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Katja Kipping

DIE LINKE: Ideenwerkstatt für sozialen Fortschritt

Rede Katja Kippings auf dem Politischen Jahresauftakt der LINKEN in der Berliner Volksbühne am 13. Januar 2013.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste,

Hinter uns liegt ein turbulentes Jahr. Nach einem reinigenden Gewitter haben wir neue Handlungsfähigkeit erlangt. Wir haben Einfluss auf die gesellschaftliche Debatte genommen, haben wichtige Alternativen ins Gespräch gebracht.

 

 

Dabei sind wir immer mehr Ideengeberin für die Debatten geworden. Vieles von dem, was heute im Mainstream diskutiert wird – Bankenregulierung, Mindestrenten, Kita-Ausbau, Verbot von Stromsperren, strengere Verfolgung von Steuerflüchtlingen – all das wurde zuerst von uns in die Debatte eingebracht. 

Am Ende des nun alten Jahres konnten wir zu recht sagen: DIE LINKE ist wieder zurück.

Das ist unser gemeinsamer Erfolg.

Darauf können wir alle ein bisschen stolz sein.

Und das gibt uns Rückenwind für das neue Jahr.

Normalerweise bietet sich eine Rede zum Auftakt eines Wahljahres an, despektierlich über Spitzenkandidaten anderer Parteien zu sprechen. Und Peer Steinbrück, böte da reichlich Anlass. Ich meine: Warum sollte eine junge Krankenschwester, die für 1600 Euro netto im Monat Schichtdienst leistet, solch einen Westentaschenmacho wählen, der für ihr MonatSchwarz-Gelbehalt noch nicht mal aufstehen würde?

Aber irgendwie sprechen all die Aussagen und Taten, von Pannen-Peer so sehr für sich und damit gegen die SPD, dass sie auch ohne Kommentierung wirken.

Ich möchte die Zeit also lieber nutzen, zu verdeutlichen, wo die gravierenden Unterschiede zwischen uns und den anderen Parteien und worin unsere eigenständigen Funktionen liegen.

Betrachten wir Schwarz-Gelb: 

Schwarz-Gelb macht vor allem das Geschäft der Obersten, der Banken, der Konzerne, der Reichen.

Davon zeugt z.B. der Umgang der schwarz-gelben Landesregierung in Niedersachsen mit den Landeskliniken. Es ist ja schon ein Skandal, wenn Landeskliniken überhaupt privatisiert werden. Aber in Niedersachsen hat Schwarz-Gelb die Landeskliniken nicht nur privatisiert, sondern auch noch gerade mal für 1/3 des eigentlichen Wertes verscherbelt. Rund 250 Millionen Euro hat dies das Land Niedersachsen gekostet.

Hier sieht man deutlich, für wen Schwarz-Gelb da ist. Wirtschaftskonzerne werden großzügig beschenkt. Den Studierenden hingegen wird in Niedersachsen mit Studiengebühren das Geld aus der Tasche gezogen. 

Wir jedoch meinen: Studiengebühren gehören abgeschafft – und zwar sofort! Bildung darf nicht zur Ware werden.

Und auch die eine oder andere vermeintliche Fürsorge-Initiative von Schwarz-Gelb im Bund kann nicht darüber nicht hinwegtäuschen, dass Schwarz-Gelb vor allem das Geschäft der Obersten macht. Schauen wir uns einfach mal an, was aus der Renten-Initiative von Frau von der Leyen wurde:

Am Anfang stand der Schutz vor Altersarmut. Daraus wurde die Zuschussrente von 850 Euro – brutto wohlgemerkt. Diese wurde degradiert auf die sogenannte Lebensleistungsrente. Die betrug um die 700 Euro.

Und nun wurde auch diese von der CSU gekippt.

Was für ein Trauerspiel. Und wie gut, dass es mit der LINKEN wenigstens eine Partei gibt, die sich für eine Mindestrente einsetzt, die konsequent vor Armut schützt.

Doch zurück zu Schwarz-Gelb: Merkel ist nicht die fürsorgende Landesmutter. Sie betreibt neoliberale Politik pur und vollendet das Werk ihres Vorgängers Schröder, indem sie dessen Agenda 2010 ganz Europa aufnötigt.

Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese gefährliche Kürzungspolitik als Bumerang nach Deutschland zurückkehrt. Schon jetzt gehen die Aufträge der Industrie zurück.

Die Politik von schwarz-gelb ist unsozial, wirtschaftlich unvernünftig und europapolitisch gefährlich. Insofern braucht es einen Wechsel. Allerdings braucht diese Gesellschaft mehr als einen reinen Farbwechsel. Wir brauchen einen wirklichen Politikwechsel!

Und den wird es nicht einfach so mit Rot-Grün geben.

SPD und Grüne verfolgen eine Politik, die nur die Mittelschichten im Blick hat, nur für sie das Privileg der Solidarität erhalten will.

