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Katja Kipping

LINKE für anonymisierte Bewerbungsverfahren

Statement von Katja Kipping, Parteivorsitzende der LINKEN, auf der Pressekonferenz am 1. Dezember 2014 im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Guten Tag, ich möchte anlässlich des in zwei Tagen stattfindenden Internationalen Tages für die Rechte der Menschen mit Behinderungen noch einmal unterstreichen, dass der Einsatz für Barrierefreiheit, für Inklusion, für uns als LINKE ein ganz wichtiges Ziel ist. Es ist uns wichtig, darzustellen, dass es nicht nur einfach um eine Mildtätigkeit gegenüber Menschen mit Behinderungen geht, sondern es geht um ein Grundrecht. Eine inklusive Gesellschaft ist eine, von der alle etwas haben. Also, klassische Barrierefreiheit hilft nicht nur Menschen im Rollstuhl sondern auch Menschen, die mit Kinderwagen oder Rollkoffern unterwegs sind.

Der Orientierungsstreifen an Bahnsteigen ist eigentlich für sehbehinderte Menschen gedacht, - der Orientierungsfaden - aber jeder von Ihnen, der schon einmal auf einem Bahnsteig gestanden hat, war bestimmt ganz froh, dass eine so klare Orientierung für das sichere Abstandshalten gab. Oder eine inklusive Schule ist nicht nur eine Schule, die Kindern mit Beeinträchtigungen hilft, sondern auch hilft Denkbeeinträchtigungen, die Menschen ohne klassische Behinderung, im Umgang mit Menschen mit Behinderung abzubauen. Deswegen sage ich immer: Barrierefreiheit bedeutet am Ende mehr Freiheit für alle.

Ich möchte auf der heutigen Pressekonferenz auch über zwei weitere Themen reden. Zum Integrationsgipfel: Solche Gipfel wären gut, wenn am Ende klar abrechenbare Ergebnisse ständen. Das war bei den bisherigen sechs Integrationsgipfeln nicht der Fall und es ist mehr als fraglich, ob das jetzt - beim siebenten Gipfel - besser sein wird. Es steht vielmehr zu befürchten, dass der heutige Integrationsgipfel vor allen Dingen eine Show-Veranstaltung wird.

Es existieren Zugangsbarrieren, Durchlässigkeitsbarrieren und solche Schranken verhindern Integration und Beteiligung. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde hat im Vorfeld des Gipfels eine sehr scharfe Kritik formuliert. Wir können uns dieser Kritik anschließen. Und ich möchte drei konkrete Maßnahmen nehmen, für die wir uns einsetzen - im Sinne einer positiven Integration:

Wir wollen erstens anonymisierte Bewerbungsverfahren, um Diskriminierung abzubauen. Wir meinen zweitens, es braucht eine interkulturelle Öffnung der Verwaltungsapparate. Das bedeutet, dass bei konkreter Personalauswahl eben auch Kompetenzen wie Mehrsprachigkeit oder interkulturelle Erfahrungen deutlich höher gewertet werden. Und drittens wollen wir eine Öffnung des Staatsbürgerschaftsrechtes um mehrere Staatsbürgerschaften zu erleichtern.

Ich bin skeptisch, dass der heutige Gipfel etwas in dieser Richtung bewirken wird. Beim Gipfel soll auch über die Situation von Flüchtlingen gesprochen werden. Und ich will noch einmal daran erinnern, dass wir als LINKE - und das haben wir auf der Parteivorstandssitzung noch einmal unterstrichen - ganz klar sagen: Was es braucht ist ein sofortiger Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge, um eben genau materielle Unabhängigkeit zu erleichtern.

Zur Parteivorstandssitzung: Der Parteivorstand hat am Wochenende getagt und wir haben verschiedene Beschlüsse gefasst. Unter anderem haben wir uns zu der neuen Welle der rechten Demos - heißen sie HOGESA oder wie in Dresden PEGIDA verständigt. Diese neuen rechten Demos kommen mit folgendem Gestus daher: Man würde ja endlich mal was aussprechen, was sich niemand traut auszusprechen. Wir aber meinen: Diese rechten Demos treten nach unten, sind getrieben von der Suche nach jemand Schwächeren, auf den man treten kann. Insofern sind HOGESAs, PEGIDAs und wie sie alle heißen, nicht mutig, sondern schlichtweg feige.

