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Kulturelle Bildung. Für alle. Von Anfang an.

Eröffnungsrede von Lothar Bisky zum Kulturforum der Fraktion DIE LINKE am 30. November und 1.Dezember 2007 in Berlin

Verehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde, zuerst möchte ich mich bedanken, dass die Bundestagfraktion DIE LINKE am ersten Tag ihres Kulturforums zur Kulturellen Bildung im Theater an der Parkaue zu Gast sein darf.
Ich denke, das ist die richtige Atmosphäre, um solch ein parteiübergreifendes Thema im Gespräch und ganz praktisch zu erörtern.
Nun wird - bei allen verschiedenen Sichten - niemand im Raume sein -, der die kulturelle Bildung nicht verteidigen wird. Wir sind uns sicherlich einig, dass das Erlernen alter und moderner Kulturtechniken, wie Bücher lesen oder Filme produzieren, die Persönlichkeitsentwicklung erst ermöglicht, Demokratiefähigkeit fördert, kulturelle Vielfalt sichert, um nur einiges zu nennen.
Ich denke auch, dass wir den Zugang zu kultureller Bildung für alle als ein Grundrecht verteidigen und ausbauen wollen und die Verantwortung dafür, nicht nur bei Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern einfordern.

Gut, möchte man meinen, warum dann ein Kulturforum über kulturelle Bildung?

Gehen wir doch wieder nach Hause und arbeiten an unseren Plätzen daran,

  • dass die kulturelle Infrastruktur in den Kommunen nicht weiter bröckeln;
  • dass Schulen die kulturelle Bildung nicht nachrangig behandeln;
  • dass die Beschäftigungssituation für Künstlerinnen, für Medienfachleute, die mit Kindern und Jugendlichen an Schulen, in Klubs zusammenarbeiten, sich verbessert ...

Gehen wir und arbeiten wir daran, dass kulturelle Bildung nicht nur in Sonntagsreden und den vielen ambitionierten Modellprojekten, sondern wieder im Alltag einen selbstverständlichen Platz hat.

Nun haben Sie, habt Ihr euch nach Berlin aufgemacht,
um die einfachste Investition zu nutzen, den Erfahrungsaustausch. Auf dem Kulturforum der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag ist Gelegenheit, an zwei Tagen den Austausch über kulturelle Bildung zu qualifizieren.
Sicher ist: Die Gespräche, die geplanten Foren werden sich zwischen erfolgreicher Praxis und empfindlichen Leerstellen bewegen. Bevor dazu alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer und unsere Gäste ihre Erfahrungen bemühen, möchte ich hier zum Auftakt vom anderen Ende der Welt erzählen:

Porto Alegre ist nicht nur die Stadt der Sozialforumsbewegungen. Sie hat auch viele internationale Preise für ihre modern Form der Selbstverwaltung erhalten.
Das kennen die Berlin-Lichtenberger und dank des erfolgreichen rot-roten Beispiels inzwischen auch die Kölner unter dem Begriff des Beteiligungshaushaltes. Nicht alle Kommunalpolitiker sind begeisterte Anhänger dieser politischen Entwicklung, ist doch ihre Kompetenz inzwischen mehr als Moderator, denn als Ideengeber politischer Projekte gefragt.

In einer der Favelas, einem Armenviertel der Stadt Porto Alegre, gab es von den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern den Vorschlag, den zentralen Platz zu verschönern, dort kommen die Menschen zusammen, treffen sich öffentlich.Eine plausible und bürgernahe Idee. Das ist nicht abzustreiten. Doch inzwischen hatten die Bürgerinnen und Bürger dieses Viertels über ihren Haushalt zu entscheiden
und es kam anders.

Sie verlangten, dass eine Tänzerin, die alle im Viertel kannten, die sie an Festtagen verzauberte, den Kindern und Jugendlichen das Tanzen beibringt. Das wollten die Kinder, das wollten die Eltern, und so wurde es gemacht.
Die Finanzen wurden in den Tanz, in eine Tanzschule, gesteckt, so entschieden es die Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels.
Diese politische Entscheidung mitten in Brasilien,
in keiner Hochburg bildungsbürgerlicher Schichten,
lehrt verschiedene Dinge.

Mir kommt es heute auf eines an: Kulturelle Bildung ist nicht nur ein Grundrecht, das man aus bildungsbürgerlicher und/oder aus linker, radikaldemokratischer Sicht verteidigt.
Kulturelle Bildung ist auch ein Grundbedürfnis. Es entwickelt sich schneller ungestümer, wenn Kinder und Jugendliche erst einmal mit unter-schiedlichen kulturellen Welten in Berührung gekommen sind.

