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Lothar Bisky

Das soziale Europa muss oberste Priorität haben

Am 1. Juli 2008 übernimmt Frankreich von Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft. Aus diesem Anlass erklärt der Vorsitzende der Partei DIE LINKE und der Partei der Europäischen Linken Lothar Bisky:

Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft war die erste eines der 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten. Die Slowenen haben die anstehenden Aufgaben in Ruhe und Sach­lichkeit erledigt. Was jedoch die politischen Entscheidungen und Weichenstellungen betrifft, so entsprachen viele nicht den Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Eu­ro­pa und darüber hinaus. Beispiele dafür sind die neue Arbeitszeit-Regelung, die es künftig ermöglichen soll, die Arbeitszeit bis auf 78 Wochenstunden auszudehnen, die neue Abschiebe-Richtlinie, die Flüchtlinge nicht schützt, sondern verfolgt und der Um­­gang mit dem irischen Nein beim Volksentscheid zum Vertrag von Lissabon.

Frankreich wird nun für sechs Monate die Ratspräsidentschaft ausüben und  Minister­präsident Fillon hat bereits vor dem Europaparlament sein Programm vorgestellt. Als Schwerpunkte nannte er Energie- und Klimafragen, die gemeinsame Agrarpolitik, die Koordinierung der Einwanderungspolitik und die gemeinsame Verteidigungspolitik. Dabei wurde deutlich: Zum einen will sich die französische Ratspräsidentschaft offenbar nicht vom Nein der Iren beirren lassen und tut so, als hätte es das irische Nein nicht gegeben. Zum anderen gehört das "soziale Europa" nicht zu den Prioritäten der französischen Ratspräsidentschaft, obwohl es in der vergangenen Woche gerade das vierte Urteil des EuGH gab, das die Freiheiten des Binnenmarktes über die Grundrechte der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften stellt und damit die Sozialstaatlichkeit der Mitgliedstaaten über die EU immer weiter aushebelt.

Die Europäische Linkspartei (EL) und DIE LINKE in Deutschland halten diese Positionen für falsch. Wir erwarten, dass unter der französischen EU-Ratspräsidentschaft  die Chance für die notwendige Kurskorrektur der EU hin zu einer zivilen, sozialen und demokratischen Union genutzt wird, denn ohne die europäische Integration hat die EU keine Zukunft.  Gedankenspiele über ein künftiges Kerneuropa lehnen wir ab, weil sie Europa nicht einen, sondern wieder spalten.

Die EL und DIE LINKE in Deutschland plädieren für einen Neuanfang. Erfolgreiche europäische Integration braucht die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger und das ist nur möglich, wenn diese ihren Bedürfnissen dient und den globalen Herausforderungen gerecht wird. Wir brauchen einen neuen Vertrag, der nicht den neoliberalen und zunehmend militärisch geprägten Kurs fortschreibt, sondern die vertraglichen Grundlagen für eine zivile, sozial und ökologisch nachhaltige europäische Integration schafft. Diesem Ziel dienliche Bestimmungen sollten aus den bisherigen Verträgen übernommen werden, wie die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments und die stärkere Rolle der nationalen Parlamente, aber auch mehr Elemente direkter Demokratie wie Bürgerbegehren.

Die EL und DIE LINKE in Deutschland fordern, dass sich die EU nicht nur der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch der Sozialstaatlichkeit verpflichtet und dies auch in konkreter Politik umsetzt. Alle bisherigen Bestimmungen, die die Sozialstaatlichkeit verhindern bzw. behindern sind zu eliminieren.

Die im nächsten Jahr anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament bieten eine gute Möglichkeit, die europäische  Bevölkerung über die Zukunft der europäischen Integration anzuhören. Der französische Präsidente Sarkozy hat durch seine Ratspräsidentschaft die Chance, Grundlagen dafür vorzuschlagen. DIE LINKE und die EL werden den Bürgerinnen und Bürgern ihre Vorstellungen dazu unterbreiten und mit ihnen diskutieren.


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