DIE LINKE stärken, um die Rechten zu schwächen. Mit zeitgemäßer Klassenpolitik und klarer Haltung
Aus dem Grußwort von Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, zum zehnten Jahrestag des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen
Der Kampf gegen rechts muss überall geführt werden, ob in den Betrieben, in den Stadtvierteln oder an den Hochschulen. Dazu kommt es auf jeden und jede Einzelne an - und auf DIE LINKE als organisierende Kraft.
Dass die Rechte stärker wird ist, zeigt sich in Parlamenten und auf der Straße, zieht sich durch Kommunalpolitik und Universitäten. Was lange in Deutschland - zumindest an den meisten Orten - nur hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde, ist jetzt Teil der öffentlichen Debatte. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wurden nach rechts verschoben. Es stärkt die Rechtspopulisten, wenn andere Parteien Problemdefinitionen und Forderungen der Rechten übernehmen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der erneuten Verschärfung des Asylrechtes 2016 und in der aberwitzigen Debatte um "sichere Herkunftsländer", die selbst Länder umfassen sollen, die in Bürgerkrieg und Terror versinken. Und es zeigt sich in der Debatte um Obergrenze von Flüchtlingen, die ganz offensichtlich gegen internationales Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt.
Wir haben als LINKE eine große Verantwortung. In den letzten Wochen und Monaten wurde innerhalb der Partei viel diskutiert. Oberflächlich betrachtet entsteht schnell der Eindruck es handele sich um persönliche Konflikte und Machtkämpfe. Dahinter liegen aber inhaltliche Fragen, die wir durchaus kontrovers und offen diskutieren sollten, aber in einer sachlichen und solidarischen Auseinandersetzung.
Meines Erachtens stehen drei Fragen im Zentrum:
- Wie halten wir es mit der Solidarität - geht es um Solidarität zuerst mit Deutschen oder geht es um eine umfassende Solidarität, die alle umfasst, die von den Verhältnissen des Neoliberalismus betroffen sind, von Geflüchteten über Erwerbslose bis zu den unterschiedlichen Gruppen der Beschäftigten.
- Wie können wir den Kampf gegen rechts erfolgreich führen und die LINKE darin stärken?
- Was für eine Partei sind wir - wie bestimmen wir unsere Positionen, wie wichtig sind aktive Mitglieder für unser Selbstverständnis und wie stehen wir im Verhältnis zum Zeitgeist?
In der Flüchtlingspolitik haben wir als Partei bei Parteitagen, im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion eine gute Strategie gefunden: Zum einen wollen wir Fluchtursachen bekämpfen. Alle Parteien sprechen darüber, aber keine ist bereit, die politischen Konsequenzen zu ziehen. Man kann aber durchaus auch sehr kurzfristig Waffenexporte stoppen, die Entwicklungshilfe erhöhen und für eine gerechte Handelspolitik sorgen.
Das ist eine Frage des politischen Willens. Zweitens brauchen wir eine soziale Offensive für alle. DIE LINKE hat Merkel nie kritisiert, weil sie gesagt hat: "Wir schaffen das." Wir haben sie kritisiert, weil sie nichts dafür getan hat. Es wurde zum Beispiel kein bezahlbarer Wohnraum geschaffen und keine Beschäftigung für Langzeiterwerbslose. Wenn der Bundeshaushalt 20 Milliarden Euro Überschuss hat und Kredite zu Negativzinsen gehandelt werden, ist es an der Zeit in sozialen Wohnungsbau, Schulen, Kinderbetreuung und mehr Personal in Pflege und Gesundheit zu investieren. Wenn bezahlbarer Wohnraum zum Luxus wird, ist es Zeit für eine harte Mietobergrenze statt einer laschen Mietbremse. Diese Maßnahmen wären gut für alle Menschen gewesen, die hier leben - und sie hätten eine gesellschaftliche Stimmung erzeugt, in der es nicht so leicht wäre, Deutsche gegen Geflüchtete auszuspielen. In den letzten Jahrzehnten hat die neoliberale Politik dazu geführt, dass viele Menschen, die Erfahrung machen, dass Ausgaben für die andere auf ihre Kosten gehen und am Ende immer "die da oben" profitieren. Die Regierung hat nichts unternommen, um die soziale Spaltung zu verringern - im Gegenteil. Das schafft den sozialen Nährboden dafür, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Als Linke dürfen wir dabei nicht mitmachen. Daher heißen wir Menschen, die vor Not und politischer Verfolgung fliehen, willkommen. Drittens wollen wir gleiche Teilhabe für alle Menschen, die hier leben und die zu uns kommen, ermöglichen. Ein reiches Land wie Deutschland kann sich das leisten wenn wir endlich gerechte Verhältnisse herstellen. Wenn das reichste 0,1 Prozent aus Milliardären und Multi-Millionären in Deutschland ein Vielfaches mehr besitzt als die untere Hälfte Bevölkerung zusammen, wissen wir, wer die Gesellschaft wirklich belastet. Verantwortlich für die Misere sind nicht die Geflüchteten, sondern die Politik der letzten 25 Jahre. Wir brauchen eine Partei, die dagegen hält und ihre Positionen nicht im Wind des rechten Zeitgeistes aufweicht. Eine Partei, die gegen die mörderische Abschottung der Außengrenzen der EU steht und die deutlich macht: Geld ist genug da, die Reichen wollen es nur nicht freiwillig rausrücken. Das ist die entscheidende Frage für Linke: wie können wir genug Druck machen, um das zu ändern?
