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Gesine Lötzsch

V-Leute helfen mehr der NPD als dem Verfassungsschutz

Statement der Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Gesine Lötzsch, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren, ich möchte mich zu sechs Punkten äußern: erstens zur aktuellen Diskussion um das NPD-Verbot und zu den Positionen der LINKEN dazu, zweitens zur Klima-Konferenz in Durban, drittens zur Rentenanfrage und der Diskussion im Parlament, viertens zu den Ergebnissen des EU-Gipfels, fünftens zum Rücktritt von Justiz- und Verbraucherschutzsenator Michael Braun in Berlin und sechstens zu der Tagung Fraktionsvorsitzenden und Landesvorsitzenden der LINKEN in Elgersburg in Thüringen.

Zum ersten Thema: Der Parteivorstand, die Landesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden aus allen Ländern haben am vergangenen Wochenende die Elgersburger Erklärung verabschiedet. Darin haben wir uns noch einmal ganz klar zu den Aktivitäten gegen Rechtsextremismus geäußert. Wir haben unsere Positionen zum Verbot der NPD erneuert. Wenn Medienberichten zufolge mindestens 130 Spitzel des Verfassungsschutzes auf allen Ebenen der NPD im Einsatz waren und mehr als 10 Informanten in Führungsgremien, dann ist es kaum vorstellbar, dass beim Verfassungsschutz keine Informationen angekommen sind. Das zeigt wieder einmal, dass die V-Leute in den Gremien der NPD allen rechtsextremistischen Bestrebungen bisher mehr geholfen haben als dem Verfassungsschutz und der öffentlichen Sicherheit. Wir haben als LINKE in dieser Erklärung unsere Positionen bekräftigt, dass die V-Leute abzuschalten sind. Es ist für mich ziemlich unverständlich, dass auf dem Innenministertreffen versucht wurde, alles auf die lange Bank zu schieben und zu erklären, man brauche mindestens drei Jahre, um einen Verbotsantrag vorzubereiten. Das halte ich für völlig absurd. Es hätte eigentlich die Zeit seit dem letzten Verbotsantrag genutzt werden müssen, um einen entsprechenden Antrag vorzubereiten. Wir haben uns in unserer Elgersburger Erklärung dafür ausgesprochen, dass wir uns jeder Kriminalisierung von friedlichen Protesten gegen Nazi-Aufmärsche entgegenstellen werden. Wir fordern auch, alle Verfahren gegen Nazi-Gegner einzustellen. Wir werden uns im Jahr 2012 wieder mit vielen Mitgliedern und Sympathisanten unserer Partei an den Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden beteiligen. Wir finden es völlig inakzeptabel, dass gegen den Jugendpfarrer Lothar König nun Anklage erhoben wurde. Wir haben gefordert, dass das zuständige Gericht dieser Anklage zurückweisen muss. Wir brauchen auf der Bundesebene einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wir fordern die SPD auf, gemeinsam mit uns und den Grünen, die sich ja schon zu einem derartigen Ausschuss bekannt haben, die erforderlichen Stimmen zusammenzusammeln, um im Bundestag einen Untersuchungsausschuss ins Leben rufen zu können.

Zum zweiten Punkt, zur Klima-Konferenz in Durban: Die Ergebnisse, die dort erzielt wurden, sind der Situation überhaupt nicht angemessen. Die Verlängerung des Kyoto-Protokolls, das ja im nächsten Jahr ausläuft, ist lediglich in Aussicht gestellt worden. Das ist viel zu wenig. Ich finde, dass die Bundesrepublik Deutschland eine große Chance hat. Unter den großen Industrieländern könnte die Bundesrepublik beweisen, dass sie eine Vorreiterin für die Energieversorgung auf regenerativer Basis ist. Um diese Vorbildwirkung auch übernehmen zu können, müssen wir hierzulande das Tempo erhöhen. Dazu gehört natürlich auch, dass man es Menschen erleichtert, auf Tarife mit erneuerbaren Energien umzusteigen. Ich möchte an dieser Stelle noch eine Forderung, die wir als LINKE schon häufiger in die öffentliche Debatte gebracht haben, wiederholen: Wir brauchen Sozialtarife, dass auch Menschen, die wenig Geld in der Tasche habe, entsprechende Energien auch bezahlen können.

