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Michael Schlecht

Syriza ist Europas Chance

"Europa hat ein neues Schreckgespenst: Syriza. Das griechische Linksbündnis könnte die nächsten Wahlen gewinnen. ..." - Von Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Europa hat ein neues Schreckgespenst: Syriza. Das griechische Linksbündnis könnte die nächsten Wahlen gewinnen. Syriza wendet sich gegen das Diktat von "Sparsamkeit" und "Wettbewerbsfähigkeit" in Europa. Was die Bundesregierung und die Finanzanleger befürchten: Setzt sich Syriza durch, dann wird auch in anderen Ländern eine Abkehr vom Spar-Kurs gefordert. Was hier als Gefahr an die Wand gemalt wird, ist in Wahrheit die große Chance für Europa - und für Deutschland.

Am 25. Januar wird in Griechenland gewählt. Voraussichtlicher Wahlsieger ist Syriza. Das Linksbündnis will die humanitäre Krise in Griechenland lindern, Essen an Hungrige verteilen, Obdachlosen Wohnungen geben, den Mindestlohn auf 750 Euro erhöhen und allen Rentnern eine 13. Monatsrente verschaffen, die weniger als 700 Euro zur Verfügung haben. Das Geld dafür will sich Syriza zum großen Teil von den Konzernen und Oligarchen holen. Dieses Programm wird von den europäischen Eliten und Finanzanlegern bereits als "Kommunismus" bezeichnet.

Wo kommen all die Hungernden und Obdachlosen in Griechenland her? Sie sind Produkt nicht nur der Krise, sondern auch der Kürzungsprogramme, die Bundesregierung und EU dem Land auferlegt haben. Mitten in der Krise musste die griechische Regierung ihre Ausgaben eindampfen, Steuern erhöhen, Löhne senken, Angestellte zu Zehntausenden entlassen.

Logische Folge: Die Wirtschaftsleistung ist in den letzten fünf Jahren um ein Viertel gefallen, der Staatskonsum ging um 40 Prozent zurück, die Binnennachfrage um 30 Prozent, die Investitionen um fast 70 Prozent. Weniger Schulden hat Griechenland durch den Sparkurs nicht, im Gegenteil: Zu Beginn der Krise lag die Staatsschuld bei 110 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nach vier Jahren Sparen, Reformen und 230 Milliarden Euro "Hilfen" durch EU und Währungsfonds sind es über 170 Prozent.

Syriza fordert daher ein Ende der Kürzungs-Orgie und einen Schuldenerlass. Zurecht! Denn der Austeritätskurs führt nur immer tiefer ins Elend. Zudem muss Griechenland weiter sparen, seine Bevölkerung verarmen und neue Kredite aufnehmen - nur um die aufgelaufenen Schulden zu bedienen. Ein Schuldenschnitt ist ohne Alternative. Bei Schulden in Höhe von 170 Prozent der Wirtschaftsleistung ist kein Aufschwung möglich, Griechenland bleibt die Geisel seiner Gläubiger.

Die werden vertreten von EU und Bundesregierung. Sie drohen Griechenland bereits offen mit dem Austritt aus der Euro-Zone. Solch ein "Grexit" sei für die Währungsunion heute "verkraftbar", ließ die Bundeskanzlerin inoffiziell vermelden.

Ganz so optimistisch ist man an den Finanzmärkten nicht. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone wird dort zwar derzeit nicht befürchtet. Mit einem Austritt Griechenlands wäre allerdings ein Präzedenzfall geschaffen, der demonstriert: Die Währungsunion ist nicht länger unumkehrbar. Das wäre eine Einladung an alle Spekulanten, in der nächsten Krise gegen den Euro zu spekulieren.

Gewarnt wird auch vor dem so genannten "politischen Risiko": Wenn Syriza gewinnt und sich gegen EU und Bundesregierung durchsetzt, dann geht ein Ruck durch Europa. Vom Kürzungsdiktat geplagte Länder wie Portugal, Italien und Spanien könnten sich gegen den deutschen Kurs auflehnen. Gefürchtet wird vor allem die spanische Protestpartei Podemos. Ende dieses Jahres wird in Spanien gewählt. In den Umfragen liegt Podemos aktuell vorn. "2015 wird das Jahr des Wechsels in Spanien und Europa", schrieb jüngst Podemos-Chef Pablo Iglesias. "Wir fangen in Griechenland an. Los Syriza!"

Hätte er doch recht! Denn nicht nur Griechenland braucht den Politikwechsel. In ganz Europa muss der Spar- und Lohnkürzungs-Wahnsinn beendet werden. Er hat uns bereits in die Deflation geführt, seit Dezember sinken die Preise in der Euro-Zone. Europa braucht wieder eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne. Und vor allem ein massives Investitionsprogramm, um die Produktivität zu steigern. Anders wird es nicht gehen. Auch nicht in Deutschland, wo selbst in guten Jahren die Menschen nichts vom Wirtschaftswachstum haben.

Syriza-Chef Alexis Tsipras schrieb dieser Tage an die Deutschen: "Am 25. Januar wird in Griechenland eine neue Chance für ganz Europa geboren. Mögen wir sie nicht ungenutzt lassen."