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Von Janine Wissler und Martin Schirdewan

Am Kipppunkt: Gerechtigkeit stark machen

Schluss mit der Politik der gebrochenen Versprechen – für soziale Sicherheit, nötige Investitionen und Verlässlichkeit im Wandel

Die Ampel-Koalition stellt seit 25 Monaten die Regierung. Ihre Bilanz ist eine Aneinanderreihung von verschenkten Chancen, gebrochenen Versprechen und falschen Entscheidungen. Die selbsternannte Fortschrittskoalition hat bezahlbares Wohnen, bessere Pflege, eine gerechte Gesundheitsversicherung, die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und einen klimagerechten Umbau versprochen. Schon im Koalitionsvertrag fielen die Wahlversprechen von SPD und Grünen einer Vermögensabgabe und der Wiedereinführung der Vermögensteuer unter den Tisch. Von den großen sozialpolitischen Vorhaben, wie die Einführung eines gerechten Bürgergeldes und einer Kindergrundsicherung, ist nicht mehr als ein Etikettenschwindel übriggeblieben. Mit dem Desaster-Haushalt wird jetzt bei den Sozialausgaben und bei der Demokratieförderung gekürzt. Die Energiepreise steigen weiter, die Lebensmittelpreise sind immer noch viel zu hoch. Doch das alles ist offenbar kein ernstzunehmendes Problem für diese Bundesregierung. Investiert wird woanders: Die Ampel steckt so viele Milliarden in Aufrüstung, Krieg und Militär wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, bei den Rüstungskonzernen laufen die Geschäfte prächtig. Auch beim Treten nach unten sind sich die Ampel-Parteien schnell einig. Menschenrechte wie das Asylrecht werden rechten Kampagnen geopfert, um Handlungsfähigkeit zu simulieren. Nun sollen sogar Kinder an den Grenzen Europas inhaftiert werden können. Währenddessen werden die unterfinanzierten Kommunen weiter im Stich gelassen. Die Menschen in diesem Land haben eine bessere Regierung verdient. Es ist Zeit für eine neue Politik.

Zu viel steht auf dem Spiel: Immer mehr Menschen, darunter viele Familien mit Kindern, werden davon bedroht, dass die Preise für Essen, Mieten und Heizen immer noch deutlich schneller steigen als Löhne und Einkommen. Die Bundesregierung scheut den Konflikt mit Reichen und ihren Lobbyisten. Sie hält aus ideologischen Gründen an der völlig untauglichen Schuldenbremse fest - obwohl diese sich längst als Investitionsbremse erwiesen hat. Zusammen mit den Konservativen blockiert die Ampel höhere Steuern auf die explodierenden Vermögen der Superreichen. Der CO2-Preis steigt, aber das versprochene Klimageld kommt immer noch nicht. Währenddessen erhöht die Ampel die Mehrwertsteuer für Speisen wieder, lässt die Energiepreisbremse auslaufen und die Netzentgelte steigen. Zugleich soll nun ausgerechnet öffentliches Eigentum bei Post, Telekom und Bahn privatisiert werden. Bei der Bahn soll das hochprofitable Tochterunternehmen DB Schenker an Investoren verschleudert werden – nur um die selbst geschaffenen Haushaltslöcher zu stopfen. Dabei könnte man selbst unter den Bedingungen der Schuldenbremse das Eigenkapital der DB aus dem Haushalt per Kredit erhöhen. Insgesamt ist der geplante Haushalt der sozialen Kälte ein Konjunkturprogramm für die extreme Rechte.

Mit ihrer Politik der gebrochenen Versprechen verschärft die Ampel die Krise im Alltag vieler Menschen – und zeigt ihnen ein weiteres Mal, dass sie sich nicht für ihre Probleme interessiert und nicht weiß, was im Alltag los ist. Damit höhlt die Ampel die Demokratie von innen aus und zerstört ihren materiellen, institutionellen und sozialen Unterbau. Sie macht es ihren Vorgängerregierungen nach. Kein Wunder, dass das Vertrauen vieler Menschen in Politik und Demokratie abnimmt. Bei den kommenden Wahlen droht die jahrelange Erosion der Demokratie nun in einen Dammbruch überzugehen. Allzu oft hat man dabei das Gefühl, dass die fortschrittlichen Kräfte von der Wucht der Krisen überrollt werden.