Klare Kante gegen Rassismus
Es ist eine Zäsur, dass eine rechtspopulistische und in Teilen faschistische Partei mit mehr als 12 Prozent im Bundestag sitzt. Ihr Erfolg beruht darauf, dass sie die bei vielen Menschen vorhandenen Gefühle von Ungerechtigkeit und Wut, die Erfahrungen in der Arbeitswelt von mehr Stress, sinkenden Standards, von Abstiegsangst und Enttäuschung über die neoliberale Politik bündeln.
Die AfD konnte bei Erwerbslosen und Arbeitern Stimmen dazugewinnen. In einigen Bundesländern ist sie bei diesen Wählern stärkste oder zweitstärkste Partei. Auch bei den Gewerkschaftsmitgliedern liegt die AfD über ihrem sonstigen Niveau. Manche schließen daraus, DIE LINKE hätte "die Arbeiterklasse" verloren. Ich halte diese Interpretation für falsch. Die Rechte kann vor allem dort zulegen, wo die Linke schwach verankert ist (und zum Teil schon seit Jahrzehnten) sowie in vielen Regionen Ostdeutschlands und in den ehemaligen Hochburgen der Sozialdemokratie, die sich der neoliberalen Politik zugewandt hat. Dort hat sich über Jahre viel berechtigte Frustration und Wut angestaut.
Der Unmut und die Unzufriedenheit erwachsen aus der neoliberalen Politik, die DIE LINKE seit Anbeginn bekämpft. Es wäre aber zu kurz gesprungen, wenn wir als Linke versuchen würden, nur den Unmut und die Unzufriedenheit aufzugreifen und diese Stimmungen für uns wenden. Natürlich sind nicht alle rassistisch oder nationalistisch, die AfD wählen. Wir können aber auch nicht die weite Verbreitung solcher Einstellungsmuster ignorieren. Den Rechten kommt zugute, dass rechtspopulistische oder rassistische Positionen schon seit vielen Jahren auch in unserer Gesellschaft weit verbreitet sind (je nach Studien haben 15 -20 Prozent der Bevölkerung ein "geschlossenes rechtes Weltbild") und durchaus von Teilen der bürgerlichen Klasse (Unternehmern, Managern, Professoren) gefördert werden. Auch durch gezielte Kampagnen - wie gegen Sexualaufklärung an Schulen - und Tabubrüche, die die Verankerung in der öffentlichen Debatte leisten sollen. Die Rechte in Deutschland kann dabei auf mehrere Generationen alte Traditionen und Kontinuität zurückgreifen: In Orten, wo die NSDAP, später die NPD und die Republikaner stark waren, ist heute die AfD stark. Es gibt also tradierte Positionen, die von Generation zu Generation und von Stammtisch zu Stammtisch weitergegeben werden. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe linker Politik, in der Gesellschaft eine klare Haltung gegen die Hetze der Rechten einzunehmen. Wir dürfen den Rechten nicht den öffentlichen Raum überlassen, sondern müssen dagegenhalten. Es ist daher so wichtig, in den Betrieben, an den Stammtischen, in den Stadtvierteln, in den Universitäten und überall sonst klare Kante gegen rassistische, nationalistische und chauvinistische Positionen zu zeigen und für emanzipatorische, antirassistische Positionen einzutreten.
Interessen verbinden statt gegeneinander ausspielen
Diese Auseinandersetzung ist durchaus mit der "Klassenfrage" verbunden. Die Rechten drücken den Unmut der Menschen aus, aber ihre Lösungen würden für die Erwerbslosen und Beschäftigten nichts verbessern, im Gegenteil. Die größte Übereinstimmung des AfD-Programms besteht mit dem Programm der FDP. Die Rechten standen und stehen immer für eine autoritäre Lösung der Krisen des Kapitalismus zur Verfügung.
