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Öffentliche und demokratische Kontrolle des gesamten Finanzsystems durchsetzen

Statement von Ulrich Maurer, Mitglied des Geschäftsführenden Parteivorstandes, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich möchte zunächst etwas sagen zur Haltung der LINKEN zum Thema Finanzmarktkrise – wobei der Begriff ja wohl etwas untertrieben ist. Der Parteivorstand hat sich mit diesem Thema ausführlich beschäftigt und einen einstimmigen Beschluss gefasst, der die Ablehnung des sogenannten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes durch DIE LINKE im Deutschen Bundestag begrüßt und bekräftigt.

Wir stellen fest, dass der Finanzmarktkapitalismus und seine neoliberale Ideologie gescheitert sind. Aus unserer Sicht befinden wir uns in Deutschland in einer tiefen Krise von Demokratie und Gesellschaft. Wir sind der Auffassung, dass die öffentliche und demokratische Kontrolle des gesamten Finanzsystems jetzt durchgesetzt werden muss. Für uns ist entscheidend, dass die Kosten der Krise wesentlich von denen getragen werden, die vorher die Profiteure dieses Systems gewesen sind. Deswegen treten wir für eine Vermögensabgabe auf hohe und höchste Geldvermögen in Deutschland ein - also eine Vermögenssteuer für Milliardäre und Multimillionäre bei Geldvermögen zur Finanzierung eines öffentlichen Investitionsprogramms und zur Sicherung der Existenz kleinerer und mittlerer Unternehmen. Ich glaube, wir haben jetzt eine Situation in Deutschland erreicht, in der - wie das so schön heißt, die „reale Wirtschaft“ – das ist eine bemerkenswerte Unterscheidung zur Finanzwirtschaft, wo viele an und für sich gesunde kleine und mittelständische Unternehmen in große Gefahr geraten. Wir sind der Auffassung, dass sich die politisch Verantwortlichen in Deutschland darauf konzentrieren müssen, diese Gefahren abzuwenden.

Wir halten im Gegensatz zur Bundesregierung ein öffentliches Investitionsprogramm von 30 bis 50 Milliarden Euro für dringend erforderlich. Und wir halten es für erforderlich, dass Mittel mobilisiert werden, aus dem öffentlichen und privaten Bankensektor, damit jetzt nicht gesunde Unternehmen durch die Finanzmarktkrise ergriffen werden.

Wir sind da bei einem entscheidenden Problem, auch des so genannten Rettungspakets der Bundesregierung. Da im Unterschied etwa zu den Maßnahmen in Großbritannien oder auch aktuell im Fall der ING in den Niederlanden in Deutschland keine wirkliche Teilverstaatlichung durchgeführt wird, und das Ganze auf Freiwilligkeitsbasis verläuft, besteht die große Gefahr, dass zumindest ein erheblicher Teil des deutschen Bankensystems die Kernkapitalquote nicht erhöht, den Kreditrahmen in dieser Situation eher zurücknimmt . Das kann sich verheerend auf die reale Wirtschaft auswirken. Das halten wir für das eigentliche Problem.

Wir haben uns natürlich intensiv angeschaut, wie mit dem gegen unsere Stimmen beschlossenen und vom Parlament der Bundesregierung ausgestellten Blankoscheck weiter verfahren worden ist. Das, was da heute Nacht zusammengebastelt worden ist, ist aus meiner Sicht ein erneuter Blankoscheck. In diesem Fall dann an die Handelnden in dieser neuen „Anstalt“, vor der man offenbar noch gar nicht weiß, wie sie heißen soll. Es folgt also der zweite Blankoscheck auf den ersten Blankoscheck. Ich habe zwar die Meldungen gehört, wonach im Gegenzug die Managergehälter auf 500.000 Euro beschränkt werden sollen - das könnte uns ja eigentlich freuen, weil das ja die Übernahme einer Forderung der LINKEN ist, die vor wenigen Wochen noch als Populismus im deutschen Bundestag verhöhnt wurde – nur, man muss das Kleingedruckte lesen. Als Jurist ist man ja gewöhnt das Kleingedruckte zu lesen. Und dem entnehme ich, dass da auch Abweichungen zulässig sein sollen. Das soll dann im Wege von Einzelverhandlungen geklärt werden. Wachsweiches gilt übrigens auch für die Frage, welche Gegenleistungen der Staat für seine Hilfen verlangt, in welcher Form auch immer sie gegeben werden. Das nenne ich einen erneuten Blankoscheck, den das Bundeskabinett jetzt ausgestellt hat. Es ist höchstes Misstrauen angebracht, denn jetzt sollen die Brandstifter offensichtlich als Feuerwehrleute eingesetzt werden. Diejenigen, die da jetzt in der Finanzmarktkrise agieren - das hat man im Berufungsversuch von Frau Merkel von Herrn Tietmeyer und auch in neuen Benennungen gesehen -  sind ja die, die vorher in Deutschland die Deregulierung des Finanzsystems selbst herbeigeführt und betrieben haben. Und warum die Brandstifter jetzt als Feuerwehr besonders geeignet seien sollen, das ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Regierung hat anhaltend darauf verzichtet, die in der Vergangenheit getroffenen Fehlentscheidungen zu korrigieren. Die Zulassung von Hedge-Fonds in Deutschland ist nicht beendet worden, die Koalitionsvereinbarung, wonach das System der Kreditverbriefung sogar noch gefördert werden soll, ist keinesfalls widerrufen oder gecancelt.