Eine zweite Anregung für die kommenden beiden Tage ist mir wichtig. Ich bin es leid, traditionsreiche Kulturtechniken gegen moderne ästhetische Erfahrungen in den neuen Medien in der Debatte um kulturelle Bildung auszuspielen. Und ich möchte gleich zuspitzen und auf digitale Spielwelten zusteuern.
Ganz klar, eine Pokemon-Figur, die jedes Kind von heute aus dem Fernsehen, aus dem Comic, aus Kartenspielen und eine kleinere Schicht von Computerspielen kennt, erzählt - nach alten japanischen Heldenmythen - vom Kampf mit Waffen.
Diese rückwärts geblätterten Comics, weil in japanisch entstanden, erzählen auch vom Lernen, von der Entwicklung vielseitiger Fähigkeiten. Das passiert auch in unseren alten europäischen Märchen.
Waffen und Kampf sind Dauerthemen in Spielewelten. Sie sind auch eine andauernde Wirklichkeit in den meisten Regionen der Welt. Vergessen wir nicht, die Ilias ist eine Geschichte des Krieges und zugleich ein Kulturgut.

Wir sollten, statt Verbotsdebatten zu führen, über Kompetenzen und endlich auch über Kampf und Waffen als kultureller Grunderfahrung debattieren, in Bildungseinrichtungen und Jugendklubs.Das ist ein weites Feld zwischen verwirrendem Spiel und grausamer Wirklichkeit.

Doch ich bin überzeugt: kulturelle Bildung lässt sich ohne eine breite kulturelle Kompetenz - zu der zweifelsohne ein tiefe Beziehung zur Geschichte gehört - nicht vermitteln.

Verehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde,
Konzepte kulturelle Bildung laufen Gefahr, wenn sie einseitig auf bestimmte ästhetische Welten setzen, wenn Geigespielen plötzlich wertvoller als die Chat-Erfahrungen, Videosequenzen und Gesprächsforen auf Youtube sind.

Die Einseitigkeit ist das Problem, denn ohne neue Kulturtechniken sind Kommunikationsmöglichkeiten verschlossen. Ohne das Internet hätten die Nachbarn rund um das Haus in Amsterdam, in dem Anne Frank versteckt war, nicht weltweit mobilisieren können, um die Kastanie im Hof zu retten, die Anne Frank den Lebensmut schenkte.

Deshalb haben wir - als Kulturpolitikerin, als Bildungspolitiker, als Malerin, Sänger, als Journalistin oder Theatermacher – die Verantwortung, uns über weitreichende Konzepte kultureller Bildung auszutauschen.

Wir sollten sie nicht als Gegenbild zur schulischen Bildung mit Noten und Leistungsdruck entwerfen, sondern - wie gut in Ganztagsschulen möglich - an die Schulen zurückholen.
Wir sollten aber auch - und damit komme ich zu meinem letzten Punkt – für eine Besonderheit der kulturellen Bildung einstehen, die sie besonders in außerschulischen Orten hierzulande ausgeprägt hat. Sie steht für freie Kommunikation, Freiwilligkeit, im gewissen Sinne für die Aufhebung von Leistungsdruck, selbst wenn sie leistungsstark ist.

Kulturelle Bildung steht für Offenheit, für Begegnung mit unbekannten uralten und modernen sinnlichen Welten - im Klang, in Farben, in der Bewegung, in Bildern, in Geschichten.

Deshalb hat sie für mich einen ganz besonderen Wert,
denn kulturelle Bildung vermittelt auf einmalige Weise die Befähigung, Lösungen für unbekannte Probleme zu suchen,
Ideen auszubrüten, Zukunft zu denken, zu modellieren, zu experimentieren!

Nun ist keine Zeit mehr, aufzuzählen, was meine Partei hier an beachtlichen Vorarbeiten geleistet hat und als Vorsitzender hätte ich da einiges zu würdigen,
was wir in Bildungskonferenzen bis zur Programmarbeit zusammengetragen haben. Sicher ist das noch nicht genug, weshalb ich in Prag - beim 2. Kongress der Europäischen Linken - angemahnt habe, dass die Abstinenz der Linken gegen über den Medien und der Kultur in der europäischen Politik
beendet werden muss.

Mit dem Kulturforum der Fraktion DIE LINKE ist in erster Linie Gelegenheit, andere aufzufordern, ihre Anregungen auszubreiten und Forderungen zu formulieren, wie Politik und Kultur, Jugendarbeit und Bildungsräume zueinander finden.

Gut also, dass zwei Tage Zeit sind für ein Kulturforum
zur Kulturellen Bildung, gut dass sie, dass Ihr alle gekommen seid!

Ich wünsche dem Kulturforum viel Erfolg!