Spätestens seit der Bundestagswahl haben wir viel darüber diskutiert, wie sich der Rückhalt der LINKEN in verschiedenen Milieus der ArbeiterInnenklasse insgesamt verändert. DIE LINKE gewinnt neue Wählerinnen und Wähler verstärkt unter jungen, häufig akademisch Gebildeten in den Großstädten und urbanen Zentren dazu. Dort konnten die Stimmen seit Gründung der LINKEN nahezu verdoppelt werden. Der Stimmenzuwachs bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 wäre ohne diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Gleichzeitig sind die Anteile unter den Erwerbslosen und Arbeitern zurückgegangen.
Zustimmend oder ablehnend wird von der Entwicklung zu einer modernen Mittelschichtpartei oder "Hipsterpartei" gesprochen, die entsprechend nicht mehr in erster Linie Ansprüche an die soziale Politik stellt, sondern durch einen weltoffenen modernen Lebensstil in den Groß- und Universitätsstädten geprägt und wenig interessiert an der Arbeiterklasse ist. Das verstellt den Blick auf veränderte soziale und kulturelle Klassenverhältnisse.
Ich finde es toll, wenn junge Leute in DIE LINKE kommen und wir haben seit Jahren daran gearbeitet. 50 Prozent eines Jahrgangs machen Abitur, fast so viele studieren. Sie stammen keinesfalls mehrheitlich aus der gehobenen Mittelschicht oder finden dort ihre Zukunft. Sie sind oder werden in ihrer überwiegenden Mehrheit lohnabhängig Beschäftigte, häufig sogar mit niedrigerer Bezahlung als die ihrer Eltern, viele davon mit mehr oder längeren Phasen prekärer Arbeit. Darunter sind etwa angehende TechnikerInnen, Ingenieure, kaufmännische Angestellte, SozialarbeiterInnen und angestellte LehrerInnen. Das gehobene Bildungsniveau sagt etwas über die veränderten Anforderungen der gegenwärtigen Produktionsweise an die Arbeitskraft aus, aber es führt nicht mehr notwendigerweise zu einer privilegierten Klassenlage. Bei den vielen Veranstaltungen und Diskussionen mit Neumitgliedern habe ich erfahren, dass viele von ihnen sich sehr wohl Themen wie "gute Arbeit" und soziale Gerechtigkeit interessieren und dafür engagieren wollen. Ihr konkreter Anlass, in DIE LINKE einzutreten, ist oft, etwas gegen rechts tun zu wollen. Ich finde, das ist genau die richtige Entscheidung. Wer etwas gegen rechts machen will, sollte in DIE LINKE kommen.
Dass DIE LINKE bei den Erwerbslosen und Arbeitern verloren hat, hängt teilweise damit zusammen, dass es 2009 noch keine rechte Partei gab, der es gelang Protest rechts zu besetzen. Auch die Veränderungen bei den Erwerbslosen wären näher zu untersuchen: Die offizielle Zahl der Erwerbslosen hat sich in den letzten Jahren halbiert. Viele werden in Minijobs oder unfreiwillige Teilzeit gedrängt. Ihre Selbstbezeichnung in den Nachwahlbefragungen - und darauf stützen sich ja viele unserer Diagnosen über eine Verschiebung in den Milieus - kann sich so verschoben haben. Trotzdem muss uns das weiter beschäftigen. Eine Partei, die sich als links begreift, darf niemals die Erwerbslosen, die prekär Beschäftigten und Menschen in den sozialen Brennpunkten aufgeben. Deshalb haben wir u.a. Projekte gestartet, um Organisierung in sozialen Brennpunkten zu unterstützen.
Anstatt die Milieus von Kernbelegschaften, jungen Prekären, Erwerbslosen gegeneinander zu stellen, müssen wir sie verbinden und gemeinsame Interessen formulieren. Bei der Bundestagswahl haben uns zum Beispiel 14 Prozent der Gewerkschafterinnen gewählt. Das liegt auch an der Kampagne im Gesundheitsbereich, mit der wir den Personalmangel in der Pflege und die prekären Arbeitsverhältnisse thematisiert haben. Im Gesundheitsbereich arbeiten mittlerweile sechs Millionen Menschen. Im klassischen Industriebereich arbeiten nur noch 20 Prozent. Die Mehrheit arbeitet in Dienstleistung, Logistik, Pflege und vielen anderen Bereichen. Wir müssen den Begriff der Arbeiterklasse weiter fassen, denn sie gehören alle dazu - die Krankenschwester, der Bandarbeiter, die Leiharbeiterin, der Solo-Selbstständige und die Mini - und Midijobber, auch die Beschäftigten mit Migrationshintergrund und die Geflüchteten, die meist künftige Lohnabhängige sind.
