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Szenen einer Ehe

Lothar Bisky auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Meine Damen und Herren, ich beginne heute mit der Filmkritik: "Szenen einer Ehe" ist das, was die große Koalition derzeit aufführt. Es liegt sehr viel dreckige Wäsche da, und sie wird in aller Öffentlichkeit gewaschen. "Szenen einer Ehe" von Ingmar Bergman jedenfalls war besser, war Kunst.

Die gegenwärtigen Szenen einer Ehe sind eher nervend, und sie täuschen nicht darüber hinweg, dass es im Land viele ungelöste Probleme gibt, wir immer mehr in die Richtung einer Zwei-Drittel-Gesellschaft gehen. Die Debatten über das so genannte Prekariat -wie manche die sozial betroffenen Menschen bezeichnen - zeigen das ja. Ich halte es nach wie vor für zutiefst inhuman, wenn man ein Drittel der Menschen abschreibt und einen Aufschwung feiert, der sehr fragwürdig ist. Ich will keine Konjunkturdaten geringachten. Ich akzeptierte durchaus, dass etwas passiert ist. Aber der Aufschwung, der als Selbstlob von der Großen Koalition bejubelt wird, kommt bei vielen Menschen nicht an. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: 2,5 Millionen Kinder leben in Armut. In dem Zusammenhang möchte ich auf eine Studie u.a. des Kinderhilfswerkes verweisen, ohne näher darauf einzugehen, weil Sie die Studie ja wahrscheinlich kennen.

Die Volkssolidarität hat zum Wochenende den "Sozialreport 50+ 2007" vorgelegt. Er macht deutlich, dass der konjunkturelle Aufschwung an älteren Menschen in Ostdeutschland weitgehend vorübergeht. Die 50- bis 70jährigen sind in den neuen Bundesländern inzwischen jene Jahrgänge - ich zitiere - "die am meisten von Einschnitten und Einschränkungen sowie vom Sozialabbau betroffen sind. 2007 lebten bereits 11 Prozent der 50- bis 60jährigen in Armut und weitere 6 Prozent sind von Armut bedroht." Das ist ein solider Forschungsbericht. Ich will ihn erwähnt haben, weil ich glaube, dass Kinderarmut und Altersarmut wirklich zwei Dinge sind, die man in diesem Land nicht übersehen darf. Jedenfalls wird DIE LINKE das nicht tun. Die Altersarmut wächst besonders im Osten, deshalb ist es gerechtfertigt, dass wir weiterhin besonderes Augenmerk auf den Osten legen.

Was macht nun die große Koalition? Sie beschäftigt sich mit sich selbst, und das gründlich. Ein ausgeglichener Bundeshaushalt - so haben wir es in der letzten Woche im Bundestag mehrfach gehört - ist ihr wichtiger als vieles andere, wichtiger jedenfalls als die Bekämpfung der Kinderarmut, beispielsweise durch Kindergelderhöhung. Das hätte man ja angesichts dieser 2,5 Millionen Kinder machen können. Es ist ihr wichtiger als die Bekämpfung von Lohndumping, beispielsweise durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, den wir immer wieder einfordern. Ein ausgeglichener Bundeshaushalt ist ihr wichtiger als eine sinnvolle Bekämpfung der Altersarmut, beispielsweise durch Rücknahme der "Rente mit 67". Ich vermute, dass die Koalition noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen ist. Sie führen weiterhin einen Wettbewerb um die Einhaltung neoliberaler Sprüche, die sich längst als Mythen zu erkennen gegeben haben.

Wir würden es begrüßen, wenn es einen Parteienwettbewerb für mehr soziale Gerechtigkeit im Lande gebe, wenn Menschen in würdige Arbeit gebracht werden. Jedenfalls könnten die Parteien da mit Vorschlägen wetteifern, wenn Einkommen und Renten gesichert werden und wenn mehr Mitbestimmung, direkte Demokratie von der Kommune bis Europa gewährleistet wird. Leider ist die SPD nach ihrem Parteitag in den Startlöchern steckengeblieben. Von ihren sozialen Forderungen auf dem Parteitag hört man im Moment wenig.

DIE LINKE stellt sich diesem Wettbewerb, nicht nur in Deutschland. Wir werden unsere Schwerpunkte weiterhin entwickeln. Wir wollen auch, dass es eine starke europäische Linke gibt und dass die Linke in Europa gemeinsam handelt und sich nicht weiter zersplittert.

Am Wochenende findet der 2. Kongress der Partei der Europäischen Linken in Prag statt, ein Zeichen, dass wir die Ost-West-Zusammenarbeit und den Osten als Mitgestalter Europas ernst nehmen und keine weitere Zersplitterung zulassen wollen. An diesem 2. EL-Kongress nehmen Linke aus 16 europäischen Ländern teil, aus 29 Mitglieds- und Beobachterparteien. Sie treffen sich in Prag und werden grundlegende Thesen beraten und Ansprüche der Linken an das Europa im 21. Jahrhundert formulieren. Das Motto des Kongresses ist: "Alternativen aufzeigen". Wir wollen die Debatte über Grundlagen eines europäischen Sozialstaats angehen, um ein europäisches Sozialstaatsmodell gegen Lohn- und Steuerdumping, Sozialabbau und Privatisierungswahn zu schaffen.

Der zweite Schwerpunkt ist die europäische Verantwortung für den Weltfrieden. Hier knüpfen wir an die Gründungszeit der Europäischen Union an, weil sie ja inzwischen in vielerlei militärische Aktionen verstrickt ist. Ich will darauf hinweisen, dass das Raketenabwehrsystem, das die USA plant, nicht das geeignete Mittel ist, um für Frieden in Europa zu sorgen - im Gegenteil. Die Reaktionen aus Russland zeigen, dass neue Konflikte aufbrechen. Wir halten es für vollkommen falsch, dass im Reformvertrag die Aufrüstung weiter festgeschrieben wird. Ein Europa, von dem Frieden ausgeht, wäre besser.

Der dritte Schwerpunkt ist mehr direkte Demokratie. Direkte Demokratie meint, dass wir Referenden zum europäischen Reformvertrag fordern, und das nach Möglichkeit in allen EU-Mitgliedsstaaten, auch in Deutschland. Das ist nicht vorgesehen, sondern der Reformvertrag der Regierenden wird nur zur Kenntnis gegeben. Dadurch gewinnen die Bürgerinnen und Bürger natürlich den Eindruck als sei ihre Meinung nicht gefragt. Wir glauben, dass man durch mehr direkte Demokratie auch ein Europa der Bürgerinnen und Bürger beflügeln kann.

Der vierte Punkt: Wir beginnen mit dem Kongress in Prag die Vorbereitung zur Europawahl 2009. Wir werden uns in den verbleibenden zwei Jahren darauf konzentrieren, eine gemeinsame Plattform für das gemeinsame Agieren der EL-Parteien zu schaffen. Das ist für uns außerordentlich wichtig. Denn wir wissen, wir werden stärker, wenn wir europäische Unterstützung haben und europäische Erfahrungen in unsere Politik einbeziehen können. Und zugleich, glaube ich, kann das Engagement der deutschen Linken helfen, dass die in Prag entwickelten alternativen Vorschläge  stärker in die europäische Öffentlichkeit kommen.