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Michael Schlecht

GroKodil frisst Streikrecht

In Deutschland wird so wenig gestreikt wie in kaum einem anderen Industrieland. Und ein durchschnittlich bezahlter Beschäftigter hat heute preisbereinigt rund drei Prozent weniger Einkommen als im Jahr 2000. Jetzt stellen sich vor allem Branchengewerkschaften gegen diese Entwicklung. Plötzlich schreckt die große Koalition (GroKo) auch nicht vor einem direkten Eingriff in das Streikrecht zurück. Da dieses in der Verfassung - ohne Änderungsmöglichkeit - festgelegt ist, betreibt die GroKo einen Verfassungsbruch. Unfassbar ist, dass dabei eine sozialdemokratische Ministerin die Federführung hat. - Von Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE

In Deutschland wird so wenig gestreikt wie in kaum einem anderen Industrieland. Und ein durchschnittlich bezahlter Beschäftigter hat heute preisbereinigt rund drei Prozent weniger Einkommen als im Jahr 2000. Jetzt stellen sich vor allem Branchengewerkschaften gegen diese Entwicklung. Plötzlich schreckt die große Koalition (GroKo) auch nicht vor einem direkten Eingriff in das Streikrecht zurück. Da dieses in der Verfassung - ohne Änderungsmöglichkeit - festgelegt ist, betreibt die GroKo einen Verfassungsbruch. Unfassbar ist, dass dabei eine sozialdemokratische Ministerin die Federführung hat.

Das Gesetz sagt: Wenn in einem Betrieb zwei Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge aushandeln, dann gilt nur der Vertrag der Gewerkschaft, die mehr Mitglieder hat. Damit soll kämpferischen Klein-Gewerkschaften wie der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) die Waffe aus der Hand genommen werden. In Deutschland soll wieder brav gearbeitet werden.

Im Kern handelt es sich hiermit faktisch um einen Eingriff ins Streikrecht. Wenn nämlich für eine Minderheitsgewerkschaft absehbar ist, dass ein von ihr abgeschlossener Tarifvertrag gar keine Wirksamkeit entfaltet, wird natürlich auch niemand dafür streiken.

Sicher, Tarifeinheit ist eine wichtige Sache. Je einiger die Beschäftigten auftreten, umso mehr Druck können sie machen in Sachen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Daher und aus falsch verstandener Solidarität zu "ihrer" Arbeitsministerin freunden sich auch einige DGB-Gewerkschaften mit dem Nahles-Gesetz an. Aber das ist komplett verfehlt.

Erstens handelt es sich hier um einen Bruch der Verfassung, der die Gefahr in sich birgt, dass damit generell das Streikrecht unter Beschuss gerät. Wehret den Anfängen - deshalb lehnen auch ver.di und die NGG gegen die gesetzliche Tarifeinheit ab.

Zweitens: Tarifeinheit muss durch politische Einigung der Gewerkschaften bzw. der Beschäftigten selbst hergestellt werden und nicht per Gesetz.

Drittens: Künftig soll nur noch der Tarifvertrag gelten, den die Mehrheits-Gewerkschaft in einem Betrieb durchsetzt. Aber welcher ist das? Darüber bestimmen nicht nur die Mitgliederzahlen, sondern auch die Betriebsführungen. Ihnen dürfte es in vielen Fällen leicht fallen, per Umstrukturierung ihre Betriebe so aufzuteilen, dass die ihnen genehme Gewerkschaft die Mehrheit in einem Betriebsteil hält.

Viertens: Was ist eigentlich die Ursache für die viel beklagte "Tarif-Uneinheit"? Haben die kleinen Berufsgewerkschaften sie produziert? Keineswegs! Schuld an der Zersplitterung der Tariflandschaft sind jene, die heute am lautesten darüber heulen: SPD, Grün und die Union. Sie haben den Arbeitsmarkt "flexibilisiert", Leiharbeit und Werkverträgen Schranken aus dem Weg geräumt. Das haben die Unternehmer genutzt, umstrukturiert, tariffreie Zonen geschaffen, Betriebsteile ausgelagert. Folge: Die Belegschaft eines Betriebs arbeitet heute unter unterschiedlichsten Tarifverträgen. Stammbeschäftigter steht neben Leiharbeiter und Werkvertrags-Beschäftigten mit an einem Band.

Erste Folge: Viele Gewerkschaften sind für einen Betrieb zuständig bzw. einige Beschäftigtengruppen haben gar keine gewerkschaftliche Interessenvertretung. Zweite Folge: Durch die gezielte Schwächung der Gewerkschaften im Zuge der Agenda 2010 konnten angemessene Lohnerhöhungen gar nicht mehr durchgesetzt werden. Da ist es kein Wunder, dass vor ca. 15 Jahren sich die durchsetzungsstarken Berufsgruppen abgespalten haben, um ihre eigenen Kämpfe zu führen.

DIE LINKE fordert: Statt Einschränkung des Streikrechtes sollte vielmehr die Ausweitung auf der Tagesordnung stehen. Und wir brauchen endlich die Klarstellung, dass politische Streiks unbeschränkt legal sind! In vielen anderen, zivilisierten Ländern ist das selbstverständlich. Nur bei uns nicht!