Zur dritten Frage: Am Donnerstag wird der Bundestag über eine große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, die auf Initiative von Matthias Birkwald, dem rentenpolitischen Sprecher, angestoßen wurde, diskutieren. Wir haben die entsprechenden Antworten der Bundesregierung vorliegen. Eine ganz entscheidende und für mich sehr deprimierende Tatsache ist, dass seit 2001 die Lebenserwartung von Geringverdienern gesunken ist. Die Lebenserwartung von Geringverdienern – insbesondere im Osten der Republik – ist gesunken. Das sagt sehr viel über die soziale Situation und dem Zustand in unserem Land aus. Hier ist dringendes Handeln angesagt. Das zentrale Thema der Rentendebatte wird natürlich sein: Wie ist die Frage der Rente erst am 67 zu bewerten? Denn das Gesetz würde ab 2012 in krafttreten. Die Vollzeitbeschäftigung der 64-Jährigen liegt bei weiterhin unter 10 Prozent. Das heißt, unsere Position, dass die Rente erst ab 67 eine Rentensenkung ist, wurde von der Bundesregierung selbst in ihrer Antwort bestätigt. Wir werden am Donnerstag die Anfrage mit einem Antrag verbinden, nämlich die sofortige Aussetzung der Rente erst ab 67.

Zum vierten Punkt, der EU-Gipfel: Mein Kollege, Klaus Ernst, der eigentlich turnusmäßig mit der Pressekonferenz heute dran gewesen wäre, ist in Brüssel. Er trifft sich mit den Vorsitzenden der anderen europäischen Linksparteien, um dort ein gemeinsames Programm der Europäischen Linken zur Bewältigung der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise zu beraten. Kernpunkte dieser Forderungen, die zur Stunde diskutiert und beschlossen werden, werden die Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten, eine Forderung nach einer aktiven Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Bekämpfung der Spekulationen sein. Der koordinierte Ankauf von Staatsanleihen sollte eine zentrale Aufgabe der EZB sein. Wir wollen selbstverständlich, dass der private Bankensektor unter öffentlicher Verantwortung und Kontrolle kommt. Was in Brüssel am vergangenen Freitag von Merkel und Sarkozy beschlossen worden ist, ist quasi eine Veränderung der Lissaboner Verträge unter Umgehung des Einstimmigkeitsprinzips. Ich bin der festen Überzeugung, dass es EU-Staaten bzw. Vertreter aus EU-Staaten geben wird, die dagegen Klage erheben werden. Klagen sind also vorprogrammiert. Aber viel wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass kein wirkliches Problem gelöst ist. Die Idee, die Bundeskanzlerin Merkel versucht, mit aller Brutalität durchzusetzen, ist der Export der Agenda 2010, d.h. Kürzungsprogramme, die die Länder in die Rezession führen werden. Viele Politiker beeilen sich nun, große Kritik am Verhalten der Briten zu äußern. Diese Kritik ist zum Teil berechtigt. Sie ist aus meiner Sicht dahingehend berechtigt, dass Cameron es abgelehnt hat, die Finanzmärkte zu regulieren. Aber man kann sein Verhalten auch verstehen, denn in Großbritannien gab es in den vergangenen Jahren heftige Kürzungspakete. Die britische Bevölkerung hat darauf mit massivem Widerstand reagiert. Dem britischen Premierminister David Cameron war klar, dass nicht weiterhin massive Kürzungsmaßnahmen durchzusetzen sind. Ich glaube auch, dass die Krise nicht mit Kürzungen bekämpft werden kann. Wir haben eine Verteilungskrise. Wir haben in der Euro-Zone über 27 Billionen verwaltetes Vermögen. Wir brauchen endlich europäische Solidarität, und zwar auch die Solidarität der Geldbesitzer mit Europa.

Fünftens, zum Rücktritt von Michael Braun, Justiz- und Verbraucherschutzsenator in Berlin für wenige Tage: Der eine oder andere erinnert sich, dass in Berlin 2001 die große Koalition abgewählt wurde und dann nach Koalitionsverhandlungen zwischen der damaligen PDS und der SPD ein Senat gewählt wurde, der dann auch eine zweite Legislaturperiode bestritten hat. Die Gründe für die Abwahl der CDU waren ein Banken- und Immobiliensumpf. Die Koalition aus SPD und PDS – bzw. später DIE LINKE – hat 10 Jahre lang versucht, diesen Sumpf trockenzulegen. Jetzt zeigt sich, dass er aber noch sehr feucht und nicht trockengelegt ist. Die CDU fängt dort wieder an, wo sie 2001 aufhören musste. Der Rücktritt von Herrn Braun ist folgerichtig gewesen. Der Rücktritt sagt sehr viel über den Zustand der CDU in Berlin aus. Der SPD in Berlin kann man nur sagen, dass sie offensichtlich sehr blauäugig in diese Koalition gegangen ist, denn Michael Braun war einer der alten Vertrauten von Klaus-Rüder Landowsky. Ich habe als Berliner Abgeordnete und auch langjährige Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus all diese Prozesse immer sehr genau verfolgt, und natürlich bin ich auch heute noch sehr daran interessiert, wie es dort weitergeht.

