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Gesine Lötzsch

Wir möchten eine aktive Partei sein

Rede der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, auf der Kreisvorsitzendenberatung am 26. Juni 2011 in Hannover:

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich bedanke mich zuallererst bei allen angereisten Kreisvorsitzenden, die hier in den Foren ihre Ideen, ihre Einschätzungen, ihre Erfahrungen, ihre Erwartungen geäußert haben, die es auf sich genommen haben, den Sonntag hier miteinander zu verbringen. Herzlichen Dank. Ich glaube, es hat sich gelohnt, liebe Genossinnen und Genossen.

In den Foren wurden häufig die Fragen gestellt: Wofür reicht unsere Kraft? Haben wir die Möglichkeit, uns mit allen Feldern der Politik, mit allen Diskussionen, die uns so vor die Füße fallen, zu beschäftigen, oder müssen wir uns konzentrieren? Mein Plädoyer ist, dass wir uns auf unsere Hauptziele konzentrieren, damit wir unsere Aufgabe in unserer Gesellschaft – nämlich für mehr Gerechtigkeit, für mehr Würde und mehr Solidarität zu sorgen, erfüllen können.

Viele von euch kennen sicherlich das Alphabet 1934 von Bertolt Brecht. Da gibt es eine Strophe, die kennt ihr wahrscheinlich alle auswendig: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Das ist eine ganz zentrale Frage, der wir uns stellen müssen. Wem gehört eigentlich was in unserer Gesellschaff? Warum ist der eine arm und der andere reicht? Warum ist der eine Herr und der andere Knecht? Ich möchte, dass wir gemeinsam für eine Gesellschaft streiten, in der es keine Knechte und keine Mägde gibt, sondern nur freie, gleichberechtigte Menschen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

vor wenigen Wochen war ich auf Einladung unseres Studentenverbandes an der Universität in Passau. Dort diskutierte ich vor 400 Studierenden mit einem Politikwissenschaftler. Dieser Politikwissenschaftler bestritt, dass es einen Zusammenhang von Armut und Reichtum gäbe. Ich denke, wir sehen das anders. Wir leben in einer gespaltenen Gesellschaft, in der das Eigentum gespalten ist, in der das Recht gespalten ist und in der die Demokratie gespalten ist. Wir als Linke wollen diese Spaltung aufheben. Wir wollen gemeinschaftliches Eigentum, öffentliches Eigentum. Wir wollen gleiches Recht für alle, und wir wollen eine Rückgewinnung der Demokratie für alle, liebe Genossinnen und Genossen.

Auch bei der Frage des Atomausstiegs und der Energiewende ist für mich die Frage der Gerechtigkeit eine der entscheidenden Fragen. Ich will nur am Rande erwähnen, dass ich der Auffassung bin, die Grünen haben gestern auf dem Parteitag mit der Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg ihre Seele verkauft, um nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der CDU regierungsfähig zu sein. Ich glaube, so eine Entwicklung, unsere Seele zu verkaufen, sollten wir nie machen. Nun sind wir, liebe Genossinnen und Genossen, für unsere eigene Seele zuständig und nicht für die Seele der Grünen.

Aber trotzdem sage ich noch einige Worte zur Energiewende und zum Atomausstieg. Wir sind die einzige Partei, die die Frage stellt: Wer bezahlt eigentlich die Energiewende? Wir wollen, dass die Energiewende, der Atomausstieg in das Grundgesetz aufgenommen werden, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Wir wollen verhindern, dass die Atomkonzerne sich mit Entschädigungsklagen eine goldene Nase verdienen können. Darum wollen wir diese Forderung durchsetzen: Atomausstieg ins Grundgesetz! Bevor wir dies durchsetzen können, haben wir natürlich auch andere Vorschläge, um einige Dinge, die wir erreichen können, nach oben zu setzen.

