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Viele der Forderungen kann ich vorbehaltlos unterschreiben

Gastbeitrag von Prof. Klaus Dörre zur Diskussion des Strategiepapiers "Für einen demokratischen Sozialstaat der Zukunft" auf der Gremienberatung der LINKEN zum Jahresauftakt 2020

Einen schönen guten Morgen! Ich bedanke mich für die Einladung! Ich mache eine Vorbemerkung und äußere mich dann zu vier Punkten und mache dann einen kleinen Nachtrag. Die vier Punkte sind:

Erstens der "Leseeindruck", zweitens "Die Herausforderung für einen Wohlfahrtsstaat der Zukunft", den dritten Punkt habe ich überschrieben "Statik und Dynamik", das klingt etwas akademisch und da geht es mir darum, dass ich ein bisschen an den Zukunftsherausforderungen, die ich kurz skizzieren will, messen will, was die zentralen Säulen des Programms sind. Und der vierte Punkt heißt "Was möglicherweise fehlt". Das sind so ein paar Vorschläge, die möglicherweise auch heiße Eisen berühren, die dann vielleicht nochmal Gegenstand der Debatte sein könnten. Und danach kommt ein kurzer Nachtrag. Vorbemerkung, ich bin kein Wohlfahrts- oder Sozialstaatsexperte. Wahrscheinlich wären andere viel kompetenter als ich, um zu solchen Fragen zu diskutieren. Es gibt einige Bereiche,wo ich mich ganz gut auskenne. Das betrifft insbesondere diesen dritten Block, Neues-Normalarbeitsverhältnis. Ich bin Arbeitssoziologe und kenne mich sehr gut aus mit Arbeitsbeziehungen, Tarifverträgen usw. und habe natürlich auch in der Sozialpolitik mich engagiert auf der Basis unserer empirischen Forschungsergebnisse. Ich habe z.B. mit Katja Kipping an der Frage Hartz-IV-Sanktionen usw. immer mal wieder Veranstaltungen gehabt. Das bringt mich jetzt zu einer zweiten Vorbemerkung, ich bin ein parteiloser Sozialist, das heißt alle Fettnäpfchen, in die ich jetzt trete, in die trete ich ohne strategisches Kalkül. Ich kenne sie wahrscheinlich gar nicht. Jedenfalls nicht ganz genau und handele sozusagen auf eigene Gefahr. Ich rede auch auf eigene Gefahr, weniger handeln als reden. Das war die Vorbemerkung jetzt zum "Leseeindruck".

