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Alexis Tsipras

»Eine Nachricht der Solidarität, des Widerstands und der Hoffnung«

Rede von Alexis Tsipras anlässlich des politischen Jahresauftaktes der LINKEN in der Berliner Volksbühne am 13. Januar 2013

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Genossinnen und Genossen,

ich freue mich, heute hier unter euch zu sein. 

Als linker Bürger Europas aus Griechenland. 

Aus dem Labor neoliberaler Barbarei in Europa.

Ich bin aber heute auch hier, um gemeinsam mit euch allen in alle Ecken Europas eine Nachricht der Solidarität, des Widerstands und der Hoffnung zu verbreiten. Um der Barbarei des Neoliberalismus die Würde der Demokratie entgegenzustellen. 

Denn die Stimme Bertolt Brechts ist wieder zu hören:  „Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt. Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre.“  Denn heute sind wir mehr denn je gefragt: wir, die politischen Kräfte der Linken und die Menschen der Arbeit und der Kultur. 

Es ist unsere Pflicht, die Katastrophe zu stoppen und den Umsturz dieser Politik zu organisieren.

Denn heute versenkt der Neoliberalismus Europa in Rezession und Arbeitslosigkeit. Denn heute zählt Europa 26 Millionen Arbeitslose, 19 Millionen davon in den Ländern der Eurozone – und eineinhalb Millionen in Griechenland. Denn heute bereitet der Neoliberalismus den Boden für ein Wachstum leerer Zahlen: Mit prekärer Arbeit, Niedriglöhnen und arbeitsrechtlichem Chaos. 

Mit Griechenland als Sonderwirtschaftszone Europas, wie der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, jüngst in einem Interview im "Spiegel" das Land beschrieben hat.  Denn heute führt der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, die „Road Map“ zu ihrem endgültigen Ziel einer wahrlich konservativen und neoliberalen Währungsunion - mit dem Kernelement des „europäischen Fiskalpakts“, der permanenten Austerität. Und wir sind heute in der Pflicht, unsere alternativen und realistischen Vorschläge voranzutreiben: für einen geordneten, sozial gerechten und nachhaltigen Austritt unserer Länder und der Eurozone aus der doppelten Schulden- und Politikkrise. 

Für eine demokratische und progressive Neugründung Europas. Es sind Vorschläge, die die Eurozone aus der Falle der Austerität und der Rezession befreien. Vorschläge, die ihr wirtschaftliches Modell revidieren und ihre Entwicklungsdynamik als selbstständige wirtschaftliche Einheit verwerten. Und die ihre neue bipolare Teilung in einen Norden der Gläubiger und einen Süden der Schuldner aufheben. Der Vorschlag, der Europäischen Zentralbank die Rolle einer wahren Zentralbank zu geben. Vorschläge für eine Tobin-Steuer. Für eine demokratische und politische Kontrolle der Märkte. Für eine Garantie der Spareinlagen in der gesamten Eurozone.  Für einen starken europäischen Haushalt der Umverteilung. Gleichzeitig hat SYRIZA-EKM noch etwas vorgeschlagen, damit die Schuldenkrise in der Eurozone definitiv und kollektiv behoben wird: die Einberufung einer europäischen Schuldenkonferenz, nach dem Modell des Londoner Abkommens von 1953 über die Schulden Deutschlands. Für die steuerzahlenden Bürger in den Gläubigerländern, die ihre Ersparnisse verlieren, im Fass ohne Boden, das die Austerität in den überschuldeten Ländern öffnet. Auch, um der Explosion der Staatsverschuldung in der gesamten Eurozone entgegenzutreten, die im Durchschnitt um 90 % höher als ihr BIP ist. 

Die deutschen Bürger müssen jetzt die ganze Wahrheit hören.

Jetzt und nicht nach den Wahlen. Dass das Geld der deutschen Steuerzahler in die Taschen der Bankiers von Deutschland, Frankreich und Griechenland geflossen ist. Die Koalitionsregierung Merkel hat nicht nur Griechenland, sondern dem gesamten europäischen Süden ihre fehlgeschlagene und katastrophale Austeritätspolitik auferlegt. Die selbst verursacht die Rezession, durch die die Staatsverschuldung Griechenlands als BIP-Prozentsatz unkontrollierbar wurde. Es handelt sich um eine Politik, die Europa zerstören wird, wenn sie in Ländern wie Frankreich oder auch Deutschland umgesetzt wird. 2013 wird nicht Griechenlands letztes Rezessionsjahr sein, wie die Troika der Gläubiger und die ihren Interessen dienende Koalitionsregierung in Griechenland behaupten.

