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Jetzt besteht die Chance auf Veränderung

Lothar Bisky auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus nach der Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes

Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich mit einer einleitenden Bemerkung an übermorgen erinnern: Das ist der 4. November – das war die größte freiwillige Demonstration in der DDR-Geschichte, die im Grunde die Presse- und die Versammlungsfreiheit, die als Verfassungsrechte garantiert waren, eingeklagt hat und etwa 500.000 Teilnehmer hatte, die ja für den Verlauf der Wende außerordentlich wichtig war. Ich erinnere mich gern an diese amüsanten, kreativen Plakate. So viel Heiterkeit habe ich selten gesehen. Und es ging darum, die Autorität einer Partei zu unterlaufen. Wir werden am 4. November um 10.30 Uhr im Kino Babylon eine szenische Rekonstruktion dieser Ereignisse machen, um daran zu erinnern. Einige der damaligen Redner werden da sein. Ich erinnere aber insgesamt an Redner wie Stephan Heym, Friedrich Schorlemmer, Steffi Spira, Heiner Müller, Christa Wolf, Gregor Gysi. Wenn Sie Interesse haben, kommen Sie ins Babylon.

Zur Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes. Wir haben über die aktuelle politische Situation gesprochen, u.a. zum rot-roten Koalitionsvertrag in Brandenburg, zur Regierungsbildung auf Bundesebene und zur Sitzung des EL-Vorstandes.

Der rot-rote Koalitionsvertrag liegt nun vor. Es ist ein Kompromisspapier. Niemand kann erwarten, dass ein Wahlprogramm - auch nicht das der LINKEN – eins zu eins umgesetzt wird. Heute findet die letzte Regionalkonferenz in Oranienburg statt. Die Basis hat bereits auf mehreren Regionalkonferenzen in Frankfurt, Potsdam und Cottbus diskutiert. Es ist ein transparenter Umgang mit dem Ergebnis der Verhandlungen. Nach Rückkopplung mit der Basis und einem breiten demokratischen Verfahren gehe ich davon aus, dass der Sonderparteitag am 4.November in Strausberg diesem Vertrag zustimmen wird. Die SPD regiert in Brandenburg seit fast zwanzig Jahren, davon zehn gemeinsam mit der CDU. Das merkt man. Sie war voll auf der Linie von Agenda 2010 und Hartz IV. Es gab keine wirksame Bekämpfung der Kinderarmut, es gab keine Kita-Plätze für die 0 bis 3jährigen, wenn die Eltern arbeitslos waren. Es wurde viel experimentiert in der Bildung. Öffentliche Beschäftigung wurde nicht gefördert. Brandenburg ist ein Billiglohn-Land geworden. Es gab eine merkwürdige Förderlogik, ich will mich nicht wiederholen, aber da ist sehr viel Geld im märkischen Sand versickert. Ich denke nur an die Chip-Fabrik Frankfurt/Oder, an den Lausitz-Ring, an den Cargo-Lifter. Wenn das alles in wirtschaftliche Produktivität hätte übersetzt werden können, würde es besser sein.

Das Land ist in einer schwierigen Haushaltslage. Jetzt besteht die Chance auf Veränderung. Ich will noch nicht von einem Politikwechsel reden. Es besteht aber die Chance, dass eine linke Handschrift an einigen Punkten erkennbar wird. Man hat im engen Kontakt mit den Gewerkschaften gestanden und den Vertrag ausgehandelt. Brandenburg wird sich künftig für einen gesetzlichen Mindestlohn einsetzen und dabei im eigenen Land mit konkreten Schritten vorangehen, z.B. mit einem Vergabegesetz. Das halte ich für wichtig. Ich halte auch die Einführung eines öffentlichen Beschäftigungssektors für wichtig. Bis 2014 sollen 8.000 Stellen geschaffen werden. Dafür werden 40 Millionen Euro bereitgestellt. Armut – vor allem Kinderarmut – soll besser bekämpft werden. Die Landesregierung wird sich auf Bundesebene für sachgerechte und armutsfeste Grundsicherung für Kinder einsetzen. In Zusammenarbeit mit den Kommunen soll allen Kindern ein gesundes Mittagessen in Kita und Schule ermöglicht werden. In der Zusammenarbeit mit den Kommunen sehe ich große Reserven und Möglichkeiten der neuen Landesregierung. Die Belastung für sozial Benachteiligte sollen verringert werden. Das Sozialticket wird beibehalten und es soll Gespräche mit Berlin über die Ausdehnung des Geltungsbereiches geben. Brandenburg wird auf Bundesebene am Atomausstieg festhalten. Nicht durchsetzen konnte sich die LINKE u.a. bei der Braunkohleverstromung und bei Tagebauaufschlüssen. Ein Stopp in dieser Legislatur erwies sich als rechtlich nicht machbar, auch wenn künftig erneuerbaren Energien Vorrang eingeräumt werden soll. Dort hat sich der politische Wille der Linken nicht durchgesetzt. Die LINKE musste nach einem gescheiterten Volksbegehren zur Kenntnis nehmen: 60 Prozent der Bevölkerung sind derzeit für Braunkohleverstromung.

Die politische Konkurrenz von der CDU schäumt inzwischen. Die neue Regierung wird kräftigen Gegenwind erwarten müssen. Das erschrickt uns aber nicht. Ich werbe für eine kritische und solidarische Begleitung der rot-roten Regierungsarbeit in Brandenburg. Die Brandenburger möchte ich ermuntern, durch transparente, nachvollziehbare Entscheidungen und eine offensive Öffentlichkeitsarbeit für das rot-rote Projekt zu werben. Gerade angesichts der schwarz-gelben Bundespolitik ist Rot-Rot wichtig für unser Land. Und es zeigt sich einmal mehr, die LINKE geht nicht nur in die Regierung, wenn die Sonne scheint. Wir sind in einer Krise. Es wird ein Neuanfang für eine Regierung in der Krise sein. Das wird nicht einfach.

Ich will noch eine Bemerkung zur Europäischen Linkspartei hinzufügen. Wir hatten turnusmäßig Vorstandssitzung in Genf. Wir haben uns auf die Arbeitspläne verständigt und dass wir den 3.Kongress der Europäischen Linkspartei im Dezember 2010 durchführen werden. Dann wird der Kurs auf europäischer Ebene für die kommenden Jahre festgesetzt. Auf dem Treffen – und deshalb erwähne ich das – wurden fünf neue Mitgliedsparteien in die Europäische Linkspartei aufgenommen. Die Europäische Linke ist ein Projekt mit Wachstum. Darüber freue ich mich. Weitere Anträge liegen vor. Aufgenommen wurden: der finnische Linksbund, die Kommunistische Partei Finnlands (bisher EL-Partei mit Beobachterstatus), die Arbeitspartei 2006 aus Ungarn, die Neue Zypern Partei sowie die Partei der Belarussischen Kommunisten – das ist die Oppositionspartei in Belarus. Die Europäische Linkspartei hat somit jetzt 24 Mitgliedsparteien und zehn Beobachterparteien. Die nächste Vorstandssitzung wird hier in Berlin stattfinden und zwar am zweiten Januar-Wochenende, an dem Tag wir Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf dem Friedhof in Friedrichsfelde ehren werden. Es ist bereits Tradition, dass der Vorstand der Europäischen Linkspartei mit uns gemeinsam diese Ehrung vornehmen wird.