Das Papier habe ich heute Morgen im Zug nochmal gelesen. Der erste Eindruck ist, es liest sich gut, insbesondere in den ersten Passagen. Das erwähne ich deshalb, weil es nicht immer so ist bei programmatischen Papieren. Es kommt in den einleitenden Passagen viel zu Sprache und auch in Formulierungen, die man relativ gut lesen kann oder sehr gut lesen kann. Das hält sich nicht ganz durch im Papier, das ist auch normal, weil dann die Forderungen kommen usw., und die sind in der Regel ja dann schon entstanden aus Kompromissformulierungen, aber insgesamt wird vom Leseeindruck schon deutlich, dass es um einen Versuch geht, die Linkspartei zu positionieren, in einer Ära, ich sag es mal plakativ, nach der Agenda 2010. Wir sind lange noch nicht soweit, dass deren Folgen, oder deren Gültigkeit abgeräumt werden, aber die programmatischen Veränderungen sind offensichtlich und das nicht zuletzt in der Sozialdemokratie, auch wenn man sehen muss, was dann davon Praxis wird. Diese Frage steht aber, wie positioniert man sich in dieser Konstellation neu? In diesem Zusammenhang finde ich, dass dieser Vorschlag eine Vielzahl an progressiven Forderungen enthält, die ich vorbehaltlos unterschreiben kann und könnte. Mir gefällt natürlich persönlich sehr gut, dass von der politischen Philosophie, die dem zugrunde liegt, angeknüpft wird an den Begriff des Sozialeigentums meines Freundes Robert Castel. Das würde ihm, würde er noch leben, auch selbst sehr freuen. Allerdings hätte er wahrscheinlich vermutet, dass diese Formulierung eher bei der SPD auftaucht. Er ist selbst in der Nähe der französischen Sozialisten gewesen und so von dem Grundduktus der da drin steckt, Sozialeigentum sorgt für sozialen Zusammenhalt, ist das eigentlich eine Idee, die vielleicht mal bei der Sozialdemokratie zu Hause gewesen ist. Das dann aber lange Zeit nicht mehr war und das Glaubwürdigkeitsproblem, was die Sozialdemokratie hat, wird sich so leicht auch nicht schließen lassen, mit der programmatischen Wende und den Veränderungen an der Führungsspitze dieser Partei. Ich finde, dass der Entwurf sich neuen Elementen öffnet, wie etwa die Infrastrukturdebatte, die zur Wohlfahrtsstaat-Diskussion hinzugenommen wird. Das ist eine Veränderung, die wir auch bei der Labour-Party sehen. Die das sogar zu einem Angelpunkt für sozialistische Politik macht. Ich würde mir aber bei solchen Akzentuierungen wünschen, dass das Neue noch stärker hervorgehoben wird. Auch da könnte man jetzt seriös sagen, was die Labour-Party macht mit der Infrastrukturdiskussion, ist erst mal der mühsame Versuch, sich wieder an kontinentaleuropäische Verhältnisse anzunähern. Man kann das nicht einfach übernehmen, aber ich glaube man könnte das Neue durchaus stärker akzentuieren, weil diese Infrastrukturdiskussion über öffentliche Güter jaeigentlich heißt die Eigentumsfrage wieder zu stellen. Und zwar in einen Bereich wo es unmittelbar überzeugend ist und allen einleuchtet. Jedenfalls mehr als die Sozialisierungsdebatte um BMW, die ich persönlich gar nicht für falsch halte. Das ist sozusagen näher an dem Alltagsverstand der Bevölkerung. Ich finde auch durchaus überzeugend diese Kombination der Säulen. Also Solidarität, Sicherungssysteme, Ausgleich, da habe ich mir ein kleines Fragezeichen gemacht, warum eigentlich nicht Umverteilung? Ausgleich aber nicht Umverteilung. Man könnte sagen, ich weiß nicht wie die Antwort sein wird, dass das mit der Umverteilung in Sinne des Wohlfahrtstaates noch nie so gut geklappt hat, aber es wäre auch eine Frage der Programmatik. Dann Sozialgerechte-Garantien, das finde ich richtig. Und natürlich auch diese Säule neben den sozialen Dienstleistungen der öffentlichen Infrastruktur, diese Säule gute Arbeit, die ich für einen ganz zentralen Punkt halte. Es gibt noch eine ganze Reihe von neuen Elementen, die ein bisschen versteckt angesprochen werden. Sehr stark wird die Erwerbsarbeit, die bezahle Erwerbsarbeit, gemacht, aber in solchen Formulierungen wie kurze Vollzeit für alle oder lange Teilzeit für alle klingt ein bisschen an, dass es eben nicht nur um Erwerbsarbeit geht, dass es auch Tätigkeitsformen gibt,die sozusagen bei der Definition des progressiven Wohlfahrts- und Sozialstaates eine Rolle spielen müssen und die Verzahnung dieser Tätigkeiten ist natürlich ungeheuer wichtig. Das betrifft dann auch den Bereich, der dann angesprochen wird zur Arbeitszeitverkürzung in diesen beiden Formulierungen, und jede dieser Formulierungen hat was für sich, um das auch zu sagen, also die kurze Vollzeit für alle trägt der Debatte Rechnung, dass die Teilzeitbeschäftigung im gewerkschaftlichen Kontexten häufig als eine prekäre Beschäftigungsform erlebt wird, während umgekehrt die lange Teilzeit stärker den Akzent setzt auf die Aufwertung von Tätigkeiten außerhalb der bezahlten Erwerbsarbeit. Die Stoßrichtung aber ist die gleiche. Insofern, denke ich, deuten sich da Kompromisse an, aber solche die tragfähig sind und zu Politik gemacht werden könnten. Das war der erste "Leseeindruck" mit einem Zusatz: Das Ganze ist mir an manchen Stellen noch nicht bissig genug!

