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Arbeitsgruppe Feminismus der Europäischen Linken

Wir überwinden die Pandemie, wir werden nicht für die Krise bezahlen!

Die strukturelle Krise des kapitalistischen Systems, die durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt wurde, hat die Klassen- und Geschlechtergegensätze in unserer Gesellschaft weiter verschärft.

In der Coronoavirus-Krise rückten die Frauen an vorderste Front im Kampf gegen die Pandemie. Sie haben das Funktionieren unserer Gesellschaft aufrechterhalten und riskierten dabei ihr Leben: Haushaltshilfen, Pflegekräfte, Kassiererinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen und auch Bäckerinnen, Fabrikarbeiterinnen, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Ärztinnen, Landwirtinnen - all die Berufsgruppen, in denen der Frauenanteil bei über 70 Prozent liegt und die am stärksten abgewertet und unterbezahlt sind.

Da sie die besonders prekären Beschäftigungen in unserer Gesellschaft ausüben, waren Frauen am stärksten von Kurzarbeit, der Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren und aufgezwungener Telearbeit bei fehlender Kinderbetreuung betroffen.

Der Druck auf Frauen hat weiter zugenommen. Neue Arbeitsformen wurden aufgezwungen, die zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit führen und zulasten der Trennung von Arbeits- und Privatleben gehen. Sie haben zu einer explosionsartigen Entwicklung neuer Formen von Mobbing und sexueller Belästigung online und offline in dieser Zeit geführt. Die Krise hat auch die digitale Kluft und die ungleichen Möglichkeiten, von zu Hause aus arbeiten zu können, aufgezeigt.

Weiterhin verantwortlich für den Großteil der Hausarbeit und für die Bildung der Kinder während dieser Zeit sind Frauen einer noch stärkeren psychischen Belastung durch einen nicht mehr nur doppelten, sondern dreifachen Arbeitstag ausgesetzt.

Infolge der Ausgangsbeschränkungen kam es zu einer starken Zunahme chauvinistischer, geschlechtsspezifischer und innerfamiliärer Gewalt, in einigen europäischen Ländern um etwa 30 Prozent. Insgesamt haben weltweit über 243 Millionen Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren in den vergangenen 12 Monaten sexuelle und/oder körperliche Gewalt erfahren.

In Europa sind Millionen Frauen und Minderjährige Opfer sexueller Ausbeutung und von Menschenhandel. Während der Pandemie wurden sie noch unsichtbarer und schutzloser, da sie mit ihren Zuhältern isoliert wurden. Es ist dringend notwendig, das sichtbar zu machen und einen europäischen Plan zu entwickeln, um gegen jene vorzugehen, die von der Vermarktung von Frauenkörpern (sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel, Leihmutterschaft und Pornografie) profitieren. Wir fordern energische Maßnahmen, um diesen Frauen ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte und ihre Bewegungsfreiheit zu garantieren sowie eine Politik, die es ihnen ermöglicht, sich aus der Situation der Ausbeutung und Sklaverei zu befreien.

Die Krise hat auch die strukturellen Ungleichheiten im Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgezeigt. Die Pandemie hat arme, schwarze, asiatische und ethnischen Minderheiten zugehörige Frauen unverhältnismäßig stärker betroffen. Ebenso ist die Lage von Migrantinnen ohne Staatsbürgerinnenrechte weiterhin sehr besorgniserregend. Durch die Schließung von Zentren wird ihre Lage noch weiter verschärft.

Einige Regierungen bedienen sich der Pandemie, um ökologische Verpflichtungen zurückzunehmen und auch Grundrechte von Arbeiter*innen und Frauen zu beschneiden.

Wir werden nicht für ihre Krise bezahlen!!!

Hätten Frauen ihre Arbeit niedergelegt, hätte die Welt stillgestanden und wir wären nicht in Lage gewesen, die Epidemie zu überwinden! Viele von ihnen haben dabei ihr Leben gelassen.