Die Rechten leben von der wachsenden Angst und Verunsicherung vieler Beschäftigter und vieler Menschen mit geringen Einkommen und Renten. Im Angesicht großer Veränderungen heizen die anderen Parteien Scheindebatten an, um davon abzulenken, dass sie nichts zur Verbesserung des Alltags beizutragen haben. Die klassischen Sündenböcke werden wieder ausgegraben: Geflüchtete, Sozialhilfebezieher und alle, die anders sind. Die anstehenden Haushaltskürzungen, der geplante Sozialabbau mit dem Ende der Energiepreisbremse und steigendendem C02-Preis, wirken dafür als ein fataler Verstärker. Die Unterfinanzierung des nötigen Umbaus von Industrie und Wirtschaft bedroht Arbeitsplätze und blockiert den Aufbau einer Zukunftsindustrie mit guter Arbeit. Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat auch deutlich gemacht, dass die Bundesregierung mit ihrer Flucht aus der Realität am Ende ist. Eine politische Richtungsentscheidung steht an: Wollen wir im Interesse von Reichen und Konzernen unsere Gesellschaft weiter auf Verschleiß fahren – und in der Sackgasse noch aufs Gas drücken? Oder wollen wir der Geschichte eine andere Wendung geben?

Im Osten zeigen sich die sozialen Verheerungen der neoliberalen Schockpolitik der 1990er-Jahre wie der aktuelle Rechtsruck deutlicher als anderswo. Löhne, Tarifbindung und Wirtschaftskraft sind im Osten immer noch durch die Deindustrialisierung nach der Wende geprägt. Fast jede und jeder Vierte arbeitet in Ostdeutschland für Niedriglohn. Zeitgleich machen die ostdeutschen Bundesländer einige infrastrukturelle und wirtschaftliche Fortschritte. Die gespaltene Entwicklung zeigt sich in den ostdeutschen Ländern und Metropolregionen besonders stark. Hier gilt es den Vormarsch der Rechten zu stoppen.

Dieses Jahr wird auf vielen Ebenen entscheidend. Von den USA bis Indien sind 2024 über 40 Prozent der Weltbevölkerung zur Wahl aufgerufen. Mit der Europawahl, den drei Landtagswahlen im Osten und Kommunalwahlen in neun Bundesländern werden zentrale Weichen für die Bundesrepublik und ganz Europa gestellt. 2024 entscheidet sich, wer in Europa in Zukunft bestimmt und welchen Weg die Europäische Union angesichts der zahlreichen Krisen einschlägt. Im EU-Parlament gilt es einen Pakt von Konservativen und extremen Rechten, zwischen Manfred Weber (CDU) und der Postfaschistin Giorgia Meloni, zu verhindern. 2024 entscheidet sich, ob es uns in Thüringen, Brandenburg und Sachsen gelingt, gegen den Zynismus der Ampel-Koalition wie gegen die immer gleiche Hetze von rechts wieder eine soziale Perspektive zu öffnen. Wir wollen unsere Landesregierung in Thüringen verteidigen und erfolgreich bei den Wahlen abschneiden.

Die Chance dafür ist da. Die Menschen in diesem Land können umsteuern – mit einer Investitionswende in eine gerechte Zukunft. Immer mehr Menschen sind mit der Politik der Bundesregierung unzufrieden. Die Kritik an ihr wächst auch bei Sozialdemokraten und Grünen, in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Zivilgesellschaft. Tausende Menschen sind allein Ende letzten Jahres in DIE LINKE eingetreten, weil sie angesichts der Krisen eine sozialistische Gerechtigkeitspartei stärken und mitgestalten wollen. Als LINKE stellen wir uns konsequent gegen den Rechtsruck und machen die soziale Alternative zur ungerechten Politik der Bundesregierung stark. Dabei endet unser Blick nicht an deutschen oder europäischen Grenzen. Internationale Solidarität und globale Gerechtigkeit sind für uns Richtschnur. Die großen Krisen können wir nur grenzübergreifend lösen. Aber dafür braucht es Druck von Links und einen Politikwechsel hierzulande.

