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Klaus Ernst

Höhere Löhne sind Schlüssel für nachhaltigen Aufschwung

Statement von Klaus Ernst, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Guten Tag, ich möchte mich zu fünf Themen äußern. Erstens zu den Äußerungen Herrn Seehofers, zum zweiten zu Fragen rund um Stuttgart 21, drittens zur Mindestlohn- und Lohndebatte und viertens werde ich zu den Streiks und Protesten gegen die Rentenreform in Frankreich etwas sagen. Abschließend und fünftens möchte ich aus der Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes berichten.

Zunächst zu den Äußerungen von Herrn Seehofer: Diese ganze Integrationsdebatte, die momentan stattfindet, ist überflüssig wie ein Kropf und unsäglich. Sie dient nur dazu, Nebelkerzen zu zünden: Während auf der einen Seite ein gigantisches Sozialkürzungspaket verabschiedet wird, während versucht wird, die Krisenlasten auf die Bevölkerung abzuwälzen, insbesondere auf die, die am wenigsten haben und verdienen, während die Banken ungeschoren bleiben, diskutieren wir über die Frage, ob Zuwanderung bei uns erfolgt oder nicht oder ob sie erwünscht ist oder nicht. Das lenkt von den eigentlichen Problemen ab, die die Menschen wirklich haben.

Im übrigen: Deutschland ist netto ein Auswanderungsland. Wenn man sich die Statistiken ansieht, erkennt man das sehr leicht. So wird deutlich, worin der eigentliche Sinn der Debatte liegt: Offensichtlich versuchen einige, und zwar leider führende Politiker in Deutschland wie Herr Seehofer, am rechten Rand zu fischen. Er macht damit Türen für Rechtspopulisten auf, und wenn er nicht aufpasst, wird er die auch nicht mehr los. Er sorgt dafür, dass rassistische Positionen in der Bundesrepublik wieder salonfähig werden, auch wenn er selbst das vielleicht so nicht will. Mit solchen Ausführungen wird die politische Debatte in der Bundesrepublik vergiftet.

Dass genau vom Ministerpräsidenten Bayerns eine solche Debatte angeregt wird, ist besonders schädlich, weil bekannt ist, dass kaum ein Land so vom Export lebt wie Bayern. Solch eine Debatte vom Zaun zu brechen, ist für den Wirtschaftsstandort Bayern nicht gerade förderlich – das dürfte sehr schnell verständlich sein.

Der eigentliche Punkt ist aber ein anderer: Ab Mai kommenden Jahres gilt die Freizügigkeit in Europa, was das Anbieten von Dienstleistungen betrifft. Ab diesem Zeitpunkt kann mit noch niedrigeren Löhnen in der Bundesrepublik gearbeitet werden, als das gegenwärtig der Fall ist. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer empfinden es als Bedrohung, dass Menschen zu noch niedrigeren Löhnen beschäftigt werden können als die, die sie selber bekommen. Wenn die Regierung ihre Blockade gegen den Mindestlohn aufgeben würde, wäre dieses Problem bei weitem entschärft.

Wenn diese Sorgen ernst genommen werden würden und tatsächlich ein Mindestlohn eingeführt werden würde, und zwar möglichst rasch – wir haben nur noch 195 Tage Zeit dafür –, dann hätten wir diese Debatte sehr schnell entschärft und könnten uns wieder um die eigentlichen Probleme in unserem Lande kümmern.

Es braucht einen koordinierten Ansatz, wie man bei uns in der Bundesrepublik lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ohne Ausbildung, möglichst schnell eine vernünftige Ausbildung zur Verfügung stellt. Es braucht einen koordinierten Ansatz, diese Menschen möglichst zu fördern und tatsächlich in die Lage zu versetzen, sich zu integrieren. Das würde auch Fragen in der Fachkräftedebatte lösen. Das jedenfalls ist unsere Position.

Zusammenfassend: Es handelt sich aktuell um eine Scheindebatte. Die eigentlichen Probleme liegen darin, dass die Bundesregierung ihre Aufgaben bei der Integration insbesondere junger Menschen, die im Übrigen in der Regel hier geboren sind und gar nicht zugewandert sind, bisher in keiner Weise gelöst hat.

Zu Stuttgart 21: An diesem Beispiel kann man erkennen, dass in der Bundesrepublik einfach viel zu oft an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei geplant und beschlossen wird. Das muss sich aus unserer Sicht ändern. Offensichtlich fehlt Schwarz-Gelb zurzeit jede Sensibilität für das, was die Menschen fühlen und denken. Es wird deutlich, dass die Regierung offensichtlich immer mehr am Gängelband von Lobbyisten hängt. Das hängt den Bürgern immer mehr zum Halse raus. Damit hat sich diese Regierung auseinanderzusetzen.

