Zum Hauptinhalt springen
Klaus Ernst

Es kann jetzt nur noch um den sofortigen Atom-Ausstieg gehen

Statement des Parteivorsitzenden der LINKEN Klaus Ernst auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde mich heute nur zu einem Thema äußern, zur unvorstellbaren Katastrophe in Japan. Die Ereignisse in Japan stellen eine Zäsur, nicht nur für Japan, sondern für die gesamte Welt dar. Japan steht vor einer humanitären und ökonomischen Katastrophe. Das Land steht auch vor einer ökologischen Katastrophe, die nach dem 2. Weltkrieg absolut einmalig ist. Deren Folgen müssen bewältigt werden. Niemand weiß heute, welche Konsequenzen diese Katastrophe für die Menschheit insgesamt, besonders natürlich für die Menschen in Japan, haben werden. Wir müssen die internationale Koordination der Hilfe ergebnisoffen führen. Derzeit kann noch niemand wissen, welche Unterstützung insgesamt notwendig sein wird. Wir fordern eine große außerordentliche Kraftanstrengung der internationalen Gemeinschaft. Anders wird diese Krise nicht zu bewältigen sein.

Nach dieser Katastrophe ist nichts mehr so wie es vorher war. Wir müssen die Atomkraft weltweit neu bewerten, nicht nur in der Bundesrepublik, nicht nur in Japan, sondern weltweit. Atomkraftwerke sind tickende Zeitbomben. Wir fordern, dass die Bundesregierung ihre Möglichkeiten wahrnimmt, dazu beizutragen, dass es weltweit zu einer Abkehr von der Atomenergie kommt. Wir können uns gar nicht ausmalen, was wäre, wenn diese Katastrophe in nicht in Japan, sondern z. B. in einem Schwellenland passiert wäre. Wir gingen davon aus, dass Japan aufgrund seiner technischen Möglichkeiten und aufgrund des hohen Standes der Zivilisation, Möglichkeiten hat, mit so einer Krise umzugehen. Was wäre eigentlich, wenn diese Katastrophe woanders passiert wäre?

Die Reaktionen der Bundesregierung sind chaotisch und für die Bürgerinnen und Bürger aus meiner Sicht nicht verständlich. Frau Merkels gestriger Fernsehauftritt war bizarr. Sie sagte – ich zitiere: „Ich finde, man darf die Ängste der Menschen nicht animieren.“ Was für ein Unsinn. Diese Aussage erinnert an frühere Aussagen des Politbüros des ZK in der DDR. Die Kanzlerin ist nicht bereit, die Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen. Man braucht die Ängste der Bürger nicht mehr zu animieren, wenn Hunderttausende in Japan aus den Regionen, in denen sich Atomkraftwerke befinden, flüchten, wenn bei uns in der Bundesrepublik Bürger protestieren und sich Sorgen um die Zukunft machen, weil sie selbst in der Nähe eines Atomkraftwerkes leben. Dann ist das keine Frage, jemanden zu irgendetwas zu animieren. Die Ängste sind real vorhanden. Wir müssen Konsequenzen aus so einer Situation ziehen. Es geht nicht um Parteiengezänk, sondern darum, dass mit der Situation in Japan eine völlig neue Lage entstanden ist. Das hat die Kanzlerin offensichtlich noch nicht begriffen, wenn ich lese, dass sie nachwievor an der Kernenergie festhalten will. Es geht auch nicht um eine abstrakte Neubewertung dieser Technologie. Die Menschen haben die Bewertung dieser Technologie längst vorgenommen, in Japan, weil sie weglaufen und in Deutschland durch ihre Demonstrationen.

Es geht längst nicht mehr um eine Debatte: Es geht um die Forderung nach dem sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie, und zwar in der Bundesrepublik und auch weltweit. Merkel missachtet die Gorbatschow-Regel: „Wer zu spät kommt, dem be-straft das Leben“ – meistens vor allem die Bürgerinnen und Bürger eines Landes. Atomtechnologie ist keine Brückentechnologie, sondern sie ist eine direkte Brücke in den Abgrund. Die Bundesregierung muss erkennen, dass das Risiko, das mit dieser Technologie verbunden ist, für die Menschen nicht akzeptabel ist. Deshalb bleiben wir dabei: Wir wollen den sofortigen Ausstieg aus dieser Technologie.