Zum sechsten Punkt, die Diskussion und Ergebnisse in Elgersburg in Thüringen: Elgersburg ist ein traditioneller Versammlungsort der LINKEN zum Jahresende. Getroffen haben sich in verschiedenen Beratungen der Geschäftsführende Parteivorstand gemeinsam mit den Vorsitzenden der Landesverbände bzw. Landessprechern und die Fraktionsvorsitzenden und Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und der Landtagsfraktionen. Wir haben auf das vergangene Jahr zurückgeblickt und Positionen diskutiert, die Fraktionsvorsitzenden natürlich auch sehr konkret ihre parlamentarische Arbeit. Ich habe bei den verschiedenen Beratungen den Schwerpunkt meiner Wünsche und Vorstellungen darauf gelegt, dass für mich im nächsten Jahr im Mittelpunkt steht, wie wir unser Programm umsetzen wollen. Wir haben in Erfurt mit großer Zustimmung ein Parteiprogramm beschlossen. Der eine oder andere ist manchmal dem Irrtum aufgesessen, dass er sagt, Ok, wir haben das Programm beschlossen, und wir legen es mal in die Schublade. Das sehe ich nicht so. Wir haben in unserem Programm sehr viele konkrete Ansatzpunkte auch für politisches Handeln und politische Umsetzung. Ich habe vorgeschlagen, dass wir aus jedem Landesverband auf dem Parteitag in Göttingen ein Referenzprojekt vorstellen, wie das Parteiprogramm umgesetzt wird. Da kann es Initiativen geben – ich denke z.B. an Hamburg, ohne das den Genossen vor Ort vorschreiben zu wollen, die besonders aktiv in der Frage der Kontrolle von Rüstungsexporten im Hamburger Raum sind. Dort gibt es sehr viele Rüstungsbetriebe. Es kann ein Projekt aus dem Gesundheitswesen sein, z.B. die Wiedereinführung der Gemeindeschwestern. Auch dazu gibt es ja Ansätze. Oder andere Projekte, wie eine Initiative, die gerade in Mecklenburg-Vorpommern läuft, nämlich ein Volksentscheid zum Erhalt von Theatern und Orchestern.

Wir haben zum anderen ein Buch über die Kommunalpolitiker unter dem Titel "Die Kommunalen" vorgestellt. Es ist im Hamburger VSA-Verlag erschienen. In diesem Buch werden 16 Kommunalpolitiker der LINKEN aus allen 16 Bundesländern portraitiert, die für DIE LINKE konkret vor Ort arbeiten. Ich bin der Überzeugung, dass die Kommunalpolitiker das Rückgrat der Partei sind, und gute Kommunalpolitik kann durch keine noch so gute Talkshow ersetzt werden. Die Verankerung der Partei in den Kommunen ist für uns eine Überlebensfrage. Darum lege ich auch großen Wert darauf, dass wir dafür sorgen, dass an möglichst vielen Stellen nicht nur die Kommunalpolitiker, die schon im Amt sind, unterstützt werden, sondern dass dort, wo es auch um Wahlen geht, um Mandate, z.B. um Kandidaturen zu Bürgermeisterämtern, DIE LINKE auch Kandidaten aufstellt und diese unterstützt und dass man auch das Kleine bei der ganz großen Diskussion nicht vergisst. Zum dritten gab es Diskussionen um die Frage, wie man sich zu dem Vorschlag eines Mitgliederentscheides oder einer Mitgliederbefragung zur Vorbereitung des nächsten Parteitages in Bezug auf die Parteivorsitzenden stellen solle. Dieser Vorschlag ist ja in Hannover bei der vergangenen Kreisvorsitzendenkonferenz von Klaus Ernst unterbreitet worden. Wir haben in unserem Parteiprogramm niedergeschrieben, dass wir mehr Demokratie wollen. Ich glaube, ein Mitgliederentscheid ist ein urdemokratisches Mittel, und niemand sollte und braucht vor so einem Mitgliederentscheid Angst zu haben. Nun gab es in Elgersburg dazu einen Meinungsaustausch. Es gab Argumente dafür und Argumente dagegen. Letztendlich ist das aber nicht in der Hand des Parteivorstandes oder einer Gruppe von Landesvorsitzenden oder Fraktionsvorsitzenden. Wenn es genügend Antragsteller gibt, die einen Mitgliederentscheid wollen, die einen entsprechenden Antrag dann auch einreichen, in dem die Entscheidungsfragen auch formuliert sind, dann wird es selbstverständlich diesen Mitgliederentscheid geben. Natürlich kann man dazu seine Positionen äußern, ob es gut oder weniger gut ist, praktisch oder weniger praktisch. Aber ich glaube, wenn wir das in unserem Programm und in unserer Satzung so festgelegt haben, dann werden wir auch im Falle der Einreichung eines solchen Antrages gut damit umgehen können.