Mit Blick auf die politische Auseinandersetzung, was ich im nächsten Punkt begründen will: Was sind eigentlich die Herausforderungen für den Wohlfahrtsstaat der Zukunft? - Das wäre dann die Messlatte, an der ich das Programm messen will. Ich schicke voraus, ich begrenze mich jetzt auf drei Herausforderungen, die ich für Zentral halte. Es gibt bestimmt mehr, aber drei will ich explizit benennen. Ich fange mit der ersten Herausforderung an, die ich schon genannt habe, also der Ära "Post-Agenda 2010". Etwas zu optimistisch, wie gesagt. Die aber natürlich alle zwingt, auch insbesondere DIE LINKE zwingt, sich neu zu positionieren, weil es natürlich in der politischen Konkurrenz in Zukunft nicht mehr so sein wird, dass man die Sozialdemokratie in erster Linie für die Agenda 2010 verantwortlich machen kann und darauf die Kritik begründet, das muss man ihr nicht ersparen, aber man muss sie eigentlich drängen den Positionswechsel, den sie angekündigt hat, nachhaltig zu vollziehen. Das steht genauso im Programm drin. Das wird aber natürlich dazu führen, dass es nicht einfacher wird, auf den ersten Blick zu klären worin das eigene Profil eigentlich besteht. Ich würde mal sagen, vieles was im Programm steht, etwa der Infrastrukturpunkt, findet sich fast wörtlich auch bei der linken Sozialdemokratie. Wie etwa in der letzten Ausgabe der Zeitschrift SPD. Das ist aber nicht der Punkt, auf den ich raus will. Aus meiner Sicht steckt dahinter eine viel grundlegendere Problematik, die ich kurz ansprechen will. In der Debatte die jetzt einsetzt "Post-Agenda 2010", wird es eine Konstellation geben, wo aller Wahrscheinlichkeit nach diejenigen, die sich jetzt neu positionieren, sich zwischen zwei Polen bewegen. Der eine Pol ist Retrodiskussion, gewissermaßen. Ich erlebe das auch immer mit diesem Vorschlag, den Sozialismusbegriff wieder neu zu füllen. Der Vorwurf "Retro" ist da nicht weit entfernt. Das wird es bei der Wohlfahrtsstaatsdiskussion auch geben. Also ist es nicht einfach nur ein Zurück zu "vor Hartz" und vor "Agenda 2010". Der andere Pol wäre das, was einleitend in dem Marx-Zitat angesprochen worden ist , was sind die Zukunftsvoraussetzungen. In diesem Zusammenhang möchte ich nur noch eines in Erinnerung rufen. Die Debatte um den Wohlfahrtsstaat, der mit der Agenda 2010 nicht beseitigt wurde, aber doch erheblich beschädigt wurde - die Kritik von zwei Seiten. Das eine war die neoliberale Kritik, die sozusagen den Wohlfahrtsstaat bezichtigte, die große wirtschaftliche Leistungskraft zu drosseln, weil der Wohlfahrtsstaat gewissermaßen die unternehmerischen Freiheiten einschränkt und die Aktivitäten der Menschen lähmt. Das war die eine Sicht der Dinge. Die hat sich insbesondere in der Krise 2007-2009 als völlig falsch erwiesen, weil die Staaten am besten durch die Krise gekommen sind, die einigermaßen ausgebaute Sicherungssysteme hatten, bzw. für der Bundesrepublik galt und gilt, dass der Wohlfahrtsstaat noch nicht so beschädigt war, dass es eben nicht doch möglich war, Antikrisenpolitiken zu implementieren in Unternehmen, weil es z.B. Betriebsräte gab, die es anderswo nicht mehr gab, als Handlungsfähige. Der andere Punkt ist aber die linke Wohlfahrtsstaatskritik, die es auch immer gegeben hat. Jürgen Habermas - die utopische Kraft des Wohlfahrtsstaates erschöpft, verbunden mit falschen Prognose, der Wohlfahrtsstaat ist nur noch zu beseitigen um den Preis eines Blutbads in den entwickelten Kapitalismen. Das war eine zu positive Einschätzung. Aber es hat natürlich immer drin gesteckt, dass im Wohlfahrtsstaat auch ein herrschaftliches Element angelegt ist, das mit den Harz-IV-Reformen enorm ausgebaut worden ist. Aber diese Art der Kritik, dass soziale Gegensätze still gestellt werden und das nicht unbedingt in der emanzipatorischen Logik mündet, sollte man nicht ganz beiseite drängen. Es betrifft die alte linke Frage: "Kann man mit dem Staat progressive Politik machen?". Das ist hier ein klares "Ja". Das halte ich auch für richtig. Aber ich werde immer ein "aber" hinzufügen. Staatliche Sicherungssysteme sind kein Ersatz für eine solidarische Lebensweise, für solidarische Praktiken, sondern sie werden im Grunde dran zu messen sein, inwieweit sie solche Praktiken fordern oder behindern. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Die Art der Herausforderung wäre, den Wohlfahrtsstaat eben nicht als einen statischen zu diskutieren, der bestimmte Leistungen bringt, sondern ihn eher als ein transformativ demokratischen zu skizzieren, der Menschen schon dazu befähigt, solidarische Praktiken, Lebensweisen usw. zu entwickeln. Das wäre der erste Punkt.

Der zweite Punkt hängt ganz eng damit zusammen. Zukunftsherausforderungen, auf den Punkt gebracht würde ich mal argumentieren, das was wir gegenwärtig durchlaufen, alle entwickelten kapitalistischen Gesellschaften, bezeichne ich - andere haben andere Begriffe - als ökonomisch-ökologische Zangenkrise. Das bedeutet, dass das wichtigste Mittel zur Generierung von Wohlstand und zur Überwindung ökonomischer Krisen im Kapitalismus, nämlich Wachstum, Wirtschaftswachstum auf der gegenwärtigen Grundlage von fossilen Energieträgern und extensivem Ressourcenverbrauch, bei Fortführung des Status quo, notwendig zur Kumulation ökologischer Großgefahren führt, allen voran der Klimawandel. Das ist jetzt keine abstrakte Diskussion mehr, in Gestalt der Sustainable Development Goals hat diese Krise inzwischen den Kernbereich auch des deutschen Wirtschaftsmodells,der deutschen Industrie erreicht. Es gibt verbindliche Dekarbonisierungsziele. Die IG-Metall rechnet damit, dass allein die Umstellung auf Elektromobilität, die überhaupt nicht ausreicht, um die ökologischen Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen, bis zu 286.000 Arbeitsplätze kosten könnte, aber unabhängig von dieser Zahl steht der europäischen und deutschen Wirtschaft der größte Umbruch seit der industriellen Revolution bevor. Das muss man ganz klar sehen. Darin enthalten sind viele Unbekannte. Wenn man den zweiten Megatrend nimmt, die Digitalisierung, niemand weiß genau wie die Beschäftigungswirkung sein wird. Ich könnte Ihnen jetzt für jede Prognose eine Studie zitieren oder zehn Studien zitieren. Also es herrscht eine enorme Unsicherheit, was passiert, und darauf muss eigentlich ein Wohlfahrtsstaat der Zukunft ausgerichtet sein. Also: bietet er den Betroffenen Schutz, im Sinne aber von Realisierung ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeitsziele? Das heißt, er muss ein transformierender Wohlfahrtsstaat werden. Und er darf nicht nur in seiner Statik betrachtet werden, er muss mit Blick auf die bereits im Gange befindlichen Veränderungen und die damit wahrscheinlich verbundenen Verwerfungen ausgerichtet sein.