In seinem Bericht vom vergangenen Dezember hat das verlässliche Prognosezentrum des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel Ökonometrie und gesunden Menschenverstand in Einklang gebracht und für 2014 ein Schrumpfen der Wirtschaft um 1,0 % sowie eine Arbeitslosigkeit von 31 % prognostiziert. Weil die Wirtschaft im Jahr 2014 für ganze sieben aufeinander folgenden Jahre geschrumpft sein wird, ist das Erlassen eines beträchtlichen Teils des Nominalwerts  der griechischen Staatsverschuldung nicht nur unvermeidlich, sondern auch eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass das Land aus der Rezession kommt: als Zünder für die Erholung der Konjunktur. Und ich betone:

Das ist eine Folge des Scheiterns der aufeinander folgenden Memoranden - wir haben es mit dem dritten innerhalb von drei Jahren zu tun. Die beiden vorigen sind gescheitert, weil ihr Rezept absurd war. Es handelt sich nicht um eine Intrige irgendwelcher Leute, um Andere mit ihren Schulden zu belasten. 

Gestattet mir ein kurzes Beispiel: Griechenland schlingert heute zwischen Korruption und Armut. Und die Politik der Regierungen und der Troika bestand darin, die Liste mit den Steuerhinterziehern zu verstecken und  die armen und mittleren Schichten übermäßig zu besteuern.  So werden diejenigen überbesteuert, deren Einkommen bereits zwei oder drei Mal gekürzt wurden. Bezeichnend ist: Ab Oktober wurde die Heizölsteuer um 40 % erhöht. Und da die Menschen  das nicht bezahlen konnten, haben sie ganz einfach gar kein Heizöl mehr gekauft. Holzöfen wurden gekauft und alles Mögliche verbrannt, um sich zu wärmen. Die Folge: Wälder werden gefällt und der Himmel über Athen, Thessaloniki und den anderen  großen Städten verfinsterte sich vom Smog. Gleichzeitig sind die Staatseinnahmen niedriger als letztes Jahr. 

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

Jeder Tag, der vergeht, offenbart das wahre Ziel der Strategie der Troika und die Rolle der Dreiparteienregierung Samaras: Die Rezession ist kein Unfall, sondern das Ziel des Programms der internen Inflation. Die Steuerhinterziehungs- und Korruptionsskandale waren die Regel und nicht die Ausnahme eines kleptokratischen Systems, das in den Bankrott führte. Die Lagarde-Liste mit den  griechischen Oligarchen, Bankiers und Medienvorständen, wurde nicht zufällig durch das korrupte griechische Politpersonal geheim gehalten. Die europäische Führung hat natürlich auch nicht aus Zufall zugelassen, dass die griechische politische Führung ihre Auserwählten beschützt. Diese Nachlässigkeit war Gegenleistung sowie gleichzeitig auch Werkzeug der Manipulation. Das Verfahren wegen des Schmiergeldskandals von Siemens wurde zu den Akten gelegt - fast, bevor es eröffnet wurde. Der Bericht des ehemaligen Siemens-Vorstands Christoforakos verbleibt in den Tresoren der deutschen Justiz. Er darf nicht zur Rechtsprechung verwendet werden. Die Liste der griechischen Anleger bei deutschen Banken verbleibt in Deutschland. Die Liste der griechischen Anleger bei der Genfer HSBC-Bank ist über zwei Jahre in den Safes zwei aufeinanderfolgender Finanzminister verblieben: der Herren Papakonstantinou und Venizelos. Dies ist der Grund, warum die griechische Seite  niemals die Bedingungen und Ziele des Memorandums ernsthaft verhandelt hat. Denn sie hat lediglich Beschlüsse beurkundet. So verwundert es nicht weiter, dass Herr Samaras die Herkulesarbeit übernommen hat, den PASOK-Vorsitzenden beim Skandal der Straffreiheit für Steuerhinterziehung zu beschützen. Samaras und Venizelos sind jetzt bemüht, die Öffentlichkeit vom Bankrott der Austerität und der steuerlichen Ausplünderung der Schwachen mit einer Strategie aus Anspannung und Spaltung abzulenken. Was den Weg für die Stärkung der extremen Rechten in Griechenland ebnet, der Neonazis der „Goldenen Morgenröte“. Aber die Forderung des Volkes nach Sanierung wird den Wunsch der Regierungspartner nach Intransparenz, Einschränkung der demokratischen Kontrolle und Straffreiheit der für Skandale Verantwortlichen überschallen. Die politische Sanierung ist keine Angelegenheit der institutionellen Spitze, sondern der sozialen Tiefe. Sie ist das Gegenstück der Forderung des gesamten Volkes nach sofortiger Annullierung  des Memorandums und nach Politikwandel.

Liebe Genossinnen und Genossen,

SYRIZA ist bereiter und entschlossener denn je, das griechische Volk in seinem Kampf für einen großen demokratischen Wandel zu stützen.  Wir wollen Griechenland verändern und wir sind die einzigen, die es können. Weil wir nicht der wirtschaftlichen Oligarchie verpflichtet sind, die ihre Privilegien erhalten will. Nicht wir haben die Vergangenheit gestaltet. Mit der Solidarität der europäischen progressiven und linken Kräfte, mit der Solidarität der europäischen Linken, mit der kämpferischen Vorreiterrolle der Völker Europas, wird uns einen wichtiger politischer Wandel in Griechenland gelingen, was ein Funke für den großen Umsturz  des Neoliberalismus in ganz Europa sein wird.

Vielen Dank.