Zum Hauptinhalt springen

Gewaltlosigkeit ist am Ende der bessere Weg

Rede von Prof. Dr. Lothar Bisky zur ISAF Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan am 12. Oktober 2007 im Plenum des Deutschen Bundestages

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Spiegel der vergangenen Woche lesen wir über das Kommando Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan. Ich zitiere:

Im Verteidigungsausschuss ... erfahren von den Abgründen gerade einmal ein paar Dutzend der insgesamt 613 Bundestagsabgeordneten, die schon bald über die Fortsetzung der Isaf und OEF-Mandate entscheiden müssen und damit auch über künftige Einsätze des KSK am Hindukusch.

Sie werden die Entscheidung auf der Basis von viel Vertrauen und wenig Wissen treffen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Klar, Spiegel-Leser sollten eigentlich mehr wissen. Dennoch frage ich mich, ob ich genug weiß, um eine Entscheidung wissend fällen zu können, zumal ich nicht automatisch - das werden Sie einsehen - Vertrauen in die Regierung der Großen Koalition entwickeln kann. Mein Vertrauen wird nicht größer, wenn ich mir ansehe, dass der Herr Außenminister in seiner Rede zur ersten Lesung sagte:

... in dieser Situation ist es notwendig, dass wir neben dem zivilen Engagement ... auch unser militärisches Engagement aufrechterhalten.

Nun ist es nicht dem Außenminister anzulasten - das will ich ausdrücklich sagen -, dass ich der Einsicht in die Notwendigkeit vor längerer Zeit gelegentlich zu einfältig Folge geleistet habe und deshalb gelernt habe, gründlich nachzufragen. Deshalb frage ich heute nach den Erfahrungen der zivilen Kräfte und der Bundeswehr in Afghanistan. Da will ich keine Schwarz-Weiß-Malerei üben. Da ist Positives zu berichten. Ich denke an Schulen, an die Situation der Frauen, an Unterstützung humanitärer Art und an Hilfe beim demokratischen Aufbau des Landes.

Zugleich dürfen wir nicht übersehen, dass nach sechsjährigem Engagement die Gewalt in Afghanistan wieder deutlich zunimmt. Kurz: Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Deshalb muss ich gründlicher prüfen, was eine Verlängerung des Mandats bringen könnte.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Beantwortung dieser Frage unterscheidet uns Folgendes grundlegend: Die Regierung meint, sie würde mithilfe des Militärs den Terrorismus bekämpfen können. Wir von der LINKEN sagen: Im Ergebnis des militärischen Engagements ist der Terrorismus nicht entscheidend geschwächt worden. Tatsächlich stärken militärische Aktionen häufig Hass, in dessen Gefolge wieder terroristische Aktionen wachsen.

Wir bewerten also die gleichen Ereignisse und Prozesse unterschiedlich, auch wenn die LINKE sich von terroristischen Anschlägen genauso distanziert, wie Sie es tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Sie müssen sich nicht distanzieren, Sie müssen sie bekämpfen!)

- Ja, wir sind da unterschiedlicher Meinung: Sie sagen, mit Militär, ich sage das nicht.

Herr von Klaeden, ich will eine Anmerkung machen. Der Versuch, Herrn Gysi in irgendeine Nähe zu den Taliban zu schieben, ist völlig abwegig, und ich weise das entschieden zurück.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sie instrumentalisieren sie!)

Ich will Ihnen jetzt erläutern, warum ich von dem von Ihnen in Aussicht gestellten Erfolg nicht überzeugt bin. Nach unserer Analyse der Situation in Afghanistan ist die UN-mandatierte und NATO-geführte Mission ISAF, an ihren eigenen und nicht an irgendwelchen anderen Zielen gemessen, gescheitert. Warum?

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Unsinn!)

Was wir als Taliban bezeichnen, sind ja keine Fremdkörper in Afghanistan. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine politische islamistische Gruppierung mit einem menschenverachtenden Weltbild. Aber - das ist entscheidend - die Taliban rekrutieren sich aus den Völkern Afghanistans, vor allem den Paschtunen; sie werden dort anders wahrgenommen als im fernen Europa, habe ich bei Scholl-Latour und anderen nachlesen können.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach je! Scholl-Latour!)

- Ja, man darf ja noch Bücher lesen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Unter den Taliban darf man das nicht!)

Damit ist ganz offensichtlich eine gewisse Verankerung in der afghanischen Gesellschaft gegeben, ob uns das gefällt oder nicht; dies ist nur eine Tatsachenbeschreibung. Der Versuch, vielschichtige Wirklichkeiten auf ein einfaches Schwarz-Weiß-Bild zu reduzieren und dementsprechend politisch und militärisch zu handeln, muss Schiffbruch erleiden.

Aus diesen Gründen ist angesichts der komplexen Konfliktsituation in Afghanistan Skepsis angebracht: Die Politik der USA, nach der der Feind unseres Feindes unser Freund ist, wurde in Afghanistan seit 1979 mit dem Resultat praktiziert, dass die vermeintlichen Freunde, die Mudschahidin, letztlich zum Nährboden des Islamismus und Terrorismus wurden.

Ende 2001 praktizierten die USA diese Politik erneut: Die unbotmäßigen Taliban wurden mithilfe anderer Kriegsherren gestürzt, die gerne als moderate Islamisten bezeichnet werden. Dazu möchte ich - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - Frau Malalai Joya, Abgeordnete des afghanischen Parlaments, zitieren:

... sechs Jahre nach den Angriffen auf Afghanistan unter der Führung der USA liegt unser verwüstetes Land noch immer in den Ketten der fundamentalistischen Warlords. Die Regierung Bush übergab die Macht an Menschen, die sich in der Vergangenheit als Mörder und Plünderer bewährt haben und genauso finster, böse und grausam wie die Taliban sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich zitiere sie weiter:

Die westlichen Medien sprechen über Demokratie und die Befreiung Afghanistans, aber die USA und ihre Verbündeten fördern Warlords, Kriminalisierung und Drogenbarone in unserem ... Land und haben durch ihre massiven Militäroperationen bisher Tausende unschuldiger Zivilisten getötet, ohne in ihrem Krieg gegen die brutalen Taliban wesentliche Fortschritte zu erzielen.