Und das bringt mich zu der dritten großen Herausforderung, die ich die "autoritäre Versuchung" nenne. Damit meine ich in erster Linie die Versuche der radikalen Rechten. Ich spreche da, zumindest was die AFD angeht, nicht mehr von Rechtspopulismus. Ich halte das, was der Kollege Heitmeyer sagt, für richtig. Man kann das als eine neue Art von Faschismus bezeichnen, zumindest das, was Höcke und Co.da in Thüringen verkörpern. Die autoritäre Versuchung besteht darin, das Sozialeigentum von dem Robert Castel spricht, als ein exklusiv nationales zu definieren. Selbst wenn damit die Staatsbürgerschaft gemeint ist, fällt das hinter progressive Begründungen des Wohlfahrtsstaates zurück. Ich nenne mal Heller als Kronzeugen: Der Wohlfahrtsstaat, auch wenn er ein nationaler ist, muss universalistisch sein. Für die gelten: Schutz und Anreize bieten, für diejenigen, die auf seinem Territorium leben. Das schließt z. B. Migranten ohne Staatsbürgerschaft ein. Das ist auch völlig klar. Wenn die AFD fordert, eine Produktivitätsrente nur für deutsche Staatsbürger, dann schließt das 40 Prozent der Beschäftigten bei Daimler aus und die würden dann für die Rente der Anderen arbeiten. Aber umgekehrt schließt das ein, dass man den Wohlfahrtsstaat nicht mehr nur als einen rein nationalen definieren kann, sondern als einen in der sich internationalisierenden, globalisierenden Welt, mit allen Brechungen und Widersprüchen und Rückwärtsbewegungen, die das gegenwärtig hat. Aber das ist, glaube ich die dritte große Herausforderung.

Was erkenne ich bezogen auf diese Herausforderungen? Das sind sieben Punkte, ich versuche es so kurz wie möglich zu machen. Erstens habe ich den Eindruck trotz allem was ich da positiv hervorgehoben habe, dass das Programm noch zu stark auf die Statik des Wohlfahrtsstaates gerichtet ist und zu wenig auf die Dynamik und das Unbekannte.

Das bringt mich zum zweiten Punkt, der Finanzierungsfrage. Als Grundfrage steht, und dazu äußert sich das Programm nicht und ich vermute, dass das eines der umkämpften Felder auch innerhalb der Linkspartei ist. Ich weiß es aber nicht wirklich. Das Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Wohlfahrtsstaat. Also: Wie wird der finanziert? Und wenn man es für richtig hält, was den Sustainable Development Goals entspricht, dass man den Wohlfahrtsstaat auch in seiner Finanzierung, nicht nur in seiner positiven Definition abkoppeln muss vom Zwang zu permanentem, raschem Wirtschaftswachstum mindestens auf der Basis fossiler Energien und extensivem Ressourcenverbrauchs. Dann muss man sich darüber Gedanken machen, wie das gelingen kann. Das kann gelingen, es gibt z.B. im MPI Köln, in diesem Falle positiv , aber auch anderswo Überlegungen dazu. Ich kenne mich in der Fachdebatte nicht gut genug aus, um zu wissen, wo überall es Überlegungen dazu gibt. Aber das ist ein entscheidender Punkt, ein Bruchpunkt, bezogen auf die institutionalisierten Regelungen, die das Wirtschaftshandeln festlegen und die Sozialpolitik verkoppeln mit dem Zwang zu raschem und permanentem Wirtschaftswachstum. Ich weiß, Wachstum ist erst Mal nur eine Zahl. Es sagt nichts über Verteilung aus. Mit dieser Akzentuierung sozialer Dienstleistungen ist das im Grunde schon ein implizites Plädoyer für langsames Wachstum, weil man soziale Dienstleistungen nicht beliebig rationalisieren kann, zumindest dann, wenn man Menschen nicht aus dem Prozess bringen kann. Aber es wird eher unterschwellig gemacht und es wird, aus meiner Sicht, nicht klar genug argumentiert, wie die Finanzierungsgrundlagen des Wohlfahrtstaats, mit Blick auf dieser Problematik aussehen können.

