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Bernd Riexinger

Große Koalition heißt halbe Lösungen für große Probleme

Statement des Parteivorsitzenden Bernd Riexinger auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus am 14. Oktober 2013

Ich begrüße Sie ganz herzlich. Drei Wochen nach der Bundestagswahl zeichnet sich ab, dass es zu einer Großen Koalition kommen wird. Ich glaube, die anstehenden Sondierungsverhandlungen mit den Grünen entscheiden eher darüber, ob es Pflaumen- oder Streuselkuchen gibt, als über den Bestand der künftigen Regierung. Ich finde absolut bemerkenswert, dass die SPD jetzt öffentlich Forderungen erhebt, die sie ohne Weiteres mit einer Mehrheit von acht oder neun Stimmen im Bundestag mit unserer Hilfe abstimmen könnte. Also der Mindestlohn könnte sofort abgestimmt werden. Die Rentenfrage könnte sofort abgestimmt werden und die Frage der stärkeren Besteuerung von Reichen ebenfalls. Wir haben die SPD immer gewarnt vor diesem Schritt in die Große Koalition. Ich betone nochmal: Große Koalition ist großer Misst – um an das Wort eines bekannten SPD-Führers zu erinnern. Das heißt halbe Lösungen für große Probleme. Wir werden sehen, dass zentrale Probleme dieser Republik mit der Union nicht zu lösen sind. Die zentralen Fragen werden eher halbe Lösungen bringen, wie halber Mindestlohn, halbe Rentenschritte und gar keine Vermögenssteuer oder gar keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Wir werden in dieser Frage, wenn es denn alles so kommt, wie wir befürchten, als Oppositionsführer klare Kante zeigen. Die Frage der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine Millionärssteuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sind unseres Erachtens zentrale Fragen, die darüber entscheiden, ob denn tatsächlich Kindertagesstätten ausgebaut werden können, ob das Gesundheitssystem so erhalten werden kann, ob die öffentliche Infrastruktur befriedigend ausgebaut werden oder überhaupt nur erhalten werden kann. Wird auf diese Maßnahmen verzichtet, werden große Teile der Wahlversprechen, die die SPD im Wahlkampf gemacht hat, nicht einzulösen sein. Wir werden erleben, dass große Abstriche gemacht werden, und dass auch die Erwartungen der Wählerschaft der SPD, von der eigenen Mitgliedschaft einmal ganz zu schweigen, nicht erfüllt werden können. Wir wissen, dass heute bei der Unternehmensbesteuerung die Bundesrepublik im untersten Drittel der OECD-Länder ist. Wir haben gar keine Vermögenssteuer als eines der wenigen Industrieländer. Es wäre höchste Zeit, diese Fragen auf die Tagesordnung zu setzen. Wir werden erleben, dass hier die großen Rückzieher gemacht werden.

Zweiter Punkt, zu dem ich Stellung nehmen will: DGB-Forderungen nach neuem Rentenkonsens. Der DGB hat sich ja hier auf eine Umfrage gestützt, dass 42 Prozent der Menschen Angst haben, im Alter nicht genügend abgesichert zu sein und hat deshalb den im Bundestag vertretenen Parteien zu einem neuen Rentenkonsens aufgefordert. Wir teilen diese Befürchtungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und teilen auch die Ängste der Menschen vor Altersarmut und halten deshalb tatsächlich diesen Schritt, mit den Parteien einen Rentenkonsens herbeizuführen, als einen richtigen Ansatzpunkt. Für uns gibt es vier Punkte, die dort von entscheidender Bedeutung sind. Wir wollen die Stabilisierung des Rentenniveaus vor Steuern bei deutlich über 50 Prozent. Sprich, keine weiteren Rentenkürzungen. Zweitens, wir wollen eine armutsfeste Mindestrente als universelles soziales Netz im Alter. Das brauchen wir dringend. Drittens, wir wollen die Ostrentenangleichung noch in dieser Legislaturperiode. Viertens, wir sehen keinen Grund, das Renteneintrittsalter erst ab 67 beizubehalten. Wir haben hier schon oft genug gesagt, das würde ungefähr einen Kostenpunkt monatlich für einen Durchschnittsverdiener, einer Durchschnittsverdienerin von 6 bis 7 Euro ausmachen. Eine Volksabstimmung über diese Frage würde eindeutig ausgehen.

