Zum Hauptinhalt springen

„Ich bitte alle, die unter der Mauer gelitten haben, um Entschuldigung.“

Katja Kipping im Bundestag zur Aktuellen Stunde am 06.03.2020

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Bei der Gewaltfrage darf es keine Unklarheiten und keine Ironie geben. Hier kann es für demokratische Linke nur eine Grundhaltung geben: Gewaltlosigkeit. Deshalb war dieser viel zitierte Wortwechsel in Kassel ein großer Fehler.

 

Bernd Riexinger hat seine Reaktion ganz klar als Fehler bezeichnet und dafür ausdrücklich um Entschuldigung gebeten.

  • Wer einen Blick auf seinen Lebensweg wirft,
  • wer seine Auseinandersetzungen mit Dogmatismus kennt,

der weiß, dass er seinen Fehler von Herzen bereut.

 

Historische Bürde

Ja, wir Linken müssen damit umgehen, dass jede Äußerung von uns immer auch im Lichte der Verbrechen gesehen werden kann, die im Namen des Sozialismus begangen wurden. Das ist unsere historische Bürde.

 

Entschuldigung für SED-Unrecht

Im Wissen um unsere historische Bürde sage ich in aller Deutlichkeit zum Thema Mauertote und SED-Unrecht Folgendes: Dass Menschen beim Versuch ein Land zu verlassen, ihr Leben riskieren mussten oder sogar verloren haben, war großes Unrecht.  Nun könnte ich es mir leicht machen und sagen: Ich war 11 Jahre alt, als die Mauer fiel. Ich könnte es uns als LINKE leicht machen und sagen, mindestens 80% der heutigen Mitglieder waren definitiv keine SED-Mitglieder. Sie sind schlicht zu jung oder viel später eingetreten. Doch ich möchte es mir nicht leicht machen, weil man mit einer historischen Bürde nicht leichtfertig umgeht. Deshalb bitte ich heute im Namen der LINKEN alle,  die unter der Mauer gelitten haben, erneut um Entschuldigung.

 

Ich bitte alle, deren Familien auseinandergerissen wurden oder die Angehörige verloren haben, um Entschuldigung. Ich bitte alle, die bespitzelt wurden, um Entschuldigung. Ich habe das in der Vergangenheit gesagt, sage es heute und werde es wieder sagen:  Für dieses Unrecht gibt es keine Rechtfertigung.

 

Zur Situation an Grenzen heute

Kein Mensch sollte beim Versuch, ein Land zu verlassen, sein Leben riskieren müssen. Dieser Grundsatz gilt nicht nur beim Blick zurück auf die DDR, sondern auch heute und überall.  Deshalb ist es unerträglich, welches Leid sich aktuell an EU- Außengrenzen abspielt. Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten.

 

Agieren der FDP in der Stunde der Entscheidung

Im Titel dieser aktuellen Stunde geht es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Deshalb frage ich die FDP: Haben Sie wirklich das Gefühl, in den vergangenen Wochen alles für den Schutz der Demokratie gegeben zu haben?  Wie war das denn am Mittwoch, als in Thüringen der Faschist Björn Höcke für das Amt des Ministerpräsidenten antrat? Wenn Höcke Ministerpräsident geworden wäre, hätte er womöglich einem Holocaustleugner die Hoheit über die Gedenkstätte Buchenwald und über die Lehrpläne in den Schulen übertragen.  Und was tut die FDP in dieser Stunde der Entscheidung? Sie weigert sich an der Abstimmung teilzunehmen.  Sieht so der Einsatz der FDP für die Demokratie aus?

 

Reicht Abgrenzung nach links als Aufarbeitung?

Da ich für eine kritische Auseinandersetzung mit linker Geschichte streite, frage ich CDU und FDP: Sind Sie zufrieden mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte? Mein Großvater war in der Blockpartei LDPD, die sich mit der FDP vereinigte. Mir kann niemand erzählen, dass alle Blockpartei-Mitglieder systemkritisch waren. So mancher entschied sich dafür, weil dies für die Karriere förderlich war.  Insofern hat die Ost-CDU zu Recht 1989 unter dem Motto „In der Wahrheit leben“ eine kritische Reflexion über ihre eigene Rolle begonnen.

Doch dies wurde jäh abgebrochen, als es zum Anschluss an die West-CDU kam. Das Angebot der West-CDU lautete:  Wer zu uns kommt, der steht automatisch auf der richtigen Seite.  Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wurde ersetzt durch eine scharfe Abgrenzung gegen alles Linke. Ist die Abgrenzung nach links wirklich eine ausreichende Aufarbeitung?  Ich meine, wer seine eigene Geschichte nicht kritisch aufarbeitet, kann für die Zukunft kaum die richtigen Schlüsse ziehen.  Das gilt für uns alle.