Die Hoffnung organisieren!
Erklärung der Parteivorsitzenden der Linken Ines Schwerdtner und Jan van Aken und der Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Bundestag Heidi Reichinnek und Sören Pellmann
Im zweiten Anlauf ist Friedrich Merz ins Amt gestolpert. Der desaströse Start seiner Regierung zeigt, dass ihm von Anfang an das Vertrauen seiner eigenen Leute fehlt. Merz hat dieses Fiasko durch sein zerstörerisches Verhalten im Wahlkampf in erster Linie selbst zu verschulden. Es war von Anfang an ein Fehler von ihm, das Vertrauen der demokratischen Parteien zu verspielen und mit den Faschisten zu paktieren. Merz hat die Brandmauer eingerissen und bekommt nun die Rechnung.
Sein Bündnis steht aber auch deshalb auf tönernen Füßen, weil die Koalitionspartner selbst wissen, dass sie auf keine der drängenden Alltagssorgen der Menschen in diesem Land überzeugende Antworten gefunden haben. In der Bundesrepublik regiert nun eine Koalition der Hoffnungslosigkeit, die sich von rechter Stimmungsmache treiben lässt und die soziale Frage und die Zukunft des Landes deshalb vom ersten Tag im Amt aus dem Auge verloren hat. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist ein Dokument der Ignoranz, der Einfallslosigkeit und der sozialen Kälte. Die Regierung hat sich damit ein Programm gegeben, das zum Scheitern verurteilt ist. Wer aus Angst vor Krisen die Politik fortsetzt, die diese Krisen hervorgebracht hat, vertieft sie nur. Und wer aus Angst vor den Rechten rechte Politik macht, verliert.
Kanzler der Konzerne und Mächtigen
Die Koalition will das Gängelungsregime von Hartz IV mit seinen Totalsanktionen wieder auferstehen lassen – und stellt sich damit auch explizit gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Statt gute Jobs für alle zu schaffen, sollen Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien um jeden Preis in schlechte, prekäre Arbeit gezwungen werden. Damit wird Druck auf den gesamten Arbeitsmarkt ausgeübt und die Verhandlungsposition aller Beschäftigten geschwächt. Dies ist kein Nebeneffekt, sondern Hauptziel der geplanten Sozialkürzungen.
Der Acht-Stunden-Tag wird abgeschafft - damit steht eine zentrale Errungenschaft der Arbeiterbewegung zur Disposition. Gerade in Berufsgruppen mit schlechter Entlohnung, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, reicht eine reguläre Vollzeitbeschäftigung zunehmend nicht mehr zum Leben aus. Menschen werden gezwungen, dauerhaft wesentlich länger als 40 Stunden pro Woche zu Niedriglöhnen zu arbeiten.
In der Wohnungspolitik fällt der Koalition nichts Besseres ein, als die ohnehin größtenteils wirkungslose Mietpreisbremse zu verlängern. Der politische Wille, die Preisexplosion am Wohnungsmarkt einzudämmen und Mieten dauerhaft und wirkungsvoll zu regulieren, fehlt SPD und Union offenbar gänzlich. Für den genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbau wird praktisch nichts getan, die Zahl der Sozialwohnungen wird weiter sinken. Das freut vielleicht die Immobilienkonzerne, ist aber eine Katastrophe für all die Menschen, die zur Miete wohnen.
Für gesetzlich Krankenversicherte stehen Leistungskürzungen ins Haus, die die Qualität der Gesundheitsversorgung deutlich einschränken werden. So hängt die Gesundheit vom Geldbeutel ab. Doch nur durch eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, und in der alle gut versorgt werden, kann das Krankenversicherungssystem stabilisiert werden. Der einzige Weg, die gesetzliche Krankenkasse zu retten, besteht darin, die Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen. Die Koalition zementiert die Ungleichheit, statt sie endlich zu beenden.
Der Erhöhung des Renteneintrittsalters durch die Hintertür kommt bei gestiegenen Lebenshaltungskosten de facto einem Zwang gleich. Das gescheiterte Konzept der Riester-Rente soll dadurch verschlimmbessert werden, dass deutliche größere Risiken am Kapitalmarkt toleriert werden sollen. Damit öffnet sich eine neue Altersarmutsfalle, in die viele Menschen mit mittleren Einkommen in der nächsten Finanzkrise stürzen werden. Die Koalition will junge Menschen zur kapitalgedeckten Altersvorsorge erziehen – bei zunehmender Befristung und Niedriglöhnen für viele eine Unmöglichkeit. Doch eine Rente in Würde für alle Menschen lässt sich in Zukunft nur durch ein universelles, umlagefinanziertes System verwirklichen.