Wir fordern einen europäischen und globalen Notfallplan:

- für die Beendigung aller Austeritätsmaßnahmen und Strukturanpassungspläne, für massive Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und um tatsächlich Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Emanzipation für alle zu ermöglichen;

- um Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, für die volle Löhne garantiert werden, insbesondere für Frauen, die stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind – an Stelle neoliberaler Programme zur Förderung von Stellen- und Lohnabbau;

- um sicherzustellen, dass alle nationalen und europäischen politischen Maßnahmen und Fördermittel im Kampf gegen die Folgen der Krise eine klare Genderdimension haben;

- für eine höhere Partizipation von Frauen in den Sonderkommissionen zur Überwindung der Pandemie, wie es auch von den Vereinten Nationen gefordert wird;

- für die Einführung eines öffentlichen solidarischen und universellen Gesundheitssystems in ganz Europa sowie eines universellen und öffentlichen Sozialsystems, das über die erforderlichen Mittel und Zuständigkeiten verfügt, um künftige Pandemien kollektiv bewältigen zu können;

- für den Zugang zu Gesundheitsversorgung und das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen, einschließlich reproduktiver Rechte, für garantierte Rechte auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, einschließlich einer Verlängerung der Zeit für einen legalen Abbruch, des Aufbaus öffentlicher Infrastrukturen und der 100-prozentigen Kostenübernahme durch das Sozialsystem;

- Gegenwärtig arbeiten fast 30 Prozent der Frauen in der EU in Teilzeit und geben viel eher ihre Arbeit auf, um sich um Kinder und Eltern zu kümmern. Wir fordern eine allgemeine Lohnerhöhung, insbesondere in den Bereichen, die einen besonders hohen Frauenanteil aufweisen (Gesundheit, Bildung und Pflege) sowie sichere Berufswege.

- Um zu verhindern, dass Frauen weiterhin die besonders prekären Beschäftigungen und Teilzeitarbeiten ausüben und gegen Massenarbeitslosigkeit vorzugehen, plädieren wir für eine allgemeine Senkung der Arbeitszeit ohne Kürzung der Sozialbeiträge und bei vollem Lohnausgleich.

- Telearbeit, muss reguliert werden, um zu verhindern, dass sie zur “Teilzeit”-Arbeit des 21. Jahrhunderts wird. Sie könnte ernste Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen haben, insbesondere für Frauen, da die Arbeitszeit entgrenzt wird und sie auch zu Hause ausgebeutet werden, während sie gleichzeitig Pflege- und Haushaltsaufgaben übernehmen. Es ist dringend erforderlich, die Arbeitsbedingungen gesetzlich in Übereinstimmung mit dem Arbeitsrecht zu bringen.

- Lohngleichheit muss oberste Priorität haben, das schließt die Festlegung verbindlicher nationaler, europäischer und internationaler Standards für Unternehmen mit ein.

- Wir fordern Sofortmaßnahmen zum Schutz der ärmsten und am stärksten gefährdeten Frauen, einschließlich alleinerziehender Familien, und zur besseren Absicherung ihres Lebens.

- Wir fordern eindringlich dazu auf, ambitionierte politische Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlinge, Migrant*innen, Roma usw. zu ergreifen: Legalisierung ihrer Situation, Integration in den Arbeitsmarkt und garantierter Zugang zu Gesundheitsversorgung, Behandlungen und zu sozialer Sicherheit.

- Infolge der Ausgangsbeschränkungen könnte die Geburtenrate steigen. Wir fordern in Europa eine Angleichung an die höchsten Standards, dazu zählt ein gut bezahlter Mutterschaftsurlaub mit der gleichen Dauer wie in den nordischen Ländern. Zudem fordern wir eine obligatorische und nicht übertragbare Elternzeit.

- Wir fordern die Umsetzung der Konventionen 190 und 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), um die Rechte von Arbeiter*innen, insbesondere von Frauen, zu stärken, mit dem Ziel, den informellen Sektor abzuschaffen.

- Wir fordern eine allgemeine externe und unabhängige Prüfung an allen Arbeitsplätzen über alte und neue Formen des Missbrauchs, einschließlich der Durchführung von Überprüfungen der Arbeitsbedingungen in der letzten Zeit, obligatorischer Schulungen gegen sexuelle Belästigung und Mobbing, die Einrichtung einer Notfallnummer sowie eine Betreuung der Opfer von Missbrauch.

- Wir fordern einen echten Finanzierungsplan, um Frauen aus chauvinistischer und sexueller Gewalt zu befreien und ihnen materielle und moralische Unterstützung anzubieten, darunter Zugang zu Wohnraum, psychologische und finanzielle Betreuung und Unterstützung zur Erreichung finanzieller Unabhängigkeit.

- Besondere Unterstützung muss für die schutzbedürftigsten Frauen, Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung, gewährleistet werden.

Die Pandemie hat gezeigt, dass Frauen wesentlich dazu beigetragen haben, Leben zu retten. Sie stehen an vorderster Front im Kampf gegen die Pandemie. Wir fordern nationale und europäische durchgreifende Pläne, die unser Recht auf ein Leben in Würde, Gleichberechtigung und frei von Gewalt garantieren. Wir werden weiter mobilisieren, um das Patriarchat und das kapitalistische System zu zerschlagen!