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Feminismus für die 99%

Die neue Regierung will fortschrittlich, liberal und feministisch erscheinen. Wir haben Zweifel. Wir freuen uns über einige dringend überfällige Verbesserungen. Aber auf den zweiten Blick wird an vielen Stellen deutlich: Die Regierung denkt nicht an alle, wenn sie verspricht, das Leben von Frauen zu verbessern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Subventionierung der haushaltsnahen Dienstleistungen. Ein Zuschuss von 40% soll Familien entlasten, die sich Hilfe beim Putzen, Kochen oder Pflegen von Angehörigen holen wollen. Nur – wer kann sich die übrigen 60% überhaupt leisten? Prekär Beschäftigte, Arbeitslose, viele Alleinerziehende bestimmt nicht. Und wer soll diese Arbeit dann tun? Natürlich werden das weit überwiegend Frauen sein: Über deren Arbeitsbedingungen und Lohn steht nichts im Koalitionsvertrag.

Der Gedanke, allein die Bezahlung der Haus-, Sorge- und Pflegearbeit sei die Lösung, ist ein Irrweg. Vom Ampel-Feminismus werden Frauen profitieren, die es sich finanziell leisten können, indem sie die Arbeitskraft ärmerer, oft migrantischer Frauen nutzen. Entlastung gibt es für die, die es sich leisten können und nicht für die Alleinerziehende mit zwei Jobs und nicht für die ALG II - Bezieherin. Aufgabe der Linken ist es, diese Nebelkerze als das zu benennen, was sie ist – ein Projekt für die Besserverdienenden.

Die LINKE will eine Politik, die im Hier und Jetzt die Lebensbedingungen von allen Frauen merklich verbessert und sie konsequent vor körperlicher und ökonomischer Gewalt schützt. Dazu muss die soziale Frage und die Situation arbeitender Frauen in den Mittelpunkt feministischer Politik von links gerückt werden.

Wir kämpfen für das Ende von prekären Arbeitsverhältnissen, für die Stärkung der Tarifbindung besonders in frauendominierten Berufen und den Ausbau von Kitas und einer voll finanzierten Pflegeinfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Gewerkschaften, Elternverbände und Selbstorganisationen von Beschäftigten fordern die Rückführung von Gesundheits-, Pflege- und Bildungseinrichtungen in die öffentliche Hand. Stattdessen lässt die neoliberale Handschrift des Koalitionsvertrags mehr Privatisierungen befürchten. Wir sagen: Es ist absurd die Grundbedingung unseres Lebens, Sorgearbeit, noch weiter als bisher der Profitlogik zu unterstellen.

Die Situation von Frauen, die jetzt schon mit schlechten Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben, bleibt gleichbleibend unbefriedigend: Sachgrundlose Befristung, Arbeit auf Abruf und Leiharbeit bleiben bestehen. Mini- und Midijobs werden sogar ausgebaut, indem die Verdienstgrenze auf 520 Euro angehoben wird. Für Unternehmen bedeutet das eine deutliche Entlastung, während es für noch mehr Beschäftigte Existenzunsicherheit und Altersarmut befürchten lässt. Arbeitszeiten können noch weiter flexibilisiert werden. 

Im Bereich der reproduktiven Gesundheit ist die geplante Streichung des § 219a StGB das Projekt, mit dem die Ampel sich profilieren will. Der viel substanziellere § 218 StGB wird jedoch ausgeklammert und in eine Kommission verschoben, statt klare Kante zu zeigen.

Wir fordern, dass der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird und ein Gesetz geschaffen wird, in dem Frauen einen Anspruch auf einen selbstbestimmten, sicheren und kostenlosen Abbruch haben. Dafür muss nicht nur das StGB geändert werden. Schwangerschaftsabbrüche müssen Teil der der universitären Lehrpläne werden. Lücken in der flächendeckenden Versorgung müssen geschlossen werden: Es darf nicht sein, dass Frauen bis zur nächsten Beratungsstelle oder der nächsten Praxis, die Abbrüche durchführt, stundenlang fahren müssen. Beratung darf kein Zwang sein, sondern muss im Sinne der betroffenen Frauen bei Bedarf zur Verfügung stehen.