Wisst ihr eigentlich, liebe Genossinnen und Genossen, dass die Betreiber von Atomkraftwerken von der Haftpflicht befreit sind? Jeder von euch, der ein Auto fährt, jeder, der eine Wohnung hat, hat eine Haftpflichtversicherung. Nur die Betreiber der Atomkraftwerke hat man davon befreit, weil man ihnen gesagt hat, das ist sowieso zu teuer, das könnt ihr nicht bezahlen. Auf der anderen Seite gibt es eine Berufsgruppe, die man gerade dramatisch mit einer Erhöhung der Haftpflichtversicherung bestraft hat. Das sind nämlich die freiberuflichen Hebammen. Ihr müsst euch mal diesen Irrsinn vorstellen: Diejenigen, die Gesundheit und Leben gefährden und beeinträchtigen – die Betreiber von Atomkraftwerken –, sind von der Haftpflicht befreit und eine Berufsgruppe, die anderen ins Leben hilft – die Hebammen –, denen ist eine Haftpflichtversicherung aufgebrummt worden, dass viele sogar den Beruf aufgeben mussten. Ich finde, so einen Widersinn muss man deutlich benennen. Und wir als Partei DIE LINKE stellen uns dem entgegen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir sind ständig konfrontiert mit Meldungen über die Krise des Euro, über die Finanzkrise, über sogenannte Rettungsschirme, die aufgespannt werden sollen. Erinnern wir uns: In der Finanzkrise wurde innerhalb einer Woche ein Rettungsschirm von 480 Milliarden Euro durchgepeitscht. Und jetzt ist man dabei, einen weiteren sogenannten Rettungsschirm zu entwickeln. Der  Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, hat zu Recht auf einer Tagung unserer Partei gesagt: Seit dieser Entscheidung wissen die Vertreter der Banken, dass sie die Staatskasse in Geiselhaft haben. Und es ist unsere Aufgabe, liebe Genossinnen und Genossen, die öffentlichen Kassen endlich wieder aus der Geiselhaft der Banken zu befreien.

Liebe Genossinnen und Genossen, auf unserem Erfurter Parteitag wollen wir unser Grundsatzprogramm beschließen. Die entscheidende Frage, die das Grundsatzprogramm einer Partei beantworten muss, ist die Frage: Wie wollen wir leben? Wir wollen den Menschen mit unserem Programm Hoffnung machen. Wenn ständig gepredigt wird, dass Entscheidungen der Bundesregierung, dass Entscheidungen der Hartz-IV-Parteien alternativlos seien, dann nimmt man den Menschen die Hoffnung. Und wir haben uns den Anspruch gestellt, wieder Hoffnung zu machen. Und darum werden wir auch überall brandmarken, dass „alternativlos“ zu Recht zum Unwort des Jahres erklärt wurde.

Und weil wir den Menschen Hoffnung machen wollen und weil wir ja auch selbst Hoffnung haben wollen, weil wir ja unser Leben besser leben wollen als es jetzt ist, darum stellen wir die Frage nach dem Zusammenhang von Demokratie und Eigentum in den Mittelpunkt unseres Programms. Wir brauchen öffentliches Eigentum, denn sonst können wir nichts entscheiden. Ich glaube, dass die Mehrheit der Menschen der Überzeugung ist, dass Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Wohnungen, die Energieversorgung, Busse und Bahnen in öffentliche Hände gehören, damit nicht wenige auf dem Rücken der Mehrheit sich immer wieder eine goldene Nase verdienen und die Umverteilung fortsetzen können. Wir wollen eine andere Umverteilung. Wir wollen soziale Gerechtigkeit. Wir wollen Gerechtigkeit für alle, liebe Genossinnen und Genossen.

Eines sage ich ganz deutlich. Wir verstehen unter „öffentlicher Hand“ und unter „öffentlich betrieben“ etwas ganz anderes als die anderen Parteien. Ihr kennt das alle, insbesondere diejenigen, die in Kommunen Verantwortung tragen, die wissen, wie das funktioniert. Dort sind häufig öffentliche Unternehmen Selbstbedienungsläden für ausrangierte Politiker anderer Parteien. Das darf nicht so weitergehen. So stellen wir uns öffentliche Unternehmen nicht vor. Öffentliche Unternehmen müssen für die Bürgerinnen und Bürger transparent und in ihrem Interesse demokratisch kontrolliert werden. Sie dürfen nicht zur Endstation für ehemalige Politiker von SPD, CDU und inzwischen auch den Grünen werden. Von uns ist so etwas noch nie zu hören gewesen, dass sich einer unserer Politiker in einem öffentlichen Betrieb auf Kosten der Allgemeinheit eine goldene Nase verdient. Und ich glaube, darauf können wir stolz sein, liebe Genossinnen und Genossen.

