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Helmut Scholz

Wir zählen auf Euch!

Helmut Scholz, Mitglied des Parteivorstandes der Partei DIE LINKE und der Europäischen Linken, auf dem Kongress der Partito Rifondazione Comunista - 24. bis 27. Juli 2008 in Chianciano/Italien

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, zu allererst möchte ich mich herzlich bei Euch für diese Einladung zu Eurem VII Kongress bedanken. Ich überbringe Euch die herzlichsten Grüße von Lothar Bisky, Vorsitzender der Partei DIE LINKE und der Europäischen Linken, als auch von Oskar Lafontaine, dem Parteivorstand der Europäischen Linken und den Mitgliedern der LINKEN in Deutschland.

Vier Jahre nach ihrer Gründung in Rom eint die Europäische Linkspartei heute 30 linke Parteien mit über 450.000 Mitgliedern in ganz Europa. Zum ersten Mal wird sie für die Wahlen zum Europaparlament im nächsten Jahr eine gemeinsame, parteiübergreifende Wahlplattform erarbeiten.

Wie ich, sind viele Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde der Rifondazione Comunista aus aller Welt zu Eurem Parteitag gekommen, um aufmerksam zu verfolgen, welche Schlussfolgerungen ihr über die Ursachen der schwere Niederlage der linken und gesellschaftsalternativen Kräfte in Italien zieht, und natürlich vor allem, wie ihr diese mit der Bestimmung der nächsten Aufgaben verknüpft. Wir wollen mit Euch zugleich gemeinsam lernen, denn Eure Geschichte ist eine Geschichte wichtiger Aufbrüche. Und Ihr sollt wissen: Überall in Europa steht die Linke vor großen Herausforderungen.  Wir haben also viele gemeinsame Probleme zu lösen und Fragen zu beantworten:  Wie sieht eine demokratische, mehrheitsfähige Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft aus? Wie gelingt es uns, mehr Menschen zu ermuntern sich für eine politische Alternative der Solidarität zu engagieren, sich selbst zu ermuntern, politisch und gesellschaftlich wieder aktiv zu werden. Diese Fragen beantworten wir nur gemeinsam.

Liebe Genossinnen und Genossen, Unterschiede in Geschichte, Tradition und Selbstverständnis sind Teil der Identität der EL. Gemeinsam ist uns die Vorstellung von einer Transformation hin zu einem Europa des Friedens. So wie wir es  in der Erklärung von Rom gemeinsam niedergeschrieben haben: „Wir begreifen Europa als einen Raum für das Wiederentstehen des Kampfes um eine neue Gesellschaft. ... Unsere Alternative ist ein demokratisches, soziales und ökologisches Europa!“

Doch davon sind wir weit entfernt. Blicken wir auf die Realität unserer Gesellschaften von heute, dann wird schnell und unstrittig sichtbar, uns steht eine Titanen Arbeit bevor! Der Lissaboner Reform-Vertrag und die Lissabon-Strategie sind Spiegelbild der heutigen EU. Eine wachsende soziale Spaltung unserer Gesellschaften in Arm und Reich, immer mehr Menschen, die trotz regulärer Beschäftigungsverhältnisse von ihrer Arbeit nicht mehr leben können oder gleich gar nur noch prekär beschäftigt sind, immer längere Arbeitszeiten und 24 h-Verfügbarkeit der arbeitenden Menschen für die Arbeitgeber bzw. wachsende Selbstausbeutung, Lohn- und Steuerdumping - der globalisierte Kapitalismus hat die Arbeits- und Lebenswelten der Menschen auch in Europa nicht nur grundlegend verändert, er hat sie auch fest im Griff. Hinzu kommen Bank- und Finanzkrise(n), Klimawandel, steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise, wachsende Armut, allem voran Kinderarmut, kulturelle Verarmung und mediale Bevormundung, Rassismus, und - gerade hier lasst mich angesichts der Nachrichten der letzten Wochen hervorheben - Diskriminierung von MigrantInnen und Homophobie – die Stichworte für eine Charakterisierung der sozialen Realität a zeichnen ein düsteres Bild. Der reichste aller Kontinente opfert seine Potentiale für eine menschlichere Zukunft der Jagd nach der Rendite. Wir sind als Linke gefragt, politische Alternativen zu benennen und Wege aus dieser Spirale aufzuzeigen und zu ebnen. Lasst mich deshalb für die EL sagen: Unsere vielen Gemeinsamkeiten einen und stärken uns. Ein lebendiger Pluralismus der Linken, verbunden mit einer gemeinsamen gesellschaftlichen Vision, das ist unsere Stärke. Die italienische Linke war dabei stets eine verlässliche Partnerin.