Dritter Punkt, zu dem ich sprechen will, ist die Debatte um die europäische Flüchtlingspolitik: Wieder kenterte am Wochenende ein Boot vor der Insel Lampedusa mit Flüchtlingen. Wieder berichteten die Medien über unendliches Leid, über ertrinkende Kinder, Frauen und Männer. Wieder wird daran erinnert, wie inhuman die Flüchtlingspolitik der EU ist. Experten, auch außerhalb der Parteien, fordern schon längst eine Änderung dieser Flüchtlingspolitik, eine Reform, die diesen Namen auch verdient. Es scheint, dass wieder nichts gemacht wird, dass tatsächlich Europas Grenzen dichtgemacht werden, also an dieser Politik nichts geändert wird. Dafür haben wir kein Verständnis. Es geschieht dort unendliches Leid. Die meisten Menschen, die flüchten müssen, flüchten aus Angst vor Kriegen oder weil sie mitten im Kriegsgebiet sind. Vielen Menschen flüchten natürlich auch, weil sie schlichtweg nichts zu essen haben, hungern müssen, nicht existieren können. Es ist im Übrigen völlig normal, dass solche Bilder Mitleid auslösen und humanitäre Einstellungen und nicht quasi die Ressentiments gegen Flüchtlinge geschürt werden, wie das der Innenminister tut. Ich habe das schon einmal betont: Ich habe dafür gar kein Verständnis, dass darüber verächtlich geredet wird, es ginge hier um Wirtschaftsflüchtlinge, dass versucht wird, hier die Bevölkerung mit zum Teil plumpen rassistischen Ressentiments aufzuhetzen, die Menschen gegen die Flüchtlinge auszuspielen und insbesondere vorhandene Ängste zu nutzen, billigen Populismus zu machen. Ich bin nachwievor der Meinung, auch angesichts dieser Bilder, die wir fast jeden Tag sehen: So etwas macht man als seriöser Politiker nicht. Wir bleiben dabei. Für uns kommen die Flüchtlinge nicht in betrügerischer Absicht ins Land. Es wird keine Lösung der Probleme sein, dass wir Europa abschotten. Wir müssen Flüchtlinge aufnehmen, Menschen, die in Not gekommen sind. Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass in der Weltwirtschaft gerechter zugeht. Es ist völlig klar. Die Not, die dort existiert, ist natürlich auch ein Ausdruck der weltweiten Wirtschaftskrise, der weltweiten Konflikte um Ressourcen. Die Ausbeutung dieser Länder ist auch einer falschen Politik geschuldet, die die Europäische Gemeinschaft und auch die Bundesregierung betreiben. Das muss alles geändert werden. Aber den Menschen, die in Not sind, muss einfach geholfen werden. Ich habe jetzt beim Gewerkschaftstag der BCE den Präsidenten des Europäischen Parlaments gehört, der gesagt hat, in Lampedusa sind 10.000 Flüchtlinge. Das ist für Lampedusa bei 6.000 Einwohnern zu viel. Aber 10.000 Flüchtlinge in der Europäischen Gemeinschaft unterzubringen, die 500 Millionen Menschen hat, kann ja kein Problem sein. Da kann man dem Präsidenten des Europäischen Parlaments nur zustimmen. Inzwischen gibt es glaubhafte Berichte, dass das Flüchtlingsboot am Wochenende durch Fremdeinwirkung – ich nenne es mal vorsichtig – gekentert ist. Diesen Berichten muss mit aller Konsequenz nachgegangen werden. Der Verdacht, dass libysche Grenzer oder auch italienische Schnellboote Jagd auf Flüchtlinge machen, die tödlich endet, muss aufgeklärt werden. Wir wollen, dass der Generaldirektor von Frontex vor den Deutschen Bundestag geladen wird, um Auskunft zu geben, was sich tagtäglich vor den Toren Europas an Dramen abspielt. Ich finde, die Aufklärung der Wahrheit ist der erste Schritt zur Besserung.