Dann habe ich natürlich auch den Spruch von der "Nichts-geht-mehr-Republik" gehört. Wir haben eine "Nichts-geht-mehr-Republik" vor allem deshalb, weil von der Regierung ein "Kein-Geld-mehr-Sozialstaat" proklamiert wird und deshalb die Menschen von vernünftigen Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Wenn man zugleich eine "Über-die-Köpfe-hinweg-Demokratie" organisiert, dann braucht man sich nicht wundern, dass man zu einer "Nicht-geht-mehr-Republik" kommt. Das Nichts-geht-mehr ist der Protest der Bürger gegen eine Entscheidung, die – so empfinden sie es aus meiner Sicht vollkommen zu recht – über ihre Köpfe hinweg getroffen wurde. Es geht letztendlich um die Frage, ob wir in einer Basta-Demokratie leben und ob die Interessen der Bürgerinnen und Bürger Gehör finden, bei denen, die entscheiden.

Wir haben auf der einen Seite ein verkehrspolitisch überflüssiges und ökonomisch unsinniges und technologisch inzwischen auch schon wieder überholtes Prestigeobjekt und auf der anderen Seite fehlen Gelder nicht nur für Kommunen, sondern ganz banal selbst für Toiletten in Schulen. Insofern würde man schon meinen, dass man vielleicht mit dem einen oder anderen Prestigeobjekt vorsichtiger umgehen sollte, zumal es - wie in Stuttgart - auf so dramatischen Widerstand der Bevölkerung stößt.

Das bringt mich zu folgendem Punkt: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. DIE LINKE ist ausdrücklich dafür, dass es Volksentscheide auf Bundesebene gibt. Wir sind die Partei, die das schon immer angeregt hat. Momentan schreiben auch bei diesem Punkt die anderen Parteien bei uns ab. Das freut uns sehr. Sie schreiben leider ab, ohne dass sie rot werden. Daran müssen wir noch arbeiten. Aber wir stellen insgesamt fest, dass wir auch mit diesem Vorschlag nach Volksentscheiden auf Bundesebene offensichtlich durchdringen.

Wir fordern aber auch – und diesen Punkt werden wir in der Programmdebatte aufgreifen, auch unter dem Stichpunkt mehr Demokratie –, dass die Beschäftigten in ihren Betrieben mehr Einfluss auf ihre Betriebe bekommen und letztendlich mitentscheiden können. Beispielsweise darüber, ob ein Betrieb verlagert wird, ob ein Betrieb geschlossen wird, ob die Produktion verlagert wird und letztendlich damit die Arbeitsplätze der Beschäftigten verlorengehen.

Noch einmal zur Lohndebatte und zum Mindestlohn: Wir erleben ja zurzeit die merkwürdige Situation, dass sich selbst Herr Brüderle für höhere Löhne ausspricht. Das ist nicht nur deshalb besonders bemerkenswert, weil sich gerade die FDP den Kampf gegen Gewerkschaften nachwievor auf die Fahnen geschrieben hat und sie bis vor kurzem noch am liebsten verboten hätte. Also, jetzt sind sie für höhere Löhne. Dort allerdings haben sie recht. Höhere Löhne sind tatsächlich aus unserer Sicht der Schlüssel für einen nachhaltigen Aufschwung. Nur mit Export geht das nicht. Wenn alle mehr exportieren würden, als sie importieren, wie wir das als Bundesrepublik tun, dann müssten wir künftig Verhandlungen mit dem Mars aufnehmen, ob die Mars-Männchen vielleicht Verwendung für unsere Überschüsse haben.

Wir brauchen mehr Binnennachfrage in der Bundesrepublik. Die Bekenntnisse der FDP sind nicht sehr ernst zu nehmen, weil gleichzeitig jede aktive Rolle des Staates bei dieser Frage verneint wird. Gute Löhne sind letztendlich auch eine Frage guter Gesetze. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Gesetzen, die als Lohnbremsen fungieren. Eines davon ist die Leiharbeit. Leiharbeit führt dazu, dass Menschen ihren Job, den sie als unbefristeten Vollzeitjob haben, verlieren können und letztendlich bei einer Leiharbeitsfirma zu schlechteren Bedingungen wieder anfangen und die selbe Arbeit wie vorher machen, ohne das gleicher Lohn bei gleicher Arbeit gilt. Das ist eine echte Lohnbremse.

Wir haben eine zweite Lohnbremse, die darin besteht, dass man inzwischen ohne sachlichen Grund befristet beschäftigt werden kann. Dass insbesondere junge Menschen unter 25 Jahre zu 40 % nur noch befristete Jobs haben, das drückt auf die Löhne, weil solche Menschen sich nicht trauen – berechtigterweise –, sich für ihre Interessen entsprechend zu engagieren und für höhere Löhne einzutreten.

