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Reden und Grußworte

Grußansprache von Oxana Timofeeva

Liebe Genossinnen und Genossen,

vielen Dank, dass ich heute im Namen der russischen Linken zu euch sprechen darf. Ich bin keine Politikerin und weiß nicht, wie man eine offizielle Ansprache hält. Doch mir ist schon klar, welch große Verantwortung ich trage. Nichts ist jetzt wichtiger für uns als internationale Solidarität und Unterstützung.

Am 24. Februar hat die russische Armee die Ukraine überfallen. Seit vier Monaten tobt dort ein Krieg, für den es keine Rechtfertigung gibt. Von diesem nicht erklärten Krieg zeugen Tausende Tote und Millionen Flüchtlinge, Krisen der Sozialsysteme, der Energie- und Lebensmittelversorgung, drohende Hungersnöte und der Zusammenbruch der Kultur.

In den internationalen Medien wird der Putinismus als eine Ausnahmeerscheinung, als Skandal und Unheil dargestellt, das man weder begreifen noch erklären kann. Doch die Geschichte kennt solche Fälle. Das deutsche Volk hat den Faschismus erlebt. Es schien, als sei diese Bedrohung gebannt und werde nie zurückkehren. Doch genau das ist vor unseren Augen geschehen – diesmal in Russland. Deshalb ist es für uns besonders wichtig, mit euch deutschen Genossinnen und Genossen zu sprechen. Wir teilen jetzt eine gemeinsame historische Erfahrung – jene der Tragödie des Faschismus, aber auch von Widerstand und Kampf.

Im Westen gibt es Leute, die Putin bis heute unterstützen. Sie glauben, er kämpft gegen den US-Imperialismus in Gestalt der NATO und will die UdSSR wiederherstellen. Leider haben sie keine Ahnung, was Putins Regime in Wirklichkeit darstellt, in welchem Maß es das Volk und die Arbeiterklasse unseres Landes unterdrückt und erniedrigt. Wichtiger noch: Sie denken nicht an das ukrainische Volk, das nun schon vier Monate lang von der russischen Armee zynisch und gezielt vernichtet wird.

Putins Regime hat nur ein Ziel: um jeden Preis die Macht und die Privilegien einer kleinen Gruppe von Leuten zu sichern, denen alle Ressourcen unseres Landes zur Verfügung stehen. Das Streben nach Ausdehnung der Staatsgrenzen durch Aggression gegen Nachbarländer gehört zur Politik des russischen Raubtierkapitalismus, der sich auf den Handel mit Öl und Gas stützt. Ein Imperialismus kann nicht mit Hilfe eines anderen Imperialismus besiegt werden. Auch ein Waffenstillstand ist unmöglich, denn zu den Bedingungen des Aggressors geschlossen, liefe er auf die Okkupation ukrainischen Territoriums durch russische Truppen hinaus. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, ist ein Sieg der Ukraine. Dafür braucht sie die konsequente Unterstützung anderer Länder, die Unterstützung der Europäischen Union.

Der Krieg in der Ukraine ist eine große Tragödie nicht allein für das ukrainische Volk, sondern auch für Belorussen und Russen. Viele von uns sehen den 24. Februar als einen Punkt, von dem es kein Zurück mehr gibt. Die Zahl der russischen Emigranten ist mit jener der ukrainischen Flüchtlinge durchaus zu vergleichen. Doch der Hauptunterschied besteht darin, dass die Ukrainer vor Krieg und Bomben flüchten, die ihre Städte und Dörfer in Schutt und Asche legen. Viele von ihnen wollen wiederkommen, wenn der Krieg ein Ende hat. Die Russen hingegen fliehen vor Terror, kollektiver Schuld und Scham; sie wollen alle Verbindungen zu Russland kappen, und kaum jemand hat die Absicht zurückzugehen.

Doch es gibt Menschen, die in Russland bleiben und weiterkämpfen – ungeachtet der Gefahr und der Verfolgung durch den russischen Staat. Wir sind zu Fremden im eigenen Land geworden, wo die Mehrheit, eingelullt von der Propaganda, sich um die Staatsmacht schart, deren Reichtum durch Blut, Öl und Gas weiter wächst. Unsere Genossen wandern einer nach dem anderen ins Gefängnis oder sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Aber wir fühlen uns auch als Fremde in Europa und der ganzen Welt, wo man sich wegen unserer Nationalität von uns distanziert.

Als der Krieg begann, wandten sich mehrere Institutionen aus dem Westen von den russischen Antifaschisten und gegen Putin eingestellten Linken ab, darunter auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, mit der wir viele Jahre lang zusammengearbeitet haben. Unterstützung erhalten im Wesentlichen prominente Liberale, die noch bestimmte Ressourcen oder Privilegien besitzen, während vor allem gegen Basisaktivisten und junge Leute vorgegangen wird. Doch wir kämpfen weiter an unserer unsichtbaren Front und treten für die Werte ein, die uns wichtig sind: Feminismus, Antifaschismus, Antiimperialismus und Antikapitalismus. Wir tun das mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir glauben an eine neue Internationale, die diesem Krieg ein Ende setzen wird.

Morgen kehre ich nach Russland zurück, wo es ein Verbrechen ist, diesen Krieg einen Krieg zu nennen. Ich weiß nicht, wie sich die Dinge entwickeln und wie es für mich weitergeht, aber ich werde meinen Genossen und Freunden mit Freude von eurer Solidarität und eurer Unterstützung berichten.

 

Frieden für die Ukraine! Freiheit für Russland!


Videos

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