Mit der Volksfront gegen den Faschismus
Erklärung der Historischen Kommission der Partei Die Linke zum 90. Jahrestag des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale
Der Kongress war bereits im Dezember 1933 für die zweite Jahreshälfte 1934 nach Moskau einberufen worden, doch sein Beginn musste mehrfach verschoben werden: Nach der Machtübergabe an Hitler und seine Partei im Januar 1933 stand die von Moskau geführte kommunistische Bewegung vor der Notwendigkeit, angesichts ihrer welthistorischen Niederlage eine kritische Bewertung der bisherigen Politik vorzunehmen und eine tragfähige Politik für die Zukunft zu entwickeln. Doch im Dezember 1933, als der Weltkongress einberufen wurde, war die Kommunistische Internationale »revolutionär tot« und »intellektuell zugrunde gerichtet«.[1] Einflussreiche Kräfte innerhalb der KI und der Mitgliedsparteien waren noch immer nicht bereit, die in jeder Hinsicht gescheiterte Politik des Kampfes gegen die als »Sozialfaschismus« denunzierte Sozialdemokratie aufzugeben und den Kampf gegen den Hitlerfaschismus und dessen Spielarten in aller Welt als dringendste und in jeder Hinsicht vorrangige Aufgabe zu erkennen und anzuerkennen. Das 13. Erweiterte Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) im Dezember 1933 hatte ausdrücklich einen Beschluss des EKKI zu den Aufgaben der KPD vom April 1933 bestätigt, in dem es hieß: »Die Kommunisten hatten recht, als sie die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten bezeichneten.«[2]
Zwei Entwicklungen trugen jedoch entscheidend dazu bei, dass es den maßgeblichen Akteuren an der Spitze der KI bis zum Sommer 1935 gelang, die Positionen des 13. Plenums zu überwinden und eine neue Strategie für den Kampf gegen den Faschismus zu entwickeln und für alle Mitgliedsparteien der KI verbindlich durchzusetzen – die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront, also eines Bündnisses von Kommunisten und Sozialisten, Sozialdemokraten und anderen antifaschistischen Kräften, auch aus dem bürgerlichen Lager.
Angesichts der durch den Machtantritt des deutschen Faschismus akut gestiegenen Kriegsgefahr in Europa und der gesamten Welt vollzog die sowjetische Führung um Stalin eine taktische Wende in ihrer Außenpolitik und orientierte seit Ende 1933 auf die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit, das ohne Partner im bürgerlichen Lager nicht denkbar war. Zeitgleich vollzogen sich in verschiedenen Ländern Europas grundsätzliche Entwicklungen in Richtung einer neuen Einheits- und Volksfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie und anderen antifaschistischen Kräften, die für die übrigen Mitgliedsparteien der KI nicht ohne Konsequenzen bleiben konnten. Besonderes Gewicht hatten dabei die Geschehnisse in Frankreich, wo der Kampf um die Volksfront im besten Sinne eine Bewegung von unten war.
Folgerichtig hieß es im Referat Georgi Dimitroffs auf dem VII. Weltkongress: »Bei der Mobilisierung der werktätigen Massen zum Kampf gegen den Faschismus ist die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront auf der Grundlage der proletarischen Einheitsfront eine besonders wichtige Aufgabe. Der Erfolg des gesamten Kampfes des Proletariats ist eng verbunden mit der Herstellung des Kampfbündnisses des Proletariats mit der werktätigen Bauernschaft und der Hauptmasse des städtischen Kleinbürgertums, das die Mehrheit der Bevölkerung sogar in den industriell entwickelten Ländern bildet.«[3]
Doch diese Formulierung machte auch deutlich, dass es dem VII. Weltkongress nicht gelang, ein wirklich tiefgehendes Verständnis des besonderen Charakters des Faschismus als Herrschaftsform des Kapitals zu entwickeln.
Die von Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress zitierte »klassische« Definition des Faschismus, die bereits während der 13. Erweiterten Tagung des EKKI im Dezember 1933 formuliert worden war, war wegen ihrer dogmatischen Verengung nicht geeignet, die notwendige theoretische Grundlage für eine Volksfrontpolitik zu liefern, die tatsächlich auf die größtmögliche gesellschaftliche Breite zielte.
