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Interviews, Länderberichte und andere Texte

Mit den Politischen Thesen, mit dem Prager Appell haben wir eine klare Schwerpunktsetzung

Rede von Lothar Bisky, Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken, zum Abschluss des 2. Kongresses der EL in Prag

Liebe Genossinnen und Genossen, verehrte Gäste, für gewöhnlich sind Europäerinnen und Europäer stolz auf die Entdeckung der Macht des Friedens durch Aristophanes. Nach 1945 wurde seine Komödie weltweit adaptiert, von Leonard Bernstein gar vertont. Bei aller Leidenschaft für die vielfältigen kulturellen Wurzeln unseres Kontinents, bei aller bitteren Erfahrung Europas nach zwei Weltkriegen im letzten Jahrhundert, wir stehen angesichts des neuen Jahrtausends vor einer neuen Herausforderung:

Die Regierenden unsres Kontinents wollen die Verpflichtung zur Aufrüstung in einen Verfassungsrang erheben.

Außerdem: Wir Linken sagen, wir wollen kein US-amerikanisches Raketenschild in Tschechien, in Polen, nirgendwo. Die Europäische Linke wird Kassandra eine Stimme geben müssen: Wir dürfen nicht zulassen, dass die Warnungen vor den trojanischen Pferden der Neuzeit, die Gefahren neuer Kriege, ungehört bleiben.

Europa beruft sich auf die Attische Demokratie und die Aufklärung – wissend – dass das europäische Modell des erwachenden politischen Bürgers historisch ein Privileg der Herrschenden war. Die Anerkennung von Menschenrechten für Bergarbeiter und Frauen bedurfte weitere zwei Jahrtausende an blutigen, an subtilen, an verlustreichen Kämpfen, ehe ihre Rechte zum Gemeingut der politischen Auseinandersetzungen wurden. Das bedeutet nicht einmal, dass sie heute nicht umkämpft und unumstritten sind. Sie müssen täglich neu eingefordert werden.

Noch heute gilt, dass Migrantinnen und Migranten in Menschen mit gültigem Pass und in Menschen ohne Papiere eingeteilt werden. Kein Mensch ist illegal! und doch stehen politische und soziale Rechte von Flüchtlingen im Alltag des aufgeklärten Europas immer von Neuem zur Disposition. Das sollten wir nicht vergessen.

Genossinnen und Genossen, als vor einem Monat die Regierenden Europas in Lissabon tagten, hatte sich auch der Vorstand der europäischen Linken dort getroffen, um unsere Alternativen in den politischen Thesen für Prag zu formulieren, denn eines ist klar geworden. Der Reformvertrag ist der Zukunft unseres Kontinents nicht gewachsen.

In Lissabon haben wir aber auch die Erfahrung gemacht, dass diese Ignoranz der Regierenden die Menschen aufregt und alles andere als kalt lässt.

Mehr als 200.000 waren auf den Strassen. Sie haben gezeigt, dass ihnen Europa nicht gleichgültig ist, dass sie nicht bereit sind, sich auf ein marktradikales Wirtschaftsmodell und Aufrüstungsagenturen festlegen zu lassen.

Viele Menschen wollen nicht, dass Erfahrungen unseres Kontinents mit Füßen getreten werden, auch nicht von den Regierenden.

Ich denke die Verantwortung der Europäischen Linken liegt klar auf der Hand.

Die Kämpfe in Frankreich, in Spanien und anderswo zeigen, dass eine europäische Sozialunion eine Perspektive ist, die die Menschen wollen, die sie mitgestalten wollen.

Noch passiert es, dass sich Autobauer von ein und demselben Konzern in einen Lohndumpingwettbewerb begeben. Doch es beginnt sich die Erfahrung durchzusetzen, dass dabei am Ende alle verlieren. Der Wettbewerb um niedrige Steuern, längere Arbeitszeiten, Rentenkürzung und Dequalifizierung kennt nur einen einzigen Gewinner, das Finanzkapital, das selbst mit dem Verkauf eines ausgeschlachteten Unternehmens noch Rendite macht.

In diesem so genannten Standortwettbewerb werden langjährige Forschungsarbeit, breite Bildungsangebote, wird sozialer Zusammenhalt zerstört. Damit verliert die Politik, schwindet die Fähigkeit der Menschen, die Probleme die vor ihnen liegen, gemeinsam in Angriff zu nehmen und zu lösen. Neofaschisten, Rassisten betreiben auf diesem Humus ihre menschenverachtenden Ideologien. Wir werden ihnen widerstehen.