Liebe Genossinnen und Genossen, 2002, nach einer Wahlniederlage die uns damals aus dem Bundestag fegte, befand sich auch die damalige PDS in einer sehr schweren politischen Situation. Ihr habt uns damals Eurer Solidarität versichert und diese praktisch gelebt. 2003 kam Lothar Bisky nach Rom und traf Fausto Bertinotti. Damals war die PDS eine 3 %-Partei - tief im Keller. Ihr habt damals an uns geglaubt und gesagt: lasst uns endlich Ernst machen mit der Perspektive einer gemeinsamen europäischen Linken. Das war zugleich ein Wendepunkt, der Beginn des Wiedererstarkens der linken Kräfte auch in Deutschland. Lothar Bisky wollte, dass ich Euch heute auf Eurem VII. Parteitag in Eurer komplizierten Situation – daran erinnere und den Dank der deutschen Linken übermittele. Solidarität untereinander war und ist uns sehr wichtig.  Nicht weniger wichtig war für uns als deutsche Linke damals das Lernen und Verknüpfen verschiedener Politikansätze, z.B. den Umgang mit außerparlamentarischen Bewegungen und die Entfaltung des Dialogs mit unterschiedlichsten sozialen Akteuren.

Liebe Genossinnen und Genossen, das Wahlergebnis von La Sinstra – L’Arcobaleno im April ist eine schwere Niederlage nicht nur für die italienische, sondern auch für die europäische Linke. Es ist notwendig, nach einer solchen Niederlage, so wie Ihr es tut, nach den Ursachen des Scheiterns zu fragen und Konsequenzen zu ziehen.

Die Entwicklung der deutschen LINKEN als Partei hat uns gelehrt: Es ist notwendig, ruhig, sachlich und im Bewusstsein um die Vielschichtigkeit der Ursachen, alle Probleme und offene Fragen unvoreingenommen auf den Tisch zu legen. So bestimmen z.B. Fragen nach den Ursachen des Scheiterns der realsozialistischen Gesellschaft in der DDR und in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas -neben vielen anderen aktuellen Fragen - noch immer unsere politische und theoretische  Arbeit. Diese Debatte ist uns nach nun nach fast 20 Jahren noch immer wichtig für unsere Fähigkeit, glaubhaft einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Beitrag für die gesellschaftliche Debatte um Alternativen zum Kapitalismus zu erarbeiten und öffentlich zu unterbreiten. 

Liebe Genossinnen und Genossen, die Regierungspolitik Berlusconi macht uns auf schmerzliche Weise tagtäglich bewusst, was das Fehlen einer parlamentarischen Linken bedeutet. Italien braucht heute mehr denn je eine starke Linke, die sich am außerparlamentarischen Protest beteiligt und zugleich politische Alternativen entwickelt. So wird sie auch wieder erfolgreicher bei Wahlen werden. Ihr werdet auch über tragfähige organisatorische Strukturen entscheiden. Das ist natürlich eine Frage, die Ihr, unsere italienischen Genossinnen und Genossen, aus Eurer konkreten Situation hier vor Ort nur selbst beantworten könnt. Aus der Erfahrung der deutschen Linken kann ich nur sagen: Ohne ein pluralistisches Selbstverständnis, ohne eine politische Kultur des Respekts, ohne einen offenen Umgang findet die Linke nicht zusammen. Und: Die energische Suche nach unseren Gemeinsamkeiten schützt uns vor Bedeutungslosigkeit und Beliebigkeit.

Die nächste Aufgabe, vor der wir alle stehen, sind die Wahlen zum Europäischen Parlament 2009. Die Vorbereitung hat längst begonnen.  Die Europäische Linke wird mit einer gemeinsamen Wahlplattform zu diesen Wahlen antreten. Unsere italienischen Freundinnen und Freunde haben sich an der Erarbeitung des Entwurfs auf Grundlage der Beschlüsse des Prager 2. EL Kongresses beteiligt. In diesem Monat wird er den Parteien zur Diskussion übergeben. Wir freuen uns auf die Ergebnisse Eurer Debatten. Ende November wollen wir auf einem Wahlkongress in Berlin diese Plattform endgültig verabschieden. Dann heißt es, in ganz Europa einen Wahlkampf zu machen. Wir werden zeigen, was für ein Europa wir wollen. Wir wollen eine Alternative zum Europa der Märkte. Wir wollen ein solidarisches, ökologisches, demokratisches, friedliebendes Europa. Und wir werden zeigen, Genossinnen und Genossen, dass ein solches Europa möglich ist.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde, die PDS ist 2004, bei den ersten Wahlen nach der Niederlage von 2002, mit ihrem besten Wahlergebnis ins Europaparlament eingezogen. Uns hat die europäische Perspektive geholfen. Uns hat die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen unseren Parteien vorangebracht.

Ich wünsche Euch, dass mit diesem Kongress, das Wiedererstarken der PRC und der italienischen Linken beginnt. Ich wünsche mir, dass eure vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, der italienischen politischen Linken, den sozialen und gesellschaftlichen Initiativen in Erfolgen beim Europawahlergebnis 2009 spürbar wird.

Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr und das andere Chance. Wir zählen auf Euch!