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Klaus Ernst

Mindestlohn einführen, um den Menschen die Würde zurückzugeben

Rede von Klaus Ernst in der Debatte des Deutschen Bundestages

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kolb, es kann sein, dass wir aus ihrer Sicht abgedreht sind, aber Ihre Position zum Mindestlohn, einschließlich die der gesamten Koalition, ist für jeden Arbeitnehmer, der wenig Geld verdient, eine Bedrohung der Existenz. Das ist viel schlimmer, Herr Kolb. Das will ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der LINKEN Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir haben ja gesagt: Aufstocken ist keine Schande! Manfred Grund (CDU/CSU): Wir sind noch nicht im Sozialismus!)

Wir stimmen über einen Gesetzentwurf der SPD zum Mindestlohn ab. Seit sechs Jahren diskutieren wir über diese Frage. Sie blockieren alles. Sie sind damit für die Armut durch Arbeit in diesem Land verantwortlich, und zwar alle miteinander, so wie Sie hier sitzen. Das will ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der LINKEN Manfred Grund (CDU/CSU): Ihnen hat es ins Hirn hineingeregnet!)

Die Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze ist dringend notwendig. Es stimmt, was in Ihrem Gesetzentwurf steht: Jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnbereich, 1,15 Millionen für weniger als 5 Euro in der Stunde. Herr Kolb, für dieses Geld würden Sie morgens nicht einmal das Augenlid heben, um das einmal deutlich zu sagen.

(Christian Lindner (FDP): Das sagt der Richtige! Heiterkeit bei der FDP Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich habe keinen Porsche, Herr Kollege! Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo er recht hat, hat er recht, Herr Kolb!)

3,4 Millionen arbeiten für weniger als 7 Euro die Stunde. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2008. Inzwischen haben die Probleme in diesen beiden Lohnsegmenten deutlich zugenommen. Im SPD-Antrag, mit dem wir uns natürlich auseinandersetzen müssen, heißt es: Zwischen 1998 und 2008 ist der Anteil der Beschäftigten mit Armutslöhnen von 8,3 Prozent auf 12,7 Prozent gestiegen. Das ist eine Steigerung um 50 Prozent. Das Problem hat sich seit 1998 dramatisch verstärkt. Liebe Genossinnen und Genossen von der sozialdemokratischen Partei, an dieser Stelle hat Herr Kolb recht; denn Sie müssen sich schon die Frage stellen: Wer hat damals regiert? Was ist in Ihrer Regierungszeit passiert, dass die Armutslöhne in unserem Land plötzlich so zugenommen haben? Es war Ihre Regierung, die die Leiharbeit geradezu gefördert hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So weit ging es dann doch nicht!)

Herr Kolb, Sie haben übrigens immer zugestimmt. Da brauchen Sie gar nicht versuchen, sich herauszureden. Die Schutzregelungen für Arbeitnehmer bei befristeten Arbeitsverhältnissen wurden gelockert. Es war letztendlich die Agenda 2010 die Sie heute wieder verteidigen, die dazu geführt hat, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeit aller Art anzunehmen haben, auch wenn es nur 1 Euro dafür gibt. Deshalb haben Sie das Problem mit verursacht. Sie sind nicht die Lösung, Sie sind die Ursache des Problems, liebe Genossinnen und Genossen, das muss ich euch leider sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist zwar recht und schön, wenn man die Feuerwehr ruft, wenn es nicht mehr geht, aber wenn man vorher den Brand selber gelegt hat, dann ist das nicht glaubwürdig.

Liebe Genossinnen und Genossen

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Kolleginnen und Kollegen! So viel Zeit muss sein!)

Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD,

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sie sind nicht mein Genosse! Ich habe andere hier!)

die CDU/CSU hat das, was ihr gemacht habt, immer sehr gefreut, sie freut es noch heute. Ihr wart der Türöffner für eine Entwicklung, die die Konservativen gefreut hat. Dies alles hat im Ergebnis dazu geführt Sie berufen sich gerne auf den DGB und die Tarifautonomie, dass der Vorsitzende des DGB Ihnen allen ins Stammbuch schreibt, dass Arbeit in unserem Land so billig geworden ist wie Dreck. Deswegen brauchen wir einen Mindestlohn, was Sie verhindern. Insofern ist der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten durchaus richtig, weil er in die richtige Richtung geht.