Noch ein Wort zum sogenannten Rot-Grünen Atomkompromiss, der im Jahr 2000 geschlossen wurde. Es ist schon bemerkenswert, wie leicht man aus so einem Kompromiss aussteigen kann. Ich frage mich, wie da eigentlich verhandelt worden ist. Der rot-grüne Atomkompromiss war offensichtlich Mist, denn wenn er vernünftig gewesen wäre, wäre es nicht möglich, dass sich die deutsche Atomindustrie so locker und einfach aus so einem Kompromiss wieder herausmogeln kann. Insofern kann Rot-Grün auf das, was sie damals verhandelt haben, nicht stolz sein. Im Gegenteil. Sie haben offensichtlich nicht die Vorsorge dafür getroffen, dass der Vertrag auch Bestand hat, wenn Rot-Grün nicht mehr regiert. Das ist sehr bedauerlich.

Nach wie vor sind 17 Atomkraftwerke am Netz. Die vier ältesten –Neckarwestheim 1, Biblis A , Biblis B und Brunsbüttel –, keines davon wäre abgeschaltet worden, selbst wenn der Atomkompromiss eingehalten worden wäre. Deshalb kann es aus unserer Sicht auch nicht einfach ein Zurück zum alten Atomkompromiss geben. Satt dessen brauchen wir jetzt tatsächlich wasserdichte Lösungen.

Wir wollen den schnellstmöglichen Ausstieg erzwingen. Dazu gibt es mehrere Wege. Der erste Weg, den wir vorschlagen: Der Deutsche Bundestag beschließt, den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kernenergie einzuleiten. Das ist ganz klar unsere Position: Wir wollen einen Beschluss des Bundestages und keine weiteren Verhandlung mit der Atomindustrie. Wir sagen: Raus aus der Kernenergie. Zweitens, wenn der Bundestag diesen Beschluss nicht fassen wird, dann fordern wir Volksabstimmungen über die weitere Verwendung der Kernenergie in den Bundesländern, in denen Atomkraftwerke stehen. Das sind fünf, allen voran Bayern und Baden-Württemberg. Wir möchten, dass die Bürger selber entscheiden dürfen, ob sie mit Atomkraft leben wollen oder nicht.

Warum? Auf der Bundesebene sieht unsere Verfassung keine Volksentscheidungen vor, aber auf Landesebene. Deshalb wollen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in den Ländern selbst entscheiden können, ob sie sich dieser Gefahr aussetzen wollen oder nicht. Wir wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf angewiesen sind, was Frau Merkel oder Herr Westerwelle in dieser Frage entscheiden. Es ist ungeheuerlich, wie über die Interessen der Bürger hinweg, in dieser Frage Politik betrieben wird. Drittens schlagen wir vor, dass in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wird, auf die Anwendung der Kernenergie als Energieträger zu verzichten. Ebenso muss darauf verzichtet werden, Technologien für Atomkraftwerke zu exportieren. Wir wollen weltweit den Verzicht von Atomenergie.

Ein weiterer Aspekt, den ich zu mindestens ansprechen möchte: Die dramatischen wirtschaftlichen Folgen, die wir erleben werden, reichen weit über Japan hinaus. Wir brauchen einen globalen Marschallplan zu einer weltweit anderen Energiepolitik, zu einer weltweiten Energiewende. Das ist selbstverständlich nicht nur die Frage eines Landes. Das ist die Frage, der sich die Welt stellen muss. Wir müssen uns insgesamt dafür entscheiden, die Atomenergie nicht mehr anzuwenden. Wir müssen uns schnellstmöglich auf andere Energieträger konzentrieren. Dazu brauchen wir u.a. die koordinierte Anstrengung der Notenbanken zur Bereitstellung von Mitteln für einen entsprechenden Umstieg auf erneuerbare Energien. Und wir brauchen ein Wechselkursmoratorium. Es darf jetzt nicht sein, dass aufgrund der Vorgänge in Japan weiter mit Währungen spekuliert wird. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland darum bemühen, ein Moratorium für die Wechselkurse zu erreichen. Wenigstens für einen bestimmten Zeitraum muss das Spekulieren mit Währungen zulasten der Menschen verboten werden.

Zum Schluss möchte ich nochmal darauf hinweisen: Wenn die Bundesregierung jetzt nicht erkennt, dass es Zeit ist, endlich zu handeln, dann wird sie ihrer Aufgabe nicht gerecht. Deshalb sagen wir: Die Interessen der Mehrheit müssen sich in einer Gesellschaft durchsetzen. Dann haben wir demokratische Verhältnisse. Wenn es weiter dabei bleibt, dass die Atomindustrie bestimmt, ob Atomenergie als Energieträger angewendet wird oder nicht, gegen die Interessen der Mehrheit der Bürger, dann müssen wir die Frage stellen, leben wir hier eigentlich noch in einer Demokratie.