Als LINKE stehen wir vor der Herausforderung, den Unmut, die Unzufriedenheit und den Protest gegen die Verhältnisse links zu besetzen und vom Rassismus und vom Nach-unten-Treten zu trennen. Das machen wir, indem wir inhaltlich dagegen halten, aber unsere Kritik an der neoliberalen Politik zuspitzen. Die Rechten benennen klarer Gegner (die falschen!) als sich manche Linke das trauen. Wir müssen deutlich machen, dass rechte Positionen einen sozialen Nährboden haben. Das ist eine Frage der politischen Praxis im Alltag, nicht allein der Programme, Botschaften und der Medienpolitik. Der gemeinsame Kampf für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, für eine gute öffentliche Daseinsvorsorge und für Verteilungsgerechtigkeit kann Menschen verschiedener Herkunft und Nationalitäten verbinden und den Blick nach Oben, auf die tatsächlichen Verursacher der Verhältnisse, wenden.
Für eine demokratische Mitgliederpartei
Im Juni hat DIE LINKE ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Das ist ein Grund zur Freude, aber auch ein Anlass, um uns ins Gedächtnis zu rufen woher wir kommen - und darüber zu diskutieren, wo wir hinwollen. Dazu gehört natürlich auch die Frage, welche Art von Partei wir sein wollen. Meine Auffassung war schon immer, dass DIE LINKE eine aktive Mitgliederpartei sein soll, eine Partei in Bewegung. In der Gründungsphase habe ich viele Diskussion dazu geführt, auch mit ehemaligen SPD-Mitgliedern, die in die WASG eingetreten sind. Gerhard Schröder war es nämlich egal, was Ortsverein XY gesagt hat - er hat seinen neoliberalen Kurs durchgesetzt. So wollten wir nicht sein. Wir wollten schon immer eine demokratische, sozialistische Partei sein, in der die Mitglieder das Sagen haben.
Wir sind kein Wahlverein, der nur auf parlamentarische Stellvertretung setzt. Der Kapitalismus lässt sich nicht in erster Linie über das Parlament verändern. Das ökonomische und politische Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit und der Stand der linken Organisierung, Verankerung und Deutungshoheit in den Betrieben, in den Schulen, in der Zivilgesellschaft entscheiden darüber, was wir in der Gesellschaft verändern können. Selbstverständlich: Wenn wir bei Wahlen gut abschneiden und starke parlamentarische Vertretungen auf jeder Ebene haben, wachsen auch unsere öffentliche Wahrnehmbarkeit und der Druck auf die anderen Parteien. Unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen kann man mehr in der Opposition erreichen, wenn starke soziale Bewegungen Druck entfalten. Ich trete für eine Partei ein, die bei Wahlen erfolgreich ist, im Alltag organisierend wirkt und sich mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften verbindet. Die möglichst horizontal aufgebaut ist, ohne große Hierarchien, in der die Mitglieder selbstbewusst aktiv sind und die Politik gemeinsam bestimmen. Wir müssen auch aufpassen, dass nicht wie in bürgerlichen Parteien, der politische Prozess von Medienaufmerksamkeit, einzelnen Persönlichkeiten und der Logik der Parlamentsapparate dominiert wird, während ehrenamtliche Mitglieder kaum Einfluss haben. Dabei geht es nicht um einzelne Personen, sondern um die große Frage partei-interner Demokratie in einer modernen demokratisch-sozialistischen Partei und des Aufbaus von Macht in der Gesellschaft. Der Schlüssel für beides ist die Stärkung der Basisstrukturen, der Verankerung im Alltag (z.B. in Betrieben), der Räume für Diskussion und Bildung.
In den letzten Jahren haben wir viele Schritte getan, um einerseits eine Partei zu werden, in der sich alle einbringen können, und andererseits um an verschiedenen Orten der Gesellschaft aktiv zu sein, uns zu verankern und mehr zu werden. Es ist noch ein gutes Stück zu gehen auf diesem Weg, aber wir können optimistisch in die Zukunft blicken. Allein in diesem Jahr sind über 7800 Menschen in DIE LINKE eingetreten. Das ist Rekord. Im letzten Jahr waren es auch schon 5500. Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen, wir sind froh dass ihr da seid! Jetzt geht darum, gemeinsam zu kämpfen: für soziale Gerechtigkeit und Frieden, gegen rechts, gegen den Kapitalismus.