Neben Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, macht die neue Bundesregierung geflüchtete Menschen für alles verantwortlich, was nicht gut läuft und scheut nicht davor zurück, geltendes Recht zu brechen. Das europäische Grenzregime soll durch den Abschluss neuer Migrationsabkommen verhärtet werden, Frontex soll mehr Befugnisse bekommen. Damit wird das Sterben an Europas Außengrenzen bewusst in Kauf genommen. Die Koalition bekennt sich rhetorisch zur Einwanderungsgesellschaft, unterläuft aber die Bedingungen für gelungene Integration, unter anderem durch schlechtere Bedingungen beim Familiennachzug und bei der Einbürgerung. Kein einziges Problem wird dadurch gelöst, Menschen die Ankunft in unserer Gesellschaft schwerer zu machen und sie über Jahre von ihren Familien zu trennen. Der Hass, den die AfD organisiert, soll in Gesetze gegossen werden. Und der einzige Grund dafür: die Regierung Merz will davon ablenken, dass sie nur Politik im Interesse der Reichen macht. Deshalb sucht er Sündenböcke, damit die Menschen das nicht merken.
Die geplante „Überprüfung“ des Gleichstellungsgesetzes zeugt von einem ressentimentgeladenen, von Verdachtsdenken geprägten Verhältnis der Koalitionspartner zu queeren Menschen. Statt die fürchterliche Diskriminierung zu beenden, macht man sich zu ihrem Verstärker.
Die Herangehensweise der Koalition in der Umwelt- und Klimapolitik ist fundamental unehrlich. Unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau sollen gesetzliche Standards aufgeweicht und die Rechte von Umweltverbänden beschnitten werden. Ein grundsätzliches Bekenntnis zu den bisherigen Klimazielen wird verbunden mit der Aufweichung praktisch aller bisherigen klimapolitischen Maßnahmen, ohne dass adäquater Ersatz benannt oder erklärt wird, wo die Emissionseinsparungen sonst herkommen sollen. Durch die überdimensionierten Pläne für neue Gaskraftwerke soll ein teilfossiles Stromsystem über Jahrzehnte festgeschrieben werden. Statt das Heizungsgesetz besser sozial abzufedern, wird die Illusion von „Technologieoffenheit“ geschürt. Das Thema Bahn und ÖPNV ist der Koalition nur eine Randnotiz wert.
Wirtschaftspolitisch ist der Koalitionsvertrag vor allem durch seine Einfallslosigkeit geprägt. Das Papier trägt die Handschrift einzelner Lobbyinteressen, wie etwa der Luftverkehrsbranche, der Gastronomie und der Landwirtschaft. Es drängt sich hier der Verdacht auf, dass persönliche Verbindungen und intensive Lobbyarbeit vor einer politischen Abwägung im Sinn der großen Mehrheit Vorrang haben.
Überhaupt hat die Koalition die neue Weltlage in keiner Weise erfasst und scheint gedanklich in einer längst vergangenen Zeit stecken geblieben zu sein. Dabei erleben wir gerade epochale wirtschaftliche und geopolitische Umbrüche, die neue Antworten verlangen. Die USA unter Donald Trump ziehen sich aus Europa zurück und konzentrieren sich auf die Auseinandersetzung mit China, die sie zunächst in Form eines Zoll- und Handelskriegs führen. Und nebenbei tritt die USA aus der WHO und dem Pariser Klimaabkommen aus, und zieht sich aus dem UN-Flüchtlingshilfswerk, der UNESCO und dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge zurück.
Von der Ankündigung Trumps, den Krieg in der Ukraine binnen 24 Stunden zu beenden, ist wenig übriggeblieben. Die israelische Regierung kann sich von Trump ermutigt sehen, den brutalen Krieg in Gaza fortzuführen und auszuweiten. Auch die chinesische Führung weitet ihre Kontrollpolitik nach innen und ihre Politik der militärischen Machtdemonstration nach außen aus – als Reaktion auf US-Provokationen, aber auch aus einer Binnenlogik autoritären und militaristischen Verhärtung in wirtschaftlich krisenhaften Zeiten. In Russland agiert die Regierung Putin jeden Tag skrupelloser: Die hemmungslose Fortführung des völkerrechtswidrigen Kriegs in der Ukraine wird mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen die Zivilgesellschaft und kritische Stimmen im Inneren durchgesetzt.
Die neue autoritäre Hemmungslosigkeit ist ein globales und transatlantisches Phänomen: Die Rückkehr von Trump ins Weiße Haus war kein normaler Regierungswechsel. Auch den Herrschenden in den USA geht es um den Aufbau eines autoritären Staates: Die Angriffe auf Kultur, Wissenschaft, Opposition, Bürgerrechte sind gezielt und dramatisch, ebenso wie die Verfolgung von Geflüchteten und Migrant:innen. Der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung werden zunehmend offen in Frage gestellt. Damit beschleunigt sich die Entwicklung der USA hin zur autokratischen Oligarchie.
Durch die Neuvermessung der Einflusssphären ist offen, wie die Zukunft Europas aussieht. Ein Ende des Kriegs in der Ukraine ist nicht in Sicht, auch wenn weiterhin alle diplomatischen Wege und Mittel ausgeschöpft werden müssen, um Russland zur Akzeptanz einer gerechten Friedenslösung und einer souveränen, selbstbestimmten und freien Ukraine zu bewegen. Stattdessen verfolgt die russische Regierung weiterhin das Ziel, ihren Einflussbereich auszudehnen und Europa zu destabilisieren. Es ist möglich, dass sich daraus ein langanhaltender, hybrider, asymmetrisch geführter Konflikt entwickelt, der weiterhin Menschenleben kostet, Ressourcen verschlingt und die Bewältigung der globalen Menschheitsfragen verunmöglicht.