Das bringt mich zum dritten Punkt. Es gibt eine ganze Reihe von wichtigen Forderungen gerade in diesem Bereich "neues Normal-Arbeitsverhältnis". Ich habe mich auch, bezogen auf die Transformationsdebatte, gefragt, warum im Programm nicht auftaucht, was etwa die Democratic Socialists in den USA fordern? Radikale Dekarbonisierung verbunden mit Beschäftigungsgarantien für diejenigen, die in die Karbonbranchen ihre Jobs verlieren. Ich weiß, dass das in der gewerkschaftlichen Debatte kritisch gesehen wird, also in der IG-Metall argumentieren auch die Linken, in etwa so, ich verkürze das jetzt mal grob: "Wir leben im Kapitalismus, also können wir solche Garantien nicht geben. Wir können keine Jobs schaffen, und wir müssen uns hüten, gewissermaßen Erwartungen zu erzeugen, die wir dann nicht erfüllen können. Weil das wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Rechten." Sollte man ernst nehmen, den Einwand. Ich würde ihn nach Abwägung von allem, was ich in Debatten mitgekriegt habe, aber letztendlich doch nicht für stichhaltig halten. Wir sind in der Situation, wo wir aus der Massenarbeitslosigkeit erstmal raus sind. In einer prekären Vollerwerbsgesellschaft, wie ich das genannt habe, Arbeitslosigkeit verschwindet durch die Expansion prekärer Beschäftigung. Gleichwohl ist es so, dass sich die Arbeitsmärkte selbst und gerade im Osten dramatisch geändert haben. Wir sprechen im Grunde selbst im Osten oder gerade im Osten, über einen Arbeitsmarkt, der in Teilen von einem Käufer- zu einem Anbietermarkt geworden ist. Mit entsprechenden Dynamisierungen bei den Anspruchshaltungen an Arbeit, aber natürlich auch, ich meine es ist nicht mehr nur Fachkräftemangel, sondern Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen und insbesondere in den sozialen Bereichen. Es wird im Programm angesprochen, dass man wirklich eine Debatte führen müsste über Gruppen, die aus den Karbonbranchen aussteigen müssen und dort ihre Arbeitsplätze verlieren werden. Auch durch eine neue Industriepolitik werden die nicht alle wieder in industrielle Beschäftigung kommen. Das heißt, die Übergänge sind zu organisieren in den Bereichen die Beschäftigungstreiber sind. Das sind die sozialen Dienstleistung, Gesundheitswirtschaft usw. Dabei stößt man auf ein grundlegendes Problem. Wir haben unsere Studie zur Thüringer Zuliefer-industrie in Eisenach vorgestellt und mit Empörung wurde berichtet, dass der Thüringer Ministerpräsident den Beschäftigten bei Opel empfohlen hat, dann doch in die Pflege zu gehen. Ein Jahr später gab es noch große Empörung. In dem Falle habe ich den Thüringer Ministerpräsidenten verteidigt. Was ich aber nicht immer tue. Aber ich habe die Frage gestellt: Wenn diese Tätigkeiten in der Pflege, in die Kitas usw. erstens gut bezahlt werden, so dass sie nicht mit Statusverlust verbunden werden, wenn man von der industriellen Arbeit wechselt und wenn sie b) gesellschaftlich so anerkannt werden, wie sie es verdienen, wer will mir dann erzählen, dass man sich bei Opel am Band besser entfalten kann als in so einen Job. Das löste zumindest mal Schweigen aus. Damit will ich sagen, das was im Programm angesprochen wird, könnte man noch stärker fokussieren und zusammenziehen und könnte gewissermaßen sowas wie Jobgarantien ohne Statusverlust auch unterfüttern. Zumindest ist das zu einen erheblichen Maße durchaus staatlich bearbeitbar, wenn es zu entsprechenden Finanzierungen und Verteilungen kommt.

Das berührt den nächsten Punkt, die Arbeitsqualität. Die wird meines Erachtens im Programm noch zu defensiv angesprochen. Da gibt es eine Passage, wo es unmittelbar übergeht von Zerstörung von Arbeitsansprüchen durch Hartz IV und dann kommen die neuen Branchen. Die Veränderungen am Arbeitsmarkt führen dazu, dass die qualitativen Ansprüche an Arbeit wieder deutlich an Dynamik gewinnen. Das merkt man insbesondere bei den nachwachsenden Generationen, denen geht es nicht nur um die Kohle und den Lohn, der ist immer wichtig, denen geht es darum, eine sinnerfüllten Arbeit zu machen unter Bedingungen, die Arbeit und Leben sinnvoll verschränken usw.; und ich glaube, das könnte man positiver akzentuieren im Sinne einer Triebkraft für gesellschaftliche Veränderung, weil die Arbeitswelt auch in qualitativer Hinsicht vielfach hinter dem zurückbleibt, was da an Ansprüchen geäußert wird.

