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Katja Kipping

Vor Armut schützen und Reichtum begrenzen

Grußwort von Katja Kipping zur Tagung des Sozialverbandes VdK

Der Sozialverband VdK stand und steht für soziale Gerechtigkeit, für den Einsatz für und MIT Menschen, die nicht auf der materiellen Sonnenseite des Lebens geboren wurden. Dafür gilt Ihnen allen, und namentlich möchte ich hier stellvertretend für alle Ihre bisherige Präsidentin, Frau Ulrike Mascher nennen, Anerkennung, Unterstützung und einfach ein großes Dankeschön. Liebe Verena Bentele, zu Ihrer neuen Aufgabe als Präsidentin des VdK möchte ich Ihnen ganz herzlich gratulieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei! In einigen der Zeitungsartikel über Sie, wurde eine Frage von Ihnen zitiert: Warum ist die Arbeit von Menschen, die zum Beispiel Autos herstellen, wertvoller als die Arbeit von Menschen, die andere pflegen?« Mit dieser so klaren Frage, haben Sie, Frau Bentele, direkt eine der großen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft angesprochen.

Kampagne gegen Pflege-Notstand

Dass Pflegekräfte immer noch so schlecht bezahlt werden liegt auch an zwei großen Übeln dieser Gesellschaft, an zwei Unterdrückungsverhältnissen. Zum einen eine Wirtschaftsweise, die allein auf Profit orientiert. Da die Arbeit am Menschen nicht so viel Gewinn im rein monetären Sinne abwirft, wird ihr Wert geringer eingestuft, wie absurd.

Hinzukommt: Früher wurde die  Arbeit am und mit den Menschen oft von Frauen quasi umsonst in den Familien weggetragen. Insofern so – die unausgesprochene patriarchalische Geringschätzung – kann sie ja gar nicht so viel wert sein. Wenn wir heute für mehr Personal im Pflege und Gesundheit und für deutlich bessere Entlohnung streiten, dann legen wir uns auch mit patriarchalen Hierarchien und mit der reinen Profit-Orientierung an.

Meine Partei hat deshalb vor einiger Zeit eine Kampagne gegen den Pflegenotstand gestartet. Wir fordern 100.000 zusätzliche Stellen in den Krankenhäusern und 40.000 zusätzliche in der Altenpflege. Zudem setzen wir uns für einen Branchenmindestlohn in der Altenpflege von 14,50 Euro ein. Mit dieser Kampagne geht uns darum den Druck auf die Regierenden zu erhöhen.

Denn eins ist wohl klar, die im Koalitionsvertrag verabredeten 8000 neuen Stellen sind nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. An die Adresse der Bundesregierung sage ich deshalb: Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Vom Pflegenotstand kann jeder von uns betroffen sein, der sich nicht die teure Privatklinik in der Schweiz leisten kann. Deshalb gilt, was die Beschäftigten zu recht selbstbewusst sagen: Mehr von uns ist besser für alle!

Soziale Spaltung stoppen

Dieser Verbandstag steht unter dem Motto: Soziale Spaltung stoppen.  Das ist das absolut richtige Zeichen. Wenn wir über soziale Spaltung reden, dann beginnen wir oft damit, über Armut zu sprechen. Das ist auch richtig so. Immerhin ist die Armut kontinuierlich gestiegen.

  • Über 13 Millionen leben mit einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze.
  • Jede/r fünfte 67-Jährig/e wird 2036 von Altersarmut bedroht sein.
  • Jedes fünfte Kind lebt mittlerweile dauerhaft oder wiederkehrend in einer Armutslage.
  • Und Armut führt schnell zu Isolation, zu Vereinsamung.

Auf Veranstaltungen wie diesen bedauern irgendwie alle, dass es Armut gibt. Ich jedoch meine: Armut gilt es nicht nur zu bedauern, sondern entschieden zu bekämpfen. Armut wohl gemerkt, nicht die Armen!

Soziale Garantien

Deshalb brauchen wir soziale Garantien, die alle sicher vor einem Leben in Ausgrenzung und Armut schützen. Konkret bedeutet das:

  • Das Hartz IV-Sanktionssystem durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1050 Euro zu ersetzen.
  • Das gesetzliche Rentenniveau zu erhöhen und innerhalb der Rente als unteres Sicherheitsnetz eine solidarische Mindestrente in Höhe von 1050 Euro einzuführen.
  • Und eine Kindergrundsicherung, wie sie von einem breiten Bündnis gefordert wird, soll allen Kindern Teilhabe garantieren. Denn jedes Kind hat das Recht auf einen guten Start ins Leben.

Diebstahl bei Bedürftigen

Aus aktuellem Anlass ein Wort zum Hartz IV-Regelsatz: Das ARD Politmagazin Monitor veröffentlichte eine Studie, wonach die Regierung jährlich 25 Milliarden spart, weil sie die Regelsätze kleinrechnet. 7,4 Millionen Menschen sind direkt von der Höhe der Hartz IV-Regelsätze betroffen, darunter zwei Millionen Kinder und eine Millionen arme Rentnerinnen und Rentner. Bei den Hartz IV-Regelsätzen handelt es sich um das soziokulturelle Existenzminimum. Hier handelt es sich nicht um ein Almosen, das der Staat gnädiger Weise gewährt, sondern um ein Recht.

