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Uta Wegner und Jochem Visser

Wahlen in den Niederlanden

Sozialisten können Position halten und werden drittstärkste Kraft

Am gestrigen Mittwoch fanden in den Niederlanden die Wahlen zum Parlament statt. Zu den vorgezogenen Neuwahlen kam es, nachdem die rechtspopulistische Partei PVV, die eine Mischung aus Sozialpolitik nur für die eigene Bevölkerung und Hass gegen die muslimische Bevölkerung propagiert, die Regierung aus rechtsliberalen Ende April 2012 zerbrechen ließ. Im Ergebnis bekamen die beiden stärksten Parteien noch einmal die Bestätigung der Wähler. Die rechtsliberale Partei (VVD) des bisherigen Premierministers Mark Rutte ist mit 41 Sitzen (+ 10, 26,4%) der Gewinner, dicht gefolgt von den Sozialdemokraten (PvdA) mit ihrem Spitzenkandidaten Samsom (39 Sitze, +9, 24,7%). Während vor allem die rechtspopulistische Partei Geert Wilders' (PVV) herbe Verluste einstecken musste (von 24 Sitzen verloren sie 9, 10,1%) und auch die Christdemokraten (CDA) mit nunmehr 13 Sitzen (-8, 8,5%) auskommen müssen, konnte die Sozialistische Partei (SP) ihre Position verteidigen (15 Sitze, 9,6%) . Damit ist sie neben der PVV drittstärkste Fraktion in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments.

Da das Ergebnis stark von den Prognosen abweicht, war der Wahlabend für die beiden stärksten Parteien eine positive Überraschung, während die restlichen zehn im Parlament vertretenen Parteien mit Verlusten beziehungsweise keinem Wachstum umgehen mussten.

Bis zur letzten Minute wurde gekämpft und das Ergebnis auf der Wahlparty der SP in Den Haag mit Spannung erwartet. Den Wahlerfolg von 2006 mit 25 Sitzen konnte die SP nicht wiederholen. Den Wählern blieb unverständlich, warum sie damals mit dieser starken Position in der Opposition geblieben war. Das führte zu einem Abfall auf 15 Sitze bei den Wahlen 2010.

Dass sie ihre Position nun halten konnte, war sicher dem typisch originellen und engagierten Wahlkampf der SP geschuldet, die mit ihrem sympathischen Spitzenkandidaten Emile Roemer einen großen Teil der Wähler von einer Wiederwahl überzeugen konnte. Die Mitglieder der Partei waren überaus aktiv, die Botschaften und Ziele der SP an die Bevölkerung zu vermitteln. Von den 46.000 Mitgliedern waren im Wahlkampf 15.000 engagiert.

Die Wahlbeteiligung war mit 73,8% recht hoch. Die Zustimmung zur Partei ist regional und zielgruppenspezifisch recht unterschiedlich. Während die Hochburgen der SP traditionell im Südosten des Landes und den Kleinstädten liegen, konnte sie in den großen Städten im Westen (Rotterdam, Utrecht, Den Haag) bisher noch nicht recht Fuß fassen. Eine Ausnahme bildet hier Amsterdam mit einem Plus von 2,4%, auf jetzt 9,3%. Vor allem Frauen (57%), die Generation 50+ (47%) und zur Miete Wohnende (45%), sowie die bildungsferneren Schichten, aber auch Menschen aus dem Bildungs- und Gesundheitssektor machen ihr Kreuz bei der SP.

Im niederländischen Vergleich ist den SP-Wählern mit 61% (NL: 38%) vor allem die Gesundheitsversorgung wichtig, 50% (NL: 28%) wünschen mehr soziale Sicherheit und 42% (NL: 24%) eine stärkere Belastung der Höchsteinkommen.

Die anfänglichen Prognosen von bisweilen fast 40% Prozent Wählerzustimmung für die SP führten in den letzten Tagen vor der Entscheidung zu einer hektischen Medienkampagne, in der jeweils der Kandidat der rechtsliberalen VVD Rutte und der Sozialdemokraten (PvdA) Samsom bereits als Sieger dargestellt wurden. Der SP wurde mehrere Tage lang auf den Titelseiten der auflagenstärksten Tageszeitung ("De Telegraaf") Regierungsunfähigkeit unterstellt. Die gezielte Hetzkampagne gegen die SP durch rechte Medien und die nur auf die liberal-konservativen beziehungsweise sozialdemokratischen Kandidaten ausgerichteten Fernsehdebatten machten es den Sozialisten im Wahlkampf sicherlich nicht leicht, Wähler, die traditionell für die Sozialdemokraten stimmen, von einem Wechsel zu überzeugen.