Genossinnen und Genossen, deshalb ist mir so wichtig, dass wir eine offene plurale Partei der Europäischen Linken sind und uns so weiter entwickeln. Wir können die großen Herausforderungen nur packen, wenn wir zum Beispiel die Erfahrungen von Gewerkschaftern mit den Ideen der freien Softwarebewegung zusammenbringen, wenn wir die sozialen Kämpfe in den Städten und auf dem Land, die freie Forschung und Lehre an den Universitäten gemeinsam mit Friedensbewegungen und Umweltinitiativen verteidigen. Wir brauchen diese unterschiedlichen politischen Erfahrungen, um – wie Fausto Bertinotti sagt, ich zitiere jetzt also einen Klassiker – „am Aufbau einer kritische Masse mitzuwirken“, die mit ihren politischen Alternativen Gehör findet und in die gesellschaftlichen Debatten eingreift.

Ich möchte Fausto an dieser Stelle für sein Engagement und seine Arbeit, aber auch für die theoretischen Anregungen und die Anstrengungen in diese Richtung danken, die er als erster Vorsitzender der EL geleistet hat. Er hat viel Leidenschaft investiert. Danke.

Ich möchte ihm von dieser Stelle aus auch versichern, dass wir eine offene Partei bleiben: Natürlich kenne ich das Prag von Kafka und Neruda. Nach diesem Kongress kenne ich auch das Prag meiner Genossinnen von zwei linken tschechischen Parteien etwas besser, unserer Mitstreiter in der Europäischen Linken. Wir brauchen wirklich keine Angst zu haben, dass es uns an einer Identität für eine alternative Linke fehlen wird. Wenn wir auf dem Pressefest der l’humanité sind oder das Lied der Nelkenrevolution singen, wenn wir Mikis Theodorakis in Athen erleben … so nehmen wir das, was für festliche Begegnungen gilt, gleich als Arbeitsgrundlage der EL mit, nämlich die Identität der Offenheit für andere Erfahrungen, andere Kulturen, andere Lösungsansätze.

Wir haben uns auf dem Weg gemacht, Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt unserer politischen Praxis, zu stellen.

Wir haben mit dem Prager Appell, mit unserem Abschlussdokument Verantwortung übernommen, das gilt für jede, für jeden von unseren 400.000 Mitgliedern, der wir aus mehr als 30 Parteien, aus über 20 Ländern kommen.

Wir sind auch nach Prag gekommen, damit wir unseren eigenen Anspruch nicht vergessen, ost- und westeuropäische Erfahrungen wieder zusammenzubringen. Auch von den Skandinaviern zu lernen und von unseren Mitgliedern vom Mittelneer, von denen wir immer aufs Neue zu erfahren, wie eng die europäische, die arabische und afrikanische Welt zusammengehören.

Wir – die Mitglieder der Partei der Europäische Linken – müssen lernen, unsere Alternativen von Porto bis Prag in die Debatte zu bringen bringen – und dazu haben wir ganz unmittelbar Gelegenheit. Und zwar 2009 sind Europawahlen. Da ist es nicht zu früh, jetzt anzufangen. Wir werden uns auf wenige politische Forderungen konzentrieren, um gemeinsam einen lebendigen Europawahlkampf zu gestalten, um gemeinsam und in Bündnissen jene kritische Masse aufzubauen, die die Koordinaten in Europa wieder nach links verschiebt, statt in der eigenen Zersplitterung die Bedeutungslosigkeit anzusteuern.

Doch lasst mich - an dieser Stelle - denen danken, die unsere Arbeit erleichtert und zum Teil erst möglich gemacht haben. Europa ist und bleibt der Kontinent der Übersetzungen. Unsere Sprachgenies, in den Kabinen, Herzlichen Dank.

Ich möchte auch den tapferen Genossinnen der Redaktionsgruppen, Antragskommissionen, der Statutenkommission, unseren Schatzmeistern und unseren Superorganisatoren aus Tschechien danken.

Ich danke allen Vorstandsmitgliedern und den Engagierten in den Netzwerken, den Organisatoren der Sommerakademie 2007 und denen, die schon die Treffen für 2008 vorbereiten, denen, die unsere Beiträge für das ESF in Malmö koordinieren.

Ich bitte heute alle Mitglieder, den Europawahlkampf ins Visier zu nehmen, und mit unserer Unterschriftenkampagne für Referenden zum Verfassungsvertrag zu beginnen. Noch einmal: Wir – die Europäische Linke . das sind 400.000 Mitglieder, auch sehr engagierte individuelle Mitglieder. Schafft jede und jeder ein oder zwei Unterschriften über die Partei der Europäischen Linken hinaus, dann hätten wir tatsächlich eine große Zahl von Unterschriften erreicht.

Wir kämen damit einer europäischen Debatte über unsere gemeinsame Zukunft ein ganzes Stück näher.

Damit bin ich – bei den letzten Bemerkungen meiner Rede - angekommen, dort, wo wir inhaltlich weitermachen müssen, wo alle Kraft der gemeinsamen Politik hineingehört.

  1. Die Grundlagen eines europäischen Sozialstaates sind ein historisches Potenzial des Kontinents, eine Voraussetzung, um die Fähigkeit zur Kooperation bei der Lösung schwieriger Probleme zu entwickeln. Es muss sich niemand schämen, der soziale Rechte verteidigt.