Wir haben nachgerechnet: Würde man auf die Tricks verzichten, müsste der Regelsatz inzwischen bei 570 € liegen. Das Kleinrechnen des Regelsatzes ist also vor allem eins: Diebstahl bei Bedürftigen. Insofern fordert DIE LINKE von Hubertus Heil, dem neuen Sozialminister: Beenden Sie bei der nächsten Neuberechnung, diesen Diebstahl an Bedürftigen. Erhöhen Sie die Regelsätze!

Armut und Reichtum

Wenn wir uns mit sozialer Spaltung auseinandersetzen, dann müssen wir auch über die andere Seite sprechen: den riesigen Reichtum einiger weniger. Und der extreme Reichtum einiger weniger hängt nun mal mit der Armut der vielen zusammen. Konzentrierter Reichtum in den Händen einiger weniger entzieht der Gemeinschaft Vermögen.

Parallelgesellschaften

Es entstehen Parallelgesellschaften zwischen den Vierteln, wo jeder Euro drei Mal umgedreht werden muss und denen der Superreichen. Es entsteht Kriminalität. Ich meine nicht nur Einbrecher, Drogenhändler und Kleinkriminelle in den ärmeren Gegenden. Die sicher auch, aber ich meine all jene auch all jene, die ihre Vermögen vor der Steuer mit krimineller Energie verstecken lassen. Was für den Mafiaboss sein Geldeintreiber ist, ist für den Superreichen sein Finanzberater. Der eine treibt brutal das Geld ein, der andere versteckt es mit gleicher Brutalität, nur eleganter und in schickeren Anzügen. Ich meine da müssen wir ran und zwar sehr konsequent. Wir dürfen es nicht weiter zulassen, dass geschätzte 16 Prozent der Wirtschaftsleistung unseres Landes in Steuerparadiesen gebunkert werden. Aber wir müssen nicht nur an die Schwarzgeldkonten ran, sondern wir müssen die Vermögensschere schon ganz am Anfang kappen. Denn ab einem gewissen Grade gerinnt großer Reichtum direkt in Macht. Ab einem gewissen Grade gefährdet Ungleichheit den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Um der Ungleichheit entgegen zu wirken, brauchen wir nicht nur eine Absicherung nach unten, sondern auch eine Deckelung nach oben nachdenken. Um es deutlich zu sagen, nachdem wir den Mindestlohn erkämpft haben, ist es an der Zeit über einen Höchstlohn zu sprechen.

Das Wievielfache dessen, was die unterste Einkommensgruppe bekommt, ist noch mit einem Mehr an Leistung zu begründen?

Um diese notwendige Debatte anzuschieben, mache ich zwei konkrete Vorschläge:

  1. Jeder Manager und jedes Aufsichtsratsmitglied darf nicht mehr als das 20fache dessen bekommen, was die unterste Lohngruppe im Unternehmen bekommt. Innerhalb eines Unternehmens sollte die Spreizung also nicht mehr als das 20fache betragen. Wer seine Leute nicht ordentlich bezahlen kann, hat auch keine Millioneneinkommen verdient.
  2. Und innerhalb der Gesellschaft eines Landes sollte die Spreizung nicht mehr als das 40fache betragen. Nehmen wir mal an, das gesellschaftliche soziokulturelle Existenzminimum liegt bei 1050 Euro im Monat. Dann würde das Maximaleinkommen bei rund einer halben Million im Jahr liegen.

Eine gewisse Lohnspreizung ist begründbar. Aber kann man mehr als eine halbe Millionen für eine Person im Jahr mit einem Mehr an Leistung begründen? Bis zu einer gewissen Summe bedeutet mehr Geld auch mehr Möglichkeit zum Genuss. Aber kann man mehr als eine halbe Millionen sinnvoll in mehr Lebensgenuss umsetzen? Zugegeben, das 40fache ist erst einmal willkürlich gesetzt. Ich bin offen und interessiert an Begründungen für eine andere Zahl.

Mir ist bewusst, dass solche Vorschläge Kontroversen hervorrufen. Doch wenn wir die soziale Spaltung stoppen wollen, heißt es alle garantiert vor Armut zu schützen UND Reichtum zu begrenzen – und das zum Wohle aller. Denn wir wissen, Gesellschaften, in denen die Ungleichheit nicht so stark ist, sind glücklichere Gesellschaften.

Soziale Spaltung stoppen – so das Thema ihrer Tagung. Allein dieses Thema deutet an, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Ich wünsche Ihnen Ausdauer und Kraft und den gehörigen Mut für das, was Sie sich als Arbeit auf dieser Tagung vorgenommen haben.