Doch Reproduktive Gerechtigkeit bedeutet auch, dass Verhütungsmittel vollständig von den Krankenkassen erstattet werden. Außerdem brauchen wir Forschung für bessere Verhütungsmittel, die Frauen nicht tiefgreifende Nebenwirkungen zumuten, und für Verhütungsmittel für Männer.

Wenn Frauen sich für eine Schwangerschaft entscheiden, müssen sie gut versorgt werden – in der Schwangerschaft, während der Geburt und darüber hinaus. Dazu braucht es ausreichend Hebammen, die ihren Job gerne machen, weil er sie nicht in den finanziellen Ruin treibt. Diese Maßnahmen sind es, die körperliche Selbstbestimmung sozial gestalten.

Die Vorhaben der Ampel im Bereich Gewaltschutz lesen sich vielversprechend, Erfassung von Kriminalität wird um die Kriterien Geschlecht und Sexualität erweitert, die Istanbul-Konvention soll umgesetzt werden – das klingt gut. Doch die Umsetzung wird der Knackpunkt, denn flächendeckende Versorgung mit Beratungsangeboten, Schutzräumen und Frauenhäusern sowie gut bezahltem Fachpersonal.

Das Problem der Finanzierung zieht sich durch den gesamten Koalitionsvertrag. Für uns ist der (neo)liberale Feminismus keine Option. Feminismus heißt immer auch, die soziale Frage zu stellen. Aufzuzeigen, wie Patriarchat und Kapitalismus voneinander profitieren ist unsere Aufgabe. Wir werden uns nicht mit schönen Worten zufriedenstellen lassen.

Fortschritte bietet die Ampel insbesondere denjenigen, die jetzt schon sozial sicher leben können. Bei Mieten, unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und der ungerechten Verteilung von Geld, Zeit und Sorgearbeit tut sich hingegen wenig. Gerade wegen der enormen Kluft zwischen Fortschritt durch feministische Liberalisierungen und dem Stillstand in den prekären Lebensbedingungen des ärmeren Drittels der Bevölkerung, wird die rechte Kritik an der Koalition auf eine soziale Basis stoßen. CDU, AfD und andere antifeministische Gruppen werden die Regierung immer wieder für ihren vermeintlich zu weit gehenden Feminismus angreifen. Als einzige soziale Opposition können und müssen wir auch im Bereich der feministischen Politik von links Druck machen – mit einem sozialistischen Feminismus für die 99%.

Daraus ergibt sich für uns, folgende Bereiche in der kommenden Zeit in den Fokus zu rücken:

 

Arbeit, Zeit, Geld:

  • Sogenannte Frauenberufe personell und finanziell aufwerten: Wir unterstützen die angekündigten Streiks in den Sozial- und Erziehungsberufen!
  • Politischer Kampf gegen Mini- und Midijobs, Sachgrundlose Befristung, Leiharbeit und Arbeit auf Abruf, für Stärkung der Tarifbindung, für ein Recht auf eine Vollzeitstelle
  • Ausbau flächendeckender Betreuungsangebote
  • Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit
  • Unterstützungsangebote durch eine echte Kindergrundsicherung statt Haushaltshilfenfinanzierung

Gewaltschutz

  • Regierung in die Pflicht nehmen: Ausfinanzierte Hilfesysteme, bessere Prävention und Erfüllung der Istanbulkonvention statt unsozialer Eigenverantwortung gewaltbetroffener Frauen
  • Herausforderungen digitaler Gewalt gegen Frauen in den Fokus nehmen und bekämpfen

Reproduktive Gerechtigkeit

  • § 218 StGB aus dem Strafgesetzbuch streichen
  • Flächendeckende Versorgung mit Beratung und Schwangerschaftsabbrüchen – kostenlos und diskriminierungsfrei!
  • Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und jungen Familien verbessern
  • kostenlose Verhütung für alle sowie Gelder für die Erforschung neuer Verhütungsmittel, speziell auch für Männer