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Corona, Exitdebatte und Verschwörungstheorien

Die Corona-Pandemie, die staatlichen Gegenmaßnahmen und die Wirtschaftskrise verunsichern viele Menschen. Unser Alltag ist vielfach auf den Kopf gestellt. Es wird diskutiert wie Gesundheitsschutz, soziale Gerechtigkeit und demokratische Grundrechte austariert werden können. Das ist nachvollziehbar. Im Namen des Infektionsschutzes wurden zahlreiche Freiheitsrechte eingeschränkt. Oft waren diese Einschränkungen weder rechtsstaatlich ausgewogen noch sozial gerecht. Die LINKE setzt sich deswegen gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen für soziale Interessen, eine solidarische Verteilung der Krisenkosten und demokratische Grundrechte ein.

Doch Kritik am Kurs der Bundesregierung kommt nicht nur aus dem fortschrittlichen Lager. Rechte und Verschwörungstheoretikern versuchen an die Verunsicherung vieler Menschen anzuknüpfen. Im Internet und bei bundesweiten Demonstrationen (wie den "Coronademos" gegen eine vermeintliche "Gesundheitsdiktator"), verbreiten sie Falschnachrichten und versuchen Stimmungsmache an die Stelle von Gesellschaftskritik zu setzen. - Gerne verkaufen sie sich als "wahre Opposition". Doch faktisch stimmen sie mit der Werbung großer Boulevardmedien, Wirtschaftsverbände und von extrem rechten bzw. neoliberalen Parteien wie AfD und FDP, für eine schnelle "Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität" überein. Zugleich sind viele Menschen einfach verunsichert. Als LINKE nehmen wir die Sorgen der Menschen ernst und stellen uns zugleich gegen rechte Hetze und Verschwörungsmärchen - und machen ein fortschrittliches Angebot.

Im Folgenden eine Zusammenstellung wichtiger Fragen und Antworten zur aktuellen Lage, Verschwörungstheorien und linken Alternativen.

Nein, die Bedrohung durch das neuartige Corona-Virus ist nach Aussage der übergroßen Mehrheit medizinischer und epidemologischer Experten real: Es ist hochansteckend, es fehlen wirksame Medikamente sowie eine Grundimmunität in der Bevölkerung und auch wenn die schweren Krankheitsverläufe nur bei einer Minderheit von Infizierten vorkommen, können sie das Gesundheitssystem überfordern. Wohin das führen kann, haben wir nicht nur in Italien, England oder New York gesehen: überforderte Gesundheitssysteme, menschliche Dramen, zehntausende Tote. Und oft trifft es insbesondere arme, alte und kranke Menschen.

Nein, angesichts der Bedrohung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Artikels 2 Absatz 2 des Grundgesetzes) durch das Corona-Virus stehen die aktuellen Einschränkungen - obwohl sie teilweise drastisch sind - auf dem Boden des Grundgesetzes. Parlament und Rechtsstaat sind nicht ausgehebelt. Die Gerichte haben z.B. einige überzogene und pauschale Einschränkungen, etwa der Versammlungsfreiheit, wieder kassiert. Die Meinungsfreiheit ist nicht eingeschränkt - was man u.a. daran erkennen kann, dass ihre vermeintliche Einschränkung bei verschiedenen Veranstaltung lautstark beklagt wird. Auch die wissenschaftliche Debatte wird nicht zensiert: sowohl die Diskussion über die sogenannten Heinsberg-Studie der Bonner Universitätsklinik wie über die Gefährlichkeit von Corona im Vergleich zur klassischen Grippe waren Gegenstand großflächiger Berichterstattung in den Medien.

Rechtliche Grundlage für die aktuellen Maßnahmen, mit denen die Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden soll, ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Im Fall einer Pandemie ermöglicht es, Grundrechte teilweise weitreichend einzuschränken. Diese Einschränkungen müssen allerdings verhältnismäßig sein. Im IfSG ist geregelt, welche Krankheiten meldepflichtig sind - und damit zu den Krankheiten zählen, zu deren Bekämpfung der Staat besondere Maßnahmen ergreifen kann (§§ 6, 7 IfSG). Seit einer Verordnung vom Februar 2020 sind sowohl die Krankheit COVID-19 als auch der neuartige Coronavirus als Krankheitserreger meldepflichtig. Gibt es Infektionen, müssen die zuständigen Behörden gemäß §§ 28-31 IfSG alle notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen - soweit und solange das erforderlich ist, um eine Verbreitung zu verhindern. Dazu gehört die Quarantäne. Zudem haben die Bundesländer nach § 32 IfSG die Möglichkeit, eigene Rechtsverordnungen mit weiteren Ge- und Verboten zu erlassen. Da es die Bundesländer für wichtig hielten, möglichst einheitliche Maßnahmen zu treffen, gibt es mittlerweile mehrere Bund-Länder-Vereinbarungen. Da damit allerdings keine Einheitlichkeit der Maßnahmen erreicht wurde, hat die Bundesregierung im April 2021 das Infektionsschutzgesetz mit ihrer Mehrheit im Bundestag nochmal verschärft.

Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist naturgemäß schwierig, muss immer wieder neu beantwortet und wachsam begleitet werden - gerade was ihre zeitliche Befristung angeht. DIE LINKE schaut hier genau hin und hat, z.B. wegen der fehlenden Maßnahmen für  mehr Gesundheitsschutz in der Wirtschaft und sozialen Ausgleich sowie den unverhältnismäßigen Einschränkungen Zulasten des Lebens außerhalb der Arbeit, im Bundestag gegen das neue Infektionsschutzgesetz gestimmt. Auch Ausgangssperren lehnt DIE LINKE ab. Ein Teil der Behauptungen über das Gesetz ist aber einfach Quatsch - ein Impfzwang oder Ähnliches steht dort nicht drin.

Nein. Der Unmut über die Corona-Politik ist nachvollziehbar. Denn die Einschränkungen haben tatsächlich einen Klassencharakter – sie treffen Niedrigverdiener und Kleinunternehmer härter und stellen beispielsweise Alleinerziehende oder Menschen in kleinen Wohnungen vor große Herausforderungen. Und von der Regierung wird viel zu wenig gegengesteuert: Während die Konzerne mit hunderten Milliarden stabilisiert werden, gibt es kaum Extraausgaben für Menschen mit wenig Geld. Dafür werden Unternehmen für die Zeit der Kurzarbeit sämtliche Sozialabgaben erstattet. Teilweise wurde der Infektionsschutz sogar als Vorwand genutzt, um politischen Protest und demokratische Grundrechte einzuschränken oder arbeitsrechtliche Standards wie den 8-Stunden-Tag auszuhebeln. Immer wieder lässt sich feststellen, dass die Corona-Krise zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen oder autoritärer Befugnisse instrumentalisiert wird. Mit Infektionsschutz hat das wenig zu tun. Das gefährdet die Akzeptanz der nötigen Maßnahmen insgesamt. Deswegen müssen die Einschränkungen ständig überprüft, unabhängig bewertet und angepasst werden. Die LINKE passt hier genau auf.

Ziemlich riskant. Denn faktisch folgen die Maßnahmen der Bundesregierung der "Flatten the Curve"-Strategie, die nur auf ein Abflachen der Infektionen zielt. Ein „Abkippen“ dieser flexiblen Krisenstrategie in immer neue Wellen (und Lockdowns) ist leicht möglich. Mehr noch: Einiges deutet darauf hin, dass der Gesundheitsschutz in der Abwägung gegenüber kurzfristigen Profitinteressen letztlich doch den Kürzeren ziehen: z.B. die fortgesetzte Weigerung, den Arbeitsschutz, etwa bei Konzernen wie Amazon, konsequent durchzusetzen - und im Zweifelsfall auch die Produktionsbetriebe runter zu fahren. Das erhöht auch das Risiko von Mutationen, die den Impfschutz umgehen können.

Aber hallo! DIE LINKE kämpft für demokratische Grundrechte und soziale Gerechtigkeit bei der Gestaltung aller Maßnahmen. In den Landesregierungen von Berlin und Thüringen haben wir mit dafür gesorgt, dass überzogene und diskriminierende Regelungen zurückgenommen wurden. Zudem wurde in Berlin ein spezielles Zuschuss-Programm für Solo-Selbstständige und Freiberufler*innen aufgelegt. Im Bundestag hinterfragen wir Einschränkungen an Bürger- und Freiheitsrechten hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Wirkungen - und setzen eigene Vorschläge dagegen. Oft mit Erfolg: Ohne uns gäbe es weder die Aussetzung der Sanktionen bei Hartz IV, noch die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Im Bundestag haben wir erfolgreich gegen einen bürgerrechtlich bedenklichen Immunitätsausweis und pauschale Einschränkungen der Versammlungsfreiheit gekämpft. Wir überlassen den Infektionsschutz nicht der Polizei. Wir lassen nicht zu, dass die Corona-Krise für einen weiteren Abbau von Sozialstaat, Demokratie und Grundrechten benutzt wird. Und wir bleiben dran.

