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In Erinnerung an Rio Reiser

Lust auf Neues in einer echten linken Partei

In diesen Tagen wird überall in den Medien an den Sänger Rio Reiser erinnert, der vor genau zwanzig Jahren, am 20. August 1996, im Alter von nur 46 Jahren starb. Dabei wird gern "vergessen", dass Rio im November 1990 Mitglied der damaligen PDS wurde und die Partei bei vielen Wahlkämpfen unterstützt hat. Mit freundlicher Genehmigung des "neuen deutschland" veröffentlichen wir hier ein Interview vom 14. November 1990, in dem Rio seine Beweggründe erklärt, warum der "König von Deutschland" Mitglied der PDS wurde.

Der prominente bundesdeutsche Rockmusiker Rio Reiser und seine Band begleiten derzeit die PDS-Spitzenkandidaten auf ihrer Wahlkampftour. Seit Sonntag ist er PDS-Mitglied.

Haben Sie sich spontan entschieden, Mitglied der PDS zu werden?
Nein, vor drei, vier Wochen. Inzwischen hätte ich mir das ja auch noch einmal überlegen können. Aber man kann doch den kleinen Gysi jetzt nicht allein lassen. Außerdem kann man die Karte jederzeit zurückgeben. Das ist ein Druckmittel, das jedes Parteimitglied hat.

Was wäre denn für Sie ein Grund, die Karte zurückzugeben?
Wenn sich die Parteistrukturen so verhärten wie in allen anderen Parteien oder die Parteiräson so stark wird, daß nichts mehr am Parteikurs zu verändern ist. Ich will Einfluß nehmen können.

Was macht Ihnen denn die PDS jetzt sympathisch?
Zum Beispiel, daß sie das einbringt, was an der DDR wichtig und gut war. Dafür stehen diese drei Buchstaben für mich. Da setze ich Vertrauen in die PDS. Zwar wird immer Gysi, Gysi, Gysi gesagt, aber der ist es ja nicht allein. Und dann möchte ich auch die vierzig Jahre, die ich hier verbracht habe, mit einbringen. Im kleinen habe ich das schon getan dadurch, daß ich jetzt hier spiele oder mich mit den Leuten unterhalte. Bisher bin' ich allerdings noch nie auf die Schnapsidee gekommen, in eine Partei einzutreten.

Mit der Auflösung der DDR und den anderen Ereignissen in Osteuropa scheint für die meisten offensichtlich erwiesen, daß Sozialismus nicht funktioniert. Teilen Sie diese Auffassung?
Ich bin da anderer Meinung, weiß aber momentan auch nicht, wie das funktionieren könnte. In den Jahren zuvor war ich weder ein Freund der SED noch der DKP, weil die mir einfach zu dröge waren. Die PDS steht heute für mich links von den Grünen. Und es muß in Deutschland eine echte linke Partei geben, ob man sie nun kommunistisch nennen will oder nicht. Solche Parteien gibt es in Italien, Spanien, Frankreich, Portugal und anderswo. Sie sind ein Korrektiv zu den etablierten konservativen, bürgerlichen Parteien.

Ist Ihnen die Geschichte der PDS dabei nicht eine Last?
Ich halte die PDS für lernfähig. Das Kainsmal des Stalinismus, das sie mit sich herumträgt, läßt ihr nur zwei Möglichkeiten. Entweder darin zurückzufallen, dann sollte sie sich auflösen, oder ihn wirklich zu überwinden. Dann könnte dabei etwas ganz Neues herauskommen, und das ist es, was mich interessiert.

Hat der Geldtransfer-Skandal der PDS Sie abgeschreckt?
Eine Partei, die zu dumm ist, gute 100 Millionen zu verschieben, ist schon wieder sympathisch und nicht kriminell. Andere - SPD, FDP, CDU - sind doch beim Geldwaschen die echten Profis, obwohl ein paar Kleine doch ab und an gefangen werden, aber die Großen läßt man immer laufen. Kohl ist nie zurückgetreten, keiner ist zurückgetreten. Herr Lambsdorff ist heute Parteivorsitzender der FDP. Wunderbare Zeitgeister. Bei der PDS ist das Ding eben absolut in die Hose gegangen. Die können das einfach nicht. Das spricht vielleicht sogar für sie.

Ein Künstler und eine Partei, da steckt Konfliktstoff drin...
Offenbar hat die Partei bisher mit mir noch keine größeren Probleme. Gysi kommt auf die Bühne und gibt mir meinen Pärteiausweis, und danach spiele ich "Keine Macht für niemand". Also solange das drin ist, kann noch nicht soviel falsch sein.

Interview: Franz Helling und Horst Sensburg

Neues Deutschland, 14. November 1990