Das bringt mich zum fünften Punkt. Mich hat überrascht, dass im Programm die Arbeitswelt und die Bildungswelt wenig verzahnt werden. Was meine ich damit? Diejenigen, die in den Karbonbranchen ihre Arbeitsplätze verlieren werden, müssen nicht immer unbedingt gleich in eine neue Arbeit, sondern die könnten zum Beispiel als berufliche Praktika auch ein Studium an einer Universität beginnen, wenn sie denn zugelassen würden ohne Abitur. Diese Regelung gibt es bereits in Brandenburg, aber nicht die Studiengänge dafür, deshalb funktioniert das nicht so richtig. Aber: warum nicht eine Forderung wie eine Bildungskarenzzeit? Die gibt es schon in Österreich. Bildungskarenzzeit heißt, nach Ausscheiden aus dem Beruf, wird das erste Jahr des Studiums mit 60 Prozent des letzten Lohns finanziert, mit Zulagen bis zu 80 Prozent des letzten Lohns. Die Arbeiter und die Betriebsräte bei Opel fanden das eine attraktive Aussicht. Das würde aber heißen, dass man das Bildungssystem öffnet. Dass man die Hochschulen, insbesondere Universitäten von ihrem hohen Ross runterbringt und ihnen klar macht, dass in einer alternden Gesellschaft es absolut sinnvoll ist, Menschen aus der beruflichen Praxis in weiterbildende Studiengänge zu bringen, die dann aber auch entsprechend inhaltlich ausgerichtet sein müssen. Weil die ja Erfahrungen haben, die man nutzbar machen müsste in einem solchem Studium. Das könnte man ausbauen bis zu einer Forderung wie bedingungslose Grundzeit für alle. Es ist ein Element der Arbeitszeitkürzung, kommt aus dem WSI, hat der Klaus Schäfer entwickelt. Es ist ein Versuch zwischen den Gegnern und Befürworterinnen eines bedingungslosen Grundeinkommens zu vermitteln und sagt, dass jeder Mensch, nicht nur die, die in einem Beruf waren, sondern auch die, die z.B. im Hartz-IV-Regime gelitten haben, das Anrecht haben sollten ab einer bestimmten Zeit auf eine bezahlte andere Tätigkeit. Das könnte man verbinden mit der Verlängerung dieser bedingungslosen Grundzahlung, wenn sie zur Weiterbildung benutzt wird.

Das bringt mich zum sechsten und vorletzten Punkt. Das geht jetzt auch deutlich über das hinaus, was im Programm steht. Wenn diese These mit dieser ökonomisch-ökologischen Zangenkrise nicht ganz falsch ist, dann wird die Frage nach dem "Was? Wie? und Wozu?" der Produktion politisch noch weiter aufgeladen, als sie es ohnehin schon ist. Sehr salopp formuliert: Besser als einen SUV nicht zu fahren, ist ihn nicht zu bauen. Will man Letzteres ernsthaft verfolgen, muss man die Produktionsentscheidung demokratisieren. Und dann reicht auch die konventionelle Mitbestimmung nicht aus, weil wir dann korporatistische Blockbildungen kriegen, wie wir das jetzt in der Automobilindustrie - und nicht nur da - schon haben. Auch in der Braunkohleindustrie etc. Sondern dann würde das nach Mitbestimmungsformen verlangen, die Umweltinitiativen, Klimabewegungen, Fraueninitiativen usw., also die Akteure der reproduktiven Dimensionen von Erwerbsarbeit an solchen Entscheidungsprozessen beteiligen. Das klingt jetzt sehr weltfremd, aber es gibt liberale Ökonomen wie Dan Atkinson, die genau das fordern. Und zwar mit Begriffen fordern, wie sie noch immer in der Satzung der IG-Metall stehen - das wissen viele IG-Metall-Mitglieder nicht, insbesondere BMW-Betriebsräte. Nämlich die nach Wirtschafts- und Sozialräten, die genau dieses leisten, und solche Sozial- und Wirtschaftsräte könnten beispielsweise auch etwas machen, was über den gesetzlichen Mindestlohn und dessen Anhebungen hinaus gehen würde: nämlich Löhne zum Leben nach einem regionalen Maßstab bemessen, und für eine Art von Transparenz sorgen, für die Tarifverträge nicht mehr sorgen. Weil sie eben flächendeckend nicht mehr vorhanden sind. Das wäre auch noch ein Punkt über den sich diskutieren ließe. In dem Zusammenhang nur eine kleine Anmerkung zu der Forderung nach Verbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen: Das leuchtet mir auf der einen Seite ein, man muss aber klar sehen, dass die Gefahr besteht, dass wir eine Entwicklung kriegen könnten wie Frankreich. Das heißt, dass wir eine hohe tarifliche Deckungsrate bekommen, aber die Anreize, sich selbst in Gewerkschaften nicht nur zu organisieren und sich zu engagieren, schwächer werden. Also dass das Trittbrettfahrertum ausgeweitet wird, mit dem Effekt, dass wir zwar flächendeckende Tarifverträge haben, die aber nur eine formale Realität sind, während die Arbeitsverhältnisse in Wirklichkeit wie in Frankreich durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn reguliert werden. Das ist eine Entwicklung, die wir auf keinen Fall wollen dürfen. So dass ich glaube, dass das Stärken auch des Aktivistischen, also dass man sich Mitbestimmung und Tarifverträge selber erkämpft, dass da noch Gehirnschmalz drauf verwendet werden muss, wie man das mit einer solchen Forderung der Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen verbindet. Das halte ich für wichtig.