Die demokratische Kontrolle des öffentlichen Eigentums, die können wir uns auch an ganz einfachen Beispielen selber in Erinnerung rufen. Ich kann mich gut erinnern, als ich Anfang der 90-er Jahre Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus war. Da gehörten die Verkehrsbetriebe, also Busse, Bahnen, Straßenbahnen, U-Bahn und auch Fähren – wir haben auch Wasser in Berlin –, dem Land Berlin als landeseigener Betrieb.  Und es wurde jedes Mal im Parlament abgestimmt, wie denn die Entwicklung der Preise sein sollte. Und jeder Bürger konnte sehen, wie hat mein Abgeordneter gestimmt, hat er für die Erhöhung der Einzelfahrscheine gestimmt, hat er gegen die Erhöhung gestimmt, hat er sich für eine Umweltkarte ausgesprochen oder nicht. Nachdem  unter der Großen Koalition von Eberhard Diepgen unter Beteiligung der SPD der landeseigene Betrieb in eine andere Rechtsform überführt worden ist, gibt es das nicht mehr. Niemand weiß mehr, wie würde sich jetzt der Abgeordnete entscheiden, und der Abgeordnete kann sagen: Tut mir leid, ich habe keinen Einfluss. Auch solche einfachen Vorgänge zeigen mir, wie wichtig es ist, dass wir uns endlich unser öffentliches Eigentum zurückerobern. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Eigentum zurückbekommen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir sprechen viel von einer gerechten und solidarischen Gesellschaft. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns die nur gelingen kann, wenn wir selbst diese Werte auch heute schon leben. Wir leben in einer Gesellschaft, in der erbarmungslose Konkurrenz und grenzenlose Verfügbarkeit viele Menschen krank macht und auch soziale Bindungen zerstört. Ich möchte die Hoffnung ausdrücken und für uns auch als Ziel und Aufgabe formulieren: Je intoleranter diese Gesellschaft wird, desto toleranter müssen wir als Partei werden. Desto toleranter müssen wir untereinander werden, und je mehr Konkurrenz in dieser Gesellschaft gefordert wird, desto mehr müssen wir die Solidarität leben. Es wäre gut, wenn unsere Partei eine Oase der Solidarität wäre, liebe Genossinnen und Genossen. 

Der einzige Weg, der nicht nach Rom führt, sei der Mittelweg, sagte der Komponist Arnold Schönberg. Trotzdem drängen alle neoliberalen Parteien auf diesen Weg.

Warum eigentlich? Haben sie nicht gesehen, dass dieser Weg in die Irre führt?

Viele von uns haben im Studium Karl Marx gelesen, manche später, manche in der Schulzeit. Und sie wissen, dass Finanzkrisen zum Kapitalismus gehören. Man kann zwar durch Regulierung die Wirkung dieser Krisen abschwächen, sie aber nicht vermeiden. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass wir als LINKE andere Wege gehen wollen als die neoliberalen Parteien. DIE LINKE ist eine junge Partei - wir sind kurz nach unserem vierten Geburtstag - , in der sehr viel diskutiert wird, doch eins ist klar: Wir sind nicht auf dem Mittelweg unterwegs. In unserem Programmentwurf, den wir in Erfurt beschließen wollen, steht eindeutig, dass wir ein anderes Gesellschaftsbild haben. Wir wollen den demokratischen Sozialismus. Wie er nicht aussehen soll, wissen alle. Wie er aussehen könnte, darüber diskutieren wir gemeinsam bei der Erarbeitung und Verabschiedung  unseres Grundsatzprogramms. Eines steht fest: Er wird solidarisch, freiheitlich, ökologisch, nachhaltig – und nicht zuletzt – feministisch sein, liebe Genossinnen und Genossen.