Autoritäre Akteure wie Putin, Trump und Netanjahu eint die Missachtung des Völkerrechts und die Verachtung der Demokratie. Europa müsste hier einen Gegenpol bilden. Die richtige Antwort auf die globale autoritäre Wende wäre ein soziales, demokratisches Europa, das als verlässlicher Partner für den Globalen Süden agiert und sich weltweit für Kooperation, Klimaschutz und Abrüstung einsetzt. Die Regierung Merz strebt hingegen eine EU unter deutscher Führung vor, deren Bindeglied Militarisierung und Abschottung statt sozialer Integration und Demokratisierung ist. In Brüssel wie in Berlin herrscht Einigkeit darüber, dass Aufrüstung nun auch als Konjunkturprogramm herhalten soll. Doch das ist nicht nur sicherheitspolitisch falsch, sondern auch wirtschaftspolitisch kurzsichtig. Investitionen in Rüstungsgüter schaffen deutlich weniger Beschäftigung und Innovation als Investitionen in zivile Infrastruktur und Industrie. Der Koalitionsvertrag demonstriert auch, dass die neue Bundesregierung, anstatt der weltweiten reaktionären Entwicklung überzeugende Antworten entgegenzustellen, ebenfalls bestrebt ist, demokratische Rechte auszuhöhlen und autoritäre Strukturen aufzubauen. Dazu passt, dass die Koalition neue Freihandelsabkommen mit den USA abschließen will. Ein TTIP 2.0 mit Donald Trumps USA wäre eine Katastrophe für die Menschen in Deutschland.
Die neue Bundesregierung erzählt viel davon, dass sie das Land und den Staat erneuern möchte. Doch sie wird an ihren selbst gesteckten Zielen scheitern, denn sie ist in der Vergangenheit gefangen. Er stellt keine Grundlage für die Lösung der Alltagsprobleme der Menschen oder auch nur für eine stabile Regierungsarbeit dar. Statt Politik für die Menschen zu machen, wird sich Konzerninteressen angedient und die Mächtigen dieser Welt hofiert. Die wenigen guten Projekte bleiben alle unter Finanzierungsvorbehalt und stehen damit schon ab Tag eins der neuen Regierung zur Disposition. Die Menschen in diesem Land haben mehr verdient.
Wir sind die soziale Opposition!
Die Linke wird den Kern der sozialen Opposition gegen die Regierung Merz bilden und ihrer fehlgeleiteten, rückwärtsgewandten Politik eine echte Alternative gegenüberstellen. In einer Zeit, in der die gesamte Parteienlandschaft nach rechts gerückt ist, sind wir der Pol der Hoffnung. 8,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben uns das Vertrauen geschenkt, wir haben unsere Mitgliedschaft in kürzester Zeit mehr als verdoppelt. Wir lassen es nicht zu, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden, dass Angst, Hass und Ausgrenzung regieren. Wir kämpfen für eine Politik, von der die große Mehrheit profitiert: Für eine Politik, die das Leben bezahlbar macht – durch stabile Preise, höhere Löhne und Mieten, die sich jeder leisten kann. Eine Politik, die öffentliche Mittel für den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft mobilisiert – demokratisch kontrolliert und mit echter Mitbestimmung für Beschäftigte, Gewerkschaften und die Gesellschaft.
Wir werden aus der Opposition heraus Veränderungen bewirken. Denn wenn wir die arbeitenden Menschen verbinden, organisieren und ihnen eine Stimme geben, haben wir mehr Durchsetzungskraft als jede Bundesregierung. So werden wir den bundesweiten Mietendeckel und bezahlbare Preise erkämpfen. Die Angriffe auf den Sozialstaat weisen wir entschieden zurück. Wir verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung gegen autoritäre Angriffe. Merz wird mit uns keine Ruhe finden.
Als Internationalist:innen kämpfen wir für faire Arbeitsbedingungen weltweit, für gerechten Handel und für eine Außenpolitik, die das Völkerrecht achtet – ohne Doppelstandards. Wir kämpfen gemeinsam mit unseren europäischen Schwesterparteien für ein demokratisches, solidarisches und soziales Europa, das die autoritäre Aufrüstungspolitik der EU überwindet. Merz und die CDU organisieren Milliardengewinne für ihre reichen Freunde. Die SPD organisiert sich eine Regierungsbeteiligung. Die AfD organisiert den Hass. Sie alle zusammen organisieren die Einsamkeit. Wir stehen an der Seite derjenigen, die von der Politik der Bundesregierung missachtet werden und kämpfen für gleiche Rechte und gesellschaftliche Teilhabe für alle. Wir sind der Widerstand gegen Kürzungen, Ausgrenzung und Aufrüstung.
Es ist Zeit für echte Veränderung. Die neue Bundesregierung ist die Koalition der Hoffnungslosigkeit. Wir werden dagegen die Hoffnung organisieren.