Die Forderung nach einem europäischen Sozialstaat schließt Beschäftigungspolitik, Strukturwandel, Umweltfragen ein. Laßt mich das an einem Beispiel verdeutlichen. Als Europäische Linke müssen wir auch das Feld der Agrarpolitik tiefer pflügen. Das ist traditionell eine Domäne der konservativen Parteien. Aber die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung und von nachwachsenden Rohstoffen, verbunden mit dem Schutz der Gesundheit, der Natur, der Reproduktion ihre Ressourcen und die Gestaltung der Kulturlandschaft ist ein existenzielles Thema.

Die Adressaten linker Agrarpolitik wären 11 Millionen, in ihrer Wirtschaftskraft äußerst differenzierte Landwirte, alle Menschen, die in den ländlichen Regionen leben und überdies auch noch 445 Millionen Verbraucher. Die Landwirtschaft ist längst in das Blickfeld der weltweit agierenden Kapitalstrategen, in den Sog von Globalisierung und Liberalisierung geraten. Die Linke wird auch hier Alternativen entwickeln und vorschlagen müssen.

  1. Zur europäische Kultur gehört eine umfassende Geschichte der Demokratie, der Aufklärung, der öffentlichen Debatte um die Verfasstheit Europas. Ohne Referenden zum Reformvertrag in allen Ländern, wird das Europa der Bürgerinnen und Bürger Tag für Tag verspielt.

Auch diesen Punkt möchte ich beispielhaft an einem Politikfeld, an der Medienpolitik vertiefen. Das sei mir gestattet, da es die Profession berührt, die ich einmal erlernt habe.

Ein fundamentales Demokratiedefizit besteht in der europäischen Medienpolitik. Diese wird nicht im Europäischen Parlament gemacht, sondern in außerparlamentarischen Verhandlungssystemen und neokorporatistischen Gesprächsrunden. Das ist nicht unbedingt das, was Linke unter dem Außerparlamentarischen verstehen. Hier sind intransparente und informelle Gremien rund um das Kabinett der Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, die über zentrale Fragen von Kommunikation und Information entscheiden. Doch diese Fragen sind für die ganze Gesellschaft wichtig. Ich möchte aus Prag nicht ohne folgenden Hinweis abreisen. Im digitalen Kapitalismus sind die Quellen ökonomischer Produktivität, kultureller Hegemonie und politisch-militärischer Macht in zunehmendem Maße abhängig von der Gewinnung, Speicherung und Verarbeitung von Information und Wissen. Im digitalen Kapitalismus werden Information und Wissensproduktion durch neue technologische, gesellschaftliche und kulturelle Parameter unmittelbar zur Produktivkraft.

Information ist zu einer entscheidenden Ressource geworden. In diesen Bereichen arbeiten viele neue Berufsgruppen. Das betrifft ganz viele Menschen. Da ist zum Industrieproletariat das Informationsproletariat hinzugekommen. IT-Fachleute, Gamedesigner, Kameraleute, Licht- und Tonspezialisten, viele arbeiten unter prekären Bedingungen, stundenweise mit schlechten Verträgen und geringer Bezahlung.

Linke haben hier ein neues Politikfeld.

Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe der europäischen Linken, den Herausforderungen des digitalen Kapitalismus mit eigener Medienkompetenz zu begegnen, Zugang zu Information und Wissen und vernünftige Beschäftigung zu sichern.

Ach von den Schauspielern, einer Nachbarbranche – nicht unähnlich der Politik -, fange ich jetzt nicht noch an, auch da wäre viel zu sagen…

  1. Ich möchte meine Überzeugung noch einmal wiederholen: Die verheerenden Folgen von Wirtschaftsliberalismus und Aufrüstung gehören nicht in einen europäischen Vertrag, sondern in die öffentliche Diskussion, wie man sie endlich überwindet. Die Heiligsprechung des Marktes, die Heiligsprechung des Krieges – dagegen steht die Linke in Europa.

Ein soziales, demokratisches und friedliches Europa zu schaffen – das ist der Dreh- und Angelpunkt, um den herum wir konkrete Alternativen entwickeln. Mit den Thesen, mit dem Prager Appell haben wir eine klare Schwerpunktsetzung.

Genossinnen und Genossen, mir bleibt eines zum Abschied. Ich möchte daran erinnern, dass wir in der kurzen Zeit des Aufbaus der Partei der Europäischen Linken begonnen haben, unsere Traditionen ernst zu nehmen und zu entwickeln. Im Januar ist der Vorstand wieder nach Berlin eingeladen. Wir werden auch 2008 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in der Gedenkstätte der Sozialisten die Ehre erweisen. Und ich möchte daran erinnern, dass wir eine antifaschistische Tradition haben, die wir pflegen müssen.

Dazu lade Euch herzlich nach Berlin ein, unsere Arbeit fortzusetzen.

Danke.