Verfassungsklage gegen Kreisreform
Zur der am vergangenen Freitag beim Verfassungsgerichtshof in Leipzig eingereichten Normenkontrollklage sagen Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher und Dr. Michael Friedrich, kommunalpolitischer Sprecher der Linksfraktion:
Nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens zur Verwaltungs-, Funktional- und Kreisgebietsreform im Freistaat Sachsen haben wir uns nach eingehender Prüfung und Beratung entschieden, die entsprechenden Gesetze einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Wir kommen damit unserer Verpflichtung als Oppositionsführerin nach, um die - nicht nur aus unserer Sicht - schwer wiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken der Verwaltungsreform dem zuständigen Gericht zur Prüfung vorzulegen.
Bei dem von allen 31 Mitgliedern unserer Fraktion unterstützten Verfahren handelt es sich um einen Antrag auf Durchführung einer abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 der sächsischen Landesverfassung.
Vor dem Verfassungsgerichtshof wird unsere Fraktion von Rechtsanwalt Prof. Dr. Matthias Dombert (Potsdam) vertreten, welcher insbesondere im vergangenen Jahr bekannt geworden ist durch die erfolgreich geführten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zur Verwaltungsreform in Mecklenburg-Vorpommern.
Bei der Antragstellung haben wir uns davon leiten lassen, dass das Gesetzespaket der Staatsregierung eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen hat, die im "parlamentarischen Durchmarsch" der CDU/SPD-Landtagsmehrheit und damit auch in der öffentlichen Diskussion zu kurz gekommen sind. Es geht mit dem Antrag auf Normenkontrolle nicht um eine Fortsetzung der politischen Diskussion, wohl aber um die Klarstellung der verfassungsrechtlichen Ausgangspunkte und die rechtsverbindliche Auslegung der von der Staatsregierung und der Koalition bemühten Gründe des Wohls der Allgemeinheit, die diesem Reformvorhaben zugrunde liegen sollen.
Die von uns eingeleitete Prüfung wird auch durch Äußerungen ausgelöst, die schon für sich genommen dazu geeignet sind, eine gerichtliche Überprüfung herbeizuführen. Wie bekannt ist, hat der (noch) Ministerpräsident des Freistaates nach einer Pressemeldung vom 15.Januar 2008 darauf hingewiesen, dass jedenfalls ein Teil der Gesetzesentscheidungen nicht vorurteilsfreier Sachverhaltslösung, sondern politischer Koalitionsabsprache geschuldet war. Angesprochen ist hier die Kreissitzfrage Borna/Grimma. Ein viel ausschlaggebenderes Gewicht haben aber die Fragen, die wesentliche Strukturprinzipien unserer Verfassung und damit des Freistaates betreffen.
Verwaltungsstruktur- und Kreisgebietsreform haben ihren Ausgangspunkt in dem Bestreben der Landesebene, sich finanziell zu entlasten und in Folge dessen Aufgaben und Personal auf die Kreise zu übertragen. Ob und inwieweit die Landkreise – ohne Gebietsreform – aber in der Lage wären, in der gegenwärtigen Gestalt die Aufgaben zu erfüllen bzw. ob überhaupt Defizite an der kommunalen Aufgabenerfüllung vorliegen, ist nicht untersucht worden. Der Antrag wirft die Frage auf, ob die Landesebene eines solchen Nachweises enthoben war. Gegenstand des gerichtlichen Antrages ist damit auch der Stellenwert kommunaler Selbstverwaltung im Verhältnis zur Landesebene.
Bereits nach dem Gesetzentwurf der Staatsregierung geht es mit den Eingriffen in den Gebietsbestand der Landkreise um eine erneute Kreisneugliederung. Die Staatsregierung hat in ihrem Gesetzentwurf eine derartige Mehrfachneugliederung angenommen und abstrakt einen erhöhten Bestandsschutz für die Träger der kommunalen Selbstverwaltung anerkannt – immerhin liegt die letzte Neugliederungsmaßnahme keine zehn Jahre zurück. Der Antrag geht der Frage nach, ob und inwieweit Staatsregierung und Landtagsmehrheit den von ihnen selbst gesetzten Anforderungen gerecht geworden sind.
Tragendes Element und Begründung für die Kreisgebietsreform stellt die Absicht von Staatsregierung und Landtagsmehrheit dar, die Kommunalisierung staatlicher Aufgaben zu forcieren. Dabei kann nicht übersehen werden, dass in der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses die Experten einhellige Kritik an den geplanten Aufgabenübertragungen geltend gemacht haben. Es wurde auf die Gefahr der "Zersplitterung" der Zuständigkeiten bzw. die Zerschlagung von fachlichen sowie personellen Kompetenzen hingewiesen. Am Beispiel der Umweltverwaltung, der Straßenbauverwaltung und des Sachsenforstes wirft der Antrag die Frage auf, welche Anforderungen an die Bestimmung der "Zweckmäßigkeit" für die Kommunalisierung von Aufgaben zu stellen sind, um Art. 85 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf gerecht zu werden.
Wir gehen davon aus, dass sich das Verfassungsgericht der Reichweite seiner Entscheidung bewusst ist und anstrebt, die Entscheidungen zu allen anhängigen Verfahren zur sächsischen Verwaltungsreform noch vor dem 8. Juni 2008 zu verkünden.