Insofern sind zwar auf dem SPD-Parteitag ziemlich viele linke Sprüche zu hören gewesen, aber keine wirklichen Entscheidungen gefallen, die darauf schließen lassen würden, dass die Beteiligten bereit wären, von ihrer falschen Politik in der Vergangenheit Abstand zu nehmen.


Keinerlei Kurskorrektur bei der SPD

Damit bin ich bei dem Stichwort SPD-Bundesparteitag: Auch da hat es viel pseudolinkes Wortgeklingel von Herrn Steinmeier und Herrn Müntefering gegeben. Aber, wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass diese jetzt von den Schröderianern gestellte Parteiführung nicht bereit ist, den neoliberalen Kurs zu ändern, dann ist er über die Ablehnung eines Initiativantrages,  auf den Börsengang der Bahn zu verzichten, erfolgt. Da ist massiv dagegen interveniert worden. Und der Parteitag hat dann mit knapper Mehrheit auch folgsam beschlossen, die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG weiter zu betreiben. Insofern kann ich, auch unter dem Eindruck dieser Katastrophe an den Finanzmärkten, keinerlei Kurskorrektur bei der SPD erkennen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass der Bischoff Schröder zwar nicht mehr da ist, aber jetzt sein Oberministrant Kanzlerkandidat ist. Das hört sich auch alles ganz ähnlich an. Ich habe schon Menschen getroffen, die sagen, wenn ich nur den Ton höre, dann meine ich, den Schröder reden zu hören. Die Vertreter des verheerenden neoliberalen Kurses in der SPD haben das Heft des Handelns in der Hand, das ist auf diesem Parteitag erneut bestätigt worden. Es ist derzeit in der Bundes-SPD keine Bereitschaft zu einer Kurskorrektur zu erkennen. Wenn wir aus diesem Anlass zehn Jahre Regierungsverantwortung der SPD in Deutschland bilanzieren, dann ist das Ergebnis für die Mehrheit der Menschen in katastrophal. Wir sind das einzige Land, auch unter den westlichen Industriestaaten, in dem in den vergangenen zehn Jahren die Reallöhne gefallen sind, in dem in einer beispiellosen Weise die Schere zwischen Arm und Reich auseinander gegangen ist, in dem die Lohnquote gefallen ist, in dem die Zahl der ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse massiv zugenommen hat. Heute arbeiten in  Deutschland 6,5 Millionen Menschen zu Niedriglöhnen, vor zehn Jahren waren es halb so viele. Wir hatten 1997 rund 17,5 Prozent aller Beschäftigten in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen, 2007 waren es bereits 25,5 Prozent. Diese Belege sind eindeutig. In der Heiligen Schrift steht ja: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Trotz dieser katastrophalen Entwicklung haben wir auf dem SPD-Parteitag nicht das geringste Maß an Selbstkritik an sozialdemokratischer Regierungsverantwortung gehört.

Wir stellen uns deswegen darauf ein, dass eine Zusammenarbeit der LINKEN mit den Verfechtern dieses neoliberalen Kurses auf nationaler Ebene nicht möglich ist. Anders stellt sich die Frage in den Ländern, in denen die SPD bereit ist, eine Abkehr von diesem Kurs zu machen und prononciert linke Politik zu vertreten. Das ist derzeit offensichtlich in Hessen der Fall. Wir werden sehen, wie das weiter geht. Diese Frage kann sich natürlich im nächsten Jahr, nach den Landtagswahlen in Thüringen und im Saarland, anders stellen.

Wir haben in der Parteivorstandssitzung bilanziert: Unsere Mitgliederentwicklung ist sehr erfreulich. DIE LINKE hat zum Stand 30. September 76.139 Mitglieder. Wir sind also nicht nur in den Umfragen sondern auch als Mitgliederpartei die drittstärkste Kraft in Deutschland. Eine ganz aktuelle Zahl zeigt, dass der Zustrom zu unserer Partei anhält. Wir hatten seit dem Wahltag in Bayern, am 28. September, allein hier in der Bundesgeschäftsstelle 350 Neueintritte.  Das bestärkt uns in unseren Anstrengungen, uns noch offensiver mit der Krise des Finanzmarktkapitalismus auseinanderzusetzen und grundsätzliche Antworten und Veränderungen auch des ökonomischen Systems in Deutschland einzufordern.

Am Mittwoch tagt der Bildungsgipfel der Bundeskanzlerin. Wir haben den Eindruck, dass die Gefahr besteht, dass da im Wesentlichen schwadroniert werden soll. An einer PR-Veranstaltung allerdings haben die Studierenden und die Schülerinnen und Schüler in Deutschland kein Interesse. Die Frage, wer wem in der Großen Koalition beim Bildungsthema die Show stiehlt, ist vielleicht interessant für die Beteiligten, aber nicht für die Bevölkerung. Uns interessiert die Frage, ob substanziell zusätzliche Finanzmittel für den gesamten Bildungssektor bereitgestellt werden. Das kann ich derzeit nicht erkennen. Wir erkennen bisher nur Gerede in diesem Zusammenhang. Auf eine weitere Showveranstaltung kann Deutschland verzichten.