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DIE LINKE hätte es ohne Oskar Lafontaine so nicht gegeben

Erklärung von Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE, auf der Pressekonferenz am 23. Januar 2010 im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Der Vorstand muss die Entscheidung von Oskar Lafontaine respektieren, aber es tut ausgesprochen weh. Oskar Lafontaine war, ist und bleibt eine herausragende politische Persönlichkeit Deutschlands und Europas. Wie Sie auch immer über ihn geschrieben haben – niemand kann das ernsthaft leugnen: Wenn man sich seine gesamte politische Biographie ansieht – darauf werde ich jetzt nicht eingehen, weil Sie diese hoffentlich einigermaßen kennen –, dann wissen Sie, welche herausragenden Leistungen er zu verschiedenen politischen Zeiten in der alten Bundesrepublik Deutschland erbracht hat, und zwar innerhalb seiner SPD im Saarland, in der Bundespolitik, auch bei der Installierung einer neuen Regierung nach Helmut Kohl, die in jeder Hinsicht überfällig war.

Oskar Lafontaine hatte natürlich auch ein wirklich schreckliches Erlebnis, das niemand von uns einschätzen kann, weil wir es alle nicht hatten, ein Attentat, das ja fast mit seinem Tod geendet hätte. Auch das prägt eine Persönlichkeit und lässt mit bestimmten Tatsachen einen anderen Umgang nicht mehr zu, den sich die Eine oder der Andere von uns wünschen würde.

Die Partei DIE LINKE – das muss ich so sagen – hätte es ohne Oskar Lafontaine so höchstwahrscheinlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. Als er im Juni 2005 sich entschied und sagte, dass er seine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, deren Vorsitzender er war, für die er in der Bundesregierung saß, aus seiner Sicht verlassen musste und hinzufügte, dass er bereit ist, für eine andere linke Kraft anzutreten, aber nur unter der Bedingung, dass die PDS und die WASG sich vereinigen, war das das geeignete Druckmittel, das alle Bedenkenträgerinnen und Bedenkenträger zurückdrängte und dafür sorgte, dass der Weg einer Vereinigung gegangen wurde. Nun schreiben Sie gelegentlich über Schwierigkeiten bei der Vereinigung. Ich bitte Sie, doch mal herausragend zu erwähnen, dass es die einzige Vereinigung ist, die Sie seit 1990 je erlebt haben. Wir hatten sonst nur Beitritte. Ein Beitritt ist etwas völlig Anderes. Da sagte man den Ostdeutschen: Ihr müsst so werden wie die Westdeutschen schon sind. Punkt. Um mehr geht es gar nicht. Ihr müsst die Strukturen einführen, die wir schon seit Jahrzehnten haben, selbst wenn sie gar nichts taugen. Das ist ein Beitritt. Eine Vereinigung bedeutet, dass man sagt: Wir wollen uns ändern, um mit euch z.B. in einer einheitlichen Organisation zu sein. Aber ihr müsst euch auch ändern. Anders funktioniert das nicht. Eine Vereinigung ist demzufolge immer schwieriger als ein Beitritt, aber sehr viel sinnvoller und sehr viel ergiebiger. Deshalb finde ich diesen Prozess ungeheuer spannend und wir sind da seit 2007 auch schon weit gekommen, aber noch nicht am Ziel.

Oskar Lafontaine ist deshalb eine so herausragende politische Persönlichkeit, weil er nicht nur ein umfassendes ökonomisches, finanzpolitisches und politisches Wissen hat – das mögen vielleicht auch die Eine oder der Andere haben –, aber er hat auch eine ungeheure Menge politischen Instinkt. Er weiß ganz genau, was die Bevölkerung anspricht, was sie bedrückt, was sie beschäftigt und ist in der Lage, das auch zugespitzt zum Ausdruck zu bringen. Er kann natürlich auch im Bundestag provozieren. Das fand ich immer sehr reizvoll, wie er die Anderen gezwungen hat, auf unsere politischen Vorstellungen einzugehen. Nicht, dass sie sie teilen, aber sie mussten darauf eingehen.

Ich bitte Sie, sich die strategischen Hauptpunkte unserer Politik anzusehen, die bei uns immer gleichgeblieben sind, ob ich Hartz IV nehme, ob ich die Rente nehme, ob ich Afghanistan nehme oder ob ich auch die Angleichung Ost-West nehme, was auch immer. Und dann schauen Sie sich an, wer sich geändert hat. Es waren immer die anderen Parteien. Das liegt zu einem großen Teil an Oskar Lafontaine, dass es uns gelungen ist, einen Druck aufzubauen, der die anderen Parteien zwingt, sich Schritt für Schritt zu korrigieren. Alle reden jetzt irgendwie vom Abzug in Afghanistan. Sie nennen keine Termine und machen das Gegenteil. Aber sie mussten ihr Vokabular ändern. Alle reden jetzt von Reformen bei Hartz IV und sagen, ja, so kann es nicht bleiben.

Wissen Sie, was mich daran stört, das ist nicht die Lage der Betroffenen, die sie dazu zwingt, sondern es ist eine Form der politischen Auseinandersetzung, die wir gesucht und gewählt haben. Aber dass wir die suchen und wählen konnten, hatte ganz viel mit Oskar Lafontaine zu tun. Deshalb ist es völlig klar: Er ist nicht ersetzbar. Es gibt überhaupt niemanden, der ersetzbar ist – um das auch mal klar zu sagen. Ich habe da eine ganz andere These: Leute können unverzichtbar sein, aber ersetzbar ist niemand, denn dann wären wir völlig gleich. Das sind wir nicht. So etwas gibt es gar nicht. Aber natürlich fällt es leichter, ein Vakuum in dem einen Fall auszufüllen, als in dem anderen Fall. Das ist hier schwierig. Darüber braucht man gar nicht zu streiten. Deshalb wächst die Verantwortung aller, die jetzt Verantwortung in der Partei haben, dafür zu sorgen, dass wir auch diese neue Entwicklung meistern. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten – ich hoffe es zumindest, ihn leisten zu können –, damit wir diese Situation meistern. Auch Oskar wird seinen Beitrag leisten. Wir werden beide im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen sehr aktiv sein. Er ist dann auch noch Vorsitzender. Da ist er sowie dazu verpflichtet. Aber abgesehen von Pflichten, macht er das ja auch gerne, weil wir wissen, wie wichtig diese Entscheidung in Nordrhein-Westfalen ist. Wir werden auch als Fraktion eine konsequente politische Arbeit im Bundestag leisten müssen, denn natürlich sollen die Leute auch merken, dass wir an allen relevanten politischen Problemen dranbleiben, dass wir diesbezüglich aktiv bleiben. Die einzige Frage, die Sie sich jetzt schenken können, ist die nach irgendwelchen neuen Personalvorschlägen. Darüber werden wir in den Gremien beraten. Wir werden das auch zügig machen. Aber zumindest von uns beiden werden Sie keinen einzigen Namen hören.