Es braucht immer noch ein Kurzarbeitergeld von 90 Prozent; ein Corona-Überbrückungsgeld für alle deren Einkommen wegbrechen; einen 200-Euro-Corona-Aufschlag - dauerhaft - auf alle Sozialleistungen und ein Corona-Elterngeld für alle, die wegen der geschlossenen Kitas und Schulen nur eingeschränkt ihrer Erwerbsarbeit nachgehen können. Zu diesem sozialen Schutzschirm gehört auch eine Politik für jene, die besonders betroffenen sind. So sollte muss bundesweit die Notbetreuung geöffnet werden für Kinder von Alleinerziehenden. Mehr Schutzräume müssen geschaffen werden für Menschen, die vor häuslicher Gewalt fliehen. Zudem gilt es, in Pflegeheimen gelegentliche Besuche unter Einhaltung des Infektionsschutzes zu ermöglichen. Außerdem fordern wir 500 Euro mehr Grundgehalt für alle in der Pflege als dauerhafte Sofortmaßnahme. Und es muss sofort in die Krankenhäuser investiert werden um den Investitionsstau von 30 Mrd. Euro der letzten Jahre schnell zu beheben. Zudem braucht es einen Schutzschirm für die Demokratie: Wir fordern von Bund und Ländern, dass alle Verordnungen geändert werden, die ein pauschales Verbot von Versammlungen nach Artikel 8 Grundgesetz beinhalten.

Die Reichen. Es gibt in Deutschland über 1,3 Millionen Millionäre und 126 Milliardäre. Die Zahl ist imvergangenen Jahr sogar gestiegen. Und sie sind steuerlich immer wieder entlastet worden. Diese Menschen können sich einen höheren Beitrag locker leisten – im Unterschied zu den Verkäuferinnen, Reinigungskräften und Kellnerinnen, die jetzt häufig mit 60% des Mindestlohns als Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld auskommen müssen. Wir fordern zur gerechten Finanzierung der Krisenkosten eine Vermögensabgabe von 5% auf alle Vermögen ab 2 Millionen Euro erhoben. Die Vermögensteuer muss wieder in Kraft gesetzt werden: 5% auf alle Vermögen oberhalb von 1 Millionen Euro. Schluss mit Schuldenbremse und Schwarzer Null. Nicht nur im Krisenfall sind das keine geeigneten Orientierungen für Haushalt, Ausgaben und Investitionen in der Gesellschaft. Und nicht zuletzt: Die Einkommensteuer muss so umgestaltet werden, dass der Freibetrag erhöht wird - die Besteuerung von hohen und Höchsteinkommen wollen wir endlich verschärfen.

Wenig. Anstatt einer Kritik des teilweisen Missbrauchs von Corona durch Konzerne und Regierung und der sozialen Schieflage in der Krisenpolitik wird hier Stimmungsmache betrieben, die mindestens anschlussfähig nach rechtsaußen ist. An vielen Orten bundesweit, sind die Mobilisierung bereits klar von Rechten dominiert. Das ist kein Zufall: Gesellschaftliche Macht- und Ausbeutungsverhältnisse werden hier systematisch finsteren Verschwörungen zugeschrieben - wodurch das Wirtschaftssystem insgesamt entlastet wird. Als wäre die Pharmaindustrie im Kapitalismus nur problematisch aufgrund einzelner Akteure, wie dem häufig thematisierten Milliardär Bill Gates.

Natürlich. Aber eigentlich ist den Corona-Rebellen immer schon klar, was raus kommen darf: Einzelne Bösewichte sollen schuld sein. Je mehr aber über das vermeintlich allmächtige Wirken einzelner Sündenböcke geschimpft wird, umso weniger muss man an den politischen und sozialen Verhältnissen, etwa im Gesundheitssektor, der Pharmaindustrie oder der fortgesetzten Umweltzerstörung insgesamt etwas ändern. Anstatt sich gemeinsam für eine bessere Welt zu engagieren, tritt dann nur all zu schnell die Suche nach Heilsbringern und Sündenböcken. Die tatsächlich problematischen Aspekte der aktuellen Krisenpolitik spielen bei den "Corona-Demos" hingegen kaum eine Rolle: Nicht kritisiert werden etwa die Einschränkungen des Asylrechts, die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes oder der katastrophale Gesundheitsschutz für eingeflogene Erntehelfer - alles Maßnahmen, für die es tatsächlich keine vernünftigen Begründungen mit dem Infektionsschutzes gibt.