Trotz einiger Kurskorrekturen ist die rot-grüne Politik unsolidarisch gegenüber Ärmeren und Erwerbslosen. Denn:

 

  • Wer sich - wie die SPD - einer gesetzlichen Anhebung des Rentenniveaus verweigert, der ist mitverantwortlich für Altersarmut.
  • Wer sich – wie die SPD - der Sanktionsfreiheit bei Hartz IV verweigert, der ist verantwortlich für die Schikane und Existenzangst von Erwerbslose.

 

Und während die SPD die ganz unten einfach ausblendet, entlässt sie die oberen Klassen aus ihrer Solidaritätsverpflichtung.

Wenn es um die Besteuerung von Konzernen und Superreichen geht, wird die SPD plötzlich ganz zaghaft. 

Nur ein Beispiel: Unter Helmut Kohl betrug der Spitzensteuersatz 53%. Erst kürzlich verkündete der SPD Vorsitzende stolz in einer Talkshow: „Eine Anhebung auf 53% das fordern bei der SPD doch nicht einmal mehr die Jusos.“ Das muss man sich mal vergegenwärtigen, Sigmar Gabriel ist noch stolz darauf, dass selbst die SPD-Linke hinter den Steuersätzen von Kohl zurück bleibt.

Diese Gesellschaft braucht aber eine couragierte Besteuerung von Konzernen und Millionären, um:

 

  • die Renten zu sichern, 
  • in Bildung zu investieren, 
  • den sozialen Wohnungsbau zu beleben,
  • die Energie- und Verkehrswende zu finanzieren
  • und um Mindestsicherung und Mindestrente durchzusetzen.

Die Mittelschichten können ihren Status nur halten, wenn die oberen Klassen ihren Beitrag leisten. Das kann aber nur durchsetzt werden, wenn sich die mittleren Schichten nicht von denen abgrenzen lassen, denen es nicht so gut geht.

Wir haben doch erlebt, wie Hartz IV und befristete Beschäftigung Druck auf die Einkommen der mittleren Schichten ausüben. Ja, die Angst davor, in das repressive Hartz-IV-System abzurutschen, bringt viele Menschen dazu, schlimme Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne zu ertragen.

Höhere Regelsätze und die Abschaffung der Sanktionen sind also nicht nur Wohltaten für Hartz-IV-Beziehende. Sie stärken auch die Durchschnittsverdienenden.

Deshalb setzen wir auf eine Politik der wirklichen Solidarität. Wir wollen die Perspektiven der mittleren Schichten verbinden mit denen der prekären Beschäftigten sowie den Erwerbslosen.

Diese Politik müssen wir allerdings gegen die oberen Klassen, gegen die Banken und Konzerne durchsetzen. 

Das können wir als LINKE natürlich nicht alleine. Dazu braucht es auch die Selbstermächtigung der Vielen, die Gewerkschaften, die Umweltverbände, die sozialen Bewegungen.

Und dafür braucht es eine starke LINKE im Parlament.

Liebe Genossinnen und Genossen, 

dazu brauchen wir Projekte, in denen sich Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen wieder finden können. Das möchte ich an einem Beispiel aufzeigen:

Wir sehen, dass sowohl die Beschäftigten als auch die Soloselbständigen wachsendem Stress bei der Arbeit ausgesetzt sind. Stress wird auch durch Demütigungen auf dem Jobcenter hervorrufen. Dass Stress zur Volkskrankheit Nummer eins wird, ist inzwischen weit und breit bekannt. In Lifestylemagazinen findet man immer wieder Ratschläge, wie frau mit Yoga und Lavendel Stress entgegen wirken kann.

Nichts gegen Yoga, aber strukturelle Probleme der Arbeitswelt wie Arbeitsverdichtung oder die Unsicherheit von befristeten Verträgen lassen sich nicht einfach mit einem tiefen Omm wegatmen.

Nichts gegen den Duft von Lavendel, aber das Gefühl auf dem Amt ausgeliefert zu sein, das lässt sich nicht einfach mit Kräutertee runterspülen.

Die LINKE möchte die wirklichen Ursachen vom wachsenden Stress angehen. Deswegen setzen wir uns für ein Antistressprogramm ein. 

 

  • Dazu gehört die Abschaffung von Hartz-Sanktionen sowie die Abschaffung von Leiharbeit.
  • Dazu gehört mehr Mitbestimmung und
  • ganz zentral: Arbeitszeitverkürzung. Sowohl kollektive Reduzierung der Wochenstundenzahl, wie individuelle Formen.

 

Ein Sabbatical z.B., also eine zeitlich begrenzte Auszeit – das ist auch eine Möglichkeit, Stresserkrankungen vorzubeugen.

Arbeitsverkürzung verstehen wir als wichtigen Schritt zur Umverteilung der verschiedenen Tätigkeiten. Männer wie Frauen sollen gleichermaßen Zeit haben für Freunde und Familie, für Erfüllung im Beruf, für politische Einmischung und auch dafür, mal ein gutes Buch zu lesen.

Irgendjemand muss ja schließlich all die vielen klugen Bücher und Publikationen lesen, die wir Linken so verfassen.