Als vorletzten Punkt möchte ich euch alle bitten, die Wahlen, die vor uns liegen, zu unterstützen. Wir sind hier in Niedersachsen. Am 11. September findet die Kommunalwahl statt. Und wir haben in den Foren darüber diskutiert, wie wichtig es ist, die Kandidatinnen und Kandidaten auszuwählen, zu schulen, sie zu unterstützen und ermutigen. Und da Niedersachsen, insbesondere Hannover, relativ gut in der Mitte Deutschlands platziert ist, haben viele Kreisverbände auch die Möglichkeit, hierher zu reisen. Bitte, liebe Genossinnen und Genossen, unterstützt die Genossinnen und Genossen in Niedersachsen. Denn ein gutes Ergebnis hier wäre für uns alle wichtig, und das könnten wir vielleicht auch mit dieser Konferenz in Zusammenhang bringen.

Wir haben zwei Landtagswahlen: am 4. September in Mecklenburg-Vorpommern und am 18. September in Berlin. Auch hier brauchen wir gemeinsame Anstrengungen, um gute Wahlergebnisse zu erreichen. Wir wünschen uns immer alle, dass wir hervorragend abschneiden. Wir sind enttäuscht, manchmal deprimiert, wenn es nicht sofort klappt. Aber ich glaube, wer sich ein bisschen mit der Geschichte befasst, mit der eigenen, der persönlichen, politischen, weiß, man braucht immer einen langen Atem. Lasst uns gemeinsam diesen langen Atem haben, liebe Genossinnen und Genossen, und für gute Wahlergebnisse kämpfen.

Wir möchten eine aktive Partei sein. Wir möchten alle Genossinnen und Genossen einbeziehen, und heute durch die Teilnahme an dieser Veranstaltung habt ihr ja bewiesen, wie lebendig unsere Partei ist. Manchmal gibt es allerdings auch eine Art von Zuschauerdemokratie. Zwei erfahrene Genossen haben unsere heutige Veranstaltung begleitet. Statler und Waldorf aus der Muppet-Show, die dort oben von dem Wandbild aus auf uns schauen. Diese beiden älteren Herren sind dafür bekannt, dass sie das Geschehen auf der Bühne immer von der Loge aus betrachten und kein Auftritt ihnen gefällt. Jeden und alles kommentieren sie mit sarkastischen Bemerkungen. Und dank ihrer Sprüche haben sie Kultstatus. Zuschauerdemokratie dieser Art lassen wir uns gern gefallen. Ansonsten brauchen wir jeden, der mitmacht und es wäre gut, wenn ihr heute nach der Tagung neue Freunde, Genossen kennengelernt habt, mit denen ihr in Zukunft zusammenarbeitet.

Liebe Genossinnen und Genossen,

 ich möchte mich recht herzlich bedanken bei den Gastgebern, bei allen Organisatoren, bei allen Menschen, die hier im Hotel, in der Tagungsstätte für die Versorgung und die Technik gearbeitet haben und natürlich auch bei den vielen Helferinnen und Helfern aus dem Karl-Liebknecht-Haus. Ich bedanke mich auch recht herzlich bei der Zeitung „Neues Deutschland“, die jedem von euch das Buch „Alles auf den Prüfstand!“ auf den Tisch gelegt hat. Ihr könnt das auf der Heimfahrt lesen, denn wir haben ja durch unsere Vereinigung auch eine neue gemeinsame Geschichte. Und so einiges darüber zu lesen, ist sicher nicht schlecht. Herzlichen Dank an euch alle. Ich wünsche euch alles Gute. Ich hoffe, dass ihr gut nach Hause kommt, eine wunderbare Sommerzeit habt, natürlich die, die im Wahlkampf sind, eine etwas kürzere. Und im nächsten Jahr werden wir uns alle wiedersehen zur Kreisvorsitzendenberatung, vorher auf Parteitagen, wo auch immer. Alles Gute. Vielen Dank, dass ihr hier wart.