Dafür ist eine gesellschaftliche Mobilisierung nötig, die mehr als Wahlkampf ist. Die anstehende Herausforderung kann niemand allein bewältigen. Es braucht alle, um eine politische Katastrophe für alle zu verhindern: Gewerkschafter*innen, soziale Bewegungen, Verbände und Initiativen, Aktivist*innen und Kümmerer, Kirchen und Künstler, Arbeiter und Angestellte, Antifaschist*innen und Sozialist*innen, stille Helfer und laute Influencer*innen, alle Menschen mit Herz und Verstand. Es kommt auf uns an, wenn wir der Hetze der Rechten wie der Verzweiflung des Status Quo entgegentreten wollen. Es geht um das Einfache, das heute oft so schwer zu machen scheint: Politik für eine gerechte Zukunft – für alle.

Dafür werden wir dieses Jahr mit der Kampagne „Eine Linke für alle!“ konkrete Möglichkeiten der Beteiligung öffnen und uns selbst an Bündnissen beteiligen. Dafür wollen wir, zusammen mit Vielen, gemeinsame Orte der Verständigung und Planung schaffen.

Worauf es jetzt ankommt, ist soziale Sicherheit und Verlässlichkeit im Wandel zu schaffen. Die Voraussetzung dafür ist klar: Umverteilung – von oben nach unten. Von privaten Gewinnen und riesigen Vermögen zu den Einkommen der Normal- und Niedrigverdiener*innen. Von den riesigen Subventionen für wenige Konzerne und Finanzinvestoren zu massiven öffentlichen Investitionen in klimagerechten Umbau und eine öffentliche Infrastruktur mit mehr Personal für alle. Von Privatisierungen der Daseinsfürsorge und ihrer Unterordnung unter Markt und Profit hin zu einer Stärkung von öffentlichem Eigentum und Kontrolle in allen strategisch wichtigen Bereichen. Von einer Arbeitskultur, die immer mehr Menschen in Burn Out und Erschöpfung treibt, zu einer gerechten Verteilung der Arbeitszeit. Statt Extra-Profite für Wenige braucht es mehr Luft zum Atmen für alle.

Wir wissen: Gegen die ganz große Koalition, von Konservativen über die einschlägigen Lobbyisten bis zur Ampel, die das Thema Umverteilung aus Bundestag und Öffentlichkeit verbannen will, ist es nicht leicht durchzudringen. Doch ohne die Umverteilung des Reichtums wirklich anzugehen, also in der Realität, jenseits von SPD-Parteitagen und grünen Wahlkämpfen, wird es keine Lösung der Krisen geben. Weder im Großen: für unsere Demokratie, das Klima, den sozialen Zusammenhalt; noch im vermeintlich Kleinen: An der Supermarktkasse, vor dem Briefkasten mit den Rechnungen, jeden Tag in unseren Schulen, Kitas und Krankenhäusern.

Wir sind der Motor für mehr soziale Gerechtigkeit und Umverteilung. Wir machen Druck von der kommunalen Ebene bis zum Europaparlament und ergreifen Initiativen, um das Leben der Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, der Rentner*innen oder Erwerbslosen zu verbessern. Wo wir mitregieren, machen wir einen Unterschied und haben Härtefallfonds, 29-Euro-Tickets, Unterstützung für soziale Einrichtungen, höhere Landesmindestlöhne und Kündigungsmoratorien durchgesetzt.

Wir werden die sozial gerechte Verteilung von Vermögen, Einkommen und Investitionen dieses Jahr zum zentralen Thema der öffentlichen Auseinandersetzung machen. Dafür arbeiten wir an einer gesellschaftlichen Mobilisierung, zusammen mit Vielen aus der Zivilgesellschaft. Wir wissen: Gerechtigkeit zahlt sich aus, wenn wir sie gemeinsam stark machen.

Wir fordern:

1. In die Zukunft investieren: Schuldenbremse und EU-Fiskalregeln abschaffen!

Investitionen in langfristig wirkende Zukunftsaufgaben wie den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur müssen durch Kreditaufnahmen finanziert werden können. Kurzfristig kann und muss für 2023 und 2024 die Notfallklausel der Schuldenbremse in Kraft gesetzt werden, um die Folgen des Ukraine-Krieges, die Inflation und die staatlichen Ausgleichsmaßnahmen bei den Energiepreisen zu stemmen. Mittelfristig muss die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz getilgt werden. Bildung, Pflege, öffentlicher Personenverkehr, bezahlbares Wohnen, Klimaschutz mit guter Arbeit – der Investitionsbedarf ist riesig. Deshalb brauchen wir einen verlässlichen Investitionsplan, um notwendige Investitionen in Infrastruktur und den Umbau der Industrie zu sichern. Wenn diese Mittel als Erwerb von Gesellschaftsanteilen an den Unternehmen ausgestaltet würden, wäre dies eine finanzielle Transaktion, die nicht unter die Schuldenbremse fällt. Eine andere Möglichkeit ist eine Erhöhung des Eigenkapitals der KfW, die dann ein zinsloses, aber rückzahlbares Darlehen vergibt. Ebenso müssen die Schuldenregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union abgeschafft werden. Auch in Europa muss es endlich Vorfahrt für Investitionen geben. Der Fiskalpakt verschärft die Neuverschuldungsquote für die Euroländer sogar auf maximal 0,5 Prozent. Wir fordern, dass sie aufgehoben und die Europäischen Verträge entsprechend geändert werden, um wirksame Sozialpolitik und langfristige, sozial- ökologische Investitionen zu ermöglichen.

2. Umsteuern für Gerechtigkeit! Vermögen und Extra-Profite zur Kasse bitten

Niemand braucht Milliardäre. 1,4 Billionen Euro beträgt inzwischen die Summe der Milliardenvermögen in Deutschland – ein neuer Rekord. Die 10 reichsten Deutschen haben ihr Vermögen im letzten Jahr um 20 Prozent gesteigert, auf unvorstellbare 268,6 Milliarden Euro.

Wir wollen den Superreichen, den Klattens und Schwarzes, den Albrechts, Quandts und Kühnes dieses Landes per Vermögensabgabe einen Teil ihres leistungslosen Vermögens abnehmen. Für eine gerechte Bewältigung der Krisenlasten fordern wir eine einmalige, progressiv ausgestaltete Vermögensabgabe auf Vermögen von mehr als 2 Millionen Euro (bzw. bei einem Betriebsvermögen von über fünf Millionen Euro). Sie wird einmalig erhoben, kann aber über 20 Jahre gestreckt in Raten gezahlt werden und würde über 300 Milliarden Euro einbringen. Während viele Menschen angesichts der hohen Preise für Energie und Lebensmittel nicht mehr wissen, wie sie über den Monat kommen, fahren manche Konzerne Extraprofite ein. Wir fordern eine Steuer von 90 Prozent auf die Übergewinne der Profiteure von Krieg und Krisen. Hierdurch könnten Einnahmen von über 30 Milliarden Euro erzielt werden. Wir wollen zudem die Vermögensteuer wieder erheben. Die erste Million bleibt steuerfrei. Sie beginnt erst oberhalb von 1 Mio. Euro Netto-Vermögen und steigt auf 5 Prozent ab 50 Mio. Euro. Für Vermögen oberhalb von 1 Mrd. Euro legen wir einen Sondersteuersatz von 12 Prozent an – eine Milliardärssteuer. Auch die Steuerschlupflöcher für superreiche Erben wollen wir endlich schließen und die Erbschaftssteuer auf hohe Erbschaften erhöhen.

3. Preise senken, Menschen entlasten!

Von der vermeintlichen Entspannung bei der Inflation kommt bei den meisten Menschen nichts an. Denn die Löhne sind kaum gestiegen und zugleich ist die Inflation in zentralen Bereichen immer noch viel zu hoch. Lebensmittel haben sich seit Antritt der Ampel um 30 Prozent verteuert, auch weil Konzerne und Discounter die Gierflation weiter anheizen. Das trifft Menschen mit kleinen Einkommen besonders hart, weil sie einen großen Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Die Armut der einen, ist der Profit der Anderen. Das Ergebnis: Die Tafeln haben Aufnahmestopp, während die Vermögen der Milliardäre weiterwachsen. Deshalb ist es schäbig, dass die Ampel-Regierung Bürgergeldbezieher*innen zukünftig bis zu 2 Monate totalsanktionieren will. Was es jetzt braucht, ist ein Mindestlohn von 15 Euro, ein Preisstopp für Grundnahrungsmittel und ein Preisdeckel für Strom und Heizung. Die derzeitige CO2-Steuer verteuert Wohnen, Bus und Bahn und die Müllentsorgung zusätzlich und trifft viele Menschen hart. Wir fordern, die CO2-Steuer auszugleichen über ein soziales Klimageld von 200 Euro monatlich für alle mit einem Einkommen bis zu 4.000 Euro brutto.


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