Wenn wir von einem wirklichen Wechsel sprechen, so fangen wir mit Selbstverständlichkeiten wie Arbeitszeitverkürzung oder bezahlbaren Strompreisen an.

Aber wir bleiben dabei nicht stehen, sondern – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Partei –  verknüpfen diese Nahziele mit Fernzielen.

Das ist auch nötig: Denn:

 

  • Wer explodierende Strompreise nachhaltig verhindern möchte, kommt am sozial-ökologischen Umbau, wie wir ihn in unserem Plan B diskutieren, nicht herum.
  • Die soziale Energiewende erfordert nun mal den Konflikt mit den großen Energiekonzernen! Und wir sind bereit diesen zu führen

Wer Stress und Entfremdung in der Arbeit entgegenwirken möchte, muss an die Verteilung der Arbeitszeiten ran. Und dabei geht es nicht nur darum, wie lange produziert wird, sondern auch wie und was produziert wird. Muss es immer die Spritschleuder sein? Oder sollte es nicht eher ein umweltfreundliches Verkehrsmittel sein?

 

Letztlich geht es uns um die Aneignung der Verfügungsgewalt auch über das eigene Leben.

Ja uns geht es um das gute Leben. Mit weniger sollten wir uns nicht zufrieden geben.

Liebe Genossinnen und Genossen, 

achten wir also im neuen Jahr darauf, dass wir uns im alltagspolitischen Hamsterrad nicht komplett verausgaben!

Achten wir darauf, dass wir die weitreichenderen Ziele in den notwendigen Abwehrkämpfen nicht komplett aus dem Auge verlieren!

Um es zusammenzufassen. Es gibt in diesem Land drei strategische Blöcke:

 

  • Schwarz-Gelb macht knallhart das Geschäft der Superreichen und Konzerne.
  • Rot-Grün versucht – zumindest rhetorisch – soziale Fragen aufzugreifen. Konzentriert sich aber auf die Mittelschichten und ist in doppelter Hinsicht blind. Zum einen gegenüber den Nöten der Erwerbslosen. Zum anderen entlassen sie die ganz Oben aus der Verantwortung.
  • Wir hingegen stellen Projekte in den Mittelpunkt, die eine Brücke schlagen zwischen der Mittelschicht und denen, denen es nicht so gut geht. Und wir haben den Biss nach oben. Wir sind bissig gegen die Super-Reichen, Banken und Spekulanten.

 

 

Krankenhäuser retten, statt Spekulanten. Gute Löhne statt Spekulanten. Das sind auch zentrale Slogans unserer Partei in Niedersachsen.

Ich hoffe, Ihr habt den Jahreswechsel genutzt, um Euch etwas zu erholen, denn das neue Jahr startet gleich mit einem Wahlkampfendspurt.

Und ich kann nur alle bitten, alle Energie in der kommenden Woche darauf zu konzentrieren, den Wahlkampfendspurt in Niedersachsen zu unterstützen.

Denn wenn die LINKE wieder in den niedersächsischen Landtag einzieht, dann zieht damit eine politische Partei ein, die

 

  • die politische Sozialversicherung im Parteiensystem ist,
  • die Ideenwerksatt für sozialen Fortschritt ist und
  • die im Gegensatz zu allen anderen Parteien dort Biss nach oben hat!

 

Diese Gesellschaft braucht eine solche Partei!

Ich wünsche Euch allen ein frohes, gesundes und erfolgreiches neue Jahr!

Vor fast auf den Tag genau zwei Jahren lief im Fernsehen ein zweiteiliger Film mit dem Titel „Gier“. Inszeniert hat ihn ein Großer seiner Kunst: der Regisseur Dieter Wedel. Der Film spielte in einer Gesellschaft, die sich ohne Arbeit reich und reicher spekuliert. Es war sozusagen der Film zur Finanzkrise.

Auf die Frage einer Zeitschrift, ob ein Thema seines Films auch eine Kapitalismuskritik sei, antwortete Dieter Wedel: „Natürlich. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hat sich das Klima in unserer Gesellschaft verändert. Rücksichtslose Profitgier hat die Welt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit einem Jahrhundert geführt. Ich fürchte, diese Krise ist noch längst nicht überwunden, und wir werden ihre Nachbeben noch lange spüren. Im letzten Jahrhundert haben riesige Staatsverschuldungen zweimal zu Hyperinflationen geführt. Die Staaten waren danach schuldenfrei, aber die Bürger hatten sämtliche Rücklagen verloren, ihre Altersvorsoge, alles. Dann wäre es an der Zeit, dass endlich mal ein paar Banker vor Gericht gezerrt und zur Verantwortung gezogen würden. Vielleicht braucht diese Gesellschaft eine neue Werte-Definition.“

Begrüßen Sie mit mir gemeinsam Gregor Gysi, den ich Ihnen ja nicht vorstellen muss und Dieter Wedel, die sich hier zu einem Gespräch über Kunst, Politik, Gesellschaft und Werte verabredet haben.