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Lothar Bisky

Würdigung einer besonnenen Regierungsführung in schwierigen Zeiten

"Zum Auftakt unserer heutigen Sitzung des Parteivorstandes möchte ich etwas zu den geschichtlichen Ereignissen vor 20 Jahren sagen, da sie die Geschichte der LINKEN im vereinten Deutschland sehr unmittelbar berühren. In den vergangenen Tagen wurde deutsche Geschichte erinnert, inszeniert, aber auch vergessen", so der Parteivorsitzende Lothar Bisky zu Beginn der heutigen Parteivorstandssitzung. Er erklärte:

Unter den Feiern zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, wurde der 9. November 1938 und der 9. November 1918  förmlich ins Abseits des Erinnerns und der geschichtlichen Aufarbeitung gehoben. Auf der anderen Seite, so hat es Lutz Herden im Freitag sehr schön herausgearbeitet, ist die Reduktion der Maueröffnung auf einen Tag zugleich auch mit einem Vergessen über 40jähriger Geschichte und einem Verschweigen der Prozesse verbunden, die hin zum wirklichen Prozess der Maueröffnung führten.

Der Tendenz zur Verstaatlichung der Geschichtspolitik standen in der vergangenen Woche glücklicherweise viele Initiativen von Geschichtswerkstätten und Bürgerinnen und Bürgern gegenüber, die die geschichtliche Tiefe angegangen sind und auch wissen, dass dies eine bleibende Aufgabe ist.

Die Geschichtslosigkeit des Erinnerns jüngster deutscher Geschichte wird meines Erachtens nur bedingt den Millionen Bürgerinnen und Bürger der DDR gerecht, die die friedliche Öffnung der Deutschen Demokratischen Republik in ihre Hände genommen hatten.

Denn erzählt man noch mehr deutsche Geschichte – als jene, für die es mehrheitlich noch Zeitzeugen gibt, dann sticht die historische Besonderheit der Art und Weise der Maueröffnung noch einmal anders in Auge. Man ist geneigt hier den Bogen zu spannen und ein spätes Vermächtnis der Einheits- und Freiheitsbestrebungen von 1848 aufscheinen zu sehen.

Wir sollten in diesen Tagen, an denen viele Staatsmänner und -frauen gewürdigt worden, auch darauf verweisen, dass es Hans Modrow mit seiner "Regierung der nationalen Verantwortung" war, der ab dem 13. November 1989 zu einem Hoffnungsträger für eine demokratische Entwicklung des Landes wurde. Diese Regierung, in der auch Christa Luft an entscheidender Stelle mitwirkte, beteiligte von Beginn an die Vertreterinnen und Vertreter des Rundes Tisches an der Regierungsarbeit.

Die Modrow-Regierung hatte ihre Aufgabe angenommen und prägte die Zeit durch die permanente Öffnung von Gesprächsräumen zwischen Regierung und Opposition.

Das sagt sich heute leicht dahin.  "Ich erinnere mich an den 15. Januar 1990", so schrieb Heinz Vietze im Disput im Januar 2008 "als versucht wird, die Stasizentrale zu stürmen. Ich weiß nicht, wer noch in dieser Situation den Mut und die Entschlossenheit aufgebracht hätte, sich vor die aufgebrachten Bürger zu stellen und mit ihnen zu reden."

Eine Regierung, die ihre Aufgabe wirklich angenommen hatte, genau dies bedeutete damals: Eine friedliche Revolution zu begleiten und permanent dafür die Verantwortung zu übernehmen, dass sie friedlich bleibt.

Oskar Lafontaine schrieb im Vorwort von Hans Modrows Buch "In historischer Mission", das vor zwei Jahren erschienen ist. "Viele Deutsche zeigen Hans Modrow immer noch die kalte Schulter. Im Ausland… sieht man ihn ein wenig anders. Dort ist der Ministerpräsident a. D. ein Elder Statesman und genießt die damit verbundene Aufmerksamkeit."

Millionen Bürgerinnen und Bürger bewegten – gemeinsam mit der Modrow-Regierung – in den Novembertagen 1989 die Debatten um eine konföderative Lösung der deutschen Frage. Die Bürgerinnen und Bürger aus der DDR erwarteten dann – auf dem raschen Weg zur deutschen Einheit – von der Regierung eine Anerkennung ihrer Lebensleistung in einem einigen Deutschland, eine Anerkennung ihres Einsatzes für ein Nachkriegsdeutschland ohne Faschismus.

Viele haben diese Debatten auch in die Erneuerung der SED getragen, haben Antifaschismus und Friedensverpflichtung mit der politischen Verantwortung für einen demokratischen Sozialismus verbunden. Das gehört zur Geschichte der neuen LINKEN.

Vieles, was nach 1989/90 in schmerzlichen Aufarbeitungsprozessen geleistet wurde, ist in neuen LINKEN unbekannt und muss erneut erzählt werden. Noch seltener gelingt es bisher, eine Würdigung für eine besonnene und hoffnungsvolle Regierungsführung in schwierigen Zeiten öffentlich einzufordern. Das sollten wir aber tun und stolz sein, dass das auch ein Stück zur Geschichte der neuen LINKEN gehört.