In den letzten Tagen vor der Wahl sanken die Werte für die SP auf um die 20%, so dass bis zuletzt die berechtigte Hoffnung auf eine immerhin gestärkte Fraktion bestand. Dennoch gab es parteiintern keine Illusionen darüber, dass die PvdA sich im Ringen um die Gunst linker Wähler sozialistischer Positionen bediente, so dass sie in gewissen Punkten einer "SP light" glich. Die Entscheidung vieler Wähler, trotz Zustimmung zur SP dennoch die PvdA zu wählen, lag nicht zuletzt auch an deren bereits erwiesener Regierungsbeteiligung sowie an ihrem charismatischen Spitzenkandidaten Diederik Samsom, den die Partei nur drei Monate vor der Wahl aus dem Hut gezaubert hatte. Dieser kluge Schachzug hat sicher zu ihrem Erfolg beigetragen.

Zum Problem für die SP wurde dabei auch, dass von den Medien der Öffentlichkeit erfolgreich das Bild einer europaskeptischen Partei vermittelt wurde, auch gestützt auf eine verkürzt wiedergegebene Positionierung des Spitzenkandidaten.

Die PvdA hätte zusammen mit der VVD eine nur leichte Mehrheit (80 von 150 Sitzen), so dass es wahrscheinlich ist, dass sie sich in einer Dreiparteienkoalition entweder mit der CDA (Christdemokraten) (93 von 150 Sitzen) oder, mit geringem Unterschied (92/150), mit den Sozialliberalen (D66) zu einer stabilen Mehrheit zusammenschließen. Die SP wäre dann die stärkste linke Kraft in der Opposition, neben der GL (ökologisch-linke Grüne Linke), die allerdings auch Verluste in Kauf nehmen mussten und jetzt bei 3 Sitzen liegen.

Neues Vertrauen

Die Niederlande sind durch die Finanzkrise hart getroffen worden. Die milliardenschweren Rettungspakete für Banken und Finanzinstitute haben die Staatsschulden erhöht. Sinkende Immobilienpreise und steigende Ausgaben für Gesundheit und Bildung führten zu einem deutlichen Kaufkraftverlust. Die rechtsliberale Regierung trieb mit ihrer Sparpolitik immer mehr Niederländer in Erwerbslosigkeit und Armut. Die seit 1972 bestehende SP hat mit ihrem Wahlprogramm "Nieuw Vertrouwen" (Neues Vertrauen) ihre Pläne für einen politischen Neuanfang und einen sozialen Ausweg aus der Wirtschaftskrise dargelegt.

Als eine Partei, die sich um die wirklichen Belange der Bürger kümmert, ist sie ein wichtiger Ansprechpartner geworden. Das Vertrauen vieler Bürger wurde durch konsequente Basisarbeit hart erarbeitet. In vielen kommunalen und regionalen Parlamenten ist die SP vertreten und hat dort auch Regierungsverantwortung übernommen.

Die SP will mit einem sozialen Investitionsprogramm eine Alternative zu der bisherigen Regierungspolitik bieten. Der Politik der sozialen Ausgrenzung soll damit ein Ende gesetzt werden. Stattdessen soll der Sozialstaat gestärkt werden, um so eine demokratische Kontrolle der Finanzwirtschaft zu ermöglichen.

Die SP kämpft für eine solidarische Steuerpolitik, eine Umstrukturierung des Wohnungsmarktes und ein Ende der Privatisierung des Gesundheitswesens. Mehr Geld für Bildung, Pflegepersonal und Polizei stehen genauso auf der Agenda wie verstärkte Bürgerbeteiligung und der Abbau der überbordenden Bürokratie.

Internationale Themen spielten im Wahlkampf nur eine marginale Rolle, soweit es nicht die Finanzkrise im Euroraum betraf. Den heutigen Entwicklungen in der Europäischen Union steht die SP kritisch gegenüber. Die neoliberale Stoßrichtung der EU soll verändert und den Lobbyisten die Tür gewiesen werden. Nur eine sozial gerechte EU habe die Möglichkeit das Vertrauen ihrer Bürger zu gewinnen. Der Regelsucht aus Brüssel sollen klare Grenzen auferlegt werden. Eine weitergehende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene kann nur unter der demokratischen Kontrolle und Einflussnahme der Bürger dieser Länder stattfinden.

Die neue Regierung wird den neoliberalen Kurs beibehalten. Es bleibt abzuwarten, wie die schwer von der Eurokrise getroffenen Niederlande sich mit dieser violetten Koalition schlagen. Die SP wird weiterhin für ein sozialeres Land kämpfen und ist bereit bei den nächsten Wahlen voraussichtlich 2016 die Ziele umzusetzen, für deren Umsetzung sie seit Jahren einstehen.