Die Feststellung »Der Faschismus an der Macht [... ist ...] die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.«[4] präzisierte zwar den zuvor nur allgemein benannten Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus, in dem nun zwischen Kapital und Finanzkapital unterschieden und auch innerhalb des Finanzkapitals differenziert wurde.[5] Und sie brachte klar zum Ausdruck, dass der Faschismus keine Herrschaftsform war, die »über den Klassen« stand und sich daher gleichermaßen gegen Proletariat und Bourgeoisie richtete. Doch behielt auch die »Dimitroff-Formel« die mechanische Gleichsetzung von ökonomischer und politischer Macht bei. In dem sie implizit jede Form der Machtausübung des Kapitals zu einer »Diktatur« erklärte, war sie letzten Endes nicht geeignet, die schon »traditionelle« Ablehnung der bürgerlichen Demokratie durch die kommunistische Bewegung zu überwinden, obwohl Dimitroff in seiner Rede vor dem VII. Weltkongress ausdrücklich feststellte, dass die Kommunisten zwar »Anhänger der Sowjetdemokratie, [also] der Demokratie der Werktätigen« seien, trotzdem aber in der Pflicht stünden, »in den kapitalistischen Ländern jeden Fußbreit der bürgerlich-demokratischen Freiheiten [zu verteidigen], die der Faschismus und die bürgerliche Reaktion angreifen [...], weil das die Interessen des Klassenkampfes des Proletariats verlangen.«[6]
Trotz aller Unzulänglichkeiten bedeuteten die in den Dokumenten des VII. Weltkongresses niedergelegten Erkenntnisse über Theorie und Praxis des Faschismus einen bedeutenden Fortschritt, der sich unmittelbar in der neuen, für die von Moskau gesteuerte kommunistische Bewegung nunmehr verbindlichen Volksfrontpolitik widerspiegelte. In Frankreich, dem republikanischen Spanien und in Chile trug diese neue Politik zeitweise Früchte. Auch innerhalb der deutschen antifaschistischen Emigration gab es mit dem »Lutetia«-Kreis um Heinrich Mann und dem »Appell an alle Menschen guten Willens« vom Februar 1936 eine bedeutende, von den Moskauer Beschlüssen inspirierte Initiative.[7]
Der VII. Weltkongress und sein Bekenntnis zur Volksfrontpolitik stellten den letzten Versuch dar, eine neue zeitgemäße Strategie und Taktik der internationalen kommunistischen Bewegung zu entwickeln. Er verschaffte der Kommunistischen Internationale einen Aufschub von wenigen Monaten, bevor die Agonie der »Weltpartei« einsetzte. Denn die Moskauer Prozesse der Jahre 1936 bis 1938 entzogen der Volksfrontpolitik die notwendige Basis. Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt vom Spätsommer 1939 versetzte ihr den Todesstoß. Damit wurde das Ende der Kommunistischen Internationale durch die von Stalin verfügte »Selbstauflösung« im Sommer 1943 unvermeidlich.
Doch die Erkenntnis, dass der Kampf gegen alle Formen des Faschismus die Schaffung breitester Bündnisse unter Einschluss aller willigen Menschen erfordert, hat die Jahrzehnte überdauert und ist aktueller denn je.
Diese Erklärung wurde von Dr. Ronald Friedmann erarbeitet, von der Historischen Kommission am 5. Juli 2025 diskutiert und vom Sprecherrat am 14. Juli 2025 bestätigt.
[1] Pierre Frank, Geschichte der Kommunistischen Internationale (1919-1943), Band 2, ISP-Verlag, Frankfurt am Main 1979, S. 596.
[2] Resolution des EKKI zum Referat des Genossen Heckert, Moskau, 1. April 1933, in: RGASPI (Komintern), Fonds 495, Bestand 2, Akte 203, Blatt 107-112, hier: Blatt 110.
[3] Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale. Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (2. August 1935), in: Die Kommunistische Internationale. Auswahl von Dokumenten und Reden vom VI. Weltkongreß bis zur Auflösung der Kommunistischen Internationale (1928-1943), Parteihochschule »Karl Marx« bei ZK der SED, Berlin (DDR) 1956, S. 358-433, hier: S. 384.
[4] Ebenda, S. 359.
[5] Vgl. dazu auch: Manfred Weißbecker, Eine Warnung vor Denkfaulheit. Die »Dimitroff-Formel« – Fakten und Legenden über den Versuch einer Faschismus-Definition, in: neues deutschland, Berlin, 7. August 2010.
[6] Georgi Dimitroff, a.a.O., S. 379 f.
[7] Es war in erster Linie dem Wirken von Willi Münzenberg zu verdanken, dass das erste Treffen von 118 Repräsentanten der deutschen antifaschistischen Emigration im Pariser Hotel »Lutetia« im Februar 1936 überhaupt zustande kam.