Dennoch tut die Bundesregierung so, als ob die ISAF-Mission Fortschritte erziele. Aber: ISAF mutiert von der ursprünglichen Schutztruppe immer mehr zur Kampftruppe im Sinne der OEF. Das ist die Wirklichkeit,

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

und dies wird durch den deutschen Tornadoeinsatz auch noch weiter befördert. Dies lehnen wir LINKEN entschieden ab.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Meine Damen und Herren, die ISAF-Mission läuft aus dem Ruder. Wer die deutsche Beteiligung an dieser Mission fortsetzen will, unterstützt die militärische Eskalationsstrategie der NATO. Dazu sagen wir entschieden Nein;

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

wir erwarten von der Regierung eine Exit-Strategie. Schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung jeden Eskalationsschritt der NATO mitgetragen: von der geografischen Ausweitung des ISAF-Mandats bis hin zur Verlegung der Aufklärungstornados.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist offensichtlich: Wer glaubt, dass die Beteiligung an ISAF und OEF auf die militärische Vorgehensweise der Verbündeten einen mäßigenden Einfluss hat, irrt. Im Gegenteil: Obschon die Bundeswehr an allen Planungen und Durchführungen von ISAF und NATO beteiligt ist, ist der Strategiewechsel hin zu mehr ziviler Aufbauhilfe ausgeblieben.

(Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister: Falsch!)

Damit macht sich Deutschland an der humanitären Katastrophe mitschuldig.

DIE LINKE fordert einen sofortigen Strategiewechsel. Damit stehen wir nicht allein. VENRO, der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, dem über 100 kirchliche und private NGOs angehören, forderte Anfang dieser Woche eine neue Strategie für Afghanistan. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für einen Strategiewechsel, obwohl wir, damit ich nicht falsch verstanden werde, nicht alles gleich beurteilen. Wir sind entschieden dafür, das Militär in seine Schranken zu weisen. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für eine strikte Trennung militärischer und ziviler Projekte.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Bisky, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE):
Ja, bitte.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Bisky, Sie haben gerade die interessante und bemerkenswerte Stellungnahme von VENRO angesprochen und sich der richtigen Forderung nach einem Strategiewechsel angeschlossen. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass VENRO wie auch Caritas international, medico international und andere gleichzeitig festgestellt hat, die Forderung nach einem Strategiewechsel ändere nichts daran, dass ISAF weiterhin unverzichtbar ist?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Und jetzt?)


Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Herr Nachtwei, das habe ich nicht in Abrede gestellt.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! - Interessant! - Ach nein? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

- Nein. - Ich habe nur gesagt: VENRO fordert einen Strategiewechsel.

(Zuruf von der SPD: Bei Anwesenheit von ISAF in Afghanistan!)


Das ist wahr, und das können Sie nachlesen. Ich habe erwähnt, dass wir zu anderen Schlussfolgerungen kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei VENRO gibt es viele, die weiterhin die militärische Unterstützung im Rahmen von ISAF wollen. Wir sagen dazu Nein. Das ist ein Unterschied.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ja! Aber nicht sehr überzeugend! - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Ja, ja! Dann sollten Sie sich aber nicht darauf berufen!)

Einen Strategiewechsel wollen wir alle. Ich habe das ja jetzt dank Ihrer Frage, Herr Nachtwei, eindeutig klarstellen können.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ja! Aber erst einmal haben Sie sinnentstellend zitiert!)

Wie ich sehe, können auch wir einer Meinung sein. Das, was VENRO fordert, ist nicht unsere Position. Ich will VENRO nicht instrumentalisieren. Dieser Verband will auch uns nicht instrumentalisieren. Das ist korrekt.

Meine Damen und Herren, wir wollen weg von der militärischen Besetzung und hin zur ausschließlich zivilen Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Wir sagen: Es gilt, jenseits militärischer Mittel den Auf- und Ausbau einer zivilen Infrastruktur und die Teilhabe aller Menschen in Afghanistan an politischen Entscheidungen zu befördern. Diese Unterstützung kann nur zivil geleistet werden. Das bisherige zivile Engagement der internationalen Staatengemeinschaft für Afghanistan ist ungenügend. Daraus ziehen wir die richtigen Konsequenzen. Wir unterstützen Bestrebungen, um in Afghanistan zu einem Waffenstillstand zu kommen,

(Zuruf von der SPD: Mit wem denn?)

wir wollen die dortige Drogenpolitik bekämpfen, und wir wollen die Afghan Ownership mit allen zivilen Maßnahmen, die möglich sind, weiterentwickeln.

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit komme ich zum Schluss. Meine Damen und Herren, der gute Zweck heiligt auch in Afghanistan keine militärischen Mittel, sie diskreditieren ihn eher.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben nach Ihrem Treffen mit dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela gesagt - ich zitiere -:

Wir brauchen Frieden auf der Welt, und insbesondere die Konflikte in Afrika müssen friedlich gelöst werden.

Sie bemerkten völlig zu Recht, Mandelas Beispiel habe gezeigt, dass Gewaltlosigkeit am Ende der bessere Weg sei. Dies sollte sich die Welt zu Herzen nehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))


Wir tun es, Frau Dr. Merkel, und deshalb sagt DIE LINKE eindeutig Nein zur Verlängerung des Mandats.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))