Zugleich blenden die "Corona-Rebellen" aus, dass es sowohl eine linke Kritik an vielen Maßnahmen und linke Alternativen zur Regierungspolitik gibt, wie dass es bundesweit und international vor allem Neoliberale und Rechtspopulisten sind, die (privatwirtschaftliche) "Freiheiten" über den Gesundheitsschutz stellen. Auch die Kampagne der größten Boulevardzeitung des Landes für eine baldige Rückkehr zur (wirtschaftlichen) Normalität ignorieren sie.

Kein Wunder: Dann würde die Selbststilisierung zur "einzig wahren Opposition" nicht mehr aufgehen.

Ja, viel zu oft. Aber das ist nicht das Ergebnis einer Verschwörung. Und dass die Bundesregierung unter den Bedingungen des weltweiten Kapitalismus keine Politik für Humanität und Menschlichkeit betreibt, ist auch kein Geheimnis. Um das zu wissen braucht man keine Verschwörung aufzudecken - den Wirtschaftsteil von Zeitungen zu lesen, reicht. So zu tun, als wären Interessenkonflikte nicht das Ergebnis unserer Eigentumsordnung, sondern ein Effekte des Wirkens finsterer Verschwörungen, ist dagegen bestenfalls Unsinn. Schlimmstenfalls ist es rechte Propaganda, die einzelne Sündenböcke anbietet, wo gesellschaftliche Verhältnisse verändert werden müssen. Auch wird damit ignoriert, dass sich die Kämpfe sozialer Bewegungen, wie der ArbeiterInnen- und der Umweltbewegung, in unsere Demokratie eingeschrieben haben. Sie und ihre Institutionen stehen uns daher nicht einfach feindlich gegenüber - wir sollten um sie kämpfen.

Derzeit kursieren viele Beiträge und Videos im Internet, die Zusammenhänge zwischen der Bill und Melinda Gates Stiftung, der WHO und der Coronapandemie in den Blick nehmen, darunter viele, die mit falschen Behauptungen Verschwörungsmythen verbreiten. Fakt ist: es gibt berechtigte Kritik an der Finanzierung der WHO. Mit einem Spendenanteil von 9,76 Prozent am Gesamtbudget der WHO ist die Bill und Melinda Gates Stiftung nach den USA (Stand 2019) der zweitgrößte Geldgeber. Weil der ehemalige US-Präsident Trump die Zahlungen an die WHO, wegen deren  angeblich zu China-freundlichen Haltung einstellte, bot Bill Gates an, den Spendenanteil seiner Stiftung zu erhöhen.

Aber: Weder „kontrolliert“ Gates damit die WHO, noch ist die relative Abhängigkeit von Stiftungen und Einzelspendern Ergebnis einer Verschwörung. Es ist viel banaler: Die Staaten zahlen viel zu wenig für eine globale Gesundheitspolitik. Schon 1993 sind die Pflichtanteile der Mitgliedsstaaten an der Finanzierung der WHO eingefroren worden. Die meisten Projekte werden daher durch zusätzliche freiwillige Beiträge von Regierungen und privaten Spenden finanziert. Das Problem dabei: Wer das Geld gibt, entscheidet mit, welche Projekte finanziert werden. Besonders attraktiv für private Spender und Stiftungen sind Maßnahmen, die kurzfristige sichtbare Ergebnisse liefern. Langfristige und grundsätzliche Vorhaben wie Umstrukturierungen im Gesundheitssystem finden wenig Unterstützung. DAS gefährdet die Unabhängigkeit der WHO. 

Als LINKE setzen wir uns dafür ein, dass die globale Pandemie auch global solidarisch bekämpft wird, und ärmere Länder unterstützt werden. Eine starke Finanzierung durch die Mitgliedsstaaten und strengere Regeln zur Unterbindung von Einflussnahme sind wichtig, um die Unabhängigkeit der WHO wieder zu stärken. Es muss sichergestellt werden, dass die Entwicklung von Medikamenten und eines Impfstoffes allen zu Gute kommt, und nicht mehr den Interessen einzelner Pharmaunternehmen untergeordnet wird.