Wir müssen mithelfen, ein Problem zu lösen, für das Sie selbst maßgeblich verantwortlich sind. Aber 8,50 Euro als Mindestlohn reichen nicht aus. Herr Kolb hat hier im Übrigen auch recht.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Zweimal jetzt schon! Beim dritten Mal gebe ich einen aus, Herr Kollege! Gegenruf des Abg. Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das ist doch schön! Eine Koalition aus FDP und Linke!)

In Ihrem Gesetzentwurf weisen Sie richtigerweise darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Rentenhöhe und den Löhnen gibt. Klar ist, dass zu niedrige Löhne zu niedrigen Renten führen. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf ich zitiere:

Mit einem ausreichenden Mindestlohn würde erreicht, dass vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Alterssicherung erreichen können, die oberhalb der bedürftigkeitsorientierten Leistungen der Grundsicherung im Alter liegt.

Das stimmt. Leider tritt das bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro nicht ein.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Wenn ich davon ausgehe, dass die Leute ein Leben lang nur den Mindestlohn bekommen! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Bei 10 Euro übrigens auch nicht! Rechnen Sie das einmal nach!)

Ich habe die Bundesregierung gefragt: Wie hoch müsste denn ein Lohn sein, damit ein entsprechendes Rentenniveau erreicht wird? Ich habe eine Antwort bekommen. Die würde ich Ihnen gerne vortragen. Die Antwort ist nämlich eindeutig. Am 11. Mai habe ich vom Bundesministerium für Arbeit mitgeteilt bekommen:

Um eine Nettorente im Alter in Höhe von 684 Euro (Wert von 2009) zu erreichen, wäre rechnerisch ein Stundenlohn von 10 Euro erforderlich.

Herr Heil, das ist das Problem.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ich will aber nicht, dass die Leute nur einen Mindestlohn ihr Leben lang haben! Das ist zu wenig!)

Es tut mir leid: Mit Ihrem Antrag werden Sie Ihren eigenen Anforderungen nicht gerecht. 10 Euro Mindestlohn sind notwendig, damit Menschen, die ihr ganzes Leben, also 45 Versicherungsjahre lang, vollzeitbeschäftigt waren, später eine Rente erhalten, für die sie nicht zum Amt gehen müssen. Das wird mit Ihrem Antrag nicht erreicht.

(Beifall bei der LINKEN Anette Kramme (SPD): Vorsicht!)

Es ist bereits auf die Studie des Schweizer Forschungsunternehmens Prognos hingewiesen worden; Herr Heil, Sie haben das getan. Ich möchte betonen, dass bei einem Mindestlohn von 10 Euro der Einkommenszuwachs mehr als 26 Milliarden Euro betragen würde.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Unter der Vorgabe, dass keine Beschäftigung wegfällt! - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das ist das Hauptkampffeld für die Linke! Sonst kriegt ihr euren Laden nicht zusammengehalten! Das ist doch der Punkt!)

So sagt es Prognos. Das ist deutlich mehr als das, was durch Ihren Gesetzentwurf zu erwarten wäre.

Von uns allen hier hängt ab, ob wir letztendlich ein entsprechendes Gesetz beschließen werden. Wir werden Ihrem Antrag zustimmen, weil er in die richtige Richtung geht, auch wenn der Betrag noch nicht stimmt.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Ach! Das ist ja mal was! Das hätten wir bei der Argumentation der Rede nicht erwartet! Anette Kramme (SPD): Da sind wir stolz drauf! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Ich dachte, Sie würden mit Nein stimmen, bei der Rede!)

Ich sage allen, die dagegen stimmen werden, dass Arbeit auch etwas mit Würde zu tun hat. Wenn Menschen vollzeitbeschäftigt sind und von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, dann nimmt man ihnen die Würde. Ich sage Ihnen, dass es dringend notwendig ist, den Menschen ihre Würde zurückzugeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das erreichen wir, wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Ich bitte Sie: Reißen Sie sich in diesem Zusammenhang einmal am Riemen!

(Beifall bei der LINKEN)