Wir wollen hingegen eine offene Willkommenskultur. Eine, die eben nicht auf dumpfe Ressentiments setzt. Eine solche Klarheit erwarten wir von allen demokratischen Parteien. Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir mit der AfD eine Partei haben, die genau in diesem Spektrum fischt. In diesem Zusammenhang finde ich es nach wie vor schockierend, dass die Thüringer CDU immer noch offen darauf spekuliert mit dem Stimmen der AfD gewählt zu werden. Faktisch wird damit eine Tolerierung durch die AfD salonfähig gemacht. Hier ist die Chefin der CDU im Bund, Angela Merkel, gefragt klar Position zu beziehen.

Wir haben zudem zwei weitere Beschlüsse gefasst: Zu einem haben wir uns noch einmal mit den Vorgängen um den 9. November beschäftigt, die in dem beschämenden Vorgang am 10. November im Bundestag mündeten. Es herrschte bei uns Konsens, dass die Veranstaltung, vor allen Dingen an diesem Datum, auch nicht hätte stattfinden sollen. Es herrschte Konsens darüber, dass der Vorgang mit Gregor Gysi im Bundestag unwürdig war und sich so etwas auf keinen Fall wiederholen darf und vollkommen inakzeptabel ist. Der Parteivorstand hat diese Vorgänge zum Anlass genommen noch einmal klar seine Erwartung zu formulieren: Wir erwarten, dass sich alle Untergliederungen der Partei, dass sich alle Mandatsträger der Partei an die programmatischen Grundsätze - gerade zum Nahost-Konflikt - halten. Und dazu gehört für uns das Existenzrecht Israels unanzweifelbar ist. Und das wir uns für eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung einsetzen. Beteiligungen an Boykottaufrufen gegenüber israelischen Produkten verbieten sich schon aufgrund der deutschen Geschichte für die deutsche LINKE. Auch ebenso wie die Relativierung des Holocaust. Wir haben auch festgehalten, dass wir ganz klar gegen eine inflationäre Anwendung des Vorwurfs des Antisemitismus aussprechen; es ist ein sehr großer und starker Vorwurf und man darf den Antisemitismus nicht dadurch relativieren, dass er inflationär verwendet wird.

Ein zweiter Beschluss widmete sich 25 Jahre nach der friedlichen Revolution noch einmal dem Herbst 1989, dem Wendeherbst. Diese Erklärung bestand zum einen aus dem Blick zurück, aber auch aus einem Blick nach vorn. Wir bewerten den Wandel im Wendeherbst ‘89 als einen Akt der Selbstbefreiung und meinen, der realexistierende Sozialismus ist eben nicht allein durch Druck von außen oder durch einen Betriebsunfall gescheitert, sondern er ist aufgrund interner Fehler, wirtschaftlicher Ineffizienz, aber auch aufgrund von fehlenden demokratischer Grundregeln gescheitert. Wir haben nach vorn geschaut und gefragt: Welche Hoffnungen der Wendebewegungen haben sich erfüllt? Viele wurden erfüllt, aber viele Hoffnungen wurden auch bitter enttäuscht oder harren noch darauf umgesetzt zu werden. Und wir meinen: Der Wendeherbst zeigt für uns, es gibt keine definitive Gewissheiten über den Verlauf der Geschichte, aber es gibt immer Alternativen. Und deswegen ermuntert uns das Gedenken an den Wendeherbst daran auch heute, 25 Jahre später, nicht mit Gewissheiten, mit vermeintlichen Gewissheiten, zufrieden zu geben, sondern ganz im Gegenteil: Immer wieder die großen Fragen zu stellen, die Fragen nach einer anderen Gesellschaft.

Vielen Dank.