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Kasia Wappa

Kurzbeschreibung des Projektes

Spätestens im August 2021 wurde offensichtlich, was der belarusische Diktator Alexander Lukaschenko plante: Die Instrumentalisieurng von Schutzsuchenden um seine Interessen gegenüber der EU durchzusetzen. Er versprach fliehenden Menschen einen schnellen und sicheren Weg in die Europäische Union, ließ unkompliziert Visa verteilen und Flüge nach Minsk organisieren. Tausende machten sich in ihrer Not auf den Weg und landeten im Winter 2021/22 zwischen belarusischen und polnischen Polizeieinheiten entlang der Grenze zwischen Polen und Belarus. Die polnische Regierung erklärte das Grenzgebiet zur Sperrzone, behauptete eine Notlage und ließ weder humanitäre Nothilfeorganisationen noch medizinisches Personal oder unabhängige Presseberichterstatter:innen passieren. Von NGOs ganz zu schweigen. Diese "Notlage" ist die politische Erzählung der Rechten – nicht nur in Polen- und sie dient als Legitimation für die Aussetzung von Menschenrechten, EU-Recht und Pressefreiheit im Grenzgebiet und den Ausnahmezustand, dem die ca. 200 000 Menschen, die in diesem Gebiet wohnen und leben, ausgeliefert sind. 
Genau dagegen stehen zahlreiche Menschen in ganz Polen ein. Insbesondere an der nun errichteten Sperrzone zu Belarus werden Menschen aktiv. "Wir haben keine Wahl. Es gibt keine Entscheidung zwischen entweder in den Wald zu gehen oder Menschen zu retten." erzählt eine Anwohnerin der #nobordersdelegation verschiedener LINKE-Parlamentarierinnen, die im Januar 2022 nach Warschau und ins Grenzgebiet reiste, um sich vor Ort zu informieren (https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161049.gefluechtete-in-polen-grenzen-der-entmenschlichung.html?sstr=Wappa

In so genannten Interventions brechen Anwohner:innen entlang der Sperrzone und Grenze auf und versorgen Schutzsuchende mit dem Notwendigsten. Sicheres Geleit durch den Wald wird mittels Telefonaten und Messengern gewährleistet. Auch mit Autos sind die Anwohner:innen im Wald unterwegs. Eine Aktivistin berichtet: "Anfangs dachten wir, wir beraten. Inzwischen haben wir festgestellt: wir retten Menschenleben."

Eine gefährliche Angelegenheit, drohen doch Geldstrafen, Hausdurchsuchungen, schlussendlich Verhaftungen. All diese Repressionen mussten die Anwohner:innen spätestens im ersten Halbjahr 2022 dann erfahren. "Ja, es herrscht Angst. Aber wir machen weiter." erzählt eine andere Anwohnerin im Mai 2022, als ein kleiner Teil der #nobordersdelegation erneut im Grenzgebiet ist, um Spendengelder von 15.400 Euro zu übergeben. Damit sollen zwei Vierradantrieb-Fahrzeuge erworben werden. Unabdingbar, im Urwald, vor allem ab dem Zeitpunkt, ab dem die polnischen Behörden bewusst die Waldwege zerfurcht haben und somit für schwere Autoschäden und immense wirtschaftliche Schäden gesorgt haben. Die Arbeit vor Ort wird dabei weiter erschwert durch einen fast 200 Kilometer langen und fünf Meter hohen Zaun an der Grenze zu Belarus, dessen Bau im ersten Quartal 2022 begann und der in Teilen bereits fertiggestellt ist.

Was der #nobordersdelegation im Januar 2022 besonders auffiel, war der hohe Anteil von Frauen. Nahezu alle Gesprächspartner:innen, die die Delegierten trafen, waren weiblich gelesen. Einer der Gründe ist, dass die Strukturen, die sich angesichts der neuen Fluchtbewegung gebildet haben, stark auf den Frauen*-Streiks basieren, die sich gegen die restriktive polnische neue Abtreibungs-Gesetzgebung richten.

Begründung für die Auszeichnung

Kasia Wappa ist eine der Anwohnerinnen aus Hajnówka. Sie steht mit ihrem Namen und Gesicht für ein notwendiges Engagement an nur einer von vielen europäischen Außengrenzen, in denen Menschenrechte ausgesetzt sind und diejenigen, die sie vertreten, kriminalisiert werden.

Sie ist dabei nur eine von vielen. Sie riskieren ihre Jobs, die Stabilität ihrer Familien, die gemeinsame Zukunft mit ihren Kindern. Die Gelassenheit und der frohe Mut, mit der sie ihren Tätigkeiten nachgehen, beeindruckt. Der feministische Anspruch in ihrem Aktivismus ist dabei deutlich zu spüren. 

Nicht minder imponierend sind die Strukturen, die die Anwohnerinnen wie zahlreiche Aktivist:innen über ganz Polen hinweg - von der östlichen bis zur westlichen Landesgrenze - aufgebaut haben. Allein dass es diese Strukturen landesweit gibt, ist eine unglaubliche Leistung, die andere Gesellschaften erst einmal nachmachen müssen. Dass es sie gibt, ist vor allem zahlreichen Frauen zu verdanken, die bereits in feministischen Kämpfen gegen die neue Abtreibungs-Gesetzgebung der polnischen Regierung aktiv waren wie auch in klimapolitischen Kämpfen um den Schutz des Urwalds.

Der polnischen Regierung, die ein nationalistisch-ultraorthodox-katholisches Gesellschaftsmodell mit aller Macht durchdrücken will, stellen diese Frauen damit eine andere Gesellschaft entgegen. Eine Gesellschaft, die solidarisch ist, indem sie Schutzsuchende rettet und damit auch klar gegen ein Bild einsteht, welches die polnische Regierung versucht zu zeichnen: das von Männern aus arabischen und asiatischen Ländern, die nach Polen kommen und eine ultimative Gefahr, gerade für europäische Frauen, darstellen. Tatsächlich sind es zumeist Männer afghanischer, syrischer, irakischer, jemenitischer, sudanesischer und weiterer Staatsbürgerschaften, die auch auf diesem Weg Richtung EU fliehen. Indem diese Frauen praktische Solidarität üben, sagen sie insofern auch: "Euer Rassismus blendet uns nicht, wir lassen uns als Frauen nicht vereinnahmen, wir handeln als Menschen gegenüber Menschen." Mehr noch, sie treten damit einem Männlichkeitsbild entgegen, was in Polen in Form von Soldaten, Polizisten und den Angehörigen der milizenähnlichen rechten Territorialvereinigung konkrete Gewalt in ihren zahlreichen Facetten gegen Flüchtende und Aktivist:innen ausübt und von den höchsten politischen und religiösen Vertreter:innen verbreitet und gefeiert wird.

Der radikale Humanismus der Anwohnerinnen des Białowieża-Urwalds - in seiner unerschütterlichen Haltung und in seinem frohen Mut - verdient es, ausgezeichnet zu werden. Die Chance, mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis der LINKEN nicht nur Aufmerksamkeit auf das unfassbare Unrecht zu lenken, sondern auf die großartige Arbeit derer, die sich ihm entgegenstellen, wollen wir nutzen. Deswegen schlagen wir Kassia Wappa, stellverteretend für die vielen mutigen Frauen der Solidaritätsarbeit in Polen, für diesen Preis vor.