Alter braucht. In soweit sollte es eigentlich keinen Vorstand und keine Fraktion der LINKEN geben, die dieses Potential nicht fördert und insbesondere in der Seniorenpolitik nicht bewusst nutzt.