Und das bringt mich zu einem siebten Punkt und dann komme ich noch zu dem, was fehlt. Den siebten Punkt nenne ich "Staat und Öffentlichkeit". Das diskutiert man in der Regel nicht im Zusammenhang mit Wohlfahrts- und Sozialstaat. Ich halte es aber für ausgesprochen wichtig, bezogen auf die Infrastrukturdiskussion, dieses mitzudenken. Was meine ich damit? Es wird in Zukunft nicht mehr selbstverständlich sein, dass wir sowas wie einen öffentlichen Rundfunk, öffentliches Fernsehen usw. haben. Die ersten Initiativen in die Richtung hat es ja schon gegeben. In der Schweiz sind sie aus dem Feld geschlagen worden mit einem allgemeinen Volksbegehren. Es geht um die Frage "Demokratische Öffentlichkeit", und wie kann man sie garantieren? Ich vermute, dass wir bei der Infrastrukturdiskussion mit Blick auf die Zukunft um Garantien für Öffentlichkeit, öffentlich finanzierten Rundfunk usw. tatsächlich kämpfen müssen, trotz aller Kritik, die es an diesen Medien gibt. Ich halte es nicht mal für unwahrscheinlich, dass Tageszeitungen in Zukunft, hoffentlich dann mit dem entsprechenden Spektrum an Meinungen, ohne öffentliche Unterstützung gar nicht mehr erscheinen können. Ich halte sie aber für zwingend nötig, um sowas wie eine regulierte Öffentlichkeit überhaupt hinzubekommen. Und das ist meines Erachtens ein Bereich von sozialer Infrastruktur, wo Öffentlichkeit in diese Debatte mit reingehört, weil er nirgendwo geführt wird. Oder nur in der kleinen isolierten Mediennische. Das waren die sieben Anmerkungen.

Jetzt zu dem was fehlt. Den ersten Punkt mache ich ganz kurz. Es fehlt mir der nationale Wohlfahrtsstaat in Europa und in einer globalisierten Welt. Ich weiß, das ist ein schwieriges Thema. Da könnte ich jetzt ein neues Referat halten, mache ich nicht. Ich mache aber eine Anregung. Ein Schachzug könnte sein, den Wohlfahrtsstaat der Zukunft zu verorten im Kontext der Sustainable Development Goals - sechzehn, die gelten. Die Debatte um einen Green Deal in Europa ist ausgerufen. DIE LINKE muss sich dazu so oder so positionieren. Sie muss sich auch dazu positionieren, dass eine ganze Reihe von ökologischen und sozialen Problemen natürlich internationale, multilaterale Abkommen verlangen; der Multikulturalismus, der gestärkt werden muss. Mir geht es aber vor allem um den Kontext. Dass man deutlich macht: Der Wohlfahrtsstaat ist als ein rein nationaler nicht zu denken - war er eigentlich noch nie -, aber das Umsteuern in Richtung auf einen demokratischen, transformierenden Wohlfahrtsstaat muss ein internationales und möglichst europäisch, vielleicht auch darüber hinaus, koordiniertes Projekt sein. Wenn man sich anschaut, was die UNCTAD etwa vorlegt mit diesem Bericht von Kozul-Wright und Gallagher, für einen globalen New Deal, geht das genau in diese Richtung. Und ich finde da könnte man einfach noch mal anknüpfen, ohne das lange auszuwalzen, um deutlich zu machen, man denkt nicht nur rein nationalstaatlich, obwohl der Nationalstaat eine wichtige Arena auf absehbare Zeit bleibt. Daran habe ich gar keinen Zweifel.