Die größte Lohnbremse ist Hartz IV. Die Menschen haben viel Angst davor, sich zu wehren - weil sie damit rechnen müssen, ihren Job zu verlieren und dann im Arbeitslosengeld II zu landen. Diese Lohnbremsen müssen aus den Gesetzen der Bundesrepublik verschwinden. Dann hätten wir zumindest einen Ansatz, die Vorschläge der FDP nach höheren Löhnen ernst zu nehmen – sonst ist es wirklich blanker Populismus. Eigentlich müsste unter dieser Voraussetzung jetzt die Bundesregierung ganz besonders schnell aktiv werden und den Mindestlohn einführen. Ein wirksamer Mindestlohn würde automatisch auch höhere Löhne bedeuten.

Auch die Bundesregierung weiß, dass wir Bereiche haben, in denen es keine Tarifverträge mehr gibt und deshalb vernünftige Löhne nicht entstehen können. Deshalb ist das, was die Bundesregierung sagt, eigentlich ein Hohn gegenüber all denen, die zu Niedrigstlöhnen arbeiten müssen, da die Regierung gleichzeitig vernünftige Mindestlöhne verweigert. Wir werden das im Übrigen noch öfter wiederholen. Es sind noch 195 Tage bis zum 1. Mai 2011. Dann wird der deutsche Arbeitsmarkt im Dienstleistungsbereich für Löhne offen sein, die noch weiter unter dem liegen, was wir zur Zeit schon an Niedrigstlöhnen bezahlen. Wenn die Bundesregierung in dieser Frage nicht aktiv wird, ist sie dafür verantwortlich, dass die Löhne in der Bundesrepublik weiter nach unten wegrutschen werden.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die gegenwärtigen Protestaktionen gegen die Rente ab 62 in Frankreich. Millionen legen dort die Arbeit nieder und versuchen, die Regierung zu bewegen, dieses Ansinnen aufzugeben. Ich weise darauf hin, dass wir als LINKE den politischen Streik auch in der Bundesrepublik legalisieren wollen, dass wir auch in der Bundesrepublik den Menschen das Recht geben wollen, für oder gegen solche politischen Entscheidungen die Arbeit nieder zu legen.

Niemand wird bestreiten, dass Frankreich eine Demokratie ist. Deshalb ist es unverständlich, dass bei uns eine Rechtsauffassung vorherrscht, bei uns wären politische Streiks nicht erlaubt. Wir treten nachträglich für eine Legalisierung des Rechts auf politischen Streik ein.

Das zweite: Mich freut es ganz besonders, dass es in Frankreich insbesondere junge Menschen sind, die offensichtlich begriffen haben, dass die Rente sie etwas angeht. Ich würde mir wünschen, dass wir das auch in der Bundesrepublik in der Weise hinkriegen. Es ist so, dass wir in der Bundesrepublik nicht das Problem haben, dass die Alten auf Kosten der Jungen die Ressourcen verbrauchen, sondern wir haben das Problem, dass die Rentenpolitik der Bundesregierung die Rente erst ab 67 und die Kürzung der Rente vor allem die Jungen betrifft, aber auch die Alten.

Ich freue mich natürlich ganz besonders, dass in Frankreich diese Aktivitäten in dem Ausmaß stattfinden. Ich möchte auch daran erinnern, dass wir in der Bundesrepublik mal darüber nachdenken müssten, wenn offensichtlich ein Protesttag nicht ausreicht, dass man vielleicht mehrmals so lange auf die Straße gehen muss, bis man auch einen Erfolg hat. Wenn sich diese Einsicht auch in der Bundesrepublik durchsetzt, dann wären wir auch hier einen Schritt weiter. Wir als LINKE werden daran arbeiten, dass das so wird.

Zu einem letzten Punkt: Wir haben uns im Geschäftsführenden Parteivorstand mit unserem Programmkonvent beschäftigt. Wir haben inzwischen 560 Anmeldungen für diesen Programmkonvent. Sie sind natürlich alle recht herzlich eingeladen, darüber zu berichten. Die eine oder andere Anmeldung von Ihnen liegt auch schon vor. Da freue ich mich ganz besonders darüber. Wir haben in verschiedenen Foren die Gelegenheit, auf diesem Programmkonvent unser Programm zu debattieren. Das werden wir tun. Alles, was ich bisher aus der Partei in diesem Zusammenhang höre, können wir eine sehr konstruktive, auch in verschiedenen Punkten kontroverse Debatte erwarten. Darüber freuen wir uns. Ich gehe davon aus, dass wir auch mit diesem Programmkonvent dazu beitragen können, dass wir als LINKE insgesamt noch stärker werden.