Und das berührt den zweiten Punkt, wo man das konkretisieren könnte. Jetzt weiß ich, dass ich ein heißes Eisen berühre: Die Frage Wohlfahrtsstaat und Migration wird nicht thematisiert. Oder habe ich es überlesen? Ich habe es jedenfalls nicht so richtig zur Kenntnis genommen, dass es eine zentrale Rolle spielt. Das müsste man aber eigentlich tun. Wenn Migration anhält, was sie wird, egal in welchen Dimensionen, dann kann man diejenigen die migrieren, demokratisch nur in Gesellschaft einbeziehen, wenn es entsprechende wohlfahrtsstaatliche Leistungen gibt. Und die sind umkämpft. Ich glaube, dass man sich dazu positionieren muss. Die negativen Folgen von Migration, die es eben auch gibt, weil es einen Abwärtssog gibt, für diejenigen die zuwandern, die lassen sich nur minimieren, wenn man wohlfahrtsstaatliche Leistungen aufwendet, sie - ich benutze das Wort mal, obwohl es umstritten ist - zu integrieren. Da gibt es einen engen Zusammenhang. Alle die nur auf Migration schauen im Sinne von "Wir müssen doch solidarisch sein; offene Grenzen" müssen dieses Problem mit thematisieren und vice versa gewissermaßen. Das ist auch im Sinne der Migranten. Ich glaube, dass man da schon einiges an Aussagen in dieser Hinsicht machen kann, auch deshalb, weil die größte Zustimmung zur radikal rechten Orientierung aus einer Deep Story resultiert, die knapp zusammengefasst lautet: "Wir stehen seit vielen Jahren an am Berg der Gerechtigkeit und in der Schlange geht es nicht vorwärts und plötzlich kommen Leute, die nie eingezahlt haben in die Sicherungssysteme, die laufen an uns vorbei und für sie ist "alles da und für uns nichts". Das ist eine Fehlorientierung, aber die müsste sich meines Achtens mit ein paar wichtigen Argumenten schon konterkarieren lassen. Es beginnt mit dem Argument - ich weiß, das wird von manchen als Nützlichkeitsrassismus bezeichnet, aber - im Osten etwa, ist kein Arbeitsmarktproblem zu lösen ohne Zuwanderung. Zuwanderung schafft neue Probleme in den abgebenden Ländern. Das wissen wir auch. Aber ohne Zuwanderung ist der Arbeitskräftemangel, gerade im Osten, nicht zu lösen. Dort wo die AfD Rekordergebnisse einfährt. Ich würde mir wünschen, dass da eine klare Position bezogen wird.

Und der dritte Punkt ist eine offene Frage. Da komme ich zurück zu dem, was ich einleitend gesagt habe. Wie kann ein Wohlfahrts- und Sozialstaat so ausgerichtet sein, dass er eine neue Beziehungsweise, eine solidarische Umgangsform zwischen Menschen ermöglicht? Ich habe darauf keine Antworten, muss ich sagen. Der Wohlfahrtsstaat ist in seiner Entstehung eigentlich auch einer, der das alte Genossenschaftsprinzip der Arbeiterbewegung zum Teil substituiert, durch Institutionalisierung. Jetzt wäre es romantisch zu glauben dahinter zurückzufallen. Und wieder zurückkehren zu können zu den Ursprüngen der alten Arbeiterbewegung. Aber, dass es Lebensformen gibt, die auf Solidarität und Kooperation bauen statt auf Konkurrenz, das ist schon klar. Das wird ein bisschen angesprochen bei den Alters-WGs, ein Gedanke mit dem ich mich selber bereits beschäftige. Schrecklicherweise auch beschäftigen muss. Die Vorstellung, was macht man eigentlich, wenn man alleine nicht mehr kann? Da blitzt das auf und darauf muss man mehr Gehirnschmalz verwenden. Das ist ein zentraler Punkt, was die für viele Unglaubwürdigkeit der Linken angeht, dass man nicht den Eindruck hat, dass eine Beziehungsweise praktiziert wird, die auf Solidarität gebaut ist. Das habe ich vor zwei Tagen auf Sprockhövel im Bildungszentrum der IG-Metall nochmal gesagt, das stößt auf große Zustimmung. Aber das ist eine Leerstelle, die ich jetzt nicht füllen kann und das bringt mich zu meiner Schlussbemerkung, also dem Nachtrag. Im Programmentwurf wird angedeutet, es braucht Bündnisse, um das durchzusetzen. Welche, das wäre auch nochmal schön zu klären. Das meine ich gar nicht politisch kurzfristig gedacht, also mit welchen Parteikonstellationen man das macht. Ich wäre da auch für völlig unkonventionelles Denken. Ich mache es anhand eines Beispiels, ich will jetzt nicht für eine Linkspartei-CDU-Koalition in Thüringen werben. Aber unabhängig von Thüringen muss man sich anschauen, was sich in den beiden Kirchen entwickelt hat. In der katholischen Kirche mit dem Papst und seiner Kapitalismuskritik und allem was da dran hängt und der evangelischen Kirche beispielsweise mit der Wachstumskritik und allem was da dran hängt. Das hat ja Auswirkungen bis in die CDU-Reihen aber nicht nur dort. Das als kleines Beispiel. Das heißt, es wäre nochmal eine Kartographie der Kräfte zu machen, die möglicherweise latent bereits existieren, deutlich über das Spektrum der Wohlfahrtsverbände der Gewerkschaften hinaus, die eigentlich dafür stehen könnten, gesellschaftliche Mehrheiten für ein solchen demokratisch transformierenden Wohlfahrtsstaat zu gewinnen. So ein Papier muss kurz sein. Das könnte man jetzt schnell lesen, das darf nicht aufgebläht werden. Wenn man das in die Debatte um die Durchsetzung miteinbeziehen könnte, wäre